Schlechterfüllung und Unmöglichkeit beim Dienstvertrag, Abgrenzung zum Werkvertrag

BGH, Urteil v. 22.05.1990  - IX ZR 208/89 (Düsseldorf)


Fundstellen:

NJW 1990, 2549
LM § 611 BGB Nr. 91
BB 1990, 1793
WM 1990, 1552
VersR1991, 103



Amtl. Leitsatz:

Zur Unmöglichkeit bei Dienstverträgen.



Zum Sachverhalt:

Die Kl. betreibt ein Detektivunternehmen. Der Bekl. ist Wirtschaftsberater. Bei der von ihm betreuten Firma W waren wiederholt Verluste im Lagerbereich aufgetreten. Um zu erfahren, ob diese auf kriminellen Handlungen von Mitarbeitern beruhten, kam der Bekl. mit der Kl. überein, diese solle für die Zeit vom 21. 9. bis 3. 10. 1987 einen Mitarbeiter als angeblichen neuen Arbeitnehmer bei der Firma einschleusen. In dem am 18. 9. 1987 unterzeichneten Vertragsformular ist als Entgelt ein Pauschalbetrag von 10000 DM nebst Mehrwertsteuer vereinbart. Der von der Kl. eingesetzte Mitarbeiter S trat seinen Dienst, wie abgesprochen, im Hauptlager der Firma an. Der Bekl. behauptet, die Kl. sei bei Vertragsschluß darauf hingewiesen worden, daß ihr Mitarbeiter sich unter keinen Umständen als kurzfristige Aushilfe zu erkennen geben dürfe, weil man ihn dann nur zum "Hofkehren" einsetzen werde. Trotzdem habe er dem Lagermeister am zweiten Tag nach Dienstantritt erklärt, er werde nur  14 Tage bleiben. Daraufhin sei er - das ist unstreitig - während mehr als der Hälfte der vorgesehenen Zeit nicht mehr im Hauptlager, sondern in dem nur mit einem Mann besetzten Außenlager an der I-Straße eingesetzt worden. Der Bekl. hält die von der Kl. geleisteten Dienste für völlig nutz- und wertlos. Er weigert sich, die mit der Klage verlangte Vergütung zu zahlen.
Die Vorinstanzen haben der Klage in der Hauptsache stattgegeben. Die zugelassene Revision des Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. führt aus, die von der Kl. geschuldeten Dienstleistungen hätten im wesentlichen darin bestehen sollen, daß sie einen ihrer Mitarbeiter bei der Firma einschleuste, um zu beobachten, ob Angestellte etwa Teile der Lagerbestände entwendeten. Der Zahlungsanspruch der Kl. sei fällig i. S. des § 614 BGB. Die Einwendung des Bekl., die Dienstleistung sei mangelhaft erbracht worden und daher nutzlos, sei nicht erheblich.
Eine Minderung des Vergütungsanspruchs aus Gewährleistungsgesichtspunkten komme nicht in Betracht, weil das Recht des Dienstvertrages keine Regelung über die Gewährleistung enthalte. Deshalb seien die allgemeinen Vorschriften über Leistungsstörungen anzuwenden. Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gem. § 320 BGB stehe dem Zahlungsanspruch nicht entgegen. Da der Dienstverpflichtete nicht einen bestimmten Erfolg, sondern eine sorgfältige Tätigkeit schulde, würde ihm ein überverschuldensmäßiges Risiko aufgebürdet, wie es nur die Gewährleistungshaftung kenne, wenn ihm bei Erbringung einer qualitativ mangelhaften Leistung nach § 320 BGB der Lohn entzogen würde. Auch soweit der Bekl. geltend mache, die Kl. sei von der ihr erteilten Weisung abgewichen, daß sich ihr Mitarbeiter nicht als Aushilfe zu erkennen geben dürfe, sei die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nicht gerechtfertigt. Dies folge jedenfalls daraus, daß der Bekl. nach seinen eigenen Angaben bereits am zweiten Tag der Ermittlungen die Erklärung des Mitarbeiters S gegenüber dem Lagermeister erfahren und diesen Sachverhalt mit der Kl. besprochen habe. Wenn er dann in Kenntnis der Weisungsabweichung die weitere Auftragsdurchführung zugelassen habe, habe die Kl. dieses Verhalten dahin verstehen dürfen, daß der Bekl. ihr später nicht entgegengehalten werde, sie habe wegen Abweichung von einer Anweisung des Bekl. überhaupt keine zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten geeignete Leistung erbracht.
