Begriff des "Bestimmens" in § 1 HtWiG: Vertragsabschluß
nach Hausbesuch
BGH, Urteil v. 17.09.1996 - XI ZR 197/95
Amtlicher Leitsatz:
Die besonderen Umstände der ersten Kontaktaufnahme können auch dann ursächlich
für den Vertragsschluß sein, wenn der Kunde seine Vertragserklärung erst später in
Abwesenheit des Vertragspartners und eines für diesen auftretenden Werbers
unterschrieben hat.
Beachte: Das Widerrufsrecht nach § 1 HWiG ist
nunmehr in den §§ 312, 312a BGB, die Ausgestaltung des Widerrufsrechts
und die Rechtsfolgen des ausgeübten Widerrufs (früher: § 3 HWiG) sind nunmehr in
§ 355 BGB geregelt. Sachlich haben sich aber in Bezug auf die vorliegende
Problematik keine Änderungen ergeben. Fundstellen:
NJW 1996, 3416 Sachverhalt: Die Kl., die früher als S-Bank AG firmierte, verlangt vom Bekl. die Rückzahlung eines Darlehens, dessen Verwendungszweck im Darlehensvertrag mit: "Erwerb eines Gesellschaftsanteils an dem S-Rendite-Brief, Gesellschaft des bürgerlichen Rechts mit Haftungsbeschränkung" angegeben war. Gründungszweck dieser Gesellschaft (GbRmH) war der Erwerb von Miteigentum an einem Hotelgrundstück. Der Bekl. unterschrieb am 9. 8. 1988 in seiner Wohnung in einem Studentenheim den Darlehensvertrag über 20000 DM zusammen mit einer Erklärung über den Gesellschaftsbeitritt und einem Treuhandvertragsangebot. Der Abschluß des Treuhandvertrags war im Gesellschaftsvertrag vorgesehen; der Gründungsgesellschafter M sollte die Anteile der beitretenden Gesellschafter als Treuhänder halten. M war damals Alleinaktionär und Generalbevollmächtigter der Kl. und außerdem Vorstand der S-AG (später: V-AG), die von den BGB-Gesellschaftern mit der Führung der Geschäfte beauftragt und umfassend bevollmächtigt war. Der Darlehensvertrag sah zur Sicherstellung aller Forderungen der Bank die "Abtretung des Gesellschaftsanteils" vor. Das Beitrittsformular enthielt den Hinweis auf die Möglichkeit, die Beitrittserklärung und das Treuhandvertragsangebot innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen. Für den Darlehensvertrag wurde eine Widerrufsbelehrung nicht erteilt. Die Kl. unterzeichnete den Darlehensvertrag am 11. 8. 1988 und überwies den Darlehensbetrag vereinbarungsgemäß unmittelbar auf das Gesellschaftskonto. Bis zum Herbst 1991 erhielt sie Ratenzahlungen auf die Darlehensschuld. Mit Schreiben vom 13. 12. 1991 erklärte die V-AG auch im Namen des Bekl. - gegenüber der Kl. den Widerruf sämtlicher Darlehensanträge nach § 1 HWiG. Der Treuhänder M hatte zuvor die Aktien der Kl. veräußert. Die BGB-Gesellschaft hatte den Grundstückskauf rückabgewickelt und ihr Vermögen nach dem Vortrag des Bekl. als Festgeld angelegt. Am 10. 5. 1993 kündigte die Kl. das dem Bekl. gewährte Darlehen; mit der Klage hat sie Zahlung des von ihr mit 11719,63 DM berechneten Restsaldos nebst Zinsen verlangt. Das LG hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Auf die Berufung des Bekl. hat das OLG die zu zahlenden Zinsen noch weiter herabgesetzt, die Verurteilung in der Hauptsache aber bestätigt. Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt der Bekl. eine vollständige Klageabweisung. Die Kl. verfolgt mit der Anschlußrevision ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter. Die Revision des Bekl. führte zur Klageabweisung. Die Anschlußrevision der Kl. blieb ohne Erfolg. Aus den Gründen: I. Das BerGer. hat zur Begründung der Verurteilung des Bekl. ausgeführt: Der Kl. stehe - entgegen der Auffassung des LG - zwar kein Anspruch aus § 607 I BGB zu; denn der Darlehensvertrag sei, wenn auch nicht nichtig nach § 56 I Nr. 6 GewO a.F., so doch infolge des Widerrufs gem. § 1 I HWiG nicht wirksam geworden, weil der Zeuge R in der Wohnung des Bekl. auf dessen Willen zum Vertragsschluß eingewirkt habe. Aus § 3 I HWiG ergebe sich danach aber ein Anspruch auf Rückgewähr der ausgezahlten Darlehenssumme; ihm gegenüber könne sich der Bekl. nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen.
