Feststellungsklage auf
Unwirksamkeit einer Pflichtteilsentziehung zu Lebzeiten des Erblassers
BGH, Urteil vom 10. März 2004 - IV ZR 123/03
Fundstelle:
NJW 2004, 1874
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Einer schon zu Lebzeiten
des Erblassers gegen ihn erhobenen Klage des Pflichtteilsberechtigten auf
Feststellung, daß die in einer letztwilligen Verfügung des Erblassers unter
Bezug auf bestimmte Vorfälle angeordnete Entziehung des Pflichtteils
unwirksam sei, fehlt das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung
nicht (Weiterführung von BGHZ 109, 306, 309).
Tatbestand:
Der Kläger, Sohn des
Beklagten, begehrt die Feststellung, daß sein Vater nicht berechtigt sei,
wegen der in dessen notariellen Testamenten im einzelnen, nach Ansicht des
Klägers aber unzutreffend dargestellten Sachverhalte dem Kläger den
Pflichtteil zu entziehen. Beide Vorinstanzen haben die Klage als unzulässig
abgewiesen, weil dem Kläger zu Lebzeiten des Beklagten ein rechtlich
geschütztes Interesse an der beantragten Feststellung fehle.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat Erfolg; es führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und
zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach Ansicht der Vorinstanzen kann die Frage, ob Grund zur Entziehung des
Pflichtteils besteht, zwar vom (zukünftigen) Erblasser, grundsätzlich aber
nicht auch vom Pflichtteilsberechtigten zum Gegenstand einer
Feststellungsklage gemacht werden. Das Berufungsgericht meint, der
Pflichtteilsberechtigte habe vor dem Erbfall keine Möglichkeit, über sein
Pflichtteilsrecht irgend welche rechtlich erheblichen Verfügungen zu
treffen. Er habe auch keinen Einfluß darauf, ob beim Erbfall überhaupt eine
Erbmasse vorhanden sei und ein Pflichtteilsanspruch durchgesetzt werden
könne. Die Ungeduld naher Angehöriger im Hinblick auf Feststellungen, die
für sie erst nach dem Erbfall fühlbare rechtliche Folgen haben könnten,
reiche nicht aus. Der vorliegende Fall weise auch keine Besonderheiten auf,
die ein Feststellungsinteresse ausnahmsweise rechtfertigen könnten. Daß die
Parteien zerstritten seien, sei in Fällen dieser Art nichts Besonderes. Auch
wenn der Kläger den Erblasser überlebe und möglicherweise wegen
Grundstücksübertragungen des Beklagten Auskunfts- und
Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen seine Schwester geltend machen müsse,
genüge dies weder für sich genommen noch unter Berücksichtigung von
Beweisschwierigkeiten infolge Zeitablaufs. Denn für das Bestehen eines
Pflichtteilsentziehungsgrundes sei nicht der Kläger als
Pflichtteilsberechtigter beweispflichtig, sondern gemäß § 2336 Abs. 3 BGB
derjenige, der die Entziehung geltend mache.
2. Dem folgt der Senat nicht.
a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt ist zunächst, daß
das Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge, des Ehegatten und der Eltern eines
Erblassers (als Quelle, aus der mit dem Erbfall ein Pflichtteilsanspruch
entstehen kann,) ein Rechtsverhältnis ist, das schon zu Lebzeiten des
Erblassers besteht, rechtliche Wirkungen äußert und gerichtlich festgestellt
werden kann. Aus diesem Rechtsverhältnis erwächst unter den in §§ 2333 ff.
