Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO und Haager Kindesentführungsübereinkommen; Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Verbundurteils
BGH, Beschluß vom 22. Juni 2005 - XII ZB 186/03
Fundstelle:
NJW 2005, 3424
Amtl. Leitsatz:
a) Die nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO begründete Annexzuständigkeit der Ehegerichte
für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung endet im Falle der Entführung
der gemeinsamen Kinder in das Ausland, wenn innerhalb der Jahresfrist kein
Rückführungsantrag nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen gestellt
worden ist und die Kinder sich in ihrem neuen Umfeld sozial integriert haben.
b) Zur Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidung eines ausländischen Verbundurteils
(hier: Italien), wenn einheitlich über die Kosten des Ehestatusverfahrens
und des als Folgesache geführten Sorgerechtsstreits entschieden worden ist
und das ausländische Gericht für die erlassene Sorgerechtsentscheidung international
unzuständig war.
Entscheidungsgründe:
I.
1. Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung der Sorgerechtsund
Kostenentscheidung aus einem italienischen Verbundurteil im Verfahren
über die Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett (separazione personale
dei coniugi).
Der Antragsteller ist Italiener; die Antragsgegnerin ist Deutsche. Aus der
Ehe der Parteien sind zwei - 1995 und 1997 geborene - Kinder hervorgegangen,
die beide Staatsangehörigkeiten besitzen und mit denen sie bis zum
Scheitern der Ehe gemeinsam in Oleggio (Italien) lebten. Am 10. Mai 1999 zog
die Antragsgegnerin mit den beiden Kindern nach Deutschland, wo diese sich
seitdem mit ihr aufhalten.
Mit einem am 9. Juni 1999 bei dem Tribunale (Landgericht) di Novara
eingegangenen Schriftsatz leitete der Antragsteller das Trennungsverfahren
ein. Im Anschluß an einen am 14. Dezember 1999 durchgeführten Anhörungstermin,
zu dem die Antragsgegnerin trotz Ladung nicht erschien, erließ die Gerichtspräsidentin
einen vorläufigen Beschluß, in dem sie unter anderem die Ehegatten
zum Getrenntleben ermächtigte, das Sorgerecht für die beiden Kinder
dem Antragsteller zusprach und die Antragsgegnerin verpflichtete, die sofortige
Rückkehr der Kinder nach Italien zu veranlassen. Auf einen weiteren Termin am
6. April 2000, zu dem beide Parteien in Novara erschienen waren, wies das Gericht
am 20. April 2000 die Einwendungen der Antragsgegnerin gegen den vorläufigen
Beschluß vom 14. Dezember 1999 zurück.
Ein am 9. August 2000 bei dem Amtsgericht Nürnberg eingegangener
und auf das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung
des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 (BGBl. 1990 II, 220 - im
Folgenden: ESÜ) gestützter Antrag des Generalbundesanwalts, die durch Beschluß
vom 20. April 2000 aufrechterhaltene Sorgerechts- und Rückführungsentscheidung
aus dem Beschluß des Tribunale di Novara vom 14. Dezember
1999 für vollstreckbar zu erklären, wurde von dem Amtsgericht Nürnberg durch
Beschluß vom 13. Februar 2001 zurückgewiesen. Die dagegen durch den Generalbundesanwalt
im Namen des Antragstellers eingelegte Beschwerde wies
das Oberlandesgericht Nürnberg durch Beschluß vom 27. Juni 2001 zurück.
Beide Instanzen stellten darauf ab, daß der Versagungsgrund gemäß Art. 10
Abs. 1 lit. b ESÜ einer Anerkennung der italienischen Entscheidung entgegenstehe,
weil die noch sehr kleinen Kinder mittlerweile in ihre deutsche Umgebung
vollständig integriert seien und eine Rückführung nach Italien ihrem Wohl nicht
entspreche.
Die Antragsgegnerin hatte ihrerseits bereits am 21. Juli 1999 bei dem
Amtsgericht Erlangen beantragt, ihr die elterliche Sorge für die beiden in ihrer
Obhut befindlichen Kinder zu übertragen. Diesen Antrag wies das Amtsgericht
Erlangen durch Beschluß vom 25. Februar 2000 mit der Begründung zurück,
daß es für die begehrte Entscheidung international unzuständig sei. Am 17. August
2000 stellte die Antragsgegnerin bei dem Amtsgericht Erlangen einen neuen
Sorgerechtsantrag, der durch Beschluß vom 5. Januar 2001 ebenfalls zurückgewiesen
wurde. Auf die nunmehr eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin
änderte das Oberlandesgericht Nürnberg die angefochtene Entscheidung
des Amtsgerichts nach Anhörung der Parteien und der Kinder ab und
übertrug mit Beschluß vom 24. April 2002 (veröffentlicht in FamRZ 2003, 163)
die elterliche Sorge für die beiden Kinder auf die Antragsgegnerin.
Am 22. Juli 2002 erließ das Tribunale di Novara ein das Verfahren abschließendes
Urteil, in dem es - unter anderem - die persönliche Trennung der
Ehegatten erklärte, die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder auf den
Antragsteller übertrug und die Antragsgegnerin zur Übernahme von Verfahrenskosten
in einer vom Gericht festgesetzten Höhe von 9.398,62 € verurteilte.