II. Die Begründung des BerGer. hält der rechtlichen Überprüfung in einem
entscheidenden Punkt nicht stand. 2. Rechtsfehlerfrei hat das BerGer. hier die Voraussetzungen des § 1 HWiG bejaht. Nach den Feststellungen des Berufungsurteils - von denen auch die Kl. in ihrer Revisionsbegründung ausgeht - hat der für die Bank tätige Zeuge R, ein Mitbewohner des Studentenheims, für den Bekl. in dessen Wohnung eine Finanzanalyse gemacht, zugleich einen Termin für eine Anlageberatung in den Räumen der Kl. vereinbart und nach deren Durchführung dem Bekl. Antragsformulare, auch für den Darlehensvertrag, in dessen Wohnung gebracht. Darin hat das BerGer. mit Recht eine Einwirkung auf den Willen des Bekl. zum Vertragsschluß gesehen. Vergeblich wendet die Kl. ein, die erforderliche Kausalität sei nur gegeben, wenn die bindende Vertragserklärung des Kunden in der "Haustürsituation" erfolge; unterschreibe er in seiner Wohnung, ohne daß dabei ein Mitarbeiter der Bank anwesend sei, so fehle der Überraschungs- und Überrumpelungseffekt, gegen den § 1 HWiG schützen wolle. Dieser Auffassung ist das BerGer. mit Recht nicht gefolgt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist es nicht erforderlich, daß die besonderen Umstände der ersten Kontakaufnahme die entscheidende Ursache für die spätere Vertragserklärung darstellten; es genügt, daß sie einen unter mehreren Beweggründen ausmachten, sofern nur ohne sie der später geschlossene Vertrag nicht oder nicht so wie geschehen zustande gekommen wäre (Senat, NJW 1996, 926 = LM H. 6/1996 HWiG Nr. 24/25 = WM 1996, 387 (390) mit Schrifttumsnachw.). Die danach notwendige, aber auch ausreichende Mitursächlichkeit ist vom BerGer. hier rechtsfehlerfrei festgestellt worden. 3. Spätestens darin, daß der Bekl. seine Verteidigung im vorliegenden Verfahren auch auf einen Widerruf seiner Darlehensvertragserklärung gestützt hat, lag eine wirksame Ausübung seines Rechts aus § 1 HWiG. Gem. § 2 I HWiG war dieses Recht mangels Belehrung noch nicht durch Fristablauf erloschen. 4. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung nicht stand, soweit es der Kl. als Rechtsfolge des Widerrufs gem. § 3 I und 3 HWiG einen Anspruch gegen den Bekl. auf Rückzahlung der Darlehenssumme nebst marktüblichen Zinsen als Vergütung für die Überlassung des Geldes bis zur Widerrufserklärung zubilligt. Die Auffassung des BerGer., der Darlehensnehmer habe die Darlehenssumme auch dann selbst empfangen, wenn sie an einen Dritten gem. § 362 II BGB ausgezahlt worden sei, mag zutreffen, wenn es um ein Darlehen geht, das der Darlehensgeber ohne Rücksicht auf den - vom Darlehensnehmer frei zu bestimmenden - Verwendungszweck gewährt hat; der Darlehensnehmer wird dann durch die - auf seine Weisung erfolgende - Direktüberweisung von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Empfänger befreit. Hier liegt es jedoch anders, weil das Darlehen nach dem von der Kl. und den Gründungsgesellschaftern der S-GbRmH gemeinsam entwickelten Konzept ausschließlich der Finanzierung der Gesellschaftsbeteiligung des Bekl. dienen sollte, Darlehens- und Beteiligungsvertrag daher als wirtschaftliche Einheit anzusehen waren: Jeder der beiden Verträge wäre ohne den anderen nicht abgeschlossen worden; das ist zwischen den Parteien nicht streitig. In derartigen Fällen fordert der Schutzzweck der gesetzlichen Widerrufsregelung eine Auslegung, nach der dem Darlehensgeber nach dem Widerruf kein Zahlungsanspruch gegen den Darlehensnehmer in Höhe des Darlehenskapitals zusteht. Das ist für den Anwendungsbereich des Abzahlungs- und des Verbraucherkreditgesetzes allgemein anerkannt: Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 1d AbzG läßt sich beim finanzierten Abzahlungskauf der Widerruf nicht auf einen der zwei rechtlich selbständigen, aber eine wirtschaftliche Einheit bildenden Verträge beschränken, sondern führt zur Unwirksamkeit von Kauf- und Darlehensvertrag (BGHZ 91, 338 (342) = NJW 1984, 2291 = LM § 16 AbzG Nr. 8). Bei der Prüfung, was der Darlehensnehmer nach dem Widerruf als empfangene Leistung zurückzugewähren hat, kommt dem Schutzzweck der Widerrufsregelung entscheidende Bedeutung zu: Der Käufer/Darlehensnehmer