BGB angeführten Voraussetzungen die Befugnis des Erblassers, den Pflichtteil
zu entziehen. Dieses in § 2337 Satz 1 BGB ausdrücklich als Recht zur
Entziehung des Pflichtteils bezeichnete Recht ist ein gegenwärtiges und
nicht etwa ein vom Tod des Erblassers abhängiges zukünftiges Recht. Mit der
Klage auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 256 Abs. 1
ZPO) kann nicht nur die Feststellung des Bestehens des Rechtsverhältnisses
im ganzen, sondern auch die Feststellung einzelner, aus dem umfassenden
Rechtsverhältnis hervorgehender Berechtigungen verlangt werden wie des
Rechts, den Pflichtteil zu entziehen. Nichts anderes gilt für eine Klage auf
Feststellung des Nichtbestehens eines Pflichtteilsentziehungsrechts, wie sie
hier vorliegt (vgl. BGHZ 28, 177, 178; BGH, Urteil vom 1. März 1974 - IV ZR
58/72 - NJW 1974, 1085 unter 1; BGHZ 109, 306, 308 f.; BGH, Urteil vom 20.
Januar 1993 - IV ZR 139/91 - NJW-RR 1993, 391 unter 4).
b) Für die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage ist nach § 256 Abs.
1 ZPO weiterhin ein rechtliches Interesse des Klägers an alsbaldiger
Feststellung erforderlich (vgl. Senatsurteil vom 11. Oktober 1989 - IVa ZR
208/87 - NJW-RR 1990, 130 f.). Für die positive Feststellungsklage eines
Testators gegen einen Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung eines Rechts
zur Entziehung des Pflichtteils hat der Senat ein solches
Feststellungsinteresse bejaht, weil die Klärung der Grenzen der
Testierfreiheit im allgemeinen keinen größeren Aufschub vertrage (Urteil vom
1. März 1974 aaO, BGHZ 109, 306, 309). Für die Klage eines
Pflichtteilsberechtigten auf Feststellung des Nichtbestehens eines
Pflichtteilsentziehungsrechts hat der Senat das Bestehen eines Interesses an
alsbaldiger Feststellung dagegen grundsätzlich offengelassen, weil dem
Interesse ungeduldiger Angehöriger an der Feststellung einer Rechtsstellung,
die erst nach dem Erbfall für sie fühlbare rechtliche Folgen habe, nicht das
gleiche Gewicht zukomme wie dem Interesse des Erblassers an der Klärung der
Grenzen seiner Testierfreiheit. Wenn aber in demselben Verfahren das
Bestehen eines von dem vorverstorbenen Elternteil entzogenen
Pflichtteilsrechts zu klären sei, rechtfertige der Gesichtspunktder
Prozeßökonomie auch die gegenüber dem am Verfahren beteiligten überlebenden
Elternteil und zukünftigen Erblasser beantragte Feststellung, daß derselbe
tatsächliche Vorgang kein Recht zur Pflichtteilsentziehung begründet habe (BGHZ
109, 306, 309 f.; kritisch dazu Leipold, JZ 1990, 700).
c) Das Fortbestehen eines Pflichtteilsrechts trotz einer Entziehung des
Erblassers ist für den Pflichtteilsberechtigten jedoch nicht nur für die
Zeit nach dem Erbfall von Bedeutung: Der Pflichtteilsberechtigte kann schon
vor dem Erbfall einen Vertrag mit anderen gesetzlichen Erben über seinen
Pflichtteil abschließen (§ 311b Abs. 5 BGB). Er kann ferner durch Vertrag
mit dem Erblasser, der meist zu Gegenleistungen bereit ist, auf sein
Pflichtteilsrecht verzichten (§ 2346 Abs. 2 BGB). Dies gilt, obwohl vor
Eintritt des Erbfalles nicht ausgeschlossen werden kann, daß etwa wegen
Überschuldung des Nachlasses kein Pflichtteilsanspruch entsteht. Auch wenn
die Feststellungsklage im Einzelfall nicht der Vorbereitung einer derartigen
Verfügung über das Pflichtteilsrecht dient, besteht ein rechtliches
Interesse an einer alsbaldigen Feststellung, daß dieses Recht nicht durch
letztwillige Verfügung des Erblassers wirksam entzogen sei. Erst nach einer
solchen Feststellung hat der Pflichtteilsberechtigte wieder konkrete
Chancen, seine schon vor dem Erbfall bestehenden Verfügungsmöglichkeiten zu
nutzen. Für das Interesse des Pflichtteilsberechtigten kann hier nichts
anderes gelten als sonst bei einer gegenwärtigen Gefahr oder Ungewißheit für
die Rechtsposition eines Klägers, etwa durch deren Verletzung oder auch nur
deren ernstliches Bestreiten (BGH, Urteil vom 7. Februar 1986 - V ZR 201/84
- NJW 1986, 2507 unter II 1; Urteil vom 10. Oktober 1991 - IX ZR 38/91 - NJW
1992, 436 unter 1; Urteil vom 22. März 1995 - XII ZR 20/94 - NJW 1995, 2032
unter 3 a). Darauf weist die Revision mit Recht hin. Im vorliegenden Fall
hat der Beklagte das Entziehungsrecht bereits in seinen notariellen
Testamenten ausgeübt. Jedenfalls bei einer solchen Sachlage kann das
Feststellungsinteresse des Pflichtteilsberechtigten nicht zweifelhaft sein.