Mit einem am 6. Februar 2003 bei dem Amtsgericht Nürnberg eingegangenen
"Antrag auf Klauselerteilung nach Art. 21 ff. der Verordnung (EG)
Nr. 1347/2000 des Rates vom 29.05.2000" begehrte der Antragsteller, das Urteil
des Tribunale di Novara vom 22. Juli 2002, soweit ihm das Sorgerecht für
die gemeinsamen Kinder übertragen und die Antragsgegnerin in die Verfahrenskosten
verurteilt wurde, durch Anbringung einer Vollstreckungsklausel für
vollstreckbar zu erklären. Gegen den am 4. März 2003 antragsgemäß ergangenen
Beschluß des Amtsgerichts Nürnberg legte die Antragsgegnerin Beschwerde
ein. Das Oberlandesgericht änderte auf die Beschwerde der Antragsgegnerin
den angefochtenen Beschluß ab und wies den Antrag des Antragstellers auf
Vollstreckbarerklärung der Entscheidungen zur elterlichen Sorge und zu den
Verfahrenskosten insgesamt zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die
Rechtsbeschwerde des Antragstellers, mit der er die Wiederherstellung des
erstinstanzlichen Beschlusses hinsichtlich der Vollstreckbarerklärung der Sorgerechts-
und Kostenentscheidung erstrebt.
2. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung auszugsweise in
FamRZ 2004, 278 (mit krit. Anm. Coester-Waltjen FamRZ 2004, 280 ff.) veröffentlicht
ist, hat ausgeführt, daß die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates
vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung
für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. EG 2000 Nr. L 160, 19 -
im Folgenden: Brüssel II-VO) auf den streitgegenständlichen Fall keine Anwendung finden könne, weil das Verfahren vor dem Gericht in Novara bereits im
Juni 1999 und damit vor dem Inkrafttreten der Verordnung am 1. März 2001
anhängig gemacht worden sei. Auch nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO könne
die Entscheidung in Deutschland mangels internationaler Zuständigkeit des Gerichts
in Novara für die Sorgerechtsentscheidung nicht vollstreckt werden. Lasse
man die Brüssel II-VO zunächst außer Acht, sei die internationale Zuständigkeit
nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden
und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen
vom 5. Oktober 1961 (BGBl. 1971 II, 217 - im Folgenden: MSA) zu bestimmen.
Nach diesem Abkommen seien für die in Frage stehenden Sorgerechtsentscheidungen
die deutschen Gerichte zuständig gewesen, weil die seit Mai
1999 in Deutschland lebenden und sozial eingegliederten Kinder der Parteien
jedenfalls im Jahre 2002 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt
hätten. Auf die Frage der möglichen Widerrechtlichkeit der Verbringung nach
Deutschland komme es nicht an, weil auch in diesem Falle keine besonders
hohen Anforderungen an die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes zu
stellen seien. Der Grundsatz der perpetuatio fori finde im Rahmen des MSA
keine Anwendung, so daß mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthaltes
im Zufluchtsstaat die Zuständigkeit der Behörden am bisherigen Aufenthaltsort
ende. Dies gelte auch dann, wenn man davon ausginge, daß aufgrund
der nationalen italienischen Verfahrensvorschriften im Trennungsverfahren
eine Verbundzuständigkeit für die Frage der elterlichen Sorge begründet
worden sei, weil Italien keinen Vorbehalt nach Art. 15 Abs. 1 MSA zugunsten
seiner Ehegerichte erklärt habe. Auch aus Art. 4 MSA lasse sich eine konkurrierende
Zuständigkeit des italienischen Gerichts nicht herleiten, weil keine Anhaltspunkte
dafür ersichtlich seien, daß ein Eingreifen der Heimatbehörden dem
Wohl der Kinder mehr diene und ihren Schutz besser gewährleiste als ein Handeln
der deutschen Behörden.
Im Rahmen des Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO könne nach Art. 32 des italienischen
Gesetzes Nr. 218 vom 31. Mai 1995 über die Reform des italienischen
Systems des internationalen Privatrechtes eine internationale Zuständigkeit
des Gerichts in Novara nicht begründet werden. Denn Art. 32 des Gesetzes
Nr. 218 knüpfe für die Begründung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts
an die Staatsangehörigkeit der Ehegatten oder an den Ort der Eheschließung
an, was nicht mit der Regelung in Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO übereinstimme,
wo auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Forumstaat der Ehesache
abgestellt werde. Im Übrigen ließe sich auch aus der Brüssel II-VO selbst eine
internationale Zuständigkeit des Gerichts in Novara nicht herleiten. Eine Zuständigkeit
nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO sei im Zeitpunkt der Sorgerechtsentscheidung
vom 22. Juli 2002 nicht gegeben gewesen, weil auf den gewöhnlichen
Aufenthalt der Kinder im Zeitpunkt der Entscheidung im Jahre 2002 und
nicht - unter Anwendung des Grundsatzes der perpetuatio fori - im Zeitpunkt der
Verfahrenseinleitung im Jahre 1999 abzustellen sei. Eine Zuständigkeit nach
Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO scheide ebenfalls aus, weil die Antragsgegnerin bereits
seit 1999 mehrfach und durch mehrere Instanzen vor den deutschen Gerichten
Sorgerechtsentscheidungen zu ihren Gunsten zu erwirken versucht habe
und deshalb aus ihrer Beteiligung am Verfahren vor dem Gericht in Novara
nicht hergeleitet werden könne, daß die internationale Zuständigkeit des dortigen
Gerichtes von ihr anerkannt worden sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung
mit § 15 Abs. 1 AVAG bzw. §§ 28, 55 des Gesetzes zur Aus- und Durchführung
bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des Internationalen Familienrechts (IntFamRVG) vom 26. Januar 2005 (BGBl. 2005 I, 162) statthaft. Sie ist
insgesamt zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO), weil der Rechtssache im Hinblick auf
die Abgrenzung der Zuständigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Brüssel II-VO
in Kindesentführungsfällen grundsätzliche Bedeutung zukommt.
