Säumniskosten bei
Klagerücknahme
BGH, Beschluß vom 13. 5.
2004 - V ZB 59/03 .
Fundstelle:
NJW 2004, 2309
Für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Der Beklagte, gegen den ein Versäumnisurteil (in
gesetzlicher Weise) ergangen ist, trägt die durch die Versäumnis
veranlassten Kosten auch dann, wenn der Kläger die Klage zurücknimmt.
Zentrales Problem:
Der Beklagte, gegen den ein Versäumnisurteil ergangen war, hat nach § 344
ZPO die Kosten der Säumnis auch dann zu tragen, wenn nach dem Einspruch (§
338 ZPO) eine abändernde Entscheidung ergeht. Es war lange Zeit strittig, ob
dem Beklagten, gegen den ein Versäumnisurteil ergangen war, gem. § 344 ZPO
die Kosten der Säumnis auch dann aufzuerlegen sind, wenn der Kläger später
die Klage zurücknimmt und daher nach § 269 III 2 ZPO die Kosten zu tragen
hat. Der BGH bejaht dies nunmehr entgegen der bisherigen Rechtsprechung. Für
die Neuregelung des Kostenrechts kann das jetzt auch auf § 269 III 2 ZPO
gestützt werden, denn dort heißt es, daß der Kläger im Falle der
Klagerücknahme die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, soweit diese
nicht „dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind“. § 344 ZPO
ist ein solcher Grund. Im zu entscheidenden Fall kam es freilich doch nicht
zu einer solchen Kostentragungspflicht, weil die Tatbestandsvoraussetzungen
von § 344 ZPO nicht erfüllt waren – das Versäumnisurteil war nicht
rechtmäßig ergangen.
©sl 2004
Gründe:
I. Die Klägerin erwarb ein von dem Beklagten bewohntes Anwesen und forderte
ihn erfolglos zur Räumung bis 31. 5. 2002 auf. Die Räumungsklage ist dem
Beklagten, zusammen mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens, der
Aufforderung, die Absicht der Rechtsverteidigung binnen zwei Wochen
anzuzeigen, und der Belehrung über die Folgen der Nichtanzeige am 16. 8.
2002 durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt worden. Am 5. 9. 2002 ist
ohne mündliche Verhandlung ein Versäumnisurteil gegen ihn erlassen worden.
Der Beklagte hat mit der Behauptung, dass er sich vom 15.8. bis 15. 9. 2002
in Urlaub in der Türkei befunden habe, Antrag auf Einstellung der
Zwangsvollstreckung gestellt. Im Einspruchstermin hat die Kl. die Klage
zurückgenommen. Das AG hat die durch die Säumnis entstandenen Kosten dem
Beklagten, die übrigen Kosten der Kl. auferlegt. Das LG hat die sofortige
Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte seinen Antrag, der Kl. auch die durch
die Säumnis entstandenen Kosten aufzuerlegen, weiter. Die Klägerin beantragt
die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II. Das Beschwerdegericht meint, der Beklagte habe so, als ob das gegen ihn
ergangene Versäumnisurteil auf Einspruch abgeändert worden wäre, die durch
die Versäumnis veranlassten Kosten zu tragen. Die Voraussetzung hierfür, der
Erlass des Versäumnisurteils in gesetzlicher Weise, sei erfüllt. Ersteres
hält der rechtlichen Überprüfung stand, Letzteres nicht.
1. Die Frage, ob bei einer Klagerücknahme nach einem Versäumnisurteil gegen
den Beklagten der Kl. die gesamten Kosten des Rechtsstreits trägt (§ 269 III
2 ZPO) oder ob dem Beklagten die durch seine Versäumnis veranlassten Kosten
(§ 344 ZPO) aufzuerlegen sind, ist seit langem in Rechtsprechung und
Literatur umstritten.
