Bedeutung eines "Schuldanerkenntnisses" nach Verkehrsunfall: (Abstraktes oder kausales) Schuldanerkenntnis oder lediglich Absichtserklärung zur Beweiserleichterung?
BGH, Urteil v. 26.05.1992  - VI ZR 253/91 (Karlsruhe) 
Fundstelle:

NJW 1992, 2228
LM § 781 BGB Nr. 22
MDR 1993, 125
DB 1992, 2441
VersR1992, 1091


Amtl. Leitsatz:

Akzeptiert nach einem Verkehrsunfall der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners in einer Abfindungserklärung des Geschädigten einen auf den materiellen Zukunftsschaden gerichteten Vorbehalt, so liegt darin allein auch dann keine "konstitutive" Befreiung von der Verjährungseinrede, wenn damit zu rechnen ist, daß weitere Unfallfolgen erst nach mehr als drei Jahren auftreten könnten.



Zum Sachverhalt:

Der Kl. verlangt nach einem Verkehrsunfall vom 6. 8. 1973 von der Bekl. als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners B Ersatz seines Schadens. Die volle Haftung der Bekl. für die Unfallfolgen ist außer Streit. Sie hat bis zum Jahre 1975 mehrere Zahlungen geleistet. Am 13. 10. 1975 erteilte der Kl. der Bekl. eine schriftliche Abfindungserklärung, mit der er sich "wegen aller bisherigen und künftigen Ansprüche aus dem Schadenereignis vom 6. 8. 1973 gegen B und gegen sonstige Personen nach Zahlung von restlich 12000 DM für endgültig abgefunden" erklärte. In der Urkunde heißt es sodann: "Vorbehalten bleibt der materielle Zukunftsanspruch ab 13. 10. 1975." Im Jahre 1984 begab sich der Kl. in die Behandlung eines Orthopäden, der an der linken Beckenhälfte einen ausgeprägten Verschleiß des Hüftgelenks mit "Verformung des Kopfes, Geröllzystenbildung und Osteophytenbildungen" feststellte. Der Arzt führte diese Schäden auf den Unfall im Jahre 1973 zurück und empfahl dem bislang als Schreiner und Möbelpacker tätigen Kl., einen anderen Beruf zu ergreifen. Mit Schreiben seiner Rechtsanwälte vom 11. 6. 1987 bat der Kl. die Bekl. um die Zusage, "eventuell zukünftig entstehende materielle Ansprüche zu begleichen", was die Bekl. unter Hinweis auf die Abfindungserklärung und wegen Verjährung ablehnte.
Mit der am 13. 9. 1990 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kl. die Feststellung, daß die Bekl. verpflichtet sei, ihm den zukünftigen materiellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 6. 8. 1973 zu ersetzen.
Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Die - zugelassene - Revision des Kl. blieb erfolglos.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hält, ebenso wie schon das LG, die geltend gemachten Schadensersatzansprüche für verjährt.
Für den Kl. sei nach seinem eigenen Vorbringen die nunmehr eingetretene Arthrose im linken Hüftgelenk aufgrund ärztlicher Zeugnisse bereits ab November 1973 vorhersehbar gewesen. Zwar möge die Bekl. dadurch, daß sie sich auf den Vorbehalt in der Abfindungserklärung eingelassen habe, ihre davon umgrenzte Schadensersatzpflicht i. S. des § 208 BGB anerkannt haben. Sie habe hierdurch jedoch weder den Anspruch des Kl. auf Ersatz von Zukunftsschäden von der Verjährungseinrede aus § 852 I BGB gänzlich befreit, noch sei sie durch schuldbegründendes Anerkenntnis eine selbständige rechtliche Verpflichtung eingegangen. In Anbetracht der Möglichkeit, daß beim Kl. weitere Unfallfolgen erst nach Ablauf von drei Jahren eintreten könnten, sei allerdings der in der Abfindungserklärung niedergelegte Vorbehalt nur sinnvoll gewesen, wenn er von einem Verzicht der Bekl. auf die Einrede der Verjährung begleitet wurde. Der deshalb möglicherweise anzunehmende Einredeverzicht der Bekl. habe jedoch nur so lange andauern können, wie eine Ungewißheit des Kl. über den Eintritt von Zukunftsschäden bestanden habe. Diese Ungewißheit sei durch die ärztliche Untersuchung des Kl. im Jahre 1984 beseitigt worden. Eine zu dieser Zeit neu anlaufende Verjährungsfrist von drei Jahren sei aber schon vor der Klageerhebung im September 1990 wieder abgelaufen gewesen. Aus der Vereinbarung des Vorbehalts könne nach § 157 BGB nicht herausgelesen werden, daß der Einredeverzicht der Bekl. noch über diese drei Jahre hinaus so lange habe andauern sollen, bis Spätfolge-Schäden des Kl. bezifferbar sein würden.
II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.