III.
In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg, soweit das Oberlandesgericht
es abgelehnt hat, das Urteil des Tribunale di Novara vom 22. Juli
2002 hinsichtlich der darin enthaltenen Entscheidung zur Übertragung der elterlichen
Sorge auf den Antragsteller für vollstreckbar zu erklären.
1. Insoweit steht einer Vollstreckbarerklärung nach Art. 21 Abs. 1 Brüssel
II-VO von vornherein entgegen, daß Entscheidungen über die Zuweisung der
elterlichen Sorge - anders als Umgangsregelungen und Herausgabeanordnungen
- keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (Rauscher/Rauscher, Europäisches
Zivilprozeßrecht, Art. 21 Brüssel II-VO Rdn. 4; Schlosser, EU-Zivilprozeßrecht,
2. Aufl., Vorbem. vor Art. 21 EuEheVO; Geimer/Schütze, Europäisches
Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 21 VO (EG) Nr. 1347/2000 Rdn. 2; Münch-
Komm/Gottwald, ZPO, 2. Aufl., Art. 21 EheGVO Rdn. 2; Zöller/Geimer, ZPO,
25. Aufl., Art. 28 EG-VO Ehesachen Rdn. 1; Krefft, Vollstreckung und Abänderung
ausländischer Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, S. 111).
Das Begehren des Antragstellers, der vom italienischen Gericht zu seinen Gunsten
vorgenommenen Verteilung der elterlichen Sorge auf der Grundlage der
Brüssel II-VO in Deutschland Geltung zu verschaffen, konnte nur im Wege eines fakultativen Anerkennungsverfahrens (Art. 14 Abs. 3 Brüssel II-VO) verfolgt
werden.
Es kommt darauf im einzelnen aber nicht an, weil die Ausführungen des
Oberlandesgerichts zur internationalen Unzuständigkeit des Tribunale di Novara
für den Erlaß der streitgegenständlichen Sorgerechtsentscheidung am
22. Juli 2002 im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung standhalten.
2. Im Ausgangspunkt hat das Oberlandesgericht zutreffend erkannt, daß
die Brüssel II-VO auf den vorliegenden Sachverhalt nicht unmittelbar anzuwenden
ist. Gemäß Artt. 42 Abs. 1, 46 Brüssel II-VO gilt die Verordnung nur für solche
gerichtlichen Verfahren, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung am
1. März 2001 eingeleitet worden sind; dies ist hier in Ansehung des bereits im
Jahre 1999 bei dem Tribunale di Novara anhängig gewordenen Trennungsverfahrens
der Parteien nicht der Fall. Diese Beurteilung wird von der Rechtsbeschwerde
auch nicht angegriffen.
Gemäß Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO werden Entscheidungen, die nach
Inkrafttreten der Verordnung in einem vor diesem Inkrafttreten eingeleiteten
Verfahren ergangen sind, nach Maßgabe des Kapitels III (Artt. 13 ff. Brüssel
II-VO) anerkannt und vollstreckt, sofern das Gericht aufgrund von Vorschriften
zuständig war, die mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II (Artt. 2 ff.
Brüssel II-VO) oder eines Abkommens übereinstimmen, das zum Zeitpunkt der
Einleitung des Verfahrens zwischen dem Ursprungsmitgliedstaat und dem ersuchten
Mitgliedstaat in Kraft war. Entsprechende Übergangsvorschriften finden
sich in Art. 54 Abs. 2 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit
und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II, 773 - im Folgenden:
EuGVÜ) und Art. 66 Abs. 2 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl.
EG 2001, Nr. L 12, 1 - im Folgenden: Brüssel I-VO). Durch die Formulierung
"mit den Zuständigkeitsvorschriften des Kapitels II …. übereinstimmen" sollte
klargestellt werden, daß in den Übergangsfällen das Gericht des ersuchten
Staates - abweichend vom grundsätzlichen Nachprüfungsverbot der Artt. 17, 24
Abs. 2 Brüssel II-VO - ausnahmsweise die internationale Zuständigkeit des Ursprungsstaates
festzustellen hat, weil diese im Erkenntnisverfahren mangels
unmittelbarer Geltung der Verordnung nicht auf Betreiben des Antragsgegners
hatte geprüft werden können (Borrás, Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen
aufgrund von Artikel K. 3 des Vertrags über die Europäische Union
über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
in Ehesachen, ABl. EG 1998 Nr. C 221, 27, Nr. 111; Albers in Baumbach/
Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Anh. I zu § 606 a, Art. 42
EheGVVO Rdn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 26. Aufl., Art. 42 EheVO
Rdn. 4). Die mit Art. 42 Abs. 2 Brüssel II-VO verbundene Erweiterung des intertemporalen
Geltungsbereiches der Verordnung soll die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen der Ehegerichte bereits in Übergangsfällen erleichtern.
