Allgemeines
Rechtsschutzbedürfnis als Sachurteilvoraussetzung: Geringer Streitwert
AG Stuttgart, Urteil vom 10.10.1989 - 8 C
7155/89
Fundstelle:
NJW 1990, 1054
Zum Sachverhalt:
Der Bekl. schuldete dem Kl. aus
verschiedenen Reparaturmaßnahmen an einem Kraftfahrzeug und Standgeld den
Betrag von 222,30 DM. Mahnungen des Kl. waren erfolgslos. Hierauf ließ er
den Bekl. durch seinen Rechtsanwalt mit Fristsetzung mahnen, der hierfür
Kosten in Höhe von 72,11 DM ansetzte. Der Kl. forderte den Bekl. auf, auch
diese Kosten zu erstatten, so daß sich eine Gesamtforderungsbetrag von
294,41 DM ergab. Hierauf überwies der Bekl. am 19. 5. 1989 294 DM. Der Kl.
rechnete den überwiesenen Betrag voll auf die Hauptsumme an und im übrigen
auf die Anwaltskosten, so daß an den Anwaltskosten 41 Pfennig offenstehen.
Der Kl. fordert nun mit seiner Klage, die er durch seinen Anwalt
einreichen ließ, vom Bekl. den Restbetrag von 41 Pfennigen und trägt dazu
vor, es sei kein Grund ersichtlich, warum der Bekl. diesen Betrag nicht zu
zahlen habe. Der in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Bekl. hat
weder im Gerichtsverfahren noch außergerichtlich vorgetragen, warum er den
Restbetrag von 41 Pfennigen nicht bezahlt hat.
Das AG hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
Aus den Gründen:
Die Klage ist nicht zulässig, da es an einem Rechtsschutzbedürfnis für den
Kl. fehlt. Das beantragte Versäumnisurteil war daher nicht zu erlassen und
die Klage war abzuweisen.
Richtig ist, daß dem Kl. an sich ein restlicher Schadensersatzanspruch in
Höhe von 41 Pfennigen zusteht, da der Bekl. die durch die anwaltliche
Mahnung entstandenen Kosten, die nicht zu beanstanden sind, nicht voll
ausgeglichen hat. Voraussetzung für eine Klage bei Gericht ist jedoch
auch, daß ein Rechtsschutzbedürfnis vorliegt. Der Zivilprozeß gewährt
nämlich dem einzelnen Schutz nur im Rahmen der Gemeinschaft, so daß
niemand die Gerichte unnütz oder gar unlauter bemühen darf (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann,
ZPO, Grundzüge § 253 Nr. 5). Das mit der Prozeßhandlung verfolgte Ziel muß
schutzwürdig sein, wobei Maßstab für die Schutzwürdigkeit ist, die
Bewährung des Rechts und die Wahrung des Rechtsfriedens zu sichern. Nicht
schutzwürdig ist ein Interesse, das nach allgemeiner Anschauung als so
gering anzusehen ist, daß es nicht die Inanspruchnahme der staatlichen
Rechtsschutzeinrichtungen, nämlich der Gerichte, rechtfertigt (Schönke,
Das Rechtsschutzbedürfnis, in: Prozeßrechtliche Abhandlungen, Heft 17).
Das Gericht ist der Meinung, daß es sich bei einem Betrag von 41 Pfennigen
um einen wirtschaftlich so geringen Wert handelt, daß es nicht
gerechtfertigt erscheint, die Gerichte anzurufen. Das Rechtswesen ist für
die Gemeinschaft ein kostbares und zugleich sehr kostspieliges Gut.
Hierbei muß man sich zu Bewußtsein bringen, daß nach
betriebswirtschaftlichen Untersuchungen ein streitiger Prozeß beim AG den
Steuerzahler 1050 DM kostet, ein solcher Prozeß beim LG 2780 DM und beim
OLG 4780 DM (Franzen-Apel, NJW 1988, 1059). Wenn man diese Kosten vor
Augen hat, erscheint es gerechtfertigt, daß eine Partei eher auf 41
Pfennige verzichtet, als daß sie die Gerichte in Anspruch nimmt. 41
Pfennige sind heutzutage nicht einmal ein halbes Briefporto für einen
gewöhnlichen Brief. Daß, wenn der Bekl. obsiegt hätte, der Bekl. nicht nur
die 41 Pfennige, sondern auch gegnerische Rechtsanwaltskosten und
Gerichtskosten in Höhe von insgesamt ca. 100 DM zu zahlen gehabt hätte,
sei nur nebenbei bemerkt.
Das Gericht ist der Meinung, daß durch solch eine Entscheidung auch nicht
die Bewährung des Rechts verloren geht, auch wenn hier Stimmen aus der
Literatur anderer Meinung sind. Bei Forderungsprozessen im Zivilrecht
zeigt sich die Bewährung des Rechts in der rechtlichen Behandlung von
wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Prozeßparteien. Bei 41 Pfennigen
geht es dem Kl. aber ersichtlich nicht mehr um wirtschaftliche Interessen,
sondern um das Prinzip des Rechthabens. Dies allein ist jedoch nicht
schutzwürdig. Daß der Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit, der der
materiellen Gerechtigkeit unter Umständen weichen muß, in der ZPO
vorhanden ist, zeigt sich auch zum Beispiel bei der Prozeßbehandlung nach
beiderseitig erklärter Erledigung der Hauptsache. Hier darf das Gericht
keine Beweisaufnahmen mehr durchführen, um zu klären, wer eigentlich recht
hatte, sondern muß seiner Kostenentscheidung unter Umständen unsichere
Prognosen über die Erfolgsaussicht zugrundelegen und zwar aus
wirtschaftlichen Gründen. Hier kann eine Partei unter Umständen mit Kosten
belastet werden, die sie nicht zu tragen gehabt hätte, wenn eine volle
Klärung erfolgt wäre. Die ZPO sieht weiter vor, daß die Schadenshöhe vom
Richter zu schätzen ist, wenn es zu unwirtschaftlich wäre, die genaue Höhe
eines Schadens zu ermitteln.
Es soll noch bemerkt werden, daß das Gericht die Frage des
Rechtsschutzbedürfnisses möglicherweise anders ansehen würde, wenn ein
Schuldner nun grundsätzlich an jeder ihn betreffenden Rechnung einen
Betrag von 41 Pfennigen abziehen würde. Daß es beim Bekl. so war, wurde
vom Kl. nicht vorgetragen.