NJW 1994, 1881
Vgl. auch BVerfG NJW 1996, 2857
Wird der Inhalt einer Berufungsbegründungsschrift
mittels Telefax vollständig durch elektrische Signale vom Sendegerät
des Prozeßbevollmächtigten zum Empfangsgerät des Rechtsmittelgerichts
übermittelt, dort aber infolge technischer Störungen (etwa eines
Papierstaus) nicht vollständig und fehlerfrei ausgedruckt, so ist
dennoch von einem im Zeitpunkt der Telefaxübermittlung erfolgten Eingang
des Schriftsatzes auszugehen, wenn sein der Übertragung zugrundeliegender
Inhalt anderweit einwandfrei ermittelbar ist.
Der Kl. hat gegen das ihm am 25. 6. 1993 zugestellte
klageabweisende Urteil des KreisG vom 16. 6. 1993 am 22. 7. 1993 Berufung
eingelegt. Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. 9. 1993
verlängert worden war, ging die vollständige schriftliche Berufungsbegründung
des Kl. am 23. 9. 1993 beim BezG ein; sie war am 22. 9. 1993 zur Post gegeben
worden. Bereits am 21. 9. 1993 war eine Übermittlung der Berufungsbegründung
sowie eines Prozeßkostenhilfegesuchs über den Telefaxanschluß
der zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Kl. an das
BezG vorgenommen worden. Zu den Gerichtsakten gelangten jedoch nur unvollständige,
teilweise unleserliche und zerknitterte Ausdruckblätter der Telefaxübertragung;
die Seite der Berufungsbegründung, welche die Unterschrift der Prozeßbevollmächtigten
trägt, fehlt. Dies wurde dem Kl. durch am 5. 10. 1993 bei seiner Prozeßbevollmächtigten
eingegangene Verfügung des BezG mitgeteilt. Am 11. 10. 1993 wies der
Kl. darauf hin, daß das Telefax vom Anschluß seiner Prozeßbevollmächtigten
ohne Fehleranzeige abgesandt worden sei, und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung
gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; die Berufungsbegründung
wie auch der Prozeßkostenhilfeantrag seien am 21. 9. 1993 jeweils
mit Unterschrift seiner Prozeßbevollmächtigten per Telefax übermittelt
worden, ohne daß eine Störung des Übertragungsablaufs zu
erkennen gewesen sei.
Das BerGer. hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen
und die Berufung des Kl. als unzulässig verworfen. Gegen diesen ihm
am 3. 11. 1993 zugestellten Beschluß richtet sich die am 9. 11. 1993
eingegangene sofortige Beschwerde des Kl. Das Rechtsmittel führte
zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
II. ... Das BerGer. hat die Feststellung, daß
der Kl. die Berufungsbegründungsfrist des § 519 II ZPO versäumt
habe, nicht verfahrensfehlerfrei getroffen.
1. Gem. § 519b I ZPO hat das BerGer. von
Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung fristgerecht begründet
worden ist. Prüfung von Amts wegen in diesem Sinne bedeutet zwar nicht
Amtsermittlung der Tatsachen und Ausforschung der Wahrheit wie beim Untersuchungsgrundsatz,
gebietet aber andererseits eine umfassende Prüfung des dem Gericht
vorliegenden oder offenkundigen Prozeßstoffs (vgl. BGH, NJW 1982,
1467 = LM § 130 ZPO Nr. 9 = VersR 1982, 492). Das BerGer. mußte
daher alle aus dem Akteninhalt ersichtlichen Anhaltspunkte prüfen
und würdigen, die für die Entscheidung der Frage von Bedeutung
sein konnten, ob die Berufungsbegründung rechtzeitig eingegangen ist
oder nicht. Diesem Erfordernis ist das BerGer. bei Beantwortung der Frage,
ob durch das am 21. 9. 1993 beim BezG eingegangene Telefax die Berufungsbegründungsfrist
gewahrt worden ist, nicht gerecht geworden.
2. Das BerGer. hat insoweit einen Fehler in seinem
eigenen Geschäftsbetrieb lediglich deswegen verneint, weil ein Verlust
der fehlenden Seiten des Telefaxausdruckes der Berufungsbegründung
auf dem Weg vom Empfangsgerät zur Geschäftsstelle ausgeschlossen
sei. Offen läßt das BerGer. jedoch, ob der fehlerhafte und unvollständige
Ausdruck des Telefaxes seine Ursache lediglich in einer Störung des
Ausdruckverfahrens im Empfangsgerät des BezG hatte, nachdem zuvor
die vom Sendegerät übermittelten elektrischen Signale ordnungsgemäß
beim Empfangsgerät eingegangen waren. Sollte letzteres der Fall sein,
könnte die Berufungsbegründung trotz des verstümmelten Ausdrucks
als am 21. 9. 1993 beim BezG eingegangen anzusehen sein.
a) Grundsätzlich ist eine fernschriftlich
(oder per Telefax) übermittelte Rechtsmittel-(Begründungs-) Schrift
in dem Zeitpunkt eingegangen, in dem sie im Empfängerapparat ausgedruckt
wird (vgl. BGHZ 101, 276 (280) = NJW 1987, 2586 = LM § 553 ZPO Nr.