Die Entscheidung des Ursprungsstaates kann bereits dann anerkannt
und zur Vollstreckung zugelassen werden, wenn das Gericht des ersuchten
Staates aufgrund eigener Prüfung zu der Ansicht gelangt, daß die internationale
Zuständigkeit des Gerichtes im Ursprungsstaat bei Verfahrenseinleitung auch
nach der Brüssel II-VO gegeben gewesen wäre oder nach einem damals zwischen
den Vertragsstaaten geltenden völkerrechtlichen Abkommen gegeben
war (Spellenberg, Der Anwendungsbereich der EheGVO ["Brüssel II"] in Statussachen,
in FS Schumann, 423, 429; vgl. weiterhin zu Art. 54 EuGVÜ: OLG
Frankfurt RIW/AWD 1976, 107; OLG Zweibrücken IPRspr. 2001, Nr. 186;
MünchKomm/Gottwald aaO Art. 54 EuGVÜ Rdn. 5; Geimer NJW 1975, 1086 f.;
zu Art. 66 Brüssel I-VO: Geimer/Schütze aaO Art. 66 EuGVVO Rdn. 4; Kropholler,
Europäisches Zivilprozeßrecht, 7. Aufl., Art. 66 EuGVO Rdn. 6; Rauscher/A.
Staudinger aaO Art. 66 Brüssel I-VO Rdn. 12); auf das autonome Verfahrensrecht
des Ursprungsstaates kommt es dagegen nicht an (vgl. bereits Geimer
NJW aaO, S. 1087 zu Art. 54 EuGVÜ). Deshalb könnte in den Fällen, in denen
das Gericht im ersuchten Staat eine hypothetische Verordnungszuständigkeit
oder eine Abkommenszuständigkeit des Ursprungsgerichtes feststellt, dessen
nach Inkrafttreten der Brüssel II-VO ergangene Entscheidung selbst dann anerkannt
und vollstreckt werden, wenn das Ursprungsgericht im Erkenntnisverfahren
das nationale Verfahrensrecht falsch angewendet und sich zu Unrecht für
international zuständig gehalten hätte (Spellenberg aaO). Gleiches gilt, wenn
das Ursprungsgericht - wie das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall meint -
seine Zuständigkeit auf exorbitante und der Brüssel II-VO fremde Anknüpfungspunkte
seines autonomen Rechtes gestützt hätte. Im Übrigen hat das Oberlandesgericht
insoweit möglicherweise übersehen, daß auch das italienische
Gesetz Nr. 218 vom 31. Mai 1995 grundsätzlich auf den gewöhnlichen Aufenthalt
der Kinder abstellt und die Staatsangehörigkeit in Art. 37 nur zur Begründung
einer zusätzlichen internationalen Zuständigkeit heranzieht (vgl. Coester-
Waltjen aaO, S. 281 und Fn. 10).
Umgekehrt ist den Gerichten des ersuchten Staates die eigene Prüfung
der internationalen Zuständigkeit des Gerichtes des Ursprungsstaates aber
nicht schon dann verwehrt, wenn dessen Ansicht, international zuständig zu
sein, mit den autonomen Regelungen seines Rechts übereinstimmt.
3. Soweit auf völkerrechtliche Abkommen abzustellen ist, deren Vertragsstaaten
Deutschland und Italien sind, können Fragen der internationalen
Zuständigkeit für Sorgerechtsentscheidungen nur nach dem MSA beurteilt werden,
da das ESÜ und das Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über
die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl. 1990 II,
206 - im Folgenden: HKÜ) keine eigenen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit
enthalten (vgl. hierzu Schulz FamRZ 2003, 336, 339, 340) und das
als Nachfolgeabkommen zum MSA konzipierte Haager Übereinkommen vom
19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung,
Vollstreckung und Zusammenarbeit bezüglich der elterlichen Verantwortung
und Maßnahmen zum Schutz von Kindern (abgedruckt bei Jayme/
Hausmann, Internationales Privatrecht, 12. Aufl., Nr. 55 - im Folgenden: KSÜ)
im Juni 1999 weder in Deutschland noch in Italien in Kraft war (und es auch
jetzt noch nicht ist).
