Negative Feststellungsklage: Beweislast
BGH, Urteil v. 02.03.1993 - VI ZR 74/92
(Frankfurt)
Fundstelle:
NJW 1993, 1716
Amtl. Leitsatz:
1. Eine negative Feststellungsklage darf nur
abgewiesen werden, wenn der Anspruch, dessen sich der Feststellungsbeklagte
berühmt, feststeht. Bleibt unklar, ob die streitige Forderung besteht,
dann muß der auf Negation gerichteten Feststellungsklage ebenso stattgegeben
werden wie wenn feststeht, daß der streitige Anspruch nicht besteht.
2. Dem Anspruchsteller in der Rolle des Feststellungsbeklagten
obliegt der Beweis derjenigen Tatsachen, aus denen er seinen Anspruch herleitet,
denn auch bei der leugnenden Feststellungsklage ist Streitgegenstand der
materielle Anspruch.
Zum Sachverhalt:
Die Parteien machen mit Klage und Widerklage wechselseitig
Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Am 26. 2. 1987 kam der
Lkw-Zug der Kl. gegen 5.15 Uhr auf der vierspurigen Autobahn zwischen F.
und D. infolge eines Verschuldens des Fahrers, des Widerbekl. zu 2, ins
Schleudern und stürzte um. Das Fahrzeug und der Anhänger blockierten
alle vier Fahrstreifen. In dieses Hindernis hinein fuhren nacheinander
zwei Personenkraftwagen und der Bekl. zu 2 mit dem auf die Bekl. zu 1 zugelassenen
und bei der Bekl. zu 3 haftpflicht- und kaskoversicherten Lastzug, der
die beiden Personenkraftwagen gegen den umgestürzten Lkw-Zug schob
und zusammenquetschte. Beide Pkw-Fahrer kamen bei dem Unfall ums Leben.
Zwischen den Parteien herrscht Streit, ob das Auffahren des Lkws der Erstbekl.
für deren Tod ursächlich war. Mit der Klage verlangt die Kl.
von den Bekl. Ersatz von einem Drittel des an ihrem Fahrzeug entstandenen
Schadens; die Bekl. zu 3 fordert im Wege der Widerklage von der Kl. die
Erstattung derjenigen Aufwendungen, die sie als Kaskoversicherer an die
Bekl. zu 1 für die Beschädigung deren Lastzuges erbracht hat.
Darüber hinaus begehren sämtliche Bekl. mit der Widerklage die
Feststellung, daß ihnen gegenüber keine Ausgleichsansprüche
von seiten der Kl. und des Widerbekl. zu 2 wegen der Inanspruchnahme durch
die Sozialversicherer der getöteten Pkw-Fahrer bestehen.
Das LG hat die Klage abgewiesen, der Widerklage
der Bekl. zu 3 stattgegeben und die begehrte Feststellung ausgesprochen.
Auf die Berufung der Kl. und des Widerbekl. zu 2 hat das OLG die Klage
dem Grunde nach zu 1/4 für gerechtfertigt erklärt; der Bekl.
zu 3 hat es auf die Widerklage 3/4 des Regulierungsschadens, nämlich
28335,53 DM zugesprochen. Im übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen.
Die Revision, mit der die Bekl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen
Urteils erstreben, hat der Senat nur insoweit angenommen, als die Feststellungswiderklage
abgewiesen worden ist. Das Rechtsmittel führte im Umfang der Annahme
zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. Nach der rechtlich nicht zu beanstandenden Auffassung
des BerGer. haben die Bekl. für den vom Bekl. zu 2 schuldhaft mitverursachten
Unfallschaden einzustehen. Das BerGer. hat ferner rechtsfehlerfrei angenommen,
daß sich die Kl. ein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens
zurechnen lassen muß; es hat den Verursachungsbeitrag mit 3/4 bewertet.
Dem hat der Senat durch die teilweise Nichtannahme der Revision Rechnung
getragen. Es geht daher jetzt nur noch darum, ob das BerGer. die negative
Feststellungswiderklage der Bekl. zu Recht abgewiesen hat oder nicht.
