NJW 1994, 665
JuS 1994, 437
LM H. 6/1994 § 513 ZPO Nr. 11
MDR 1994, 199
BB 1994, 316 (Ls.)
WM 1994, 761
Hat das Erstgericht nach Form und Inhalt ein
Versäumnisurteil erlassen, weil es zu Unrecht einen Fall der Säumnis
annahm, so ist dagegen nur der Einspruch statthaft, nicht auch - unter
dem Blickwinkel der Meistbegünstigung - die Berufung.
Die Kl. verlangt von der Bekl. die Bewilligung der Löschung einer Auflassungsvormerkung. Die Prozeßbevollmächtigten der Parteien haben im Termin vor dem LG nach Erörterung der Sach- und Rechtslage die schriftsätzlich angekündigten Anträge gestellt. Danach hat der Anwalt der Kl. erklärt, er trete nun nicht mehr auf. Auf Antrag des Prozeßbevollmächtigten der Bekl. hat das LG die Klage durch ein "Versäumnisurteil" abgewiesen, das weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe enthält. Die von der Kl. eingelegte Berufung hat das OLG als unzulässig verworfen. Die Revision, mit der die Kl. den Klageanspruch nebst einem Hilfsantrag weiterverfolgt, hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Ein erstes Versäumnisurteil kann von der Partei,
gegen die es erlassen ist, mit der Berufung nicht angefochten werden (§
513 I ZPO); insoweit hat sie allein die Möglichkeit des Einspruchs
(§ 338 ZPO). Ob ein Versäumnisurteil oder ein kontradiktorisches
Urteil vorliegt, hängt zwar nicht von der Bezeichnung, sondern vom
Inhalt des Urteils ab (vgl. BGH, VersR 1974, 1099 (1100); VersR 1976, 251).
Das LG hat jedoch das Urteil - aufgrund der von ihm bejahten Säumnis
- inhaltlich als Versäumnisurteil erlassen und deshalb auch ohne Tatbestand
und Entscheidungsgründe (§ 313b ZPO) abgesetzt. Das Urteil ist
deshalb vom Rechtsstandpunkt des LG aus zutreffend als Versäumnisurteil
bezeichnet, weil der Wille des LG zweifelsfrei auf den Erlaß eines
Versäumnisurteils gerichtet war, das allein auf der Säumnis der
Kl. beruht (§ 330 ZPO). Diesen Ausgangspunkt bezweifelt auch die Revision
nicht.
Das BerGer. hat entgegen der Ansicht der Revision
mit Recht abgelehnt, die Zulässigkeit einer Berufung nach dem Grundsatz
der Meistbegünstigung zu bejahen. Richtig ist zwar, daß die
Kl. vor dem LG nicht säumig war und deshalb ein Versäumnisurteil
nicht hätte ergehen dürfen (BGHZ 63, 94 ff. = NJW 1974, 2322
= LM § 333 ZPO Nr. 2). Diesen Mangel des Urteils kann die Kl. aber
nur mit dem Einspruch geltend machen, nicht auch im Wege der Berufung.
Die Anwendung des Meistbegünstigungsprinzips (vgl. BGHZ 98, 362 (364,
365) = NJW 1987, 442 = LM § 511 ZPO Nr. 40) setzt voraus, daß
ein Gericht eine der Form nach inkorrekte Entscheidung gefällt hat.
Hier geht es aber um ein inhaltlich falsches Urteil (fehlende Säumnis).
Ob der eine oder andere Fall gegeben ist, kann nur auf der Grundlage der
Sachentscheidung beurteilt werden, die das LG treffen wollte und auch getroffen
hat. Es ist deshalb in der Literatur anerkannt, daß ein eindeutig
vorliegendes erstes Versäumnisurteil nicht mit der Berufung angefochten
werden kann, um geltend zu machen, ein Fall der Säumnis habe nicht
vorgelegen (vgl. Prütting, in: MünchKomm-ZPO, § 338 Rdnrn.