a) Art. 1 MSA begründet für Schutzmaßnahmen zugunsten eines Minderjährigen
eine ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit des Staates, in dem der
Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; die Regelung der elterliche
Sorge für das Kind der Parteien gehört zu den Schutzmaßnahmen im Sinne
dieser Vorschrift (Senatsbeschluß vom 11. April 1984 - IVb ZB 96/82 - FamRZ
1984, 686, 687). Das Oberlandesgericht geht davon aus, daß die seit Mai 1999
in Deutschland befindlichen Kinder infolge ihrer sozialen Integration jedenfalls
im Jahre 2002 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten. Zwar ist
mangels entgegenstehender Feststellungen des Oberlandesgerichts in tatsächlicher
Hinsicht für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, daß der
Antragsteller am 10. Mai 1999 nicht damit einverstanden war, daß die Antragsgegnerin
mit den beiden Kindern dauerhaft nach Deutschland übersiedelte.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Rechtmäßigkeit des
Aufenthaltes aber keine notwendige Voraussetzung für einen gewöhnlichen
Aufenthalt im Sinne des Art. 1 MSA. Bei der Begründung des gewöhnlichen
Aufenthaltes handelt es sich um einen rein faktisch geprägten Vorgang, der bei
langer Verweildauer des Kindes und bei vollständiger Eingliederung in seine
soziale Umwelt auch gegen den Willen des in seinem Sorgerecht verletzten
Elternteils vollzogen werden kann (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 78, 293, 296
ff. = FamRZ 1981, 135 ff. und BGHZ 151, 63, 65 = FamRZ 2002, 1182, 1183;
vgl. auch BVerfGE 99, 145, 159 = FamRZ 1999, 85, 88). Dabei rechtfertigt die
vom Tatrichter herangezogene Lebenserfahrung die Annahme, daß ein kleineres
Kind auch in Entführungsfällen jedenfalls nach einem Aufenthalt von fünfzehn
Monaten an einem neuen Ort so fest integriert ist, daß es dort seinen
neuen Daseinsmittelpunkt gefunden hat (Senatsbeschluß BGHZ 78 aaO
S. 301). Vor diesem Hintergrund läßt die tatrichterliche Beurteilung durch das
Oberlandesgericht keine Rechtsfehler erkennen, zumal die bei ihrer Ankunft in
Deutschland noch sehr jungen Kinder im Jahre 2002 schon einen großen Teil
ihres Lebens im deutschen Sprachraum verbracht hatten und von der Antragsgegnerin
durchgehend an ihrem neuen Wohnort in Deutschland betreut und
versorgt worden sind.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde läßt sich aus dem
Grundsatz der perpetuatio fori eine fortdauernde internationale Zuständigkeit
nach Art. 1 MSA für die Behörden des früheren Aufenthaltsortes der Kinder in
Italien nicht herleiten. Der Senat hat bereits entschieden, daß im Hinblick auf
das Zusammenspiel von Art. 1 und Art. 5 MSA für eine perpetuatio fori im Rahmen
des MSA kein Raum ist, weil mit der Begründung eines neuen gewöhnlichen
Aufenthaltes die Zuständigkeit der Behörden am früheren Aufenthaltsort
des Minderjährigen zwangsläufig erlischt (Senatsbeschluß BGHZ 151, aaO
S. 68 f. = FamRZ aaO S. 1184 mit zust. Anm. Henrich). Das Tribunale di Novara
konnte daher am 22. Juli 2002 aus Art. 1 MSA keine internationale Zuständigkeit
mehr dafür herleiten, dem Antragsteller die elterliche Sorge für die beiden
Kinder zu übertragen.
b) Eine solche Zuständigkeit ergibt sich auch nicht aus Art. 4 MSA. Unabhängig
davon, daß es dafür einer vorherigen Verständigung der Behörden im
Aufenthaltsstaat bedurft hätte, begründet Art. 4 MSA eine konkurrierende internationale
Zuständigkeit der Behörden und Gerichte des Heimatstaates - der bei
Doppelstaatlern nicht der Staat der effektiven Staatsangehörigkeit sein muß
(Senatsbeschluß vom 18. Juni 1997 - XII ZB 156/95 - FamRZ 1997, 1070 f.) -
für Schutzmaßnahmen im Sinne des Art. 1 MSA nur dann, wenn sie ein Einschreiten
zum Wohle des Minderjährigen für erforderlich halten. Dies erfordert
die formale Prüfung, ob die Heimatbehörde ihr Einschreiten überhaupt als Notmaßnahme
unter den besonderen materiellen Voraussetzungen des Art. 4 MSA
begreifen wollte (OLG Hamm IPRspr. 1987 Nr. 78 mit Anm. Henrich IPrax 1988,
39 f.; Hüßtege IPRax 1996, 104, 106 f.). Aus den Gründen des Urteils vom
22. Juli 2002 ergibt sich jedoch kein Anhaltspunkt dafür, daß das italienische
Gericht von einem besonderen Eintrittsrecht nach Art. 4 MSA Gebrauch machen
wollte, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, daß das Tribunale di
Novara seine fortdauernde internationale Zuständigkeit für Sorgerechtsentscheidungen
aus der Rechtsansicht herleitete, daß im Falle des widerrechtlichen
Verbringens oder Zurückhaltens eines Minderjährigen eine auf dem MSA
beruhende internationale Zuständigkeit der Behörden im Zufluchtsstaat für
Schutzmaßnahmen von vornherein nicht begründet werden könne und deshalb
die Zuständigkeit der Heimatbehörden durch den Aufenthaltswechsel unberührt
bleibe.
4. Auch bei hypothetischer Anwendung der - inzwischen durch Art. 71
Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003
über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung
und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. EG 2003 Nr. L
338, 19 - im Folgenden: Brüssel IIa-VO) zum 1. März 2005 aufgehobenen -
Brüssel II-VO ließe sich eine internationale Zuständigkeit des Tribunale di Novara für die am 22. Juli 2002 ergangene Sorgerechtsentscheidung nicht herleiten.
a) Gemäß Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO sind die Gerichte eines Mitgliedstaats,
in dem eine Ehesache im Sinne des Art. 2 Brüssel II-VO zu entscheiden
ist, für Entscheidungen, welche die elterliche Verantwortung für ein gemeinsames
Kind der beiden Ehegatten betreffen, nur dann international zuständig,
wenn dieses Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat.