d) Demgegenüber überzeugt das Argument nicht, der Erblasser müsse zu seinen
Lebzeiten vor einer Auseinandersetzung über seinen Nachlaß geschützt werden
(so etwa AnwK-BGB/Herzog, § 2333 Rdn. 27). Das mag wünschenswert und dem
Pflichtteilsberechtigten etwa dann zu empfehlen sein, wenn zu hoffen ist,
daß der Erblasser die Vorfälle, die er zum Anlaß einer
Pflichtteilsentziehung genommen hat, nach Ablauf einer gewissen Zeit
gelassener beurteilen wird. Andererseits greift der Erblasser durch die
Pflichtteilsentziehung in eine schon zu seinen Lebzeiten bestehende
Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten ein. Dessen Abwehr muß der
Erblasser hinnehmen. Er ist zur Verteidigung seines Standpunkts aufgrund
seiner Sachkenntnis oft besser in der Lage als der Erbe nach Eintritt des
Erbfalles. Daß der Pflichtteilsberechtigte nicht die Beweislast für das
Vorliegen von Entziehungsgründen trägt (§ 2336 Abs. 3 BGB), ändert
grundsätzlich nichts an der Gefahr, daß ihm günstige Gegenbeweismittel durch
Zeitablauf verloren gehen oder entwertet werden können. Soweit die
persönliche Glaubwürdigkeit von Zeugen eine Rolle spielt oder eine
Parteivernehmung in Betracht kommt, können später verwertbare Feststellungen
selbst in einem Beweissicherungsverfahren nicht getroffen werden.
Hier hat sich der Kläger für seine Gegendarstellung der Vorgänge, die der
Pflichtteilsentziehung zugrunde liegen, unter anderem auf das Zeugnis seiner
Lebensgefährtin und seiner Schwester sowie auf eine Vernehmung des Beklagten
als Partei bezogen. Die infolge des Zeitablaufs bis zum Erbfall
möglicherweise drohenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen ebenfalls das
Interesse an alsbaldiger Feststellung (BGH, Urteil vom 9. März 1961 - VII ZR
145/60 - NJW 1961, 1165 unter II 1 b cc).
e) Danach ist das rechtliche Interesse auch des Pflichtteilsberechtigten an
einer alsbaldigen negativen Feststellung noch zu Lebzeiten des Erblassers,
daß ein Recht zur Pflichtteilsentziehung nicht bestehe, in aller Regel zu
bejahen (so auch OLG Saarbrücken NJW 1986, 1182; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5.
Aufl. § 37 III 1 b S. 871 f.; MünchKomm/Leipold, BGB 3. Aufl. § 1922 Rdn.
80; MünchKomm/Frank, aaO § 2333 Rdn. 2a; Palandt/Edenhofer, BGB 63. Aufl. §
2336 Rdn. 1; Zöller/Greger, ZPO 24. Aufl. § 256 Rdn. 11; Schneider, ZEV
1996, 56, 57; a.A. Staudinger/Olshausen, BGB [1998] vor § 2333 Rdn. 19;
Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. vor § 2333 Rdn. 4). Auch dem Kläger des
vorliegenden Verfahrens kommt ein berechtigtes Interesse an der begehrten
Feststellung zu.
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