Vertrag mit Schutzwirkung für
Dritte und Drittschadensliquidation
BGH, Urteil v. 15.12.1992 - VI ZR 115/92
(Koblenz)
Fundstellen:
NJW 1993, 655
LM § 823 (Ac) BGB Nr. 57
MDR 1993, 321
BB 1993, 464 (Ls.)
DB 1993, 1184
VersR1993, 239
Amtl. Leitsatz:
Der Inhaber einer Reparaturwerkstatt, der durch
falsche Einstellung der Handbremse eines Kraftfahrzeugs einen Verkehrsunfall
verursacht, haftet demjenigen, der im Zeitpunkt des Unfalls Eigentümer
des Fahrzeugs ist, wegen Verletzung einer deliktischen Verkehrssicherungspflicht
auf Ersatz des Sachschadens.
Zum Sachverhalt:
Der Kl. kaufte am 11. 11. 1989 bei der Firma Auto-L
(künftig: L) in W. unter Ausschluß jeglicher Gewährleistung
einen gebrauchten Pkw der Marke BMW Typ 318 i zum Preis von 16900 DM. Das
Fahrzeug sollte vereinbarungsgemäß am 15. 11. 1989 ausgeliefert
werden. Zuvor, am 13. 11. 1989, ließ die Firma L an dem Pkw durch
den Bekl. verschiedene Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten durchführen,
u. a. die Handbremse einstellen. Nach der Übernahme des Fahrzeugs
am 15. 11. 1989 fuhr der Kl. zu seiner Wohnung in S. Dort wurde festgestellt,
daß die hintere rechte Radfelge heißgelaufen war. Der Kl. entschloß
sich deshalb, noch am selben Tage zur Firma L nach W. zurückzufahren,
um den Mangel beheben zu lassen. Bei der Rückfahrt geriet er, in einer
Kolonne fahrend, auf die Gegenfahrbahn, wo er mit einem Kleinlastwagen
zusammenstieß. Der Kl. behauptet, der Unfall sei darauf zurückzuführen,
daß der Bekl. die Handbremse falsch eingestellt habe. Dies habe durch
andauernde Bremseinwirkung zu dem Heißlaufen des rechten Hinterrades
geführt, wodurch sich die Bremsflüssigkeit so stark erhitzt habe,
daß die (Fuß-) Bremsen im Unfallzeitpunkt versagt hätten.
Der Kl. verlangt vom Bekl. den Ersatz des an dem Pkw entstandenen Sachschadens,
den er einschließlich Wertminderung und Unkosten auf 13329,16 DM
beziffert.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung
der Sache an das BerGer.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. meint, vertragliche Ansprüche
stünden dem Kl. nicht zu, da nicht er, sondern die Firma L den Vertrag
vom 13. 11. 1989 mit dem Bekl. abgeschlossen habe und diesem Vertrag auch
weder eine Schutzwirkung zu Gunsten des Kl. zukomme, noch die Firma L dem
Kl. etwaige vertragliche Ansprüche gegen den Bekl. abgetreten habe.
Eine deliktische Haftung des Bekl. scheide ebenfalls aus, da er nicht als
Hersteller der Bremsanlage anzusehen sei und durch eine mangelhafte Reparatur
gegenüber dem Kl. auch kein Schutzgesetz verletzt habe.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen
der Revision nicht in jeder Hinsicht stand.
A. Das angefochtene Urteil unterliegt in vollem
Umfang der rechtlichen Nachprüfung durch den erkennenden Senat. Das
BerGer. hat in der Urteilsformel die Revision uneingeschränkt zugelassen.
Es hat zwar in den Entscheidungsgründen zur Begründung ausgeführt,
daß die Frage einer deliktischen Haftung bei entsprechender Fallgestaltung
noch nicht höchstrichterlich entschieden sei. Hierin liegt jedoch
keine wirksame Ausklammerung vertraglicher Ersatzansprüche. Denn die
Zulassung der Revision kann nicht auf einzelne von mehreren miteinander
konkurrierenden Anspruchsgrundlagen beschränkt werden (BGH, NJW 1984,
615 = LM § 546 ZPO (L) Nr. 114 = VersR 1984, 38; zur Zulassungsbeschränkung
allg. s. BGHZ 101, 276 (278 f.) = NJW 1987, 2586 = LM § 553 ZPO Nr.
9).
B. Mit der im Berufungsurteil niedergelegten Begründung
kann die Klage nicht abgewiesen werden.
1. Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß
das BerGer. dem Kl. vertragliche Schadensersatzansprüche versagt.
a) Im Ergebnis mit Recht und von der Revision
insoweit auch unangefochten nimmt das BerGer. an, daß der Kl. nicht
in den Schutzbereich des zwischen der Firma L und dem Bekl. am 13. 11.