Entscheidungen der elterlichen Verantwortung sind jedenfalls solche, welche
die Zuweisung der elterlichen Sorge zum Gegenstand haben (Vogel MDR 2000,
1045, 1047).
Die Frage, ob für eine aus Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO hergeleitete Zuständigkeit
der Ehegerichte bei einem Aufenthaltswechsel des Kindes der perpetuatio-
Grundsatz gilt, beurteilt sich in den Fällen der Kindesentführung nach
Art. 4 Brüssel II-VO, wonach die nach Maßgabe von Art. 3 Brüssel II-VO zuständigen
Gerichte ihre Zuständigkeit im Einklang mit den Bestimmungen des
HKÜ, insbesondere dessen Artt. 3 und 16, auszuüben haben. Bei Art. 4 Brüssel
II-VO handelt es sich um eine besondere Zuständigkeitsvorschrift, die aber keinen
neuen Gerichtsstand für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung
eröffnet, sondern die Zuständigkeiten nach Art. 3 Brüssel II-VO in Entführungsfällen
in einer Weise überlagert, daß ein Widerspruch zu den vorrangigen Zielsetzungen
des HKÜ ausgeschlossen ist.
Nach Art. 16 HKÜ dürfen die Behörden des Zufluchtsstaates nach der
Mitteilung über die widerrechtliche Verbringung oder Zurückhaltung des Kindes
im Sinne von Art. 3 HKÜ eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst dann
treffen, wenn entschieden ist, daß das Kind aufgrund des HKÜ nicht zurückzugeben
oder wenn innerhalb angemessener Frist ein Antrag auf Rückführung nach dem HKÜ nicht gestellt worden ist (vgl. dazu im einzelnen auch Senatsbeschluß
BGHZ 145, 97 ff. = FamRZ 2000, 1502 ff.). Hieraus folgt für die internationale
Zuständigkeit der Ehegerichte zum einen, daß die nach Art. 3 Abs. 1
Brüssel II-VO zuständigen Gerichte ihre Zuständigkeit nicht ausüben und keine
in die elterliche Verantwortung eingreifenden Maßnahmen treffen dürfen, wenn
sie davon Mitteilung erhalten, daß sich das Kind nur infolge eines widerrechtlichen
Verbringens oder Zurückhaltens im Forumstaat aufhält (Borrás-Bericht
aaO Nr. 41; Hau FamRZ 2000, 1333, 1338; Sumampouw, Parental Responsibility
under Brussels II, in Liber Amicorum Kurt Siehr 2000, 729, 741). Zum anderen
soll durch den Verweis auf Art. 16 HKÜ im umgekehrten Fall gewährleistet
sein, daß der frühere und rechtmäßige Aufenthalt des Kindes im Ursprungsstaat
auch dann als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit des dortigen Ehegerichtes
dienen kann, wenn in Folge des widerrechtlichen Verbringens oder
Zurückhaltens eine Änderung des Aufenthaltsortes eingetreten ist (Erwägungsgrund
Nr. 13 zur Brüssel II-VO; vgl. Borrás-Bericht aaO; Hau aaO; Sumampouw
aaO S. 735 f., 741). Aus dieser Erwägung läßt sich aber gerade im Lichte des
HKÜ nicht ableiten, daß in Entführungsfällen die internationale Zuständigkeit
ausschließlich an den früheren und rechtmäßigen Aufenthalt des Kindes angeknüpft
werden könnte. Auch der widerrechtlich begründete gewöhnliche Aufenthalt
wird vom HKÜ in bestimmten Fällen hingenommen, und zwar insbesondere
dann, wenn innerhalb der Jahresfrist des Art. 12 Abs. 1 HKÜ kein Antrag auf
Rückführung des Kindes nach dem HKÜ gestellt worden ist, weil dann eine
Rückführung unterbleibt, wenn sich das Kind erweislich in seine neue Umgebung
eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 HKÜ). Auch bei einem innerhalb der Jahresfrist
gestellten Antrag findet eine Rückführung nicht statt, wenn diese von den
Behörden des Zufluchtsstaates ausnahmsweise nach Art. 13 HKÜ verweigert
werden kann. Würde auch in solchen Fällen die fortdauernde Annexzuständigkeit
des Ehegerichtes im Ursprungsstaat eine aus staatsvertraglichen Zuständigkeitsvorschriften oder aus dem autonomen Recht des Zufluchtsstaates hergeleitete
Restzuständigkeit (Art. 8 Abs. 1 Brüssel II-VO) der dortigen Behörden
für Sorgerechtsentscheidungen ausschließen, liefe der Wegfall der Entscheidungssperre
nach Art. 16 HKÜ ins Leere. Schon vor diesem Hintergrund liegt
es nahe, in Entführungsfällen die aus Art. 3 Brüssel II-VO hergeleitete Zuständigkeit
der Ehegerichte bei einem Aufenthaltswechsel in einen anderen Mitgliedstaat
allenfalls so lange fortdauern zu lassen, wie die Entscheidungssperre
des Art. 16 HKÜ für Sorgerechtsentscheidungen im Zufluchtsstaat anhält (Geimer/
Schütze aaO Art. 4 VO (EG) Nr. 1347/2000 Rdn. 7 f.; Gruber RPfleger
2002, 545, 547; Coester-Waltjen aaO S. 281).