9). Dies setzt jedoch nicht unbedingt voraus, daß der Ausdruck fehlerlos
und vollständig ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß
eine unlesbar oder verstümmelt zu den Akten gelangte fernschriftliche
Begründungsschrift, deren Inhalt sich erst nachträglich feststellen
läßt, mit ihrem vollständigen Inhalt (einschließlich
der Unterzeichnung durch den Rechtsanwalt) als eingegangen anzusehen ist,
wenn die Ursache für den Mangel der Lesbarkeit und Vollständigkeit
in der Sphäre des Empfängers gelegen hat (vgl. für eine
Einspruchsbegründung im Patentverfahren BGHZ 105, 40 (44) = NJW 1988,
2788 = LM Art. 2 GrundG Nr. 57). Entsprechendes gilt auch bei der Übermittlung
per Telefax (vgl. BGH, VersR 1991, 894 (895)). Dies findet seine Rechtfertigung
darin, daß im Hinblick auf den aus Art. 2 I GG i. V. mit dem Rechtsstaatsprinzip
folgenden Grundsatz rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung Risiken und
Unsicherheiten, deren Ursache allein in der Sphäre des Gerichts liegen,
bei der Entgegennahme fristgebundener Schriftsätze nicht auf
den rechtssuchenden Bürger abgewälzt werden dürfen (vgl.
BVerfGE 69, 381 (386 f.) = NJW 1986, 244 m. w. Nachw.; vgl. hierzu auch
Ebnet, NJW 1992, 2986 (2987)).
b) Sollte daher der Inhalt des Berufungsbegründungsschriftsatzes
am 21. 9. 1993 zwar vollständig durch elektrische Signale vom Sendegerät
der Prozeßbevollmächtigten des Kl. zum Empfangsgerät des
BezG übermittelt worden sein, dort aber lediglich infolge technischer
Störungen (etwa eines Papierstaus) nicht vollständig fehlerfrei
und unverstümmelt ausgedruckt worden sein, so wäre dennoch von
einem rechtzeitigen Eingang dieses fristgebundenen Schriftsatzes am 21.
9. 1993 auszugehen, soweit sein Inhalt, der der Übertragung zugrundelag,
einwandfrei ermittelbar ist, was hier aufgrund des am 23. 9. 1993 eingegangenen
Originals des Schriftsatzes möglich sein dürfte. Etwas anderes
würde allerdings dann gelten, wenn ein Papierstau am Empfangsgerät
dazu geführt hätte, daß die Verbindung während der
Übermittlung abgebrochen ist, so daß auch die vollständige
Signalübermittlung nicht stattfinden konnte (vgl. zu einer solchen
Fallgestaltung BGH, NJW 1992, 244 = LM H. 3/1992 § 233 (Gd) ZPO Nr.
11 = WM 1991, 2080 (2081)).
c) Das BerGer. hätte aufgrund des ihm vorliegenden
Akteninhalts im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen
von Amts wegen Untersuchungen darüber anstellen müssen, ob der
unvollständige und verstümmelte Ausdruck des Telefax lediglich
auf einer Störung des Empfangsgeräts (trotz vollständiger
Übermittlung der Signale) beruhte. Denn die bei den Akten befindlichen
Seiten des Telefaxausdruckes legen eine solche Annahme durchaus nahe. Die
Blätter sind teilweise unregelmäßig abgerissen und im oberen
oder unteren Teil zerknittert; ein Ausdruck des Prozeßkostenhilfegesuchs
weist eine Knitterfaltung auch in der Mitte auf, wobei in diesem Bereich
der Druck unterbrochen ist; gerade letzteres legt die Annahme nahe, daß
hier ein Papierstau im Empfangsgerät stattgefunden hat. Für einen
Fehler lediglich im Ausdrucksbereich des Telefaxanschlusses des BezG trotz
vollständiger Signalübertragung seitens des Sendegerätes
spricht auch, daß bei letzterem der nach der Bedienungsstellung vorgesehene
"Ausdruck nach Fehlbedienung" unterblieben ist. Daß das BerGer. diese
nähere Prüfung der Fehlerursachen unterlassen hat, stellt einen
Verfahrensfehler dar.
3. Der angefochtene Beschluß ist daher aufzuheben.
Da die Sache ohne die dargelegten weiteren tatsächlichen Feststellungen,
die den Bereich des BezG betreffen, nicht entscheidungsreif ist, macht
der Senat von der auch im Beschwerdeverfahren gegebenen Möglichkeit
der Zurückverweisung Gebrauch. Sollte die weitere Sachprüfung
ergeben, daß auch unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze
von einem rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründungsschrift nicht
ausgegangen werden kann, so wird im Rahmen der erneuten Prüfung des
Wiedereinsetzungsgesuches des Kl. unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags
und der vorgelegten Urkunden und Glaubhaftmachungsmittel näher zu
untersuchen sein, ob die in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten
versäumte Einstellung des Sendegerätes auf "Ausdruck nach jeder
Übertragung" technisch überhaupt geeignet war, die Prozeßbevollmächtigte
von dem hier aufgetretenen Fehler in Kenntnis zu setzen.