Testamentsaufhebung durch späteres Testament

BGH, Urteil v. 07.11.1984  - IVa ZR 77/83 (Stuttgart)


Fundstellen:

NJW 1985, 969
LM § 2258 BGB Nr. 3
MDR 1985, 471
WM 1985, 207
FamRZ 1985, 175



Amtl. Leitsatz:

§ 2258 I BGB greift auch dann ein, wenn der Erblasser seine erbrechtlichen Verhältnisse mit einem späteren Testament nicht umfassend neu ordnet, sondern eine abschließende erbrechtliche Regelung nur für einen bestimmten Teilbereich vornimmt.



Zum Sachverhalt:

Die Kl. stammt aus der ersten Ehe ihres 1981 verstorbenen Vaters (Erblasser); aufgrund notariellen gemeinschaftlichen Testaments des Erblassers und seiner im Dezember 1973 vorverstorbenen zweiten Ehefrau vom 22. 3. 1971 ist sie dessen Alleinerbin. In diesem gemeinschaftlichen Testament hatte der überlebende Ehegatte dem Bekl., einem Neffen der zweiten Ehefrau, Grundbesitz, 10000 DM, weitere 5000 DM und bestimmte Einrichtungsgegenstände vermacht, und zwar die zuletzt genannte Geldsumme mit der Auflage, diesen Betrag nur zur Pflege und Instandhaltung des Grabes der testierenden Eheleute zu verwenden. Dem überlebenden Ehegatten war ausdrücklich vorbehalten, unter anderem die Vermächtnisse zu ändern oder zu widerrufen. Diese Vermächtnisse hat die Kl. erfüllt. Mit der Klage verlangt die Kl. Rückübereignung des Grundbesitzes. Sie ist der Auffassung, die Übertragung sei ohne Rechtsgrund erfolgt; der Erblasser habe das in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Grundstücksvermächtnis widerrufen. Der Erblasser, der deutscher Staatsangehöriger war, hatte zuletzt bei der Kl. gewohnt, die in Frankreich lebt. Von dort aus hatte er an den Bekl. ein eigenhändiges Schreiben gerichtet, in dem er bestimmte, der Kl. solle außer dem im Testament angegebenen Betrag noch DM 30000 erhalten. In einem Vorprozeß hat das BerGer. diesen Brief als wirksames Testament angesehen und hat die Kl. rechtskräftig zur Zahlung eines (weiteren) Geldvermächtnisses von 30000 DM an den jetzigen Bekl. verurteilt. Die Kl. sieht den Brief nunmehr ebenfalls als wirksames Testament an und meint, durch ihn habe der Erblasser das Grundstücksvermächtnis zugunsten des Bekl. widerrufen.
LG und OLG haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