a) Die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bisher überwiegende
Auffassung spricht sich für einen Vorrang des § 269 III 2 ZPO (§ 271 III 2
ZPO a.F., § 234 III 1 CPO) aus, der eine Kostentrennung in direkter oder
analoger Anwendung des § 344 ZPO (§ 309 CPO) verbiete (OLG Dresden,
SächsArch 3 [1893], 636 [640]; OLG Hamburg, SeuffArch 52 [1897], 217
[219f.]; OLGRspr 35, 66; OLG Frankfurt, HRR 1931, 1966; MDR 1979, 1029; OLG
Düsseldorf, JMBlNRW 1955, 209; OLGZ 89, 250; KG, NJW 1970, 1799; OLG
Stuttgart, MDR 1976, 51; OLG Bremen, NJW 1976, 632; OLG Hamm, MDR 1977, 233;
GRUR 1990, 642; OLG Oldenburg, NdsRpfl 1977, 276; OLG München, MDR 1981,
940; OLG Nürnberg, JurBüro 1984, 1586; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 955; OLG
Rostock, NJW-RR 1996, 832; OLG Schleswig, NJW-RR 1998, 1151; OLG Naumburg,
OLGR 1999, 62; OLG Brandenburg, NJW-RR 1999, 871; aus der Literatur:
Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 271 Anm. C I c 1; Wassermann, in: AltKomm-ZPO,
1987, § 269 Rdnr. 8; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 269 Rdnr. 63;
Prütting, in: MünchKomm-ZPO, 2. Aufl., § 344 Rdnr. 13;
Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZivilprozessR, 15. Aufl., § 130 III 2a;
Anders/Gehle, Antrag und Entscheidung im Zivilprozess, 3. Aufl., Teil B,
Rdnr. 514; Schneider, MDR 1961, 545 [549f.]). Diese Ansicht wurde zum Teil
auf die bis zum In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes vom 6. 4. 1998
(BGBl I, 666) geltende Gesetzesfassung gestützt, wonach eine Abweichung von
der vollen Kostentragungspflicht nach Klagerücknahme nur zugelassen wurde,
soweit über die Kosten bereits rechtskräftig erkannt war. Bei einer
Klagerücknahme fehle es jedoch an einer Entscheidung über die Säumniskosten.
Im Übrigen liege keine abändernde Entscheidung in der Sache vor, die § 344
ZPO voraussetze. § 269 III 2 ZPO stelle einen selbstständigen und von den
anderen Kostenregelungen unabhängigen Tatbestand der Kostenpflicht des Kl.
dar, die als zwingende Folge der Klagerücknahme von Gesetzes wegen eintrete.
Die auf Antrag des Beklagten ergehende Kostenentscheidung habe daher
lediglich feststellenden Charakter, während § 344 rechtsgestaltende Wirkung
entfalte. Für eine analoge Anwendung des § 344 ZPO fehle es an einer
Regelungslücke, weil es kein zwingendes Gebot materieller
Kostengerechtigkeit sei, dass der Beklagte die von ihm verursachten
Säumniskosten auch im Falle der Klagerücknahme tragen müsse. Diese Kosten
habe der Kl. durch seine Klageerhebung mittelbar verursacht.
b) Die Gegenmeinung (RG, JW 1887, 311; KG, OLGRspr 17, 320; KGBl 1920, 40
[41]; KG-Report 2001, 371; OLG Dresden, SächsAnn 30 [1909], 494 [495]; OLG
Düsseldorf, MDR 1972, 1043; NJW 1975, 1569 [1570]; OLG Hamm, OLGZ 89, 464;
OLG Köln, AnwBl 1992, 332; VersR 1993, 722; MDR 1990, 256; OLG München,
OLG-Report 1993, 15; JurBüro 1997, 95; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1996, 383; OLG
Bremen, OLG-Report 2001, 34; Lüke, in: MünchKomm-ZPO, 2. Aufl., § 269 Rdnrn.
