Anfechtung wegen Inhaltsirrtums (§ 119 I Alt. 1 BGB): "25 Gros Rollen" Toilettenpapier

LG Hanau, Urt. v. 30.6.1978 - 1 O 175/78


Fundstelle:

NJW 1979, 721


Leitsatz:

Unterzeichnet die Konrektorin einer Realschule eine Bestellung über "25 Gros Rollen" Toilettenpapier und werden daraufhin 3600 Rollen Toilettenpapier geliefert, so kann sie ihre Erklärung gem. § 119 I BGB wirksam anfechten, weil von ihr nicht verlangt werden kann, daß sie die völlig unübliche und veraltete Mengenbezeichnung "Gros" kennt.



Zentralproblem:

Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ist ein klassisches Beispiel des Inhaltsirrtums nach § 119 I Alt. 1 BGB. Der Leitsatz ist allerdings mißverständlich: Es kommt allein darauf an, welche Bedeutung der Erklärende dem gebrauchten Erklärungszeichen (hier: "Gros") zugemessen hat. Auf Verschulden, d.h. auf die Frage, ob er die wahre Bedeutung hätte erkennen können, kommt es für die Frage der Anfechtbarkeit nicht an. Allerdings kann sich hieraus (neben dem Anspruch aus § 122 I BGB) ein auf das negative Interesses gerichteter Schadensersatzanspruch aus c.i.c. ergeben, der - anders als § 122 I BGB -  nach oben hin nicht durch das Erfüllungsinteresse begrenzt ist.



Zum Sachverhalt:

Die Bekl., Konrektorin einer Mädchenrealschule, bestellte als deren Vertreterin "25 Gros Rollen" Toilettenpapier bei der Kl. Dabei unterzeichnete die Bekl. einen von den Vertretern der Kl. ausgefüllten Bestellschein, auf dem neben anderen Einzelheiten die Bezeichnung "Gros= 12 x 12" zu finden ist. Als die Kl. die Waren anliefern wollte, verweigerte die Mädchenschule die Annahme des überwiegenden Teils. Daraufhin nahm die Kl. die Bekl in Anspruch und ließ ihr einen Zahlungsbefehl zustellen, dem diese widersprach. Darüber hinaus focht sie das Rechtsgeschäft an. Sie bestreitet, Kenntnis über die Bedeutung der Mengenbezeichnung "Gros" gehabt zu haben. Vielmehr behauptet sie, lediglich 25 Doppelpack Toilettenpapier bestellt zu haben, welche die Schule auch angenommen und bezahlt habe. Zwar sei bei der Bestellung die Bezeichnung "Gros" genannt worden. Die Vertreter hätten diese jedoch in Verbindung mit der Maßangabe 12 x 12 als Verpackungsart bezeichnet.
Die Klage auf Zahlung des Toilettenpapiers hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Die Kl. hat keine Ansprüche gem. § 179 BGB gegenüber der Bekl.. Zwar hat die von der Bekl. vertretene Schule das Rechtsgeschäft zum größten Teil nicht genehmigt. Eine Erfüllung des Vertrages durch die Bekl. entfällt jedoch, weil dieser von der Bekl. wirksam angefochten worden ist. Die Bekl. war nämlich bei der Abgabe ihrer Willenserklärung darüber im Irrtum, welchen Inhalt ihre Äußerung hatte (§ 119 I BGB). Sie wollte keineswegs 25 x 12 x 12= 3600 Rollen Toilettenpapier kaufen, sondern lediglich 25 große Rollen. Zwar behauptet die Kl., die Bekl. hätte genau gewußt, welcher Inhalt ihrer Erklärung beizulegen gewesen wäre. Von dieser Tatsache ist jedoch nicht auszugehen. Es widerspricht völlig der Lebenserfahrung, daß jemand als Vertreterin einer Schule, die nur als kleines Institut zu bezeichnen ist, auf einen Schlag 3600 Rollen Toilettenpapier à 1000 Blatt bestellt, eine Menge, die den Bedarf des Hauses auf mehrere Jahre gedeckt hätte. Abgesehen davon, daß dies aus Gründen der Haushaltsabrechnung, die normalerweise jährlich erfolgt, kaum denkbar erscheint, führen allein die Schwierigkeiten der Lagerung einer solchen Warenmenge zu der Annahme, daß ein bewußtes Vorgehen dieser Art ausgeschlossen sein dürfte. Für die Kenntnis der Bekl. über die Bedeutung des verwendeten Maßes spricht auch nicht zwingend, daß sie als Pädagogin damit hätte vertraut sein müssen. Abgesehen davon, daß nicht feststeht, welche Fächer von ihr gegeben werden, ist die Mengenbezeichnung "Gros" heute völlig unüblich und veraltet, so daß sie nicht mehr unbedingt als dem Lehrstoff zugehörig angesehen werden kann. Auch der Hinweis "Gros = 12 x 12" bringt insoweit keine Klarheit, da hieraus nicht zwingend auf die Anzahl der Rollen geschlossen werden kann, sondern durchaus auch andere Maßeinheiten gemeint sein konnten, insbesondere auch im Hinblick auf die von den Vertretern der Kl. gefertigten Rechtschreibungsfehler auf dem Bestellschein.