Telefondienstvertrag als
„Geschäft zur Deckung des Lebensbedarfs“ i.S.v. § 1357 BGB (sog.
„Schlüsselgewalt“)
BGH, Urteil vom 11. März 2004 - III ZR 213/03
Fundstelle:
NJW 2004, 1593
Amtl. Leitsatz:
Zur
Anwendung des § 1357 BGB auf einen Telefondienstvertrag über einen
Festnetzanschluß in der Ehewohnung.
Tatbestand:
Der Ehemann der Beklagten hatte mit der Klägerin einen Telefondienstvertrag
über einen Festnetzanschluß in seiner Ehewohnung geschlossen. Die Klägerin
stellte ihm am 3. Dezember 1998 und am 11. Januar 1999 für die Grundgebühr
im Dezember und Januar und für Verbindungen in der Zeit vom 24. Oktober bis
28. Dezember 1998 insgesamt 6.375,75 DM in Rechnung, die von ihm nicht
ausgeglichen wurden. Die Beklagte zahlte hierauf 771,13 DM.
Auf den restlichen Betrag von 5.604,61 DM nebst Zinsen nimmt die Klägerin
die Beklagte, die den Anschluß am 15. Februar 1999 anstelle ihres Ehemannes
übernommen hat, mit ihrer Klage aus dem Gesichtspunkt des § 1357 BGB in
Anspruch. Der noch offene Rechnungsbetrag bezieht sich ausschließlich auf
Verbindungen zum Tele-Info-Service 0190 x, die nach dem Vortrag der
Beklagten von ihrem Ehemann angewählt worden sind.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat ihr auf die
Berufung der Klägerin entsprochen. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag
weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach § 1357 Abs. 1 BGB ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur
angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie zu besorgen. Durch solche
Geschäfte werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn,
daß sich aus den Umständen etwas anderes ergibt. Die auf dem Ersten Gesetz
zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421)
beruhende Fassung der Vorschrift knüpft nicht mehr an die nach früherem
Recht bestehende Pflicht der Frau an, den Haushalt in eigener Verantwortung
zu führen (§ 1356 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F.) und ihr dementsprechend die
Berechtigung zu geben, Geschäfte innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises
mit Wirkung für den Mann zu besorgen. Vielmehr ist mit Rücksicht darauf, daß
die Aufgabenverteilung in der ehelichen Gemeinschaft den Partnern selbst
überlassen und das Leitbild der sogenannte Hausfrauenehe aufgegeben worden
ist, die Rechtsmacht zur Verpflichtung auch des Partners an die "angemessene
Deckung des Lebensbedarfs der Familie" gebunden worden. Der
Bundesgerichtshof hat hierzu entschieden, wie weit der Lebensbedarf der
Familie reiche, bestimme sich familienindividuell nach den Verhältnissen der
Ehegatten. Da die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dem Vertragspartner
allerdings häufig verborgen bleiben, ist entscheidend auf den
Lebenszuschnitt der Familie abzustellen, wie er nach außen in Erscheinung
tritt (vgl. eingehend hierzu BGHZ 94, 1, 5 f). Darüber hinaus ist die
Einbindung des § 1357 BGB in das Unterhaltsrecht zusammenlebender Ehegatten
(§§ 1360, 1360a BGB) zu beachten. Zu den Umständen, die bei der Anwendung
des § 1357 BGB von Bedeutung sein können, gehören daher auch die
wirtschaftlichen Verhältnisse in ihrem Bezug zu den Kosten, die durch die
jeweils in Rede stehende Geschäftsbesorgung ausgelöst werden. Auch insoweit
ist die Sicht eines objektiven Beobachters nach dem Erscheinungsbild der
Ehegatten, wie es für Dritte allgemein offenliegt, entscheidend (vgl. BGHZ
116, 184, 188 f).