Das Zahlungsverlangen der Kl. sei ferner nicht als unzulässige Rechtsausübung zu werten. Sie brauche den geforderten Betrag auch nicht nach § 812 BGB zurückzuerstatten und habe dem Bekl. nicht einen ihm durch die Erfüllung des Zahlungsanspruchs entstehenden Schaden zu ersetzen. Eine Haftung für die unzureichende Qualität von Dienstleistungen sei allein nach den Grundsätzen über die Haftung für positive Vertragsverletzungen zu beurteilen. Der Bekl. habe jedoch nicht dargetan, daß ihm durch die behauptete Schlechtleistung ein Schaden entstanden sei oder entstehen könne. Insbesondere stelle die Zahlung der vereinbarten Vergütung für eine nicht sachgerecht ausgeführte Dienstleistung einen ersatzpflichtigen Schaden nicht dar. Auch bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der Dienstverpflichtung bestehe ein Anspruch gegen den Dienstberechtigten auf Zahlung der vereinbarten Vergütung. Daraus, daß das Dienstleistungsrecht für den Fall der Schlechtleistung eine Herabsetzung der vereinbarten Vergütung nicht vorsehe, sei die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, daß der Dienstherr das Risiko der Einstellung eines den Ansprüchen nicht genügenden Dienstverpflichteten trage. Eine Honorarkürzung ergebe sich schließlich nicht aus dem Fehlen zugesagter Psychogramme der einzelnen Lagerarbeiter. Der Bekl. habe nicht in substantiierter Weise dargetan, daß es sich insoweit um eine - nach Werkvertragsrecht zu beurteilende - selbständige Vertragsleistung gehandelt habe, für deren Erbringung ein gesondert feststellbarer Teil der Gesamtvergütung zu zahlen sei.
II. 1. Zutreffend hat das BerGer. den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag als Dienstvertrag gewertet. Dies entspricht der rechtlichen Einordnung eines Detektivvertrages in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BGH, LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 84 = WM 1978, 723 (725); Erman-Hanau, BGB, 8. Aufl., § 611 Rdnr. 40; Lieb, Dienstvertrag, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. III, 1983, S. 183, 194). Auch die Revision erhebt insoweit keine Bedenken. Daß das Ergebnis der detektivischen Tätigkeit in einem Bericht zusammengefaßt werden sollte und nach der Behauptung des Bekl. Psychogramme über die einzelnen Mitarbeiter der Firma zu erstellen waren, vermag die Einordnung des Vertrages als Dienstvertrag nicht in Zweifel zu ziehen. Auch wenn diese Leistungen werkvertragliche Elemente enthalten, treten sie hinter dem dienstvertraglichen Charakter des Gesamtvertrages zurück (vgl. Staudinger-Löwisch, BGB, 12. Aufl., § 305 Rdnr. 79; Staudinger-Richardi, Vorb. §§ 611 ff. Rdnr. 85).
2. Die Erwägungen, mit denen das BerGer. das der Klage stattgebende Urteil des LG bestätigt hat, tragen das von ihm gefundene Ergebnis auch dann nicht, wenn man die umstrittene Frage, ob im Fall der Schlechtleistung ein Dienstverpflichteter die Dienstvergütung verwirken oder ein Dienstberechtigter diese herabsetzen kann, mit dem BerGer. verneint. Die Revision rügt mit Recht, das BerGer. habe sich nicht mit der Frage der Unmöglichkeit befaßt.