1. Mit Recht geht das BerGer. davon aus, daß der Klageanspruch verjährt ist, wenn die Bekl. dadurch, daß sie sich auf den Vorbehalt in der Abfindungserklärung vom 13. 10. 1975 einließ, dem Kl. (lediglich) ein deklaratorisches Anerkenntnis erteilt hat. Denn eine solche schuldbestätigende Erklärung veränderte nicht die Länge der in § 852 I BGB und § 14 StVG festgelegten und gem. § 3 Nr. 3 PflVG auch im Verhältnis des Kl. zur Bekl. geltenden Verjährungsfrist von drei Jahren, sondern führt gem. § 208 BGB nur zu einer Unterbrechung der Verjährung mit der Folge ihres Neubeginns nach § 217 BGB (vgl. Senat, VersR 1965, 155 (156); 1965, 1153  (1154); NJW 1985, 791 = LM § 249 (Bb) BGB Nr. 40 = VersR 1985, 62 (63)). Lief aber ab dem 13. 10. 1975 lediglich eine neue dreijährige Verjährungsfrist, so kann sich die Bekl. gegenüber der erst am 13. 9. 1990 bei Gericht eingegangenen Klage selbst dann auf den Eintritt der Verjährung berufen, wenn in dem Verhalten der Bekl., wie das BerGer. unterstellt, ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung für denjenigen  Zeitraum gelegen hat, in dem der Kl. über den Eintritt von Spätfolgen des Unfalls noch im Ungewissen war. Denn diese Ungewißheit bestand seit dem Jahre 1984 und damit bei Eingang der Klageschrift bereits seit rund sechs Jahren nicht mehr. Dies alles wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt.
2. Das Rechtsmittel des Kl. könnte deshalb nur dann Erfolg haben, wenn in der Aufnahme des Vorbehalts in die Abfindungserklärung vom 13. 10. 1975 und deren Entgegennahme durch die Bekl. ein zu einer Verjährungsfrist von 30 Jahren führendes selbständiges (konstitutives) Anerkenntnis der Bekl. i. S. von § 781 BGB gelegen hätte oder wenn durch Vereinbarung der Parteien der Anspruch des Kl. auf Ersatz seines Zukunftsschadens wie bei einem Feststellungsurteil gem. § 218 I BGB von der Verjährungseinrede der Bekl. aus § 852 I BGB befreit worden wäre. Beides hat das BerGer. ohne Rechtsfehler verneint. Die dazu in tatrichterlicher Würdigung vorgenommene Auslegung der Vereinbarung vom 13. 10. 1975, die vom RevGer. nur beschränkt nachgeprüft werden kann (vgl. Senat, VersR 1965, 1153 (1154); 1974, 571  (572); BGH, VersR 1984, 441 (442)), verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze und läßt auch keinen erheblichen Parteivortrag außer Betracht.
a) Der von der Bekl. akzeptierte Vorbehalt in der Abfindungserklärung spricht bei revisionsrechtlicher Überprüfung weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem vom BerGer. dargelegten Zweck, den materiellen Zukunftsschaden aus dem Verzicht des Kl. auf die den Abfindungsbetrag übersteigenden Ansprüche auszugrenzen, dafür, daß die Parteien für diesen Zukunftsschaden eine von dem zugrundeliegenden Haftungstatbestand losgelöste selbständige Rechtsgrundlage schaffen wollten. Auch die Revision vermag keine Umstände aufzuzeigen, die das BerGer. hätten veranlassen müssen, die Erklärung der Bekl. als derart schuldbegründendes Anerkenntnis zu beurteilen.
b) Keinen Erfolg kann die Revision auch mit ihrer Rüge haben, die Bekl. habe mit der Entgegennahme der Abfindungserklärung den Kl. wie bei einem Feststellungsurteil von der Verjährungseinrede "konstitutiv" befreit (zu dieser rechtlichen Möglichkeit s. Senat, VersR 1986, 694 (685) = NJW 1985, 791 = LM § 249 (Bb) BGB Nr. 40). Im Unterschied zu den diesen Urteilen zugrundeliegenden Fallgestaltungen bestand nämlich hier nach dem vom BerGer. festgestellten Sachverhalt für die Bekl. weder besonderer Anlaß zu der Annahme, ohne Abgabe einer die Verjährung langfristig hinausschiebenden Erklärung vom Kl. mit einer auf den Zukunftsschaden gerichteten Feststellungsklage überzogen zu werden, noch hat die Bekl. ein auf den Zukunftsschaden gerichtetes Anerkenntnis mit dem Ziel abgegeben, den Kl. insoweit klaglos zu stellen. Freilich war, wie auch das BerGer. nicht verkennt, der Vorbehalt des Kl. in der Abfindungserklärung und seine als Anerkenntnis i. S. von § 208 BGB anzusehende Entgegennahme durch die Bekl. ohne einen Verzicht der Bekl. auf die Einrede der Verjährung jedenfalls dann nicht sinnvoll, wenn die Parteien, wie das BerGer. unterstellt, am 13. 10. 1975 davon ausgingen, daß ein Folgeschaden möglicherweise erst nach Ablauf von drei Jahren eintreten würde. Die sich daraus für solche Zukunftsschäden ergebende Interessenlage des Kl. reicht aber für sich allein nicht aus, um den Kl. allein schon aufgrund der Entgegennahme des Vorbehalts durch die Bekl. so zu stellen, als ob er eine gerichtliche Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. erwirkt hätte. Wie das BerGer. rechtsfehlerfrei  darlegt, hätte der bereits bei der Abfindungsvereinbarung anwaltlich vertretene Kl., wenn er einen langfristigen Ausschluß der Verjährung erreichen wollte, entweder eine Feststellungsklage erheben oder vor dem Hintergrund eine solchen Klage und zu deren Vermeidung die Bekl. zur Abgabe einer eindeutigen Anerkenntniserklärung veranlassen müssen oder er hätte, als für ihn bis Oktober 1978 noch keine Spätfolgen erkennbar waren, die Bekl. zu einem noch über den Zeitpunkt der Erkennbarkeit von Spätfolgen im Jahre 1984 hinaus bis zur Klagerhebung wirkenden Verzicht auf die Einrede der Verjährung veranlassen müssen. Das erstere hat der Kl. nicht getan und die Verwirklichung einer der beiden anderen Möglichkeiten kann nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des BerGer. den Erklärungen der Parteien vom 13. 10. 1975 und ihrem nachfolgenden Verhalten nicht entnommen werden.