Leistungsbegriff: Zweckbestimmung einer Leistung nach dem Empfängerhorizont 

BGH, Urteil v. 26.09.1985, IX ZR 180/84  

Amtliche Leitsätze:

Auch die Zweckbestimmung einer Leistung, die der Zuwendende, obgleich er sie entweder als Bürge oder als Dritter bewirken konnte, ohne Zweckbestimmung bewirkt hat, richtet sich nicht nach seinem inneren Willen, sondern danach, als wessen Leistung sich die Zuwendung bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers darstellt (Anschluß an BGHZ 40, 272 = NJW 1964, 399; BGHZ 72, 246 = NJW 1979, 157).  



Fundstellen:

NJW 1986, 251
LM § 267 BGB Nr. 7
MDR 1986, 229
DB 1986, 376
WM 1985, 1449
ZIP 1985, 1465



Zum Sachverhalt:

Die bekl. Bank hatte dem Kl. einen Kontokorrentkredit in Höhe von 475000 DM eingeräumt, Dr. B durch Bürgschaftsvertrag sich ihr gegenüber verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Kl. aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung bis zu diesem Höchstbetrage zuzüglich Zinsen, Provisionen, Spesen und Kosten einzustehen (§ 765 I BGB). Den Kredit einschließlich Zinsen hatte der Kl. am 1. 12. 1980 in Höhe von 536877,36 DM in Anspruch genommen. Dr. B befriedigte die Bekl. wegen ihrer Forderung auf Rückzahlung dieses Kredits dadurch, daß er einen ihm von ihr ohne Besicherung in derselben Höhe eingeräumten Zwischenfinanzierungskredit in Anspruch nahm und damit das Konto des Kl. ausglich. Das ist zwischen den Parteien unstreitig. Streitig ist, ob Dr. B die Leistung als Bürge in Erfüllung seiner Bürgschaftschuld bewirkt hat mit der Folge, daß die Forderung der Bekl. gegen den Kl. nicht erlosch, sondern nach § 774 I 1 BGB auf ihn überging, oder sie als Dritter i. S. von § 267 I BGB bewirkt hat mit der Folge, daß das Schuldverhältnis zwischen dem Kl. und der Bekl. nach § 362 I BGB erlosch. Nur im ersten Falle kann Dr. B die kraft Gesetzes entstandene Rückgriffsforderung erworben haben, die er am 10. 9. 1981 an die Bekl. abtrat und die sie für sich beansprucht. Der Kl. nimmt die bekl. Bank auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde sowie auf Ersatz von Avalzinsen in Anspruch. Die Bekl. verlangt von ihm im Wege der Widerklage aufgrund abgetretenen Rechts die Rückzahlung eines Kredits. Das LG wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Die Berufung des Kl. hatte Erfolg. Die Revision der bekl. Bank führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