Nach Auffassung des BerGer. spricht sehr viel
dafür, daß das verkehrswidrige Verhalten des Zweitbekl., das
in dem Verstoß gegen die Grundregel "Fahren auf Sicht" bestehe, für
die Tötung jedenfalls eines der beiden Pkw-Fahrer ursächlich
geworden ist. Dies ergebe sich aus den Lichtbildern sowie dem vom Zweitbekl.
im Strafverfahren geschilderten Unfallablauf. Sei der Zweitbekl. aber für
den Tod wenigstens eines der Pkw-Fahrer wahrscheinlich ursächlich
geworden, was nach Meinung des BerGer. nicht abschließend geklärt
zu werden brauche, dann bestünden auch keine Ausgleichsansprüche
gegen die Bekl. Das schließe die begehrte negative Feststellung aus.
II. Die hiergegen gerichtete Revision der Bekl.
ist, soweit der Senat sie angenommen hat, begründet.
1. Zutreffend hat das BerGer. die Berufung des
Widerbekl. zu 2 als zulässig behandelt. Der Senat geht mit dem BerGer.
davon aus, daß der Widerbekl. zu 2 gegen die ihn beschwerende Entscheidung
des LG Berufung eingelegt hat und dies auch tun wollte, denn er ist im
Rubrum der Rechtsmittelschrift als Berufungskl. aufgeführt; auch ist
für ihn in der Berufungsverhandlung ein Prozeßbevollmächtigter
aufgetreten.
Allerdings enthält der in der Rechtsmittelschrift
aufgeführte Antrag nur das Begehren, die Widerklage abzuweisen, soweit
sie "die Kl. zu 1" betrifft. Das BerGer. hat diesen Antrag jedoch ersichtlich
als versehentlich unvollkommen angesehen, denn es hat in der Berufungsverhandlung
einen Teil dieser Unvollkommenheit aufgegriffen und den Antrag hinsichtlich
der Zahlungswiderklage ergänzen lassen. Eine weitere Ergänzung
dahin, daß die Abweisung der Feststellungswiderklage auch in bezug
auf den Widerbekl. zu 2 begehrt werde, hat das BerGer. offensichtlich nicht
für notwendig gehalten, denn es hat ausweislich des Tatbestandes des
Berufungsurteils den Antrag so aufgefaßt, daß er sich auch
insoweit auf den Widerbekl. zu 2 miterstrecke, und hat in diesem Umfang
über den Antrag auch entschieden. Dagegen sind verfahrensrechtlich
keine Einwendungen zu erheben. Die Berufungsbegründung deckte den
Antrag auch in diesem Umfang mit ab.
2. Zu Recht hat das BerGer. auch die Feststellungswiderklage
abgewiesen, soweit sie sich gegen den Widerbekl. zu 2 richtete. Allerdings
hätte die Abweisung nicht, wie geschehen, aus sachlichen Gründen
erfolgen dürfen, sondern die Klage gegen ihn hätte als unzulässig
abgewiesen werden müssen. Ausweislich des Tatbestandes des Berufungsurteils
hatte nämlich lediglich die Kl. die Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen
wegen der Regreßansprüche der Sozialversicherungsträger
der getöteten Fahrer angekündigt. Der Widerbekl. zu 2 hatte sich
danach keiner derartigen Ansprüche berühmt. In bezug auf seine
Person fehlte es den Bekl. daher an einem Feststellungsinteresse mit der
Folge, daß die Feststellungswiderklage insoweit unzulässig war.
Mit dieser Begründung ist das Berufungsurteil insoweit aufrechtzuerhalten.
3. Hinsichtlich der Kl. und Widerbekl. zu 1
rügt die Revision zu Recht die Auffassung des BerGer., daß die
begehrte Feststellung bereits deshalb scheitern müsse, weil viel dafür
spreche, daß das Verhalten des Bekl. zu 2 für den Tod eines
der beiden Pkw-Fahrer ursächlich geworden sei und diese Wahrscheinlichkeit
die Feststellung des Nichtbestehens von Ausgleichsansprüchen ausschließe.