1989 abgeschlossenen Werkvertrages über Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten
einbezogen war. Ob dies freilich, wie das BerGer. meint, schon daraus folgt,
daß dem Kl. aus dem Kaufvertrag vom 11. 11. 1989 grundsätzlich
eigene - hier jedoch vertraglich ausgeschlossene - Gewährleistungsansprüche
gegen die Firma L zugestanden haben, erscheint allerdings fraglich. Denn
anderweitige eigene Vertragsansprüche des Geschädigten lassen
sein Schutzbedürfnis gegenüber dem aus der Rechtsbeziehung zu
einem anderen kraft besonderer Umstände auch zu seinem (des Geschädigten)
Schutz verpflichteten Schädiger nur dann entfallen, wenn die eigenen
Vertragsansprüche des Geschädigten denselben oder jedenfalls
einen gleichwertigen Inhalt haben wie diejenigen, die er auf dem Weg über
eine Einbeziehung in den Schutzbereich des zwischen seinem Vertragspartner
und dem Schädiger abgeschlossenen Vertrages in Anspruch nimmt (vgl.
BGHZ 70, 327 (330) = NJW 1978, 883 = LM § 538 BGB Nr. 27; Senat, NJW-RR
1990, 726 = LM § 823 (Ac) BGB Nr. 50 = VersR 1990, 540 f.). So liegen
die Dinge hier in Bezug auf die Verträge vom 11. und 13. 11. 1989
jedoch nicht; denn Schadensersatzansprüche wegen nicht ordnungsgemäßer
Erfüllung haben bei einem Kaufvertrag (§ 463 BGB) andere Voraussetzungen
als bei einem Werkvertrag (§ 635 BGB). Dennoch erweist sich das Ergebnis
des BerGer. letztlich als richtig. Nach dem eigenen Vortrag des Kl. hat
ihm die Firma L bei Kaufabschluß am 11. 11. 1989 zugesagt, das Fahrzeug
vor der Übergabe noch einer sorgfältigen Durchsicht in einer
Fachwerkstatt unterziehen zu lassen und mit der Inspektion, insbesondere
auch dem Einstellen der Handbremse, dann am 13. 11. 1989 den Bekl. beauftragt.
Falls diese Umstände überhaupt ausreichen, um entgegen der Regel
(BGHZ 51, 91 (96) = NJW 1969, 269 = LM § 823 (J) BGB Nr. 2) den Kl.
in den Schutzbereich des von der Firma L mit dem Bekl. abgeschlossenen
Vertrages einbeziehen zu können, was das BerGer. offen läßt,
so bilden sie zugleich die Grundlage dafür, den Bekl. als Erfüllungsgehilfen
der Firma L im Rahmen der von ihr gegenüber dem Kl. übernommenen
Verpflichtung zur Überprüfung der Bremsen anzusehen. Dann aber
hätte die Firma L dem Kl. für ein Verschulden des Bekl. nach
§ 278 BGB in gleicher Weise einzustehen. Der Verzicht des Kl. auf
seine Rechte durch den mit der Firma L vereinbarten Gewährleistungsausschluß
würde dann seinem Schutzbedürfnis auch für den Vertrag dieses
Unternehmens mit dem Bekl. entgegenstehen.
b) Im Ergebnis mit Recht verneint das BerGer.
auch einen Ersatzanspruch des Kl. aus dem Gesichtspunkt der (im Berufungsurteil
als Drittschuldnerliquidation bezeichneten) Drittschadensliquidation. Selbst
wenn im Streitfall, was das BerGer. offen läßt, die für
eine Drittschadensliquidation erforderliche Schadensverlagerung zu bejahen
wäre (s. dazu BGHZ 51, 91 (93 ff.) = NJW 1969, 269 = LM § 823
(J) BGB Nr. 22), so geht doch die Rüge der Revision fehl, das BerGer.
habe den Kl. gem. §§ 139, 278 III ZPO auf die Möglichkeit
hinweisen müssen, sich die Gewährleistungsansprüche der
Firma L gegen den Bekl. abtreten zu lassen, um seine Klage dann auch auf
diese abgetretenen Ansprüche zu stützen. Eines solchen Hinweises
bedurfte es nämlich schon deshalb nicht, weil der Kl. im Berufungsrechtszug
selbst vorgetragen hatte, daß auch werkvertragliche Gewährleistungsansprüche
gegenüber dem Bekl. in Betracht kämen, und der Bekl. seinerseits
stets betont hatte, daß er aus dem mit der Firma L geschlossenen
Werkvertrag allein diesem Auftraggeber hafte. Damit lag das Erfordernis
einer Abtretung solcher Ansprüche, wenn der Kl. sie geltend machen
wollte, auf der Hand. Ein dies noch einmal herausstellender Hinweis des
BerGer. war umso weniger geboten, als der Bekl. sich angesichts seiner
bei Klageerhebung bereits mehr als sechs Monate zurückliegenden Arbeiten
darauf berufen hatte, daß etwaige Gewährleistungsansprüche
der Firma L ohnehin verjährt seien, und der Kl. dem nicht entgegengetreten
war. Fehlt es damit schon an dem von der Revision gerügten Verfahrensfehler
des BerGer., so kann offenbleiben, ob die darauf gestützte Rüge
auch deshalb erfolglos bleiben müßte, weil der Kl. eine Zession
der Ansprüche seitens der Forma L offensichtlich bis heute nicht bewirkt
hat.
