Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Zweckauflage gem. § 2193 BGB (Begünstigung "der Tiere"); Testamentsauslegung und "Andeutungstheorie"; Bedeutung von Äußerung des Erblassers nach Testamentserrichtung für die Testamentsauslegung


BayObLG, Beschluß vom 22.04.1988 - BReg. 1 Z 64/87


Fundstelle:

NJW 1988, 2742


Leitsatz:

1. Will der Erblasser im Testament sein Vermögen „den Tieren zugute kommen lassen", so kann darin die Erbeinsetzung einer Tierschutzorganisation oder eine Zweckauflage gesehen werden.
2. Umstände, die sich vor und nach der Testamentserrichtung ereignet haben, sind bei der Testamentsauslegung heranzuziehen.


Zum Sachverhalt:

1986 verstarb der Erblasser im Alter von 84 Jahren. Er war in einziger Ehe mit J verheiratet. Sie ist verstorben. Der Erblasser hat sie allein beerbt. Kinder hatte der Erblasser nicht. Er war seit 1971 Mitglied des Tierschutzvereins L (Bet. zu 1). Als gesetzliche Erben kommen Abkömmlinge der Großeltern in Betracht, unter anderen die Bet. zu 2 bis 6. Der Erblasser hat mehrere letztwillige Verfügungen errichtet, die er jeweils eigenhändig geschrieben und unterzeichnet hat. Das letzte Testament hat u. a. folgenden Wortlaut:

„Nachdem die Verwandten meiner lieben Verstorbenen wie jene von meiner Seite in ordentlichen Verhältnissen leben u. folglich keiner Unterstützung bedürfen, bestimme ich bei meinem plötzlichen Tode, daß das von meiner Frau u. mir zusammen gesparte Vermögen den Tieren zugute kommen soll. Aufgrund eines schon lange vor dem Ableben meiner Frau geäußerten Wunsches sollen an Familie B 3000 überwiesen werden. Diese liegen längst zur Abholung bereit. Sollte ich durch plötzlichen Tod ableben, dann soll unser ganzer Besitz den Tieren zugute kommen. Denn die Verwandten meiner Frau wie meine eigenen leben in geordneten Verhältnissen, sodaß sie keiner Unterstützung bedürfen ..."

Eine handschriftliche Erklärung des Erblassers ohne Datum lautet u. a. wie folgt:

„Von dem von meiner Frau u. mir zusammen gesparten Guthaben 300000 in Worten Dreihunderttausend DM als Spende an den World Wildlife Fund zu überweisen. Der Restbetrag soll dem Roten Kreuz überwiesen werden. Der Verkaufserlös meiner Eigentumswohnung soll den aus der Familie H stammenden Kindern zugeteilt werden ..."

Zwei durchstrichene Erklärungen des Erblasser enthalten ähnliche Verfügungen.

Der Bet. zu 1 hat beim AG einen Erbschein beantragt, der ihn als Alleinerben aufgrund des Testaments vom 23. 11. 1986 ausweisen soll. Die Bet. zu 2 bis 6 sind dem Antrag entgegengetreten. Das Nachlaßgericht hat Nachlaßpflegschaft angeordnet. Durch Vorbescheid hat es einen Erbschein des Inhalts angekündigt, daß der Erblasser aufgrund des Testaments vom 23. 11. 1986 von dem Bet. zu 1 allein beerbt worden sei. Gegen diesen Beschluß hat die Bet. zu 2 Beschwerde eingelegt. Das LG hat den Vorbescheid des Nachlaßgerichts aufgehoben. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Bet. zu 1. Sie führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

1. ...
2. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 27 FGG, § 550 ZPO).

a) Das formwirksame Testament (§ 2247 I BGB) vom 23. 11. 1986 ist auslegungsbedürftig. Hiervon ist das LG zu Recht ausgegangen. Es fehlt eine eindeutige Regelung der Erbfolge; denn der Erblasser hat keine Person als Erben benannt, sondern angeordnet, das gesamte Vermögen solle den Tieren zugute kommen. Tiere können wegen fehlender Rechtsfähigkeit nicht Erben sein (§ 1922 I BGB).

b) Die Auslegung eines Testaments ist zwar den Richtern der Tatsacheninstanz vorbehalten. Deren Auslegung bindet das Gericht der weiteren Beschwerde, wenn diese Auslegung nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht, dem klaren Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (BayObLGZ 1982, 331 (337)). Hier hat das LG aber verlangt, die Person des Erben müsse sich zweifelsfrei aus der letztwilligen Verfügung selbst ermitteln lassen. Dabei hat es übersehen, daß zur Feststellung des Erblasserwillens (§ 133 BGB) sowie der Gründe, die ihn zu seiner letztwilligen Verfügung bewogen haben, der gesamte Inhalt der Erklärung einschließlich aller Nebenumstände als Ganzes gewürdigt werden muß. Auch Umstände, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen, sowie die allgemeine Lebenserfahrung müssen berücksichtigt werden (vgl. BGHZ 86, 41 (45 f.) = NJW 1983, 672 = LM § 2084 BGB Nr. 17/18; BGH, FamRZ 1987, 475 (476); BayObLGZ 1976, 67 (75); BayObLG, NJW-RR 1988, 387 = FamRZ 1988, 325 (326)).