2. Gemessen an diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, daß das
Berufungsgericht den Abschluß eines Telefondienstvertrages für einen in der
Familienwohnung befindlichen Festnetzanschluß im Ansatz als ein Geschäft zur
angemessenen Deckung des Lebensbedarfs angesehen hat.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht zugrunde gelegt, daß die Versorgung der
Familie mit einem Telefonanschluß unter Berücksichtigung der heutigen
Lebensverhältnisse ein anerkanntes Grundbedürfnis ist, wobei es davon
ausgegangen ist, daß sich aus der jederzeitigen Verfügbarkeit eines solchen
Anschlusses für die Familienmitglieder der Bezug zur familiären
Konsumgemeinschaft ergebe. Das Berufungsgericht folgt damit im Ausgangspunkt
einer in Rechtsprechung und Literatur verbreiteten Auffassung, nach der zur
angemessenen Bedarfsdeckung der Familie auch Verträge zu rechnen sind, mit
denen die Versorgung der Ehewohnung mit Strom und Gas sichergestellt wird
(vgl. AG Wuppertal ZMR 1980, 239 f; AG Beckum FamRZ 1988, 501; LG Koblenz
WuM 1990, 445; Palandt/Brudermüller, BGB, 63. Aufl. 2004, § 1357 Rn. 13;
Soergel/Lange, BGB, 12. Aufl. 1988, § 1357 Rn. 12; Wacke, in MünchKomm-BGB,
4. Aufl. 2000, § 1357 Rn. 23; Staudinger/Hübner/Voppel, BGB, 13. Bearb.
Stand Juli 1999, § 1357 Rn. 45; Rauscher, Familienrecht, 2001, Rn. 279;
Erman/Heckelmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 1357 Rn. 13), und erstreckt diesen
Gedanken im Hinblick auf die heute üblichen Standards und die weite
Verbreitung von Telefonanschlüssen auch auf Telefondienstverträge, die einen
stationären Festnetzanschluß in der Ehewohnung betreffen (ebenso AG Neustadt
am Rübenberge ArchivPT 1997, 150; LG Bremen RTkom 2000, 240; LG Stuttgart
FamRZ 2001, 1610 und die im Verfahren von der Klägerin vorgelegten nicht
veröffentlichten Urteile des Amtsgerichts Bad Freienwalde vom 6. September
1999 - 20 C 76/99 - und des Amtsgerichts Ettlingen vom 28. Mai 2002 - 1 C
563/01 -; Palandt/Brudermüller aaO; Wacke, in: MünchKomm-BGB aaO). Daß mit
einem solchen Vertrag ein Dauerschuldverhältnis begründet wird, steht der
Einordnung als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs - wie
auch bei einem Energielieferungsvertrag - nicht grundsätzlich entgegen,
spiegelt diese Gestaltung doch nur wider, daß hier für die Familie ein
beständiger Bedarf gedeckt wird. Die zunehmende Verbreitung von
Mobiltelefonen, die weitgehend den Bedürfnissen des individuellen Benutzers
dienen mögen, bedeutet nicht, daß der Festnetzanschluß in der Ehewohnung
nicht mehr der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie
zugerechnet werden könnte.
b) Die Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe nicht die
konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft und - ohne daß ein Erfahrungssatz
bestehe - die allgemeine Verfügbarkeit des Anschlusses für die Familie
unterstellt, greift nicht durch. Zwar ist der Revision grundsätzlich darin
zuzustimmen, daß den Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast trifft, soweit
er sich auf die Mitverpflichtung des Schuldners nach § 1357 BGB bezieht. Das
verlangt im hier zu entscheidenden Fall jedoch weder Erkundigungen noch -
seiner Natur nach gar nicht möglichen - Vortrag zu der Frage, in welcher
Weise der Anschluß durch die einzelnen Mitglieder der Familie genutzt wurde.
Die Beklagte hat selbst nicht in Frage gestellt, daß es sich um einen
privaten, nicht etwa mit einer geschäftlichen Tätigkeit ihres Ehemannes
verbundenen Anschluß in der gemeinsamen Ehewohnung handelte. Daß der
Anschluß unter diesen Umständen auch für die anderen Familienmitglieder
verfügbar war, wird indiziell dadurch bestätigt, daß die Beklagte einen Teil
der Gebühren - wenn auch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - gezahlt hat.
c) Das Berufungsgericht hat jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, daß die
Regelung des § 1357 BGB in das Unterhaltsrecht zusammenlebender Eheleute und
damit in deren Lebenszuschnitt eingebunden ist. Die vorliegenden Rechnungen
legen nach dem Vortrag der Beklagten die Annahme nahe, daß die angemessene
Bedarfsdeckung in dem abgerechneten Zeitraum weit überschritten ist.