soll innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist frei und ohne Furcht vor finanziellen Nachteilen entscheiden können, ob er an seinen Verpflichtungserklärungen festhalten will oder nicht. Dieser Schutzzweck würde gefährdet, wenn der Widerrufende dem Darlehensgeber den - dem Verkäufer zugeflossenen - Kreditbetrag erstatten müßte und seinerseits auf einen entsprechenden gegen den Verkäufer gerichteten Anspruch angewiesen wäre, also das Risiko seiner Durchsetzung tragen müßte (BGHZ 91, 9 (17, 18) = NJW 1984, 1755 = LM § 1b AbzG Nr. 7). Nach Außerkrafttreten des Abzahlungsgesetzes enthält nunmehr das Verbraucherkreditgesetz in § 9 II 1 die - der BGH-Rechtsprechung zum Abzahlungsgesetz entsprechende - ausdrückliche Regelung, daß auch die auf den Abschluß des verbundenen Kauf- oder sonstigen Leistungsvertrags (Abs. 4) gerichtete Willenserklärung des Verbrauchers erst wirksam wird, wenn er seine Kreditvertragserklärung nicht gem. § 7 I VerbrKrG widerruft. Für die Rückabwicklung des verbundenen Geschäfts nach dem Widerruf findet sich zwar auch im Verbraucherkreditgesetz noch keine ausdrückliche Regelung, auf welche Weise der Darlehensgeber das bereits ausgezahlte Darlehenskapital zurückerhalten kann (Palandt/Putzo, BGB, 55. Aufl., § 9 VerbrKrG Rdnr. 15). Mit Recht vertritt die herrschende Meinung im Schrifttum aber die Auffassung, daß dem Kreditgeber aus den gleichen Schutzzweckerwägungen wie beim finanzierten Abzahlungskauf kein Anspruch gegen den Verbraucher auf Rückzahlung der Darlehensvaluta zusteht (Emmerich, in: Graf v. Westphalen/Emmerich/Keßler, VerbrKrG, § 9 Rdnr. 69; Reinicke/Tiedtke, KaufR, 5. Aufl., S. 456; Bülow, VerbrKrG, 2. Aufl., § 9 Rdnrn. 47a, 52; vgl. Habersack, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 9 VerbrKrG Rdnr. 65; Dauner-Lieb, WM Sonderbeilage 6/1991, S. 20 vor a; Seibert, Hdb. zum VerbrKrG, § 9 Rdnr. 7 a.E.). Abzahlungs- und Verbraucherkreditgesetz sind allerdings im vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar: Der finanzierte Vertrag war nicht - wie in § 1 AbzG vorausgesetzt - auf den Kauf einer beweglichen Sache gerichtet; das Verbraucherkreditgesetz ist erst nach Abschluß des Kreditvertrages vom 9./11. 8. 1988 in Kraft getreten (Art. 10 des Gesetzes vom 17. 12. 1990, BGBl I, 2840). Trotzdem müssen die Rechtsgedanken, die der BGH-Rechtsprechung zum finanzierten Abzahlungskauf und der Regelung des Verbraucherkreditgesetzes zugrundeliegen, auch für ein verbundenes Geschäft gelten, das nach dem Haustürgeschäftewiderrufsgesetz wirksam widerrufen ist. Auch hier ergibt sich aus der wirtschaftlichen Einheit zwischen Kreditvertrag und finanziertem Geschäft die Notwendigkeit, die Unwirksamkeit als Rechtsfolge des Widerrufs auf beide Geschäfte zu erstrecken (vgl. Ulmer, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 5 HWiG Rdnr. 8). Auch beim finanzierten Haustürgeschäft kann der Schutzzweck der Widerrufsregelung nur erreicht werden, wenn der Darlehensnehmer nicht befürchten muß, nach dem Widerruf dem Rückzahlungsanspruch des Darlehensgebers ausgesetzt zu sein ohne Rücksicht darauf, ob der Rückgriffsanspruch gegen den Partner des finanzierten Geschäfts durchsetzbar ist. Auch beim Haustürgeschäftewiderrufsgesetz wird nur eine Auslegung, die dem Darlehensgeber keinen Rückzahlungsanspruch gegen den Darlehensnehmer gibt, dem erklärten Willen des Gesetzgebers gerecht, den Kunden durch die Ausgestaltung der Rückgewährpflichten nicht mittelbar in seinem freien Entschluß, das Widerrufsrecht auszuüben, zu behinderten (BT-Dr 10/2876, S. 13; Callois, DB 1990, 2062 (2064)). Ein Kreditnehmer, dem § 1 HWiG ein Widerrufsrecht gibt, weil seine Entschlußfreiheit beim Vertragsschluß durch die Verhandlungssituation gefährdet war, erscheint nicht weniger schutzwürdig als derjenige, dem die Rechtsprechung gem. § 6 AbzG ein Widerrufsrecht nach § 1 AbzG zubilligt. Auf die Revision des Bekl. muß daher der Klageantrag auf Rückzahlung des restlichen Darlehenskapitals nebst Zinsen in vollem Umfang abgewiesen werden. Damit erweist sich zugleich die Anschlußrevision der Kl. als unbegründet.
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