Eine negative Feststellungsklage darf nur dann
abgewiesen werden, wenn der Anspruch, dessen sich der Feststellungsbekl.
berühmt, feststeht. Bleibt hingegen unklar, ob die streitige Forderung
besteht, dann muß der auf Negation gerichteten Feststellungsklage
ebenso stattgegeben werden wie wenn feststeht, daß der streitige
Anspruch nicht besteht. Das folgt daraus, daß bei der negativen Feststellungsklage
der Bekl. die Beweislast für das Bestehen des von ihm behaupteten
Anspruchs trägt.
Auszugehen ist von dem allgemeinen Grundsatz,
daß jede Partei diejenigen Tatsachen beweisen muß, aus denen
sie ihren Anspruch herleitet. Den Anspruchsteller trifft daher die Beweislast
für alle rechtsbegründenden Tatsachen (BGHZ 113, 222 (225) =
NJW 1991, 1052 = LM HWiG Nr. 5). In welcher Parteirolle er sich dabei befindet,
ist gleichgültig. Bei einer Leistungsklage muß daher der Kläger
ebenso wie bei einer positiven Feststellungsklage die tatsächlichen
Voraussetzungen seines Anspruchs beweisen. Gelingt ihm dieser Beweis nicht,
muß die Klage abgewiesen werden. Grundsätzlich nichts anderes
gilt bei der negativen Feststellungsklage, mit der der Kläger einem
Anspruchsberühmen des Beklagten entgegentritt. Hier muß der
Feststellungskläger lediglich beweisen, daß sich der Beklagten
eines Anspruchs aufgrund eines bestimmten Lebenssachverhalts berühmt
(BAG, NJW 1985, 221). Dagegen obliegt dem Anspruchsteller in der Rolle
des Feststellungsbeklagten der Beweis derjenigen Tatsachen, aus denen er
seinen Anspruch herleitet, denn auch bei der leugnenden Feststellungsklage
ist - wenn auch mit umgekehrten Parteirollen - Streitgegenstand der materielle
Anspruch, um dessen Bestehen oder Nichtbestehen gestritten wird. Nach ständiger
Rechtsprechung ist deshalb die Umkehr der Parteirollen bei der negativen
Feststellungsklage auf die Darlegungs- und Beweislastverteilung ohne Einfluß
(Senat, NJW 1977, 1637 (1638) = LM § 280 ZPO Nr. 90; BGH, WM 1958,
1275 (1276); BGH, NJW 1983, 2032 (2033) = LM § 256 ZPO Nr. 123; BGH,
NJW 1986, 2508 (2509) = LM § 322 ZPO Nr. 111; BGH, NJW 1992, 1101
(1103) = LM H. 4/1992 § 1018 BGB Nr. 42).
Das BerGer. hätte daher im Streitfall
die auf Verneinung von Ausgleichsansprüchen gerichtete Feststellungsklage
nicht abweisen dürfen, solange es nicht die Ursächlichkeit des
Verhaltens des Zweitbekl. für den Tod eines der beiden Pkw-Fahrer
feststellen konnte. Die bloße Wahrscheinlichkeit rechtfertigt die
Klagabweisung nicht. Das BerGer. hätte daher die Frage der Ursächlichkeit
nicht offenlassen dürfen (vgl. ebenso Tiedtke, NJW 1983, 2011 (2013);
JZ 1986, 1031 (1033 f.); Arens, in: Festschr. f. Müller=Freienfels,
S. 13 (24)). Es hätte sich vielmehr - eventuell nach weiterer Sachaufklärung
im Rahmen der gestellten Beweisanträge - entscheiden müssen,
ob es die Ursächlichkeit und dementsprechend das Bestehen von Ausgleichsansprüchen
bejahen will. Kann es die volle Überzeugung von der Ursächlichkeit
nicht gewinnen, dann muß der Feststellungswiderklage stattgegeben
werden.
III. Das angefochtene Urteil muß daher,
soweit es die Feststellungswiderklage gegen die Kl. abweist, aufgehoben
und die Sache an das BerGer. zurückverwiesen werden, damit insoweit
über das Feststellungsbegehren - unter Umständen nach Beweisaufnahme
- neu entschieden werden kann.
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