Reichweite und Widerlegung der Vermutung des § 476 BGB bei Verschleißmängeln beim Gebrauchtwagenkauf


OLG Koblenz, Urteil vom 19. 4. 2007 - 5 U 768/06


Fundstelle:

NJW 2007, 1828


Amtl. Leitsatz:

1. Auch bei einem verschleißbedingten Mangel innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang muss der Verkäufer eines gebrauchten Kfz die gesetzliche Vermutung widerlegen, dass das Fahrzeug bereits ursprünglich fehlerhaft war.
2. Beim Kauf eines Gebrauchtwagens gehört es auch ohne ausdrückliche Vereinbarung zur vertraglich vorausgesetzten Beschaffenheit, dass bei den vom Fahrzeughersteller vorgeschriebenen Inspektionen sämtliche erforderlichen Arbeiten durchgeführt wurden.


Zentrale Probleme:

Es geht um die Vermutung des § 476 BGB im Falle eines Verschleißmangels. Im konkreten Fall war zu prüfen, ob der Verschleißmangel, der zu einem Motorschaden geführt hat, bereits bei Gefahrübergang vorlag. In einem solchen Fall ist zunächst einmal zu prüfen, ob der Verschleiß überhaupt einen Sachmangel i.S.v. § 434 I BGB darstellt. Normaler altersmäßiger Verschleiß ist bei einem gebrauchten Kfz nämlich zweifellos kein Sachmangel im Sinne des objektiven Fehlerbegriffs des § 434 I Nr. 2 BGB (BGH NJW 2006, 434). Hier geht der Senat aber davon aus, daß ein Verschleiß, der bei den üblichen Inspektionen durch Austausch von Verschleißteilen beseitigt wird, einen Sachmangel darstellt. Damit war, da nachgewiesen war, daß der Motorschaden auf einen Verschleißmangel zurückzuführen war, nach § 476 BGB zu vermuten, daß dieser - einen Sachmangel darstellende und nachgewiesene - Verschleiß bereits bei Gefahrübergang vorlag (s. dazu auch die Anm. zu  BGH NJW 2004, 2299 mwN: Da hier der zum Motorschaden führende Sachmangel nachgewiesen war und nur dessen Zeitpunkt in Frage stand, stellt sich das Problem der Reichweite der Vermutung in Bezug auf einen Sachmangel selbst nicht). Das OLG sieht aber hier den dem Verkäufer offenstehenden Gegenbeweis (Widerlegung der Vermutung) als geführt an.

©sl 2007


Gründe:

 
I. Der Kläger erwarb von der Beklagten zu 1), deren persönlich haftende Gesellschafterin die Beklagte zu 2) ist, einen gebrauchten Pkw Audi A 4 Avant, der ihm am 11. August 2004 mit einem Kilometerstand von 133.000 (laut Tacho) übergeben wurde. Am 10. Februar 2005 bei einem Kilometerstand von 153.516 trat, bedingt durch einen Ausfall des verschlissenen Riemenspanndämpferelements, ein Motorschaden auf.

Aus diesem Grunde sieht der Kläger die Beklagten in der Gewährleistung. Seine Klage auf Ersatz von Nutzungsausfall, Reparatur- und Anwaltskosten hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen. Es hat unter Auswertung des im selbständigen Beweisverfahren (6 OH 4/05 LG Trier) eingeholten Gutachtens des Sachverständigen H. angenommen, dass der Verschleiß, der beim Betrieb des Fahrzeugs von 0 bis 153.516 km eingetreten sei, keinen Rückschluss darauf zulasse, dass der Schaden am Riemenspanndämpferelement bereits bei Übergabe vorgelegen habe. Der Kläger habe daher den behaupteten Mangel nicht nachgewiesen.

Mit der Berufung rügt der Kläger, dass der Sachverständige H..... entgegen der Auffassung des Landgerichts festgestellt habe, dass der Mangel der Kaufsache schon zum Zeitpunkt der Übergabe angelegt gewesen sei. Ein Mangel sei auch darin zu sehen, dass das Spannelement entgegen der Herstellervorgaben bei der 120.000 km-Inspektion nicht ausgetauscht worden sei.

Der Kläger beantragt, unter Änderung des angefochtenen Urteils die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 8.563,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24. Juni 2005, sowie 361,75 € vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.

Die Beklagten beantragen Zurückweisung der Berufung und verteidigen das angefochtene Urteil. Bei Kilometerstand 119.890 seien eine große Inspektion und der vorgeschriebene Zahnriemenwechsel vorgenommen worden. Ein Austausch des Dämpfers und des Kugelkopfes sei nur bei Bedarf erforderlich. Ein Verschleiß, der einen Austausch erfordert hätte, habe seinerzeit nicht vorgelegen.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben, durch Einholung des Gutachtens des Sachverständigen H..... vom 30. November 2006 (140 a bis 149 GA), durch Anhörung des Sachverständigen und Vernehmung von Zeugen (192-199 GA).