... II. Das BerGer. bejaht den zweiten Fall und hält deshalb die Klage für begründet, die Widerklage für nicht begründet. Dazu führt es aus: Eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergebe, daß Dr. B durch seine Leistung eine Schuld der I-GmbH gegenüber dem Kl. habe tilgen wollen, indem er dessen Verbindlichkeit gegenüber der Bekl., die dabei die Funktion einer von ihm angegebenen Zahlstelle gehabt habe, erfüllte. Maßgebend dafür, ob er als Bürge geleistet oder die Verbindlichkeit der I-GmbH gegenüber dem Kl. erfüllt habe, sei nicht die Sicht eines objektiven, mit der Sachlage vertrauten Dritten oder die der Bekl. Zwar werde bei rechtlichen Dreiecksbeziehungen, insbesondere im Bereicherungsrecht, oft auf den Empfängerhorizont abgestellt, mithin darauf, als wessen Leistung sich die Zuwendung bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers darstelle. Diese Auffassung verfolge das Ziel, die Einheitlichkeit des Gewinn und Verlust begründenden Bereicherungsvorgangs bei Dreiecksbeziehungen herzustellen. Maßgebend im Rahmen des § 774 BGB, auf den die Bekl. sich stütze, seien, wie der Regelungsgehalt der Vorschrift ergebe, jedoch Wille und Motiv des Leistenden, hier des Dr. B. § 774 I 1 BGB normiere einen gesetzlichen Übergang der Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf den Bürgen. Dadurch allein würden weder Rechtspositionen des Gläubigers noch solche des Hauptschuldners berührt. Für den Gläubiger sei es ohne Belang, ob er Leistungen erhalte, weil jemand als Bürge an ihn zahle oder weil er als Dritter die geschuldete Leistung bewirken wolle. Der Gläubiger sei durch die Regelung des § 774 I 2 BGB geschützt, daß der Übergang der Forderung nicht zu seinem Nachteil geltend gemacht werden könne. Das Verhältnis zum Hauptschuldner sei für die Frage, ob jemand als Bürge leiste oder nicht, gleichermaßen ohne Bedeutung. Denn Einwendungen des Hauptschuldners aus einem zwischen ihm und dem Bürgen bestehenden Rechtsverhältnis blieben durch den gesetzlichen Forderungsübergang unberührt (§ 774 I 3 BGB). Somit wirke es sich allein auf die Rechtsstellung der Person des Bürgen aus, ob er als solcher oder, wie hier für die I-GmbH, als i. S. des § 267 BGB Dritter leiste. Deshalb seien allein seine Motivation und Willensrichtung maßgebend. Davon habe es im vorliegenden Fall abgehangen, ob Dr. B einen Ausgleichsanspruch gegen den Kl. (§ 774 BGB) oder gegen die I-GmbH (§ 812 I-GmbHrhalten habe. Stelle man auf das ab, was Dr. B Anfang Dezember 1980 durch die Übernahme der 536877,36 DM wirklich bezweckt habe, so zeige sich, daß er auf diesem Wege - wie das BerGer. in Auslegung der Angaben einer Strafanzeige des Dr. B vom 14. 5. 1983, der an ihn gerichteten Schreiben des Kl. und des Schriftwechsels zwischen ihm und der Bekl. ausführt - die Verbindlichkeit der I-GmbH gegenüber dem Kl. habe ablösen wollen. Es sei nicht gehalten, den Direktor F und den Prokuristen G der Bekl., wie von ihr beantragt, als Zeugen darüber zu hören, daß ausschließlich davon gesprochen worden sei, Dr. B solle aufgrund seiner Bürgschaft an die Bekl. leisten, und diese Leistung Ende 1981 ausdrücklich bestätigt habe. Die in das Wissen dieser Zeugen gestellten Indizien seien so schwach, daß sie nicht geeignet seien, die Überzeugungsbildung des Senats zu beeinflussen.
III. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGHZ 40, 272 (277) = NJW 1964, 399; BGHZ 72, 246 (248) = NJW 1979, 157 m. w. Nachw.) ist unter einer Leistung i. S. des § 812 I BGB eine bewußte und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zu verstehen und richtet sich die Zweckbestimmung, wenn die Zweckvorstellungen des Zuwendenden und des Zuwendungsempfängers auseinander fallen, nicht nach dem inneren Willen des Zuwendenden. Maßgebend ist vielmehr, als wessen Leistung sich die Zuwendung bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers darstellt. Diese Grundsätze sind nicht auf das Gebiet des Bereicherungsrechts beschränkt (vgl. Keller, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 267 Rdnrn. 5, 6; Palandt-Heinrichs, BGB, 44. Aufl., § 267 Anm. 3b). Sie gelten, weil die Problematik insoweit dieselbe ist, vielmehr auch für die Beurteilung einer Leistung, wenn der Zuwendende sie als Bürge oder als Dritter bewirken konnte und gegenüber dem Zuwendungsempfänger eine Zweckbestimmung unterlassen hat. Die Ansicht des BerGer., in einem solchen Falle wirke es sich allein auf die Rechtsstellung der Person des Bürgen aus, ob er als solcher oder als i. S. des § 267 BGB Dritter leiste, und deshalb seien allein seine Motivation und seine Willensrichtung maßgebend, hält der Überprüfung nicht stand. Entgegen dieser Ansicht können durch eine solche Leistung, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, auch die Rechtspositionen des Gläubigers und des Hauptschuldners berührt werden: Der Bürge Dr. B hat seine Leistung, wirtschaftlich gesehen, nicht mit eigenen, sondern mit Mitteln bewirkt, die ihm die Bekl. ohne Besicherung zur Verfügung gestellt hatte. Auch das BerGer. verkennt nicht, daß sie der Bekl. als Bürgenleistung erscheinen mußte. Durch eine solche Leistung erlosch die Forderung der Bekl. nicht, sondern ging mit den für sie bestehenden Nebenrechten auf den Bürgen über (§§ 774 I 1, 412, 401 I BGB), von dem sie, wie geschehen, ihr wieder abgetreten werden konnte. Leistete Dr. B dagegen als Dritter, erlosch das Schuldverhältnis und wurden die für die Bekl. bestellten Sicherheiten frei, hätte sie also durch ihre Finanzierung der Leistung erreicht, daß sie statt der besicherten Forderung gegen den Kl. nur noch eine nicht gesicherte Forderung gegen Dr. B besaß, auf den die Forderung gegen den Kl. als Hauptschuldner nicht übergegangen war. Es kommt deshalb auch im vorliegenden Falle darauf an, als wessen Leistung sich die Zuwendung des Dr. B bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers darstellt. Das hat das BerGer. verkannt. Die Zurückverweisung gibt ihm Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zu treffen.  



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