a) Nach dem bisherigen Vortrag muß der Senat davon ausgehen, daß zwischen den Parteien abgesprochen war, der bei der Firma einzusetzende Mitarbeiter der Kl. solle die nach dem Vertrag geschuldete detektivische Tätigkeit im Hauptlager am K.-Tor entfalten. Hier lag das Schwergewicht der Aktivitäten der Firma. In dem Lager waren sieben Personen beschäftigt. Hier befand sich die gesamte Warenpalette der Firma einschließlich aller kleinen Geräte und hochwertigen kleinen Ersatzteile, die durch ungetreue Mitarbeiter leicht beiseite geschafft werden konnten. Demgegenüber kam einer Aufklärungsarbeit in dem nur mit einem Mann besetzten Außenlager an der I-Straße, das nur mit großvolumigen und schweren Artikeln bestückt war, allenfalls eine ganz untergeordnete Bedeutung zu. Der Ort, an dem die Dienste der Kl. vereinbarungsgemäß zu erbringen waren, hatte mithin eine für den Inhalt des Dienstvertrags wesentliche Bedeutung. Nach dem in der Revisionsinstanz als richtig zu unterstellenden Vorbringen des Bekl. ist der Mitarbeiter S der Kl. deshalb überwiegend nicht in dem Hauptlager, sondern in dem Außenlager beschäftigt worden, weil er dem über die Funktion von S nicht unterrichteten Lagermeister am zweiten Tag seines Einsatzes erklärte, er werde nur 14 Tage bei der Firma tätig sein. Danach ist der Kl. die von ihr geschuldete Aufklärungsarbeit in dem Hauptlager für die Zeit, in der ihr Mitarbeiter S in dem Außenlager eingesetzt war, unmöglich geworden.
b) Die durch den Einsatz ihres Mitarbeiters in dem Außenlager herbeigeführte Unmöglichkeit der Leistung der versprochenen Dienste hat die Kl. nach dem Vortrag des Bekl. zu vertreten. Dieser behauptet, bei Vertragsschluß ausdrücklich darauf hingewiesen zu haben, der Mitarbeiter der Kl. dürfe sich unter keinen Umständen als nur für 14 Tage eingestellte Aushilfe zu erkennen geben, weil man ihn dann nur zum "Hofkehren" einsetzen werde. Daraus konnte die Kl. entnehmen, daß die Gefahr eines anderweitigen Einsatzes ihres Mitarbeiters bestand, der die Leistung der versprochenen Dienste ausschloß. Dem mußte sie durch eine entsprechende Unterrichtung ihres Mitarbeiters vorbeugen. Dessen Verschulden ist ihr nach § 278 BGB anzulasten.
c) Daß der Bekl. sich mit einem Einsatz des Mitarbeiters der Kl. in dem Außenlager einverstanden erklärt hätte, ist dem Sachvortrag der Parteien nicht zu entnehmen. Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß der Bekl. unter Beweisantritt vorgetragen hat, nachdem er von dem Hinweis des Mitarbeiters S auf die kurze Dauer seiner Beschäftigungszeit und der daraufhin erfolgten Versetzung in das Außenlager erfahren habe, habe er Herrn T von der Kl. angerufen und ihm vorgeschlagen, den Auftrag sofort abzubrechen. T habe ihn beschwichtigt und versprochen, S bekomme eine völlig neue Legende und werde sich das Vertrauen seiner Kollegen schnellstmöglich zurückgewinnen. Davon habe er - Bekl. - jedoch nichts gemerkt. Nach circa einer Woche habe er selbst dafür Sorge tragen müssen, daß S zumindest zeitweise wieder im Hauptlager tätig geworden sei. Danach verstößt der Bekl. auch nicht unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens gegen Treu und Glauben, wenn er sich wegen des Einsatzes von S in dem Außenlager auf Unmöglichkeit beruft.
d) Im Fall der Unmöglichkeit kann der Bekl. Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder die für den Fall des § 323 BGB bestimmten Rechte geltend machen (§ 325 I BGB). Ein Rücktritt kommt bei Dienstverhältnissen nicht in Betracht; er ist durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung ersetzt (vgl. Palandt-Putzo, BGB, 49.Aufl., § 611 Anm. 1d; Staudinger-Richardi, § 611 Rdnr. 455; auch Staudinger-Otto, § 326 Rdnr. 24 f.). Davon hat der Bekl. keinen Gebrauch gemacht.
