Sittenwidrigkeit des Titelverschaffungsvertrages, Kondiktionsausschluß nach § 817 S. 2, Ausnahme bei Leistung durch Eingehen einer Verbindlichkeit
BGH, Urteil v. 05.10.1993  - XI ZR 200/92 (KG)


Fundstelle:

NJW 1994, 187



Amtl. Leitsätze:

1. In einem ohne Rechtsgrund sicherungshalber begebenen Wechselakzept liegt die Eingehung einer Verbindlichkeit i. S. des § 817 S. 2 Halbs. 2 BGB. Diese kann bis zur Erfüllung oder der Weitergabe des Wechsels an einen Dritten zurückgefordert werden.
2. Entgeltliche Geschäfte über die Verschaffung öffentlicher Ämter und Titel sind sittenwidrig (§ 138 I BGB).
3. Art. 37 Nr. 1 EGBGB 1986 schließt die wirksame Abbedingung des in Art. 93 I WG kodifizierten Wirkungsstatuts des Zahlungsortes durch Parteivereinbarung nicht aus (im Anschluß an BGHZ 104, 145).



Anmerkung:

Die sehr komplexe Entscheidung ist für den Grundkurs nur insofern relevant, als sie ein gutes Beispiel für den Kondiktionsausschluß nach § 817 S. 2 BGB und dessen Ausnahme bei Eingehung einer Verbindlichkeit darlegt. Der Vertrag über den "Verkauf" bzw. die Vermittlung eines Titels (hier: Honorarkonsul) ist nichtig. An sich könnte der "Käufer" dann die an den Titelhändler gezahlte Vergütung nach § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Leistungskondiktion als nicht geschuldet zurückfordern (sofern nicht ein Fall des § 814 BGB vorliegt). Diese Kondiktion schließt § 817 S. 2 BGB, der entgegen seinem Wortlaut nicht nur für die (praktisch bedeutungslose) Kondiktion nach § 817 S. 1 BGB, sondern auch für die allgemeine Leistungskondiktion gilt ("Ausdehnungstheorie"), an sich aus. Das ist aber dann nicht der Fall, wenn die "Leistung", die erbracht wurde, ihrerseits in der Begründung einer Forderung bestand. Dann kann diese Forderung zurückverlangt bzw. ihr die Bereicherungseinrede entgegengesetzt werden, weil andernfalls de facto der "Titelhändler" sein Entgelt (sozusagen über den Umweg der geleisteten Forderung) bekommen würde. So auch im vorliegenden Fall: Durch das Ausstellen eines Wechsels hat der "Käufer" gegen sich eine Forderung begründet. Dies war seine (sittenwidrige) "Leistung" auf den Vertrag, sie kann kondiziert werden, weil § 817 S. 2 Halbs. 2 BGB eingreift.
Für den Grundkurs sind insoweit nur die fetten Passagen von Bedeutung.



Zum Sachverhalt:

Der Kl. nimmt den Bekl. aus einem in der Schweiz ausgestellten trassiert eigenen Wechsel über 50000 US-Dollar zzgl. Zinsen in Anspruch. Dem bei Fälligkeit zu Protest gegangenen Wechsel lag eine Vereinbarung der Parteien vom 22. 12. 1989 zugrunde. Danach sollte der Bekl. dem Kl. gegen ein Entgelt von 125000 US-Dollar, auf das der Kl. 50000 US-Dollar anzahlte, bis zum 30. 6. 1990 die Ernennung zum Honorargeneralkonsul von Sierra Leone in Ungarn verschaffen. Für den Fall nicht fristgerechter Ernennung war der geleistete Betrag zurückzuzahlen. Zur Sicherung dieser Verbindlichkeit stellte der Bekl. den Klagewechsel aus und übergab ihn einem Treuhänder, der ihn abredegemäß dem Kl. aushändigte, nachdem dieser nicht fristgerecht zum Honorargeneralkonsul ernannt worden war. Der Bekl. ist der Ansicht, die dem Wechsel zugrundeliegende Vereinbarung sei wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Der geltend gemachten Wechselforderung stehe deshalb die Einrede der Bereicherung entgegen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat ihr stattgegeben. Die Revision hatte Erfolg und führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hält unter Zugrundelegung deutschen Rechts eine Wechselforderung des Kl. für gegeben (Art. 28 I WG). Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Parteien hätten das nach Art. 93 I WG an sich maßgebliche schweizerische Recht zumindest konkludent abbedungen. Beide hätten zur Begründung ihrer Rechtsstandpunkte nur deutsche Rechtsvorschriften angeführt. Die vom Bekl. erhobene Bereicherungseinrede (§ 821 BGB) greife nicht durch, ohne daß es darauf ankomme, ob der vereinbarte "Titelkauf" wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sei. Selbst wenn dies unterstellt werde, scheitere die Wechselklage nicht an § 817 S. 2 BGB. Diese bezwecke, für sittenwidrige Geschäfte den Rechtsschutz zu verweigern. Im Streitfall gehe dies nicht zu Lasten des Kl., sondern des Bekl., da er auf der Grundlage eines sittenwidrigen Geschäfts Rechtsschutz mit dem Ziel begehre, dem Kl. den vom Wechsel repräsentierten Vermögenswert wieder zu entziehen.
II. Diese Beurteilung ist von Rechtsirrtum beeinflußt.
1. Zuzustimmen ist dem BerGer. allerdings darin, daß auf den Streitfall deutsches Recht anzuwenden ist. Nach Art. 93 I WG bestimmen sich die Wirkungen der Verpflichtungserklärungen des Annehmers eines gezogenen Wechsels zwar nach dem Recht des Zahlungsortes, hier nach schweizerischem Recht. Das in Art. 93 I WG kodifizierte Wirkungsstatut des Zahlungsortes kann jedoch durch Vereinbarung der Parteien wirksam abbedungen werden (BGHZ 104, 145 (146 f.) = NJW 1988, 1979 = LM Art. 20 WG Nr. 2 m. w. Nachw.). An dieser Rechtslage hat sich, anders als die Revisionserwiderung meint, durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25. 7. 1986 (BGBl I, 1142) nichts geändert. Art. 37 Nr. 1 EGBGB bestimmt zwar, daß die Vorschriften über vertragliche Schuldverhältnisse (Art. 27 ff. EGBGB) nicht auf Verpflichtungen aus Wechseln anzuwenden sind. Damit sollte aber nicht der in Art. 27 EGBGB kodifizierte Grundsatz der Privatautonomie für das Wechselrecht ausgeschlossen, sondern lediglich dem Vorrang des Genfer Abkommens über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Wechselprivatrechts vom 22. 6. 1933 (RGBl II, 377/445), auf dem die Art. 91-98 WG basieren, für den Bereich des Wechselrechts Rechnung getragen  werden (vgl. BGHZ 99, 207 (210) = NJW 1987, 1145 = LM § 38 ZPO Nr. 26; Morawitz, Das internationale Wechselrecht, S. 155; Schefold, IPRax 1987, 150 (151); s. auch Baumbach/Hefermehl, WG u. ScheckG, 18. Aufl., Vorb. Art. 91 WG Rdnr. 1; Bülow, WG, ScheckG, AGB, Art. 91 ScheckG. 2). Von der danach weiterhin bestehenden Möglichkeit der Rechtswahl haben die Parteien Gebrauch gemacht. Sie haben sich im Rechtsstreit ausschließlich auf deutsche Rechtsvorschriften und nicht das an sich anwendbar schweizerische Recht berufen. Dies rechtfertigt nach ständiger Rechtsprechung des BGH die Annahme, daß sich die Parteien jedenfalls im Rechtsstreit stillschweigend auf die Geltung deutschen Rechts verständigt haben (BGHZ 103, 84 (86) = NJW 1988, 1592 = LM BörsG Nr. 21; BGH, NJW 1991, 1292 = LM § 346 (Ea) HGB Nr. 9 = WM 1991, 464 (465); Senat, NJW 1992, 1380 = LM H. 9/1992 § 164 BGB Nr. 73 = WM 1992, 567 (568)).
2. Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Ansicht des BerGer., die Bereicherungseinrede nach Art. 17 WG, §§ 821, 812 II BGB stehe der Wechselforderung des Kl. aus Art. 28 I WG auch im Falle der Sittenwidrigkeit des Titelkaufs nicht entgegen, weil die Kondiktion des Wechsels durch den Bekl. nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sei. Diese Ansicht ist mit dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes nicht vereinbar. § 817 S. 2 Halbs. 1 BGB schließt bei einem beiderseitigen Sitten- oder Gesetzesverstoß zwar Rückforderungsansprüche aus Leistungskondiktion grundsätzlich aus, weil für Forderungen, die aus gesetz- oder sittenwidrigen Rechtsgeschäften abgeleitet werden, kein Rechtsschutz gewährt werden soll (BGHZ 36, 395 (399) = NJW 1962, 955; BGHZ 44, 1 (6) = NJW 1965, 1585). Der vom BerGer. unberücksichtigt gelassene zweite Halbsatz macht aber eine Ausnahme für den Fall, daß die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand. Das Gesetz sieht die verwerfliche Vermögensverschiebung bis zur Erfüllung der Verbindlichkeit noch nicht als abgeschlossen an und will ihre Realisierung verhindern (Koppensteiner/Kramer, Ungerechtfertigte Bereicherung, 2. Aufl., S. 66; Lieb, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 817 Rdnr. 22).
Im Streitfall greift diese Ausnahmeregelung ein, wenn von der Nichtigkeit des Titelkaufs wegen Sittenwidrigkeit ausgegangen wird. In dem dann ohne Rechtsgrund sicherungshalber begebenen Wechselakzept des Bekl. liegt die Eingehung einer Verbindlichkeit i. S. des § 817 II Halbs. 2 BGB, die bis zur Erfüllung oder der Weitergabe des Wechsels an einen Dritten zurückgefordert werden kann (h. M.; vgl. Staudinger/Lorenz, BGB, 12. Aufl., § 817 Rdnr. 25; Heimann/Trosien, in: RGRK, 12. Aufl., § 817 Rdnr. 31; Palandt/Thomas, BGB, 52. Aufl., § 817 Rdnr. 16; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, S. 227; Koppensteiner/Kramer, S. 63; a. A. Erman/H. P. Westermann, BGB, 9. Aufl., § 817 Rdnr. 24 für erfüllungshalber begebene Wechsel; offengelassen in RG, JW 1921, 461). Diese Sicht entspricht den Motiven zum BGB, in denen die Hingabe eines Wechsels als Beispiel für die Eingehung einer Verbindlichkeit genannt ist (Mugdan, Materialien z. BGB, II, S. 475), und vor allem dem Zweck des Gesetzes. Denn durch die Zulassung der Rückforderung des Wechselakzepts wird die Realisierung der gesicherten Forderung des Kl. verhindert, für die im Falle der Sittenwidrigkeit des Titelkaufs kein Rechtsschutz gewährt werden soll. § 817 S. 2 Halbs. 1 BGB schließt Kondiktionsansprüche des Kl. auf Rückgewähr der geleisteten Anzahlung von 50000 DM nämlich aus. Daß die Parteien über die Rückzahlung dieses Betrages für den Fall nicht fristgerechter Ernennung des Kl. zum Honorargeneralkonsul eine vertragliche Vereinbarung getroffen haben, ändert nichts. § 817 S. 2 BGB ist nicht  abdingbar und kann nicht durch Ersetzung des ausgeschlossenen Bereicherungsanspruchs durch eine andere Forderung umgangen werden (vgl. BGHZ 28, 164 (170) = NJW 1958, 2111 = LM § 817 BGB Nr. 10).
Hiernach wirkt sich § 817 S. 2 BGB im Falle der Sittenwidrigkeit des Titelkaufs, anders als das BerGer. gemeint hat, nicht zum Nachteil des Bekl., sondern des Kl. aus.
III. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 564 I ZPO). Einer Zurückverweisung der Sache bedurfte es nicht, da die Klage abweisungsreif ist (§ 565 III Nr. 1 ZPO). Gegenüber der Wechselforderung des Kl. greift die Bereicherungseinrede des Bekl. durch (Art. 17 WG, §§ 821, 812 II BGB), weil die von den Parteien getroffene Kausalvereinbarung über die entgeltliche Verschaffung der Ernennung zum Honorargeneralkonsul wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig ist (§ 138 I BGB). Nach - soweit ersichtlich - einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, verstoßen entgeltliche Geschäfte über die Verschaffung öffentlicher Ämter und Titel gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht  Denkenden (RGZ 86, 98 f.; RG, JW 1919, 447 (448); RG, LZ 1922, 648 (649); RG, JW 1931, 1924 (1925); OLG Karlsruhe, Bad. Rechtspraxis 1922, 111; LG Bonn, MDR 1992, 125; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 138 Rdnr. 87; Heimann-Trosien, in: RGRK, § 817 Rdnr. 18; Mayer/Maly, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 138 Rdnr. 109; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 138 Rdnr. 25; Palandt/Heinrichs, § 138 Rdnr. 56; Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts II, 15. Aufl., S. 1173; Honsell, Die Rückabwicklung sittenwidriger oder verbotener Geschäfte, S. 141 f.). In den Augen anständiger Menschen, die Ämter und Titel durch Mühen und Verdienste erwerben und nicht einkaufen, ist der Ämter- und Titelhandel in hohem Maße zu mißbilligen. Die Anstößigkeit ergibt sich aus der sachfremden, ethischen Prinzipien widersprechenden Verknüpfung der Verleihung öffentlicher Ämter und Titel mit einer Gegenleistung in Geld. Die Käuflichkeit würde zur Sinnentleerung von Titeln und zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit öffentlicher Ämter führen.
Dies ist vor allem bei Ämtern, mit denen hoheitliche Aufgaben oder besondere Rechte verbunden sind, nicht hinnehmbar. Bei dem Ehrenamt eines Honorarkonsuls handelt es sich um ein solches Amt. Zu seinen Aufgaben gehört nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. 4. 1963 (WÜbkKonsBez, BGBl II 1969, 1585), das zur weltweit anerkannten Grundlage der konsularischen Beziehungen geworden ist (Hoffmann/Glietsch, KonsularR, Vorb. 1.5 z. KonsularG), u. a. das Ausstellen von Pässen, die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben und die Erledigung von Rechtshilfeersuchen (Art. 5d, f, j WÜbkKonsBez). Außerdem genießt ein Honorarkonsul gem. Art. 58 I und II i. V. mit Art. 28, 30, 31, 34-36, 43 und 44 III WÜbkKonsBez, besondere Vorrechte. An der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung, dem Kl. für 125000 US-Dollar die Ernennung zum Honorargeneralkonsul von Sierra Leone in Ungarn zu verschaffen, vermag die Behauptung des Kl., der Staaat Sierra Leone vergebe solche Ämter gegen Entgelt, ebensowenig etwas zu ändern wie sein Vorbringen, der Titelhandel habe sich zu einem eigenen Wirtschaftsbereich mit respektablen Umsätzen entwickelt. Mißbräuchliche Praktiken, die sich in bestimmten Kreisen herausgebildet haben, sind im Rahmen des § 138 I BGB nicht zu beachten (BGHZ 10, 228 (232) = NJW 1953, 1665 = LM § 138 (Bb) BGB Nr. 3; BGHZ 16, 4 (12) = NJW 1955, 460 = § 2 KunstUrhG Nr. 1). Dessen Anwendung steht  schließlich auch nicht entgegen, daß der Kl. sich der Sittenwidrigkeit des Geschäfts nicht bewußt gewesen sein will. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH reicht es aus, daß die Parteien die Umstände, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt, wie hier, kannten (BGHZ 94, 268, 273 = NJW 1985, 2405 = LM § 138 (Ca) BGB Nr. 15; BGH, WM 1988, 624 (625); NJW-RR 1990, 750 = WM 1990, 799 (801) = NJW 1993, 1587 = LM H. 9/1993 § 19 BNotO Nr. 53 = WM 1993, 1189 (1191)).



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