NJW 1985, 969
LM § 2258 BGB Nr. 3
MDR 1985, 471
WM 1985, 207
FamRZ 1985, 175
§ 2258 I BGB greift auch dann ein, wenn
der Erblasser seine erbrechtlichen Verhältnisse mit einem späteren
Testament nicht umfassend neu ordnet, sondern eine abschließende
erbrechtliche Regelung nur für einen bestimmten Teilbereich vornimmt.
Die Kl. stammt aus der ersten Ehe ihres 1981 verstorbenen
Vaters (Erblasser); aufgrund notariellen gemeinschaftlichen Testaments
des Erblassers und seiner im Dezember 1973 vorverstorbenen zweiten Ehefrau
vom 22. 3. 1971 ist sie dessen Alleinerbin. In diesem gemeinschaftlichen
Testament hatte der überlebende Ehegatte dem Bekl., einem Neffen der
zweiten Ehefrau, Grundbesitz, 10000 DM, weitere 5000 DM und bestimmte Einrichtungsgegenstände
vermacht, und zwar die zuletzt genannte Geldsumme mit der Auflage, diesen
Betrag nur zur Pflege und Instandhaltung des Grabes der testierenden Eheleute
zu verwenden. Dem überlebenden Ehegatten war ausdrücklich vorbehalten,
unter anderem die Vermächtnisse zu ändern oder zu widerrufen.
Diese Vermächtnisse hat die Kl. erfüllt. Mit der Klage verlangt
die Kl. Rückübereignung des Grundbesitzes. Sie ist der Auffassung,
die Übertragung sei ohne Rechtsgrund erfolgt; der Erblasser habe das
in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Grundstücksvermächtnis
widerrufen. Der Erblasser, der deutscher Staatsangehöriger war, hatte
zuletzt bei der Kl. gewohnt, die in Frankreich lebt. Von dort aus hatte
er an den Bekl. ein eigenhändiges Schreiben gerichtet, in dem er bestimmte,
der Kl. solle außer dem im Testament angegebenen Betrag noch DM 30000
erhalten. In einem Vorprozeß hat das BerGer. diesen Brief als wirksames
Testament angesehen und hat die Kl. rechtskräftig zur Zahlung eines
(weiteren) Geldvermächtnisses von 30000 DM an den jetzigen Bekl. verurteilt.
Die Kl. sieht den Brief nunmehr ebenfalls als wirksames Testament an und
meint, durch ihn habe der Erblasser das Grundstücksvermächtnis
zugunsten des Bekl. widerrufen.
LG und OLG haben der Klage stattgegeben. Die Revision
des Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
Das OLG wendet deutsches Recht an und sieht den
Brief des Erblassers wiederum als wirksames eigenhändiges Testament
an. Rechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht und werden auch von der
Revision nicht erhoben. Ohne Rechtsverstoß nimmt das BerGer. ferner
an, der Erblasser sei durch das gemeinschaftliche Testament nicht gehindert
gewesen, das dort ausgesetzte (wechselbezügliche) Grundstücksvermächtnis
zugunsten des Bekl. zu widerrufen (oder aufzuheben). Die Eheleute hatten
den Überlebenden von der Bindungswirkung des § 2271 II 1 BGB
ausdrücklich befreit (Freistellungsklausel; BGHZ 2, 35 (37) = NJW
1951, 959 = LM § 2084 BGB Nr. 1).
Demgemäß habe der Erblasser, so meint
das BerGer. weiter, sein in dem gemeinschaftlichen Testament ausgesetztes
Grundstücksvermächtnis gem. § 2258 I BGB durch sein Brieftestament
aufgehoben. Einen auf diese Rechtsfolge gerichteten Willen des Erblassers
hat es nicht festgestellt; ein solcher Wille sei nicht erforderlich;
vielmehr läßt es genügen, daß das spätere Testament
mit dem früheren in Widerspruch stehe. Eine sachliche Unvereinbarkeit
zwischen beiden letztwilligen Verfügungen sieht es nicht. Dem Brieftestament
sei aber die Absicht des Erblassers zu entnehmen, die dem Bekl. ausgesetzten
Vermächtnisse abschließend neu zu regeln; das Brieftestament
habe hinsichtlich der Vermächtnisse ausschließliche und alleinige
Geltung haben sollen.
Die dieser Auslegung zugrunde liegenden Rechtsauffassung
steht mit der Rechtsprechung des BGH in Einklang. Wie der erkennende Senat
zuletzt in seinem Urteil vom 8. 7. 1981 (NJW 1981, 2745 = LM § 2258
BGB Nr. 2) ausgeführt hat, liegt ein für § 2258 I BGB vorausgesetzter
Widerspruch vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar
sind, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen
können, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein derartiger
Widerspruch besteht aber auch dann, wenn die einzelnen Anordnungen einander
zwar nicht entgegengesetzt sind, aber die kumulative Geltung der mehreren
Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden
Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das ist der Fall, wenn der Erblasser
mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich
abschließend und umfassend (ausschließlich) regeln wollte.
