NJW 1994, 2363
LM H. 11/1994 § 91 a ZPO Nr. 64
MDR 1995, 91
1. Der Antrag, als Folge einer entsprechenden
eigenen einseitig gebliebenen Erklärung, die Erledigung der Hauptsache
festzustellen, zielt auf eine Änderung des Streitgegenstands; er kann
daher wirksam nur von der klagenden, nicht auch von der beklagten Partei
gestellt werden.
2. Eine "greifbare" Gesetzwidrigkeit, die ausnahmsweise
die Zulassung eines im Gesetz ausdrücklich ausgeschlossenen außerordentlichen
Rechtsmittels rechtfertigen könnte, liegt nicht schon dann vor, wenn
die angegriffene Beurteilung zwar aus dem Blickwinkel einer herrschend
gewordenen Meinung schlechthin unvertretbar erscheint, diese Meinung ihrerseits
jedoch noch nicht unumstritten ist und einzelne namhafte Autoren Auffassungen
vertreten haben, die die gerichtliche Beurteilung zu stützen geeignet
sind.
Der Ast. hat vor dem LG den Erlaß einer einstweiligen Verfügung beantragt, durch die der Ag. eine Reihe von Behauptungen untersagt werden sollten, welche letztere mit Bezug auf den Ast. aufgestellt hatte. Das LG hat diesem Antrag durch Urteil entsprochen. Gegen das Urteil hat die Ag. form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie hat diese damit begründet, daß das ausgesprochene Verbot durch einen nach Erlaß des landgerichtlichen Urteils geschlossenen außergerichtlichen Vergleich der Prozeßparteien seine Grundlage verloren habe. Im Vergleich hätten die Parteien vereinbart, das Verfügungsverfahren in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Der Ast. hat dem mit der Behauptung widersprochen, er habe den Vergleich angefochten, aufgekündigt, sowie den Rücktritt erklärt, weil er von der Ag. durch widerrechtliche Drohung zum Abschluß des Vergleichs bestimmt worden sei. Die Ag. hat daraufhin den Antrag gestellt, das Urteil des LG aufzuheben und festzustellen, daß die Hauptsache erledigt ist. Das BerGer. hat dem Antrag der Ag. entsprochen und dem Ast. die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Es hat dies damit begründet, daß der Rechtsstreit sich durch den Vergleich erledigt habe; dessen Wirksamkeit könne im Verfügungsverfahren nicht geprüft werden. Dem Erledigungsantrag der Ag. müsse daher stattgegeben werden, obwohl der Ast. keine entsprechende Erklärung abgegeben habe. Die Begründetheit des ursprünglichen Verfügungsantrags stehe nicht mehr zur Beurteilung. Hiergegen wendet sich der Ast. mit seiner von ihm als "außerordentlich" bezeichneten Beschwerde, mit der er geltend macht, die Entscheidung des BerGer. - Feststellung der Hauptsacheerledigung auf einseitigen Antrag der bekl. Partei - sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar, also greifbar gesetzwidrig, so daß hier ausnahmsweise das in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Rechtsmittel einer Beschwerde extra legem eröffnet sein müsse. Das BerGer. hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das BayObLG hat sie zuständigkeitshalber an den BGH verwiesen, der sie als unzulässig verworfen hat.
Aus den Gründen:
II. Die Beschwerde ist unzulässig, da Rechtsmittel
gegen ein im Verfahren der einstweiligen Verfügung erlassenes Berufungsurteil
grundsätzlich nicht statthaft sind (§ 545 II ZPO) und ein Grund
für die nur in besonderen Ausnahmefällen zulässige Eröffnung
eines außerordentlichen Rechtsmittels extra legem (vgl. dazu BGH,
NJW 1992, 983 = LM H. 2/1992 § 567 ZPO Nr. 27 = GRUR 1992, 983
- Greifbare Gesetzwidrigkeit; BGH, NJW 1993, 135 = LM H. 2/1993 §
567 ZPO Nr. 28 = JZ 1993, 415 m. Anm. Gottwald) nicht vorliegt.
1. Allerdings rügt die Beschwerde zu Recht,
daß das BerGer. die Erledigung der Hauptsache nicht auf den einseitig
gebliebenen Antrag der Ag. hin für erledigt erklären durfte.
Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ
106, 359 (366) = NJW 1989, 2285 = LM § 1953 BGB Nr. 2; BGH, NJW 1990,
3097 = LM § 1 UWG Nr 550 = GRUR 1990, 530 (531) = WRP 1990,
585 - Unterwerfung durch Fernschreiben; BGH, NJW-RR 1993, 1319 = LM H.