41, 42; Zimmermann, ZPO, 6. Aufl., § 269 Rdnr. 13a; Schneider, Die
Kostenentscheidung im Zivilurteil, 2. Aufl., S. 181f.; Coester-Waltjen, DRiZ
1976, 240; Brammsen/Leible, JuS 1997, 54 [58]; Habel, NJW 1997, 2357
[2359f.]; Schneider, abl. Anm. zu OLG Hamm, MDR 1977, 233) sieht weder im
Wortlaut noch in der Systematik des Gesetzes einen Hinderungsgrund für eine
entsprechende Anwendung des § 344 ZPO. § 269 S. 2 ZPO a.F. habe die
Aussonderung anderer Kosten nicht ausgeschlossen. § 91 ZPO ordne ausnahmslos
die Kostentragungspflicht des Unterliegenden an, gleichwohl werde die
Anordnung durch andere Kostenvorschriften, wie zum Beispiel auch § 344 ZPO,
durchbrochen. Sowohl § 269 III 2 ZPO als auch § 344 ZPO seien Ausprägungen
des Veranlassungsprinzips, die nebeneinander anwendbar seien. Seit der
Neufassung des § 269 III 2 ZPO durch das am 1. 7. 1998 in Kraft getretene
Kindesunterhaltsgesetz habe die entsprechende Anwendung des § 344 ZPO im
Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 269 III 2 ZPO eine ausdrückliche
gesetzliche Grundlage (OLG München, NJW-RR 2001, 1150 [1151]; NJW-RR 2002,
142; Musielak/Stadler, ZPO, 3. Aufl., § 344 Rdnr. 1; Habel, NJW 1997, 2357
[2360]). Eine endgültige Klarstellung habe die seit dem 1. 1. 2002 geltende
Ergänzung durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. 7. 2001 (BGBl I, 1887)
bewirkt, wonach die Kostentragungspflicht des Kl. ausscheidet, wenn die
Kosten dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind (OLG
Schleswig, MDR 2002, 1274 [1275]; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO,
61. Aufl, § 269 Rdnr. 34; Hannich/Meyer-Seitz/Engers, ZPO-Reform 2002, § 269
Rdnr. 8; Musielak/Foerster, ZPO, 3. Aufl., § 269 Rdnr. 12; Thomas/Putzo/Reichold,
ZPO, 24. Aufl., § 269 Rdnr. 15; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 269 Rdnr.
18a; Zöller/Herget, § 91 Rdnr. 13 „Klagerücknahme“ u. § 344 Rdnr. 2;
Bonifacio, MDR 2002, 499; Schneider, JurBüro 2002, 509).
2. Der Senat schließt sich der unter 1b dargestellten Ansicht an. Danach
sind der beklagten Partei im Rahmen der Kostenentscheidung nach
Klagerücknahme (§ 269 III 2 ZPO) die durch ihre Säumnis veranlassten Kosten
in entsprechender Anwendung des § 344 ZPO aufzuerlegen.
a) Diese Auslegung, die bereits während der bis zum 30. 6. 1998 geltenden
Fassung des § 269 III 2 ZPO gerechtfertigt war (nachstehend b-d), hat
nunmehr in dem seit 1. 1. 2002 geltenden Gesetzestext, wonach von der
Kostentragungspflicht des Kl. auch Kosten ausgenommen werden, die dem
Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind, eine gesicherte
Grundlage. Durch das Kindesunterhaltsgesetz war bereits dokumentiert worden,
dass über den Fall der rechtskräftigen (Teil-)Kostenentscheidung hinaus eine
Kostenbelastung des Beklagten möglich ist. Wenn auch die Gesetzesbegründung
als einzigen Anwendungsfall den neu eingeführten § 93d ZPO nannte (BT-Dr
13/7338, S. 33), der eine Kostentragungspflicht des Beklagten wegen
Verletzung der unterhaltsrechtlichen Auskunftspflicht vorsieht, schloss die
gewählte Formulierung auch andere gesetzlich vorgesehene
Kostenaussonderungen nicht aus. Durch den Zusatz „aus einem anderen Grund“,
der durch das Zivilprozessreformgesetz eingefügt worden ist, wird die
generelle Öffnung für gesetzlich geregelte Ausnahmen von der