Daß die internationale Zuständigkeit der Ehegerichte im Ursprungsstaat
nicht länger andauern kann, findet seine Bestätigung auch im Auslegungsrückgriff
auf die Zuständigkeitsvorschriften des für Deutschland und Italien allerdings
noch nicht in Kraft getretenen KSÜ. Anders als die Brüssel II-VO enthält
das KSÜ - ebenso wie die am 1. März 2005 in Kraft getretene Brüssel IIa-VO -
ausdrückliche Abgrenzungsregeln für die internationale Zuständigkeit in den
Fällen, in denen das Kind im Sinne des Art. 3 HKÜ widerrechtlich in einen anderen
Vertragsstaat verbracht oder dort zurückgehalten wird. Nach Art. 7 Abs. 1
lit. b KSÜ (vgl. nunmehr auch die entsprechende Regelung in Art. 10 lit. b (1)
Brüssel IIa-VO) endet die Zuständigkeit der Behörden im Ursprungsstaat, wenn
sich das Kind im Zufluchtsstaat mindestens ein Jahr aufgehalten hat, nachdem
der Sorgeberechtigte diesen Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen,
während dieses Zeitraums kein Rückgabeantrag gestellt worden ist und das
Kind sich in seinem neuen Umfeld eingelebt hat; durch diese an Art. 12 Abs. 1
HKÜ angelehnte Regelung soll die Harmonisierung der Zuständigkeitsvorschriften
mit Art. 16 HKÜ hergestellt werden (Lagarde, Erläuternder Bericht zum
KSÜ, Nr. 46 f., 49b, in Conférence de la Haye de droit international privé, Actes
et documents de la Dix-huitième session, Tome II - 1998 - S. 534 ff; Kropholler, Das Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996, Liber Amicorum Kurt Siehr
aaO S. 379, 384; Schulz aaO S. 345; vgl. zu Art. 10 Brüssel IIa-VO auch Solomon
FamRZ 2004, 1409, 1417). Für die Abgrenzung der internationalen Zuständigkeiten
nach der Brüssel II-VO können keine anderen Maßstäbe gelten.
Zwar kannte der EU-Verordnungsgeber Art. 7 Abs. 1 KSÜ, ohne daß eine entsprechende
Regelung ausdrücklich in die Brüssel II-VO übernommen worden
wäre. Das schließt jedoch nicht aus, entsprechende Abgrenzungsregeln unmittelbar
aus Art. 4 Brüssel II-VO und der darin enthaltenen Verweisung auf Art. 16
HKÜ herzuleiten, wenn dadurch den vom HKÜ akzeptierten Zuständigkeiten
und Befugnissen der Behörden im Zufluchtsstaat Geltung verschafft werden
kann.
Nach diesen Maßstäben konnte eine bei Einleitung des Trennungsverfahrens
nach Art. 3 Abs. 1 Brüssel II-VO begründete Annexzuständigkeit des
Tribunale di Novara für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung jedenfalls
nicht mehr bis zum Jahre 2002 fortdauern, da der Antragsteller innerhalb
der Jahresfrist keinen Rückführungsantrag nach dem HKÜ gestellt hat und die
mittlerweile vollzogene Integration der Kinder in ihr soziales Umfeld in Deutschland
vom Oberlandesgericht zu Recht nicht mehr in Zweifel gezogen worden ist.
b) Gemäß Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO sind die Gerichte im Forumstaat
der Ehesache auch dann für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung international
zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem
anderen Mitgliedstaat hat, zumindest einer der Ehegatten die elterliche Verantwortung
für das Kind besitzt, die Zuständigkeit der betreffenden Gerichte von
den Ehegatten anerkannt worden ist und im Einklang mit dem Wohl des Kindes
steht. Im Ausgangspunkt setzt die Begründung der Annexzuständigkeit nach
Art. 3 Abs. 2 Brüssel II-VO keine ausdrückliche Zuständigkeitsvereinbarung der
Ehegatten voraus, so daß ein Anerkenntnis der Zuständigkeit auch aus einem
konkludenten Verhalten der Ehegatten geschlossen werden kann (Albers in
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO Art. 3 EheGVVO Rdn. 7 m.w.N.).
Auf die - für das europäische Zivilprozeßrecht aus Art. 24 Satz 1 Brüssel I-VO
herzuleitenden - Grundsätze der rügelosen Einlassung kann allerdings in dem
Verfahren über Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung nicht ohne weiteres
zurückgegriffen werden; entscheidend ist vielmehr, wie das gesamte Verhalten
der Eltern im Verfahren nach Treu und Glauben zu würdigen ist (Rauscher/
Rauscher aaO Art. 3 Brüssel II-VO Rdn. 17). Dabei scheidet ein stillschweigendes
Anerkenntnis der internationalen Zuständigkeit des Ehegerichtes
für Entscheidungen der elterlichen Verantwortung durch einen Elternteil in der
Regel aus, wenn von diesem vor oder nach Einleitung der Ehesache im Aufenthaltsstaat
des Kindes ein isoliertes Sorgerechtsverfahren anhängig gemacht
worden ist (wie hier: Rauscher/Rauscher aaO Art. 3 Brüssel II-VO Rdn. 18;
Puszkajler IPrax 2001, 81, 83). Gerade die in Art. 3 Abs. 2 lit. b Brüssel II-VO
als materielles Kriterium besonders verankerten Grundsätze des Kindeswohls
gebieten Zurückhaltung bei der Annahme, daß ein Ehegatte allein durch das
Unterlassen einer formellen Zuständigkeitsrüge stillschweigend die internationale
Zuständigkeit der Gerichte im Forumstaat der Ehesache anerkennt, obwohl
er parallel zum Eheverfahren die sachnäheren Behörden und Gerichte im Aufenthaltsstaat
anruft, die im allgemeinen besser ermitteln und beurteilen können,
in welchen Verhältnissen das Kind lebt und welche Maßnahmen zu seinem
Wohl erforderlich sind.