2. Als nicht rechtsfehlerfrei erweisen sich jedoch
die Erwägungen, aus denen das BerGer. dem Kl. auch deliktische Schadensersatzansprüche
versagt.
a) Das BerGer. verneint eine Einstandspflicht
des Bekl. aus dem Gesichtspunkt der Produzentenhaftung, weil er nach der
Legaldefinition des § 4 ProdHaftG nicht als Hersteller der schadhaften
Bremsanlage anzusehen sei. Diese Sicht greift zu kurz.
aa) Das am 1. 1. 1990 in Kraft getretene Produkthaftungsgesetz
vom 15. 12. 1989 (BGBl I, 2198) mit seiner in § 1 I ProdHaftG angeordneten
verschuldensunabhängigen Haftung gilt zwar gem. § 4 I 1 ProdHaftG
nur für den Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines
Teilprodukts, als der hier der Bekl. nicht anzusehen ist. Auf eine Einstandspflicht
nach diesem Gesetz kommt es aber im Streitfall auch gar nicht entscheidend
an, da der vom Kl. geltend gemachte Schaden vor dem Inkrafttreten des Produkthaftungsgesetzes
eingetreten ist und für die deliktische Haftung nach § 823 I
BGB die einschränkende Umschreibung des haftenden Personenkreises
in § 4 ProdHaftG nicht gilt (vgl. Schmidt=Salzer, Produkthaftung III/1
Rdnrn. 4.488, 4.490).
bb) In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß
der Inhaber einer Reparaturwerkstatt auch deliktisch wegen Verletzung einer
Verkehrssicherungspflicht haften kann, wenn er infolge fehlerhafter Bearbeitung
oder Wartung einer Sache für die Rechtsgüter anderer eine Gefahr
schafft (vgl. BGHZ 55, 392 (394 f.) = NJW 1971, 1131 = LM § 638 BGB
Nr. 17; BGH, VersR 1962, 43; BGH, VersR 1967, 707 f.; BGH, LM § 823
(Dc) BGB Nr. 117 = VersR 1978, 722 (723); Schmidt=Salzer, Rdnrn. 4.165,
4.331, 4.490).
Nach dem vom BerGer. unterstellten und deshalb
revisionsrechtlich zugrundezulegenden Sachverhalt ist der Verkehrsunfall
des Kl. zumindest auch auf eine mangelhafte Einstellung der Handbremse
durch den Bekl. zurückzuführen, und bei diesem Unfall ist an
dem Fahrzeug ein erheblicher Sachschaden entstanden. Hiernach sind die
Voraussetzungen für eine deliktische Haftung des Bekl. erfüllt.
b) Dem vom Kl. geltend gemachten Schadensersatzanspruch
steht auch nicht der vom Bekl. in den Tatsacheninstanzen ins Feld geführte
Umstand entgegen, daß der Kl. zu der Zeit, als der Bekl. die Handbremse
eingestellt hat, noch nicht Eigentümer des BMW war. Deliktische Pflichten
zum Schutz vor Beschädigung des Fahrzeugs hatte der Bekl. nicht nur
gegenüber seinem Auftraggeber, wie das BerGer. offenbar annimmt, sondern
gegenüber demjenigen Eigentümer, bei dem sich die vom Bekl. gesetzte
Gefahr realisierte. Die Vorschrift des § 823 I BGB knüpft an
die Verletzung des Eigentums an, und diese ist im Streitfall nicht schon
durch die fehlerhafte Einstellung der Handbremse, sondern erst durch den
dadurch verursachten Verkehrsunfall mit der Beschädigung des Fahrzeugs
eingetreten. Zu dieser Zeit war aber auch nach dem vom BerGer. zugrundegelegten
Sachverhalt der Kl. bereits Eigentümer des BMW (zu ähnlichen
Fallgestaltungen s. BGH, VersR 1967, 707 f.; BGH, LM § 823 (C) BGB
Nr. 117 = VersR 1978, 722 (723)).
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