Kostentragungspflicht des Kl. zum Ausdruck gebracht. Hierzu zählt auch die
Berücksichtigung des § 344 ZPO im Rahmen des § 269 III 2 ZPO (Bonifacio, MDR
2002, 509; Schneider, JurBüro 2002, 509). Die Gesetzesbegründung (BT-Dr
14/4772, S. 80) nimmt auf die durch das Kindesunterhaltsgesetz geschaffene
Öffnung für eine Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten Bezug. Die mit
dem Zivilprozessreformgesetz vorgenommene Ergänzung „aus einem anderen
Grund“ stelle klar, dass den Kl. die Kostenlast nicht treffe, wenn einer der
schon bisher von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle vorliege. Zwar
nennt die Gesetzesbegründung bei der Aufzählung der Beispiele den Fall der
Klagerücknahme nach Versäumnisurteil nicht eigens, sie verweist aber auf die
Literatur, die ihrerseits als Ausnahme von der generellen
Kostentragungspflicht des Kl. ein vorausgegangenes Versäumnisurteil gegen
den Beklagten mit entsprechender Belastung des Säumigen gem. § 344 ZPO
anführt (Hinweis auf Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 269 Rdnr. 18a). Dies
zeigt, dass dem Gesetzgeber die Fallkonstellation bekannt war und er sie in
seinen Willen aufgenommen hat (zutr. OLG Schleswig, MDR 2002, 1275).
b) Die gesonderte Belastung des Beklagten nach Klagerücknahme mit den von
ihm zuvor verursachten Säumniskosten ordnet sich in die Systematik des
Gesetzes ein.
Es trifft zwar zu, dass § 344 ZPO als Ausnahme zu den allgemeinen
Kostenregelungen nach §§ 91ff. ZPO einen Prozessabschluss durch gerichtliche
Entscheidung voraussetzt, während die Kostenentscheidung nach § 269 III 2
ZPO an eine Prozessbeendigung durch Parteierklärung anknüpft. Daraus kann
aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, der in § 344 ZPO zum
Ausdruck kommende Grundsatz der Kostentrennung sei nicht analogiefähig. Denn
abgesehen davon, dass auch die allgemeinen kostenrechtlichen Regelungen der
§§ 91a und 98 ZPO Fälle der Prozessbeendigung durch Parteierklärung
behandeln, setzt § 344 ZPO nur deshalb eine gerichtliche Entscheidung als
Abschluss des Verfahrens voraus, weil sich die Frage der gesonderten
Auferlegung der Säumniskosten dann stellen kann, wenn das Versäumnisurteil
abgeändert wird. § 344 ZPO kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass nur
in diesem Fall eine Kostenentscheidung zu Lasten eines säumigen Beklagten
zulässig ist (zutr. OLG München, NJW-RR 2001, 1150; OLG Schleswig, MDR 2002,
1275).
Durch die Fiktion des § 269 III 1 ZPO, wonach der Rechtsstreit bei
Klagerücknahme als nicht anhängig geworden anzusehen ist, und demzufolge ein
bereits ergangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wirkungslos wird,
entfallen zwar rückwirkend die Rechtshängigkeit und grundsätzlich auch die
materiell-rechtliche Wirkung der Verjährungshemmung (§ 204 I Nr. 1 BGB).
Aber, wie die Einräumung der sofortigen Beschwerde in § 269 V 1 ZPO zeigt,
bleibt der Rechtsstreit wegen der Kosten anhängig, so dass die
kostenverursachenden Kriterien so zu berücksichtigen sind, wie sie im
Verlauf des Rechtsstreits auch tatsächlich eingetreten sind (OLG München,
NJW-RR 2001, 1150). In Bezug auf die Kostenentscheidung entfaltet die
gesetzliche Fiktion daher keine Wirkung. Anderenfalls gäbe es weder eine
prozessrechtliche Kostenpflicht noch Kostenentstehungstatbestände bei der
Klagerücknahme (Coester-Waltjen, DRiZ 1976, 240).