2/1994 § 16 UWG Nr. 146 = GRUR 1993, 769 = WRP 1993, 755 - Radio
Stuttgart) und herrschender Meinung (vgl. die umfangreichen Nachw. aus
der Rspr. der OLGe und aus der Lit. bei Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl.,
§ 91a Rdnr. 39 mit Fußn. 134 und bei Zöller/Vollkommer,
ZPO, 18. Aufl., § 91a Rdnr. 34; ferner Jacobs, in: GK-UWG, Vorb. §
13, D Rdnr. 288, ebenfalls m. w. Nachw.) führt das Begehren, die Erledigung
der Hauptsache festzustellen, zu einer Veränderung des Streitgegenstands;
nicht mehr der ursprüngliche Antrag des Kl., sondern der Feststellungsantrag
ist nunmehr - was auch das BerGer. zutreffend erkannt hat - Gegenstand
der vom Gericht zu treffenden Entscheidung. Eine solche Verfügung
über den Streitgegenstand kann nach den Regelungen des § 253
II Nr. 2 ZPO sowie der §§ 263, 264 ZPO nur die das Verfahren
betreibende (kl.) Partei treffen. Die im Rechtsstreit angegriffene Partei
ist zu einer einseitigen Verfügung über den Streitgegenstand
nicht befugt; demgemäß wird eine einseitig gebliebene Erledigungserklärung
der bekl. Partei und ihr auf diese Erklärung gestütztes Verlangen,
die Erledigung festzustellen, in der neueren Rechtsprechung und Literatur
nahezu einhellig als wirkungslos angesehen (vgl. - jeweils m. umfangr.
Nachw. - Lindacher, in: MünchKomm-ZPO, § 91a Rdnr. 101; Stein/Jonas/Bork,
§ 91a Rdnr. 50; Zöller/Vollkommer, § 91a Rdnr. 52; Jacobs,
in: GK-UWG, Vorb. § 13 Rdnr. 282). Das BerGer. durfte daher dem Antrag
der Ag., die Erledigung der Hauptsache festzustellen, gegen den Willen
des zur Bestimmung des Streitgegenstands berufenen Ast. nicht entsprechen.
2. Jedoch kann nach der Rechtsprechung des BGH
nicht jeder eindeutige Verstoß des Gerichts gegen die bei seiner
Entscheidung anzuwendenden Rechtsvorschriften genügen, um eine - im
Gesetz ausdrücklich ausgeschlossene - Rechtsmittelmöglichkeit
zu eröffnen; vielmehr ist erforderlich, daß die angefochtene
Entscheidung dem Gesetz fremd bzw. mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar
ist (vgl. BGH, NJW 1992, 983 = LM H. 2/1992 § 567 ZPO Nr. 27 = GRUR
1992, 983 - Greifbare Gesetzwidrigkeit - m. w. Nachw.). Diese Voraussetzung
ist vorliegend nicht erfüllt. Zwar erscheint die Beurteilung des BerGer.
vom Standpunkt der jetzt herrschend gewordenen sogenannten Klageänderungstheorie
schlechthin unvertretbar. Jedoch kann nicht unberücksichtigt bleiben,
daß diese Lehre vom Wesen einer einseitigen Erledigungserklärung
auch heute noch umstritten ist (vgl. etwa Lindacher, in: MünchKomm-ZPO,
§ 91a Rdnr. 87 und die Nachw. bei Zöller/Vollkommer, § 91a
Rdnr. 34) und daß selbst die auch von Anhängern anderer Auffassungen
(vgl. Lindacher, in: MünchKomm-ZPO, § 91a Rdnr. 101) und deshalb
heute ganz vorherrschend vertretene Meinung, der einseitigen Erklärung
der bekl. Partei könne keine prozessuale Wirkung beigemessen werden,
in der Literatur noch als streitig bezeichnet wird, weil einzelne Autoren
sie - teils allerdings vor längerer Zeit - in Frage gestellt
haben (vgl. die Nachw. bei Lindacher, in: MünchKomm-ZPO, § 91a
Rdnr. 101 mit Fußn. 156 und bei Zöller/Vollkommer, § 91a
Rdnr. 52).
Bei diesem Meinungsstand kann nicht gesagt werden,
daß die Beurteilung des BerGer. der deutschen Rechtsordnung gänzlich
fremd sei; und zwar um so weniger, als in Betracht zu ziehen ist, daß
das (Kosten-) Ergebnis, zu dem die Beurteilung geführt hat, auch bei
zutreffender Beurteilung (Nr. 1) kein anderes als das erkannte (Urteil
vom 2. 12. 1993) gewesen wäre. Denn das Beharren des Ast. auf einer
Sachentscheidung hätte bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung
zur Zurückweisung seines Verfügungsbegehrens (und damit zur Auferlegung
der Verfahrenskosten) führen müssen, wenn das BerGer. - worauf
es ohne Rechtsverstoß hätte erkennen können - aufgrund
des umstrittenen Vergleichsabschlusses und seiner zeitraubenden Entwicklung
entweder den Verfügungsgrund der Dringlichkeit oder die - weitere
- Begründetheit des Verbotsbegehrens verneint hätte.