Üblicherweise wird die Frage, ob ein Geschäft der angemessenen Deckung des
Lebensbedarfs dient, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beantworten sein.
Dies gilt im Grundsatz auch für Dauerschuldverhältnisse, mit denen ein immer
wiederkehrender Bedarf gedeckt werden soll. Dabei besteht zum Beispiel bei
Energielieferungsverträgen von vornherein ein relativ enges Verhältnis
zwischen der Lebenssituation der Eheleute (Größe der Familie, des Haushalts,
eines etwaigen Anwesens) und der danach erforderlichen Bereitstellung
unterschiedlicher Energien, das zwar Schwankungen des Verbrauchs nicht
ausschließt, sich aber doch in der Regel in überschaubaren Grenzen hält.
Dies rechtfertigt auch die Erwartung des Vertragspartners, im Hinblick auf
die Zwecksetzung des Vertragsverhältnisses sich auf eine Mitverpflichtung
des Ehegatten einzustellen. Beim Telefondienstvertrag läßt sich der Bedarf
hingegen von vornherein nur schwer abschätzen; vielfach wird er - etwa wegen
Veränderungen in der persönlichen Lebenssituation - auch erheblichen
Änderungen und Schwankungen unterliegen. Die Umstände, die hierzu führen –
etwa ein vermehrter Bedarf wegen einer doppelten Haushaltsführung; die
Notwendigkeit, wegen Alters oder Krankheit nahestehender Angehöriger
häufiger als früher zu telefonieren - treten regelmäßig nicht nach außen,
gehen den Vertragspartner auch nichts an. Sichtbar wird für diesen nur das
Ausmaß der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Laufzeit des Vertrags,
wobei sich aus der Zahlung der Rechnungsentgelte indiziell für ihn ergibt,
in welchem Umfang die Ehegatten Mittel für diese Bedarfsposition als
angemessen ansehen.
In diesem Umfang und Rahmen, der - auch erhebliche - Änderungen des
Ausgabeverhaltens einschließen kann, ist eine Mitverpflichtung des Ehegatten
nach § 1357 BGB für einen Festnetzanschluß in der Ehewohnung ohne weiteres
gegeben. Eine betragsmäßige Grenze hierfür läßt sich jedoch, weil sich der
Lebensbedarf familienindividuell nach den Verhältnissen der Ehegatten
richtet (vgl. BGHZ 94, 1, 6), nicht festlegen. Das rechtfertigt aber nicht,
Kosten, die diesen Rahmen exorbitant überschreiten und die finanziellen
Verhältnisse der Familie sprengen, nur deshalb der angemessenen Deckung des
Lebensbedarfs zuzurechnen, weil das Vertragsverhältnis bei seiner Begründung
auf eine familiäre Nutzung hinwies. Eine solche Erwartung kann auch ein
Diensteanbieter auf der Grundlage der Haftungserweiterung des § 1357 BGB
(billigerweise) nicht hegen, die den Gläubigerschutz nicht als Zweck,
sondern nur als Folge der eheausgestaltenden Regelung vorsieht (vgl. BVerfGE
81, 1, 7 f).
Demgegenüber kann es nicht darauf ankommen, für welche Verbindungen der
Anschluß genutzt worden ist. Das muß - auch im Prozeß über die zu zahlenden
Gebühren - ein Internum der Ehegatten bleiben, zu dem sich der
Vertragspartner nicht äußern muß und von dem sein Recht, den Ehegatten nach
§ 1357 BGB auf Zahlung in Anspruch zu nehmen, nicht abhängen darf.
3. Da das Berufungsgericht nicht die Frage geprüft hat, ob die beiden
streitgegenständlichen Rechnungen den vorstehend gekennzeichneten Rahmen
überschritten haben, andererseits die Parteien Gelegenheit haben müssen,
unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats ergänzend
vorzutragen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu den
weiter notwendigen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Dabei kann das Doppelte des Betrages, der sich als Durchschnitt der
unbeanstandeten Zahlungen in dem zurückliegenden Jahr der Vertragslaufzeit
ergibt, im Regelfall als Maß für den Haftungsumfang nach § 1357 BGB heran
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