c) Dem Beklagten die Säumniskosten auch bei Klagerücknahme aufzuerlegen,
entspricht dem Leitgedanken des prozessualen Kostenrechts, dem
Veranlassungsprinzip. Danach soll derjenige, dessen Verhalten zur Entstehung
von Kosten Anlass gegeben hat, diese auch tragen. Dies gilt ohne weiteres in
den gesetzlich geregelten Grundfällen, dass jemand einen nicht bestehenden
Anspruch behauptet oder sich unberechtigt gegen seine Inanspruchnahme wehrt
(§ 91 ZPO), dass er das Verfahren unnötig verzögert (§§ 95, 96, 344, 380,
409 ZPO) oder die Durchführung eines von ihm eingeleiteten Verfahrens
abbricht (§§ 269, 494a, 516, 565 ZPO). Die vorliegende Konstellation ist
dadurch gekennzeichnet, dass zwei Folgen des Veranlassungsprinzips
aufeinander treffen. Für die Klagerücknahme gilt, dass derjenige, der
zurücknimmt, zahlen soll, und wegen des vorangegangenen Versäumnisurteils
gilt der Grundsatz, dass der Säumige die Kosten der Säumnis trägt. Beide
Postulate schließen sich aber nicht gegenseitig aus, haben vielmehr
nebeneinander Geltung und sind in ein und derselben Kostenentscheidung
sachgerecht zu verwirklichen. Denn die Säumnis ist nicht durch die
Klageerhebung veranlasst.
d) Schließlich sprechen angesichts des geltenden Kostenrechts auch
prozessökonomische Gesichtspunkte für eine i.S. des § 344 ZPO differenzierte
Kostenverteilung bei der Klagerücknahme. Seit In-Kraft-Treten des
Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 vom 24. 6. 1994 (BGBl I, 1325) wäre die
Klagerücknahme ohne Aussonderung der Säumniskosten teurer als ein
klageabweisendes Urteil, so dass der gebührenrechtliche Anreiz zur
freiwilligen Prozessbeendigung mit Entlastungswirkung für das Gericht
ausbliebe. Bis zum In-Kraft-Treten des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 am
1. 7. 1994 fiel bei Klagerücknahme nach mündlicher Verhandlung lediglich
eine Gerichtsgebühr an, und für das echte Versäumnisurteil entstand keine
zusätzliche Gebühr. Daher war die Klagerücknahme auch dann der
kostengünstigere Weg der Erledigung gegenüber dem streitigen Endurteil, wenn
dem Kl.gem. § 269 III 2 ZPO - unter Außerachtlassung der Säumnis des
Beklagten - sämtliche Kosten des Rechtsstreits auferlegt wurden, weil er
zwei Urteilsgebühren sparte.
Seit der Geltung des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 gibt es für den Fall
eines vorangegangenen Versäumnisurteils keine gebührenrechtliche
Privilegierung der Klagerücknahme gegenüber der streitigen Entscheidung
mehr, weil die zu Beginn nach Nr. 1210 KV GKG (Nr. 1201 KV GKG a.F.)
angefallene dreifache Verfahrensgebühr wegen des vorausgegangenen (Versäumnis-)Urteils
trotz Klagerücknahme nicht gem. Nr. 1211a KV GKG (Nr. 1202a KV GKG a.F.)
reduziert wird (LG Berlin, JurBüro 1995, 430; OLG Hamburg, JurBüro 1996,
488; OLG Hamm, OLG-Report 1996, 72; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 638; OLG
München, MDR 1996, 968; JurBüro 1997, 95; OLG Bremen, OLG-Report 2001, 34).
Würden den Kl. auch noch die Säumniskosten treffen, wie etwa die halbe
Verhandlungsgebühr seines Rechtsanwalts für die Beantragung des
Versäumnisurteils (§§ 11, 33 I 1 BRAGO), die gem. § 38 II BRAGO nicht auf
die im Einspruchstermin angefallene Verhandlungs- oder Erörterungsgebühr
angerechnet wird, zuzüglich Mehrwertsteuer (§ 25 II BRAGO), eventuell
Reisekosten zur Wahrnehmung des Einspruchstermins, Kosten für eine
zusätzliche oder nochmalige Ladung von Zeugen sowie deren Verdienstausfall,
würde die kostenmäßige Begünstigung der Klagerücknahme vollständig entfallen
und der Klagerücknahme in der Praxis eine Grundlage entzogen (OLG Bremen,
OLG-Report 2001, 34).