Nach dem bisherigen Sachstand ist davon auszugehen, daß der Kl. die von ihr geschuldete Leistung durch den Einsatz ihres Mitarbeiters S außerhalb des Hauptlagers teilweise unmöglich geworden ist. Auch wenn in Fällen der vorliegenden Art eine Frist von mindestens zwei Wochen erforderlich ist, um sinnvolle Observierungsarbeit zu leisten, kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, ein kürzerer Zeitraum sei zur Erlangung von mit dem Vertrag erstrebten Ergebnissen von vornherein völlig ungeeignet gewesen. Vielmehr war es nicht auszuschließen, daß der Mitarbeiter der Kl. in den Tagen seiner Anwesenheit im Hauptlager Beobachtungen machte, die für die Firma von Bedeutung sein konnten. Freilich ist der Bekl. gem. § 325 I 2 BGB berechtigt, Schadensersatz wegen Nichterfüllung der ganzen Verbindlichkeit nach Maßgabe des§ 280 II BGB zu verlangen, wenn die Teilerfüllung des Vertrages für ihn kein Interesse hat. Das träfe dann zu, wenn die Erbringung der möglichen Teilleistung gegen eine entsprechende Teilgegenleistung für den Bekl. ohne Interesse und es günstiger für ihn wäre, insgesamt neu abzuschließen (vgl. Erman-Battes, § 325 Rdnr. 32; Emmerich, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 325 Rdnr. 71; Palandt-Heinrichs, § 325 Anm. 6; Staudinger-Otto, § 325 Rdnr. 77; auch BGH, WM 1981, 792 (795)). Dazu fehlt es an Feststellungen des BerGer. In diesem Zusammenhang kann von Bedeutung sein, daß die Kl. Psychogramme über das Personal des Hauptlagers nicht erstellt und nach der Behauptung des Bekl. die für einen Zeitpunkt im unmittelbaren Anschluß an die Tätigkeit  ihres Mitarbeiters im Betrieb der Firma zugesagte Schlußbesprechung derart verzögert hat, daß sie ohne Erkenntnisgewinn blieb.
Der Schaden des Bekl. bestünde bei gänzlichem Interessewegfall darin, daß er mit der vereinbarten Vergütung belastet ist. Er brauchte diese Vergütung dann grundsätzlich nicht zu leisten. Freilich hat er nach § 280 II i. V. mit § 346 S. 2 BGB für die in dem Hauptlager geleisteten Dienste das vereinbarte (anteilige) Entgelt zu entrichten. Dieses ist in Anwendung von § 287 ZPO zu ermitteln. Dabei wird eine Aufteilung der vereinbarten Pauschalvergütung im Verhältnis der Zeitdauer, während der der Mitarbeiter der Kl. in dem Hauptlager und an anderer Stelle eingesetzt war, nicht ohne weiteres genügen. Vielmehr ist gegebenenfalls der anteilige Wert von Mitarbeiterpsychogrammen und einer zeitnahen Schlußbesprechung zu gewichten und zu Lasten der Kl. mit in Ansatz zu bringen. An die Darlegungs- und Beweislast des Bekl. sind insoweit keine hohen Anforderungen zu stellen. Ihm werden die dem Pauschalpreis zugrundeliegenden Berechnungsfaktoren nicht bekannt sein. Das Gericht hat nötigenfalls zu schätzen und nach freiem Ermessen zu entscheiden (vgl. BGH, NJW 1964, 589 = LM § 287 ZPO Nr. 33).
Möglicherweise kann die Frage des gänzlichen Interessewegfalls auch auf sich beruhen. Dies träfe dann zu, wenn - wofür einiges spricht - die Berechnung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen teilweiser Nichterfüllung (vgl. BGH, NJW-RR 1988, 420 = LM § 611 BGB Nr. 87 = ZIP 1988, 568 (569 f.)) im Streitfall zu demselben Ergebnis führte wie die Berechnung eines Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung der ganzen Verbindlichkeit.
III. Die Zurückverweisung gibt dem BerGer. Gelegenheit, das Parteivorbringen unter Berücksichtigung der aufgezeigten rechtlichen Gesichtspunkte umfassend neu zu würdigen und die erforderlichen Beweise zu erheben.



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