Entsprechendes ist, wie das BerGer. zutreffend erkannt hat, aber auch dann
anzunehmen, wenn der Erblasser seine erbrechtlichen Verhältnisse zwar
nicht insgesamt, nicht umfassend neu ordnet, sondern eine abschließende
erbrechtliche Regelung nur für einen bestimmten Teilbereich vornimmt,
weil er etwa die für eine bestimmte Person ausgesetzten Vermächtnisse
(Zuwendungen) abschließend neu festschreiben will. Das frühere
Testament wird dann durch das spätere nicht vollständig, sondern
nur in einem Teilbereich (§ 2258 I BGB: "insoweit") aufgehoben, so
weit nämlich, wie dem späteren Testament eine abschließende
(ausschließlich) wirkende Regelung zu entnehmen ist.
Gleichwohl kann das angefochtene Urteil nicht
bestehen bleiben.
Das OLG hat das Brieftestament dahin ausgelegt,
es habe nach dem Willen des Erblassers hinsichtlich der Vermächtnisse
für den Bekl. ausschließliche und alleinige Geltung haben sollen.
Für diese Auslegung hat das BerGer. in dem Brieftestament rechtsfehlerfrei
zwei Anhaltspunkte gefunden, nämlich die Wendung "von meinem gesamten
Vermögen" und den Satzteil "außer dem im Testament angegebenen
Betrag". Es stützt sich ferner auf die Aussage des Zeugen S über
Äußerungen des Erblassers vor und nach dem Brieftestament. Aufgrund
dieser Aussage und des Inhalts des Brieftestaments ("Einstweilen bewahre
Stillschweigen") stellt es ferner fest, der Erblasser habe den Bekl. mit
Hilfe dieser letztwilligen Verfügung besser stellen wollen, als er
nach dem gemeinschaftlichen Testament stand. Daraus leitet es ab, daß
der Erblasser bei Abfassung des Brieftestaments der Meinung war, das dem
Bekl. früher zugedachte Grundvermögen sei weniger wert als 30000
DM. Einen Anhalt für diese - anscheinend unzutreffende - Vorstellung
des Erblassers biete auch die eigene Äußerung des Bekl. im Vorprozeß,
die Grundstücke seien nicht viel wert. Daß der Erblasser auch
noch bei Errichtung des Brieftestaments den Grundbesitz an den Bekl. habe
fallen lassen wollen, sei durch die von diesem benannten Zeugen nicht bewiesen.
Diese Begründung ist nicht in jeder Hinsicht
rechtsfehlerfrei. Das BerGer. ist nicht weiter darauf eingegangen, welchen
Wert der streitige Grundbesitz bei Abfassung des Brieftestaments tatsächlich
hatte. Das vom BerGer. lediglich erwähnte gerichtliche Sachverständigengutachten
schützt diesen Wert auf insgesamt 63642,50 DM. Ebenfalls nicht verwertet
hat das BerGer. in diesem Zusammenhang die Aussage des Zeugen T. Dieser
hat vor dem OLG bekundet, er habe dem Erblasser für eines der streitigen
Grundstücke 30 DM/qm geboten (das entspricht bei 786 qm allein schon
23580 DM), und zwar "etwa in den Jahren 1975 oder 1976 ... etwa drei Jahre
nach dem Tode der Ehefrau des Erblassers"; dieser habe abgelehnt und erklärt,
das Grundstück solle der Bekl. bekommen. Die Nichtberücksichtigung
dieses Angebots beruht möglicherweise darauf, daß das BerGer.
es als ungeklärt ansieht, ob das betreffende Gespräch vor oder
nach dem Brieftestament stattgefunden hat. Aus dieser Sicht sprach in der
Tat zwar einiges dafür, aufgrund der Aussage des Zeugen S ("errechneter"
Wert für den gesamten Grundbesitz etwa 20000 DM) davon auszugehen,
der Erblasser habe einen Wert von weniger als 30000 DM angenommen. Indessen
durfte bei dieser Feststellung, wie die Revision mit Recht rügt, die
Aussage des Zeugen T nicht unberücksichtigt bleiben, und zwar unabhängig
davon, ob das von T bekundete Gespräch vor oder nach dem Brieftestament
stattgefunden hat. Legte das BerGer. zugrunde, das Angebot habe nach dem
Brieftestament gelegen, dann wäre zu erörtern gewesen, wie sich
seine Auslegung damit verträgt, daß der Erblasser dann noch
nach dem Brieftestament geäußert haben soll, die Grundstücke
sollten dem Bekl. zufallen. Nahm das BerGer. dagegen an, das Gespräch
habe vorher stattgefunden, dann ist die Feststellung, der Erblasser
habe den Wert des gesamten Grundbesitzes auf weniger als 30000 DM geschätzt,
fragwürdig. Eine "Besserstellung" des Bekl. aus der Sicht des Erblassers
ließe sich dann womöglich nur halten, wenn das Grundstücksvermächtnis
bestehen bleiben sollte.