3. Eine Aussonderung der durch den Beklagten verursachten Säumniskosten
scheidet indessen im Streitfalle aus, weil die Voraussetzungen des § 344 ZPO
entgegen der Ansicht des BeschwGer. nicht erfüllt sind.
a) § 344 ZPO greift nur ein, wenn das Versäumnisurteil nach §§ 330ff. ZPO in
gesetzlicher Weise ergangen ist. Der Beklagte ist vom Gericht zwar mit der
vorgesehenen Belehrung aufgefordert worden, seine Verteidigungsabsicht
anzuzeigen (§ 276 I 1, II ZPO). Die Kl. hat auch einen Antrag auf Erlass
eines Versäumnisurteils im schriftlichen Vorverfahren nach § 331 III ZPO
gestellt. Aber der Erlass des Versäumnisurteils verstößt gegen die
Vorschrift des § 337 S. 1 ZPO, die auf die bekl. Partei, die im
schriftlichen Vorverfahren keine Verteidigungsanzeige macht, entsprechend
anzuwenden ist (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl. [2003],
§ 337 Rdnr. 4). Denn die Säumnis des Beklagten ist unverschuldet. Dabei
kommt es nicht darauf an, ob das fehlende Verschulden des Beklagten am
Erscheinen für das Gericht, woran es hier fehlte, erkennbar war. Maßgeblich
ist allein die objektive Rechtslage (BGH, NJW 1961, 2207; statt aller:
Musielak/Stadler, § 344 Rdnr. 2).
b) Für den Begriff des Verschuldens i.S. des § 337 1 ZPO ist die
Rechtsprechung zum Wiedereinsetzungsgrund nach § 233 ZPO heranzuziehen
(Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 337 Rdnr. 3; Musielak/Stadler, § 337
Rdnr. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 344 Rdnr. 4). Danach muss
eine Partei, die nicht bereits in einen Prozess verwickelt ist und auch
nicht mit dem Beginn eines Verfahrens rechnen muss, keine allgemeinen
Vorkehrungen für eine mögliche Fristwahrung treffen (RGZ 78, 121 [125]; BGH,
NJW 1986, 2958; Stein/Jonas/Roth, § 233 Rdnr. 64 „Abwesenheit“ a; Musielak/Grandel,
§ 233 Rdnr. 6). Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung (BVerfGE 34, 154
[156f.] = NJW 1973, 187; NJW 1976, 1537; NJW 1993, 847 m.w. Nachw.) bei
einer Urlaubsabwesenheit von „längstens etwa sechs Wochen“ die Zumutbarkeit
besonderer Vorkehrungen wegen der möglichen, aber zeitlich ungewissen
Zustellung - in jenen Fällen eines Bußgeldbescheids oder Strafbefehls -
sogar dann verneint, wenn der Betroffene vorher zu der Beschuldigung
polizeilich vernommen worden war (BVerfGE 34, 156 = NJW 1973, 187). Hier
handelt es sich um eine Urlaubsabwesenheit von einem Monat. Der Beklagte
hatte auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass ihm während seiner
Abwesenheit eine Räumungsklage zugestellt würde. Es war im Gegenteil
ungewiss, ob die Kl. ihren Anspruch weiterverfolgen und wenn ja, ob und wann
sie ein gerichtliches Verfahren gegen den Beklagten einleiten würde. Denn
die von der Kl. bis zum 31. 5. 2002 gesetzte Räumungsfrist lag zum Zeitpunkt
des Urlaubsreiseantritts des Beklagten bereits zweieinhalb Monate zurück und
die Kl. hatte weder bei der Fristsetzung noch nach deren fruchtlosem Ablauf
gerichtliche Schritte angekündigt.
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