c) Die Verfügung des Erblassers, sein Vermögen solle den Tieren zugute kommen, ist mehrdeutig. Darin könnte einerseits der Wille zum Ausdruck gekommen sein, die oder den gesetzlichen Erben mit einer Zweckauflage gem. §§ 1940 , 2193 I BGB zu beschweren. Der Erblasser kann nämlich gem. § 2193 I BGB bei der Anordnung einer Auflage lediglich deren Zweck festlegen, die Bestimmung der Person, an welche die Leistung erfolgen soll, aber den Beschwerten überlassen (vgl. Palandt-Edenhofer, BGB, 47. Aufl., § 2193 Anm. 1). Mit seiner Verfügung könnte der Erblasser aber andererseits eine Erbeinsetzung zugunsten einer Tierschutzorganisation gemeint haben. Diese Auslegung ist jedenfalls möglich. Zu Unrecht hat das LG deshalb angenommen, ein Wille des Erblassers, den Bet. zu 1 als Erben einzusetzen, sei dem Testament auch nicht andeutungsweise zu entnehmen. Dieser Wille kann jedenfalls dadurch zum Ausdruck gekommen sein, daß sein Vermögen den Tieren zugute kommen soll.

d) Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 27 S. 2 FGG, § 563 ZPO). Das LG hat einen Willen des Erblassers, den Bet. zu 1 als seinen Erben einzusetzen, deshalb ausgeschlossen, weil der Erblasser den World Wildlife Fund in denjenigen Verfügungen bedenken wollte, welche er am 16. 11. 1983 handschriftlich getroffen, dann aber durchgestrichen hat. Allein auf Grund der mehrfachen Erwähnung des World Wildlife Fund in Verbindung mit der Tatsache, daß der Erblasser den Bet. zu 1, dessen Mitglied er war, in seinen Verfügungen nicht namentlich erwähnt hat, durfte das LG nicht die sonstigen Umstände ausschließen. Es lagen Anhaltspunkte vor, daß der Erblasser nach Errichtung des Testaments vom 23. 11. 1986 gegenüber dem Bankangestellten H geäußert habe, sein Vermögen solle dem Bet. zu 1 zukommen. Diese Umstände außerhalb des Testaments durfte das LG nicht außer acht lassen. Es genügt nämlich, daß der wirkliche Wille des Erblassers in einem formgültigen Testament eine wenn auch noch so geringe Grundlage hat und in diesem irgendwie und sei es auch nur andeutungsweise zum Ausdruck kommt (BGHZ 80, 242 (244) = NJW 1981, 1737 = LM § 133 (C ) BGB Nr. 46 und 246 (250) = NJW 1981, 1736 = LM § 133 BGB Nr. 45; BayObLGZ 1979, 427 (432); Senat, Beschl. v. 18. 2. 1986 - BReg. 1 Z 98/85 und Beschl. v. 17. 8. 1987 - BReg. 1 Z 37/87). Ein derartiger Anhaltspunkt ist in der Formulierung zu sehen, das Vermögen solle den Tieren zugute kommen. Bei dieser Sachlage mußte das LG zur Aufdeckung des Erblasserwillens alle außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Umstände heranziehen (Leipold, in: MünchKomm, § 2084 Rdnr. 17, Palandt-Edenhofer, § 2084 Anm. 1b aa; Staudinger-Otte, BGB, 12. Aufl., Vorb. §§ 2064-2086 Rdnr. 59). Das LG durfte sich nicht auf die Umstände vor der Testamentserrichtung beschränken. Es hätte auch die Umstände nach der Testamentserrichtung in die Gesamtwürdigung einbeziehen müssen. Bei der Erforschung des Erblasserwillens sind nämlich auch Äußerungen des Erblassers über den Inhalt seines Testaments zu verwerten (BayObLGZ 1981, 79 (87); Leipold, in: MünchKomm, § 2084 Rdnr. 20), die zumindest Anzeichen für dessen Willen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung sind (Staudinger-Otte, Vorb. §§ 2064-2086 Rdnr. 79).

3. Auf dem Rechtsfehler beruht die angefochtene Entscheidung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß diese anders ausgefallen wäre, wenn das BeschwGer. alle tatsächlichen Umstände außerhalb des Testaments berücksichtigt und sich nicht damit begnügt hätte, die schriftlichen Äußerungen der G zu würdigen, sondern den Bankangestellten H wenigstens im Freibeweisverfahren angehört hätte. Dessen Vernehmung hatte der Bet. zu 1 angeregt.

4. Da weitere Ermittlungen erforderlich sind und die Würdigung der zur Testamentsauslegung herangezogenen Umstände zunächst dem Gericht der Tatsacheninstanz obliegt, muß die Sache an das LG zurückverwiesen werden.