Die nach diesen Maßstäben erforderliche Gesamtwürdigung des Verhaltens
der Antragsgegnerin hat das Oberlandesgericht vorgenommen und aus
dem Umstand, daß die Antragsgegnerin im Anschluß an ihre Übersiedlung nach Deutschland zunächst am 21. Juli 1999 und danach am 17. August 2000
bei dem Amtsgericht Erlangen eigene Sorgerechtsanträge angebracht hat, in
rechtlich unbedenklicher Weise geschlossen, daß ein stillschweigendes Anerkenntnis
der internationalen Zuständigkeit des Tribunale di Novara für Entscheidungen
der elterlichen Verantwortung am 6. April 2000 nicht vorgelegen
habe.
IV.
Der angefochtene Beschluß des Oberlandesgerichts kann dagegen keinen
Bestand haben, soweit in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung
auch der Antrag des Antragstellers auf Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidung
aus dem Urteil des Tribunale di Novara vom 22. Juli 2002 insgesamt
zurückgewiesen worden ist.
Zwar erstreckt sich die Verpflichtung zur Vollstreckbarerklärung nach
dem Wortlaut des Art. 21 Abs. 1 Brüssel II-VO nur auf - vollstreckbare - Entscheidungen
zur elterlichen Sorge. Darauf ist der Anwendungsbereich der Vorschrift
aber nicht beschränkt. Nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel II-VO werden ausdrücklich
Entscheidungen über die Kostenfestsetzung in das Anerkennungsund
Vollstreckungssystem nach dem Kapitel III der Brüssel II-VO einbezogen.
Es entspricht daher allgemeiner Ansicht, daß alle Entscheidungen zur Kostenfestsetzung
nach den Art. 21 ff. Brüssel II-VO vollstreckbar sind, wenn sie in
einem vom Anwendungsbereich der Brüssel II-VO erfaßten Verfahren ergangen
sind (Wagner IPrax 2001, 73, 79; Rauscher/Rauscher aaO Art. 13 Brüssel II-VO
Rdn. 15, MünchKomm/Gottwald aaO Art. 21 EheGVO Rdn. 4; Albers in Baumbach/
Lauterbach/Albers/Hartmann aaO Art. 21 EheGVVO Rdn. 3). Kommt danach
eine Vollstreckbarerklärung der Kostenfestsetzung aus dem Urteil des Tribunale di Novara vom 22. Juli 2002 grundsätzlich in Betracht, konnte das
Oberlandesgericht diese nicht mit der Begründung verweigern, daß das Tribunale
di Novara für die Sorgerechtsentscheidung international unzuständig gewesen
sei. Denn die Kostenentscheidung aus dem Urteil vom 22. Juli 2002 ist
nicht in einem isolierten Sorgerechtsverfahren, sondern im Verbund der Ehesache
ergangen; daß die italienischen Gerichte bei hypothetischer Anwendung
der Brüssel II-VO für das Statusverfahren international zuständig gewesen wäre,
ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 lit. a, zweiter, fünfter und sechster Spiegelstrich
Brüssel II-VO.
Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da weitere Feststellungen
zu den Verfahrenskosten erforderlich sind. Das Tribunale di Novara
hat in seinem Urteil vom 22. Juli 2002 nicht nur über die Trennung der Parteien
und die Frage der elterlichen Sorge, sondern im Verbund auch über Folgesachen
- Unterhalt, Zuweisung von Ehewohnung und Hausrat - entschieden, die
nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel II-VO fallen. Das Oberlandesgericht
wird danach zu prüfen haben, ob durch diese Folgesachen abtrennbare
Kosten verursacht worden sind, weil die Kosten dieser Folgesachen nur dann
nach den Vorschriften der Brüssel II-VO für vollstreckbar erklärt werden können,
wenn sie von den Kosten des Ehestatusverfahrens praktisch nicht zu trennen
sind (Rauscher/Rauscher aaO Art. 13 Brüssel II-VO, Rdn. 17; ähnlich
Schlosser aaO Art. 13 EuEheVO Rdn. 2). Vergleichbare Grundsätze gelten unter
den hier obwaltenden Umständen für die Entscheidung zur elterlichen Sorge,
für die das Tribunale di Novara international unzuständig war. Auch insoweit
können die entstandenen Kosten, soweit sie von den Kosten des Ehestatusverfahrens
und den übrigen Kosten abtrennbar sind, nicht für vollstreckbar erklärt
werden. Dabei wird das Oberlandesgericht allerdings zu beachten haben, daß
das Tribunale di Novara beim Vorliegen einer Kindesentführung erst im Laufe
des Verfahrens international unzuständig geworden wäre und einer Vollstreckbarerklärung hinsichtlich der in der Sorgerechtssache bis zu diesem Zeitpunkt
bereits entstandenen Kosten aus dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit keine
Bedenken entgegenstehen.
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