Das OLG wendet deutsches Recht an und sieht den Brief des Erblassers wiederum als wirksames eigenhändiges Testament an. Rechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht und werden auch von der Revision nicht erhoben. Ohne Rechtsverstoß nimmt das BerGer. ferner an, der Erblasser sei durch das gemeinschaftliche Testament nicht gehindert gewesen, das dort ausgesetzte (wechselbezügliche) Grundstücksvermächtnis zugunsten des Bekl. zu widerrufen (oder aufzuheben). Die Eheleute hatten den Überlebenden von der Bindungswirkung des § 2271 II 1 BGB ausdrücklich befreit (Freistellungsklausel; BGHZ 2, 35 (37) = NJW 1951, 959 = LM § 2084 BGB Nr. 1).
Demgemäß habe der Erblasser, so meint das BerGer. weiter, sein in dem gemeinschaftlichen Testament ausgesetztes Grundstücksvermächtnis gem. § 2258 I BGB durch sein Brieftestament aufgehoben. Einen auf diese Rechtsfolge gerichteten Willen des Erblassers hat es nicht festgestellt; ein solcher Wille sei nicht erforderlich; vielmehr läßt es genügen, daß das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch stehe. Eine sachliche Unvereinbarkeit zwischen beiden letztwilligen Verfügungen sieht es nicht. Dem Brieftestament sei aber die Absicht des Erblassers zu entnehmen, die dem Bekl. ausgesetzten Vermächtnisse abschließend neu zu regeln; das Brieftestament habe hinsichtlich der Vermächtnisse ausschließliche und alleinige Geltung haben sollen.
Die dieser Auslegung zugrunde liegenden Rechtsauffassung steht mit der Rechtsprechung des BGH in Einklang. Wie der erkennende Senat zuletzt in seinem Urteil vom 8. 7. 1981 (NJW 1981, 2745 = LM § 2258 BGB Nr. 2) ausgeführt hat, liegt ein für § 2258 I BGB vorausgesetzter Widerspruch vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar sind, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen können, sondern sich gegenseitig ausschließen. Ein derartiger Widerspruch besteht aber auch dann, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt sind, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das ist der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) regeln wollte. Entsprechendes ist, wie das BerGer. zutreffend erkannt hat, aber auch dann anzunehmen, wenn der Erblasser seine erbrechtlichen Verhältnisse zwar nicht insgesamt, nicht umfassend neu ordnet, sondern eine abschließende erbrechtliche Regelung nur für einen bestimmten Teilbereich vornimmt, weil er etwa die für eine bestimmte Person ausgesetzten Vermächtnisse (Zuwendungen) abschließend neu festschreiben will. Das frühere Testament wird dann durch das spätere nicht vollständig, sondern nur in einem Teilbereich (§ 2258 I BGB: "insoweit") aufgehoben, so weit nämlich, wie dem späteren Testament eine abschließende (ausschließlich) wirkende Regelung zu entnehmen ist.
Gleichwohl kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben.
Das OLG hat das Brieftestament dahin ausgelegt, es habe nach dem Willen des Erblassers hinsichtlich der Vermächtnisse für den Bekl. ausschließliche und alleinige Geltung haben sollen. Für diese Auslegung hat das BerGer. in dem Brieftestament rechtsfehlerfrei zwei Anhaltspunkte gefunden, nämlich die Wendung "von meinem gesamten Vermögen" und den Satzteil "außer dem im Testament angegebenen Betrag". Es stützt sich ferner auf die Aussage des Zeugen S über Äußerungen des Erblassers vor und nach dem Brieftestament. Aufgrund dieser Aussage und des Inhalts des Brieftestaments ("Einstweilen bewahre Stillschweigen") stellt es ferner fest, der Erblasser habe den Bekl. mit Hilfe dieser letztwilligen Verfügung besser stellen wollen, als er nach dem gemeinschaftlichen Testament stand. Daraus leitet es ab, daß der Erblasser bei Abfassung des Brieftestaments der Meinung war, das dem Bekl. früher zugedachte Grundvermögen sei weniger wert als 30000 DM. Einen Anhalt für diese - anscheinend unzutreffende - Vorstellung des Erblassers biete auch die eigene Äußerung des Bekl. im Vorprozeß, die Grundstücke seien nicht viel wert. Daß der Erblasser auch noch bei Errichtung des Brieftestaments den Grundbesitz an den Bekl. habe fallen lassen wollen, sei durch die von diesem benannten Zeugen nicht bewiesen.
Diese Begründung ist nicht in jeder Hinsicht rechtsfehlerfrei. Das BerGer. ist nicht weiter darauf eingegangen, welchen Wert der streitige Grundbesitz bei Abfassung des Brieftestaments tatsächlich hatte. Das vom BerGer. lediglich erwähnte gerichtliche Sachverständigengutachten schützt diesen Wert auf insgesamt 63642,50 DM. Ebenfalls nicht verwertet hat das BerGer. in diesem Zusammenhang die Aussage des Zeugen T. Dieser hat vor dem OLG bekundet, er habe dem Erblasser für eines der streitigen Grundstücke 30 DM/qm geboten (das entspricht bei 786 qm allein schon 23580 DM), und zwar "etwa in den Jahren 1975 oder 1976 ... etwa drei Jahre nach dem Tode der Ehefrau des Erblassers"; dieser habe abgelehnt und erklärt, das Grundstück solle der Bekl. bekommen. Die Nichtberücksichtigung dieses Angebots beruht möglicherweise darauf, daß das BerGer. es als ungeklärt ansieht, ob das betreffende Gespräch vor oder nach dem Brieftestament stattgefunden hat. Aus dieser Sicht sprach in der Tat zwar einiges dafür, aufgrund der Aussage des Zeugen S ("errechneter" Wert für den gesamten Grundbesitz etwa 20000 DM) davon auszugehen, der Erblasser habe einen Wert von weniger als 30000 DM angenommen. Indessen durfte bei dieser Feststellung, wie die Revision mit Recht rügt, die Aussage des Zeugen T nicht unberücksichtigt bleiben, und zwar unabhängig davon, ob das von T bekundete Gespräch vor oder nach dem Brieftestament stattgefunden hat. Legte das BerGer. zugrunde, das Angebot habe nach dem Brieftestament gelegen, dann wäre zu erörtern gewesen, wie sich seine Auslegung damit verträgt, daß der Erblasser dann noch nach dem Brieftestament geäußert haben soll, die Grundstücke sollten dem Bekl. zufallen. Nahm das BerGer. dagegen an, das Gespräch habe vorher  stattgefunden, dann ist die Feststellung, der Erblasser habe den Wert des gesamten Grundbesitzes auf weniger als 30000 DM geschätzt, fragwürdig. Eine "Besserstellung" des Bekl. aus der Sicht des Erblassers ließe sich dann womöglich nur halten, wenn das Grundstücksvermächtnis bestehen bleiben sollte.



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