II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Landgericht hat zwar die Beweislast verkannt, aber nach dem Ergebnis der vom Senat ergänzend durchgeführten Beweiserhebung die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Unstreitig ist der Motorschaden durch den Verschleiß des Riemenspanndämpferelements innerhalb von 6 Monaten nach Übergabe des Fahrzeugs eingetreten. Gemäß § 476 BGB wird deshalb vermutet, dass der Mangel schon bei Gefahrübergang vorhanden war, es sei denn, eine solche Vermutung wäre mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar (BGH VersR 2006, 1355). Tritt bei normaler Nutzung innerhalb der Sechsmonatsfrist ein vollständiger Verschleiß auf, so ist es nach Auffassung des Senats Sache des Verkäufers die Vermutung zu widerlegen, dieser Verschleiß habe schon bei Übergabe vorgelegen. Diese Widerlegung ist den Beklagten jedoch durch die ergänzende Beweisaufnahme gelungen.

Im Auftrag der Voreigentümerin R. hat der Zeuge T. in seiner Werkstatt eine große Inspektion bei knapp 120.000 km durchgeführt und den Zahnriemen wechseln lassen. Dabei hat er persönlich auch das Spanndämpferelement geprüft und keinerlei Verschleiß und kein Spiel festgestellt. Das steht zur Überzeugung des Senats fest und wird durch die Angaben der Zeugen B. und H.-G. P. bestätigt. So hat der Zeuge B., ebenfalls Kfz-Meister, das Fahrzeug etwa 2000 km nach der Übergabe gefahren und verdächtige Geräusche nicht gehört. Dem Zeugen P., Vater des Klägers und Berufskraftfahrer, ist anlässlich des von ihm später vorgenommenen Ölwechsels und der nachfolgenden Probefahrt auch kein verdächtiges Geräusch aufgefallen.

Der Senat ist daher in Würdigung des Sachverständigengutachtens und der Zeugenaussagen überzeugt, dass bei Gefahrübergang beim Kilometerstand 133.000 ein Verschleiß des Riemenspanndämpferelements, der als Mangel anzusehen wäre, noch nicht vorgelegen hat.

2. Nach § 434 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB ist eine Sache auch dann mangelhaft, wenn sie eine Beschaffenheit nicht aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.

Anders als das Landgericht angenommen hat, läge daher ein Mangel vor, wenn das Riemenspanndämpferelement anlässlich der großen Inspektion bei Kilometerstand 120.000 zwingend hätte ausgewechselt werden müssen, weil dann in der Nichtauswechslung eine vertragswidrige Beschaffenheit des Fahrzeugs bei Gefahrübergang zu sehen wäre (BGH NJW 2006, 434).

Die dazu vom Senat ergänzend durchgeführte Beweisaufnahme (Begutachtung, Anhörung des Sachverständigen H., Vernehmung der Zeugen), hat jedoch das Vorbringen der Beklagten bestätigt. Der Zeuge T. hat für den Senat einleuchtend und in jeder Hinsicht glaubhaft den Gang der großen Inspektion geschildert. Daran hatte er insbesondere deshalb eine konkrete Erinnerung, weil er die Voreigentümerin gut kannte, deren Vater im gleichen Ort zuvor eine Kfz-Werkstatt betrieben hatte. Die Voreigentümerin, die das Fahrzeug regelmäßig bei ihm habe warten lassen, habe immer genau wissen wollen, „was am Fahrzeug gemacht“ worden sei. Er habe nicht nur den Zahnriemen gewechselt, sondern das Spanndämpferelement geprüft und keinerlei Verschleiß und kein Spiel festgestellt. Da das Fahrzeug regelmäßig gewartet worden sei, habe er der Voreigentümerin zu einem Wechsel des Riemenspanndämpferelementes sicherlich nicht geraten.

Der Sachverständige H..... hat in seinem Gutachten dargelegt, dass die Arbeitsgrundlage des Herstellers für die Durchführung der 120.000 km-Wartung unter Verwendung des Reparatursatzes beim turnusmäßigen Zahnriemenwechsel nicht ganz eindeutig sei. Im Ersatzteilkatalog werde dazu ausgeführt, dass Austausch und Einbau des Riemenspanndämpferelements als Option (bei Bedarf) vorzunehmen sei. Unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen T.... erachte er dessen Reparatur grundsätzlich als sachgerecht. Seine Empfehlung sei allerdings, in einem derartigen Fall beim Kunden nachzufragen, ob auch das Riemenspanndämpferelement zusätzlich ersetzt werden solle, weil das im Regelfall einen ähnlichen Verschleißgrad aufweise, wie der Zahnriemen.

Die Ausführungen des Sachverständigen lassen den Senat in Verbindung mit den glaubhaften Angaben des Zeugen T.... von einer ordnungsgemäßen Wartung bei 120.000 km ausgehen. Wenn der Zeuge T.... das Riemenspanndämpferelement geprüft und keinerlei Verschleiß festgestellt hat, war es möglicherweise ratsam, aber nicht erforderlich, auch dieses auszutauschen. Das auch deshalb, weil die Voreigentümerin damals noch nicht vorhatte, das Fahrzeug zu verkaufen und es bis dahin regelmäßig hatte warten lassen. Der Zeuge T.... durfte daher darauf vertrauen, einen eventuell später notwendig werdenden Austausch bei einer nachfolgenden Wartung zu erkennen. Bestand aber keine Notwendigkeit, das Dämpferelement auszutauschen, so war das Fahrzeug nicht mangelhaft.

Die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil ist nach alledem mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO zurückzuweisen.
Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 8.563,20 €.