4 und 8; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 338 Rdnrn. 2 und
3; Zöller/Herget, ZPO, 18. Aufl., § 338 Rdnr. 1; a. A. wohl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
ZPO, 51. Aufl., Vorb. § 511 Rdnr. 27; richtig aber Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
§ 335 Rdnr. 1; mißverständlich Thomas/Putzo, ZPO,
18. Aufl., § 338 Rdnr. 4 i. V. mit Vorb. § 511 Rdnr. 9). Dementsprechend
kommt nach der Rechtsprechung der OLGe in Fällen der vorliegenden
Art allein der Einspruch als besonderer Rechtsbehelf der säumigen
Partei gegen ein echtes Versäumnisurteil in Betracht, wobei insoweit
unerheblich ist, ob das Versäumnisurteil auch gesetzmäßig
ergangen ist (OLG Hamburg, SeuffA 62, 209; OLGE 1915, 108; KG, OLGE
1929, 131; LAG Bremen, AP 50 Nr. 17; OLG Düsseldorf, MDR 1985, 1034).
Auch das RG hat die Auffassung vertreten, daß ein gesetzwidrig ergangenes
erstes Versäumnisurteil nach dem Willen des Gesetzgebers nur mit dem
Einspruch beseitigt werden kann (RGZ 39, 411 (412); 90, 42). Schließlich
folgt diese zutreffende Meinung auch aus den Entscheidungen des BGH. Die
Einspruchsfrist beginnt nämlich auch mit Zustellung eines zu Unrecht
erlassenen Versäumnisurteils zu laufen (vgl. BGH, VersR 1973, 715).
Die Anwendung des Grundsatzes der Meistbegünstigung scheidet jedenfalls
dann aus, wenn der Wille des Gerichts auf den Erlaß eines Versäumnisurteils
gerichtet war und das Gericht durch die Form seiner Entscheidung keinen
falschen Weg für die Art ihrer Anfechtung gewiesen hat (vgl.
BGH, VersR 1974, 1099 (1100) und FamRZ 1988, 945). Dies folgt aus Sinn
und Zweck der sogenannten Meistbegünstigungstheorie. Sie soll der
betroffenen Partei die Entscheidung über den statthaften Rechtsbehelf
dann erleichtern, wenn das Ausgangsgericht durch sein Verhalten (inkorrekte
Entscheidungsform) zur Unsicherheit insoweit beigetragen hat. Die beschwerte
Partei hat danach allenfalls dann die Wahl zwischen Einspruch und Berufung,
wenn das Gericht einen Verlautbarungsfehler begangen hat (z. B. indem es
ein streitiges Urteil als Versäumnisurteil bezeichnete oder umgekehrt)
oder möglicherweise auch dann, wenn Zweifel darüber bestehen,
ob ein Versäumnisurteil vorliegt (vgl. Stein/Jonas/Schumann, §
338 Rdnr. 2 und Grunsky, Allg. Einl. Vorb. § 511 Rdnr. 41; Prütting,
in: MünchKomm-ZPO, § 338 Rdnr. 8). Ein solcher Fall ist hier
nicht gegeben, denn es ist unzweifelhaft, daß das LG ein Versäumnisurteil
gegen die Kl. erlassen wollte (§§ 330, 313b ZPO) und dies auch
nach außen eindeutig in der dafür vorgesehenen Form verlautbart
hat. Über den danach allein statthaften Rechtsbehelf, nämlich
den Einspruch (§§ 513 I, 338 ZPO), konnte die Kl. somit nicht
in Zweifel sein.
Mit Recht hat es das BerGer. auch abgelehnt, die
Berufung in einen Einspruch umzudeuten, weil dieser wirksam nicht beim
OLG eingelegt werden kann (vgl. auch BGH, VersR 1974, 1099 (1100) und VersR
1976, 251); im übrigen war die Einspruchsfrist bei Einlegung der Berufung
bereits abgelaufen.