Begriff des Erfüllungsgehilfen: Makler als Erfüllungsgehilfe des Verkäufers? 
BGH, Urteil v. 24.11.1995  - V ZR 40/94 (Hamm) 
Fundstelle:

NJW 1996, 452 


Amtl. Leitsätze:

1. Beschränkt sich die Tätigkeit eines Grundstücksmaklers auf das Anbieten reiner Maklerdienste ohne Einbindung in die Erfüllung von Haupt- oder Nebenpflichten einer Vertragspartei, kommt eine Zurechnung nach § 278 BGB nicht in Betracht.
2. Ist einem Grundstücksmakler von einer der späteren Kaufvertragsparteien die Führung der wesentlichen Vertragsverhandlungen überlassen worden, so ist er von ihr im Regelfall zur Erfüllung der vorvertraglichen Sorgfaltspflichten herangezogen worden, und zwar auch dann, wenn ihm ein eigener Verhandlungsspielraum nicht eingeräumt worden ist; dies rechtfertigt die Anwendung des § 278 BGB. 



Zentrales Problem

Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB ist jede Person, die mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn die dem Geschäftsherrn als Schuldner aus einem bestehenden (gesetzlichen oder vertraglichen) Schuldverhältnis (auch aus bloßer Vertragsanbahnung) mit einem Dritten (Gläubiger) obliegenden (Haupt- oder auch nur Neben-)Pflichten wahrnimmt. Das setzt voraus, daß die Person gerade zu diesem Zweck vom Schuldner in die Pflichterfüllung "eingeschaltet" wurde und nicht nur eigene Interessen wahrnimmt. Die vorliegende Entscheidung behandelt diese Probleme lehrbuchmäßig, indem sie am Beispiel des Maklers erläutert, wann dieser als Dritter und wann er als Erfüllungsgehilfe einer Partei tätig wird. Vollkommen zu Recht zieht der BGH hier eine Parallele zur Problematik des "Dritten" i.S.v. § 123 II BGB.
S. auch BGH NJW 2001, 358.



Zum Sachverhalt:

Die Bekl. war Eigentümerin eines in Eigentumswohnungen aufgeteilten Mehrfamilienhauses in D., das sie veräußern wollte. Mit der Verkaufsvermittlung beauftragte sie den inzwischen verstorbenen Makler L, der seinerseits den Zeugen S einschaltete. Dieser stellte über weitere Mittelsleute den Kontakt zu der Kl. her und weckte ihre Kaufbereitschaft. Mit notariellem Vertrag vom 27. 2. 1985 erwarb die Kl. eine der Eigentumswohnungen. Der Kaufpreis von 85000 DM mußte von ihr finanziert werden. Zum Notartermin lag der auf Veranlassung des Maklers erstellte Vertragstext fertig abgefaßt vor. Die Parteien trafen hier erstmals zusammen, führten aber keine Verhandlungen mehr. Die Kl. hat den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Sie hat dazu behauptet, der Zeuge S habe ihr - was in den späteren Vertragstext nicht aufgenommen worden sei - bei den Vorgesprächen auf Veranlassung des Maklers zugesagt, daß die Wohnung für sie fünf Jahre lang kostenfrei sei. Die Bekl. garantiere nämlich eine Mieteinnahme von mindestens 10 DM pro qm. Falls dies zur Kostendeckung nicht ausreiche, übernehme sie auch den Differenzbetrag. Dies habe jedoch dem Willen der Bekl. nicht entsprochen. Unstreitig hat nach Vertragsschluß die mit der Hausverwaltung betraute Gesellschaft, eine GmbH, eine fünfjährige Mietgarantieerklärung in Höhe von 10 DM pro qm abgegeben. Zahlungen sind daraus nur unvollständig geflossen. Die Bekl. lehnte die Übernahme einer Mietgarantie und die Zusage, eine Kostendifferenz zu tragen, ab. Die Kl. hat zunächst Rückabwicklung des Kaufvertrages begehrt. Während des Berufungsverfahrens hat sie die Eigentumswohnung für 35000 DM weiterveräußert. Sie macht nunmehr Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß geltend und hat zuletzt - unter Anrechnung erhaltener Mieten, steuerlicher  Vorteile und des Verkaufserlöses - Erstattung der vom Zeitpunkt des Erwerbs bis zur Veräußerung angefallenen Finanzierungskosten verlangt, und zwar Zahlung von 13126,74 DM nebst Zinsen an sich, 16000 DM nebst Zinsen an sich und ihren Ehemann sowie Freistellung von der von ihr und ihrem Ehemann eingegangenen Darlehensverpflichtung gegenüber der V in Höhe von 64959,77 DM per 1. 5. 1992.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat die Bekl. zur Zahlung von 675,59 DM nebst Zinsen an die Kl. und von 16000 DM nebst Zinsen an die Kl. und ihren Ehemann verurteilt. Dem Freistellungsanspruch hat es in Höhe von bis zu 50801,76 DM per 1. 5. 1992 entsprochen. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat eine Schadensersatzhaftung der Bekl. unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß bejaht. Es hat für erwiesen erachtet, daß der Makler L die Kl. über den Zeugen S durch vorsätzlich falsche Angaben zum Abschluß des Kaufvertrages bewogen hat. Der Kl. sei nämlich wider besseres Wissen vermittelt worden, daß die Bekl. bereit sei, nicht nur eine Festmiete für fünf Jahre zu garantieren, sondern auch die Deckung der dann noch verbleibenden Kostendifferenz zu übernehmen, so daß der Erwerb für die Kl. in den ersten fünf Jahren frei von Zins- und Tilgungslasten sei. Das Verhalten des Maklers L habe sich die Bekl. nach § 278 BGB zurechnen zu lassen, da dieser als ihr Repräsentant die gesamten Vertragsverhandlungen geführt und freie Hand bei der Auswahl der Erwerber gehabt habe. Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
II. 1. Das BerGer. ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Anfechtung des Kaufvertrages die Möglichkeit unberührt läßt, unabhängig von der Wirksamkeit der Anfechtung Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluß geltend zu machen. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats (NJW 1979, 1983f. = LM § 123 BGB Nr. 55).
2. Nach dem vom BerGer. festgestellten Sachverhalt und der Würdigung des Beweisergebnisses ist die Kl. insoweit getäuscht worden, als ihr vorgespiegelt wurde, sie werde beim Erwerb der Eigentumswohnung in den ersten fünf Jahren weder mit Zins-noch mit Tilgungsleistungen belastet.
a) Die Rüge der Revision, das BerGer. sei zu diesem Ergebnis unter Übergehung eines Beweisantritts der Bekl. gelangt, geht fehl. Die Bekl. hat in zweiter Instanz bestritten, daß der Makler L selbst oder mittels einer anderen Person (des Zeugen S oder der Zeugin K) eine arglistige Täuschung begangen hat, und sich zum Beweis dafür auf das Zeugnis der Frau K berufen. Das BerGer. hat diesen Vortrag zu Recht als unsubstantiiert angesehen und die Notwendigkeit einer Vernehmung der Zeugin verneint. Eine konkrete Tatsachenbehauptung, die Gegenstand einer Zeugenbefragung hätte sein können, ist dem Vorbringen nicht zu entnehmen.
b) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, das BerGer. habe die Bekl. auf die fehlende Substantiierung des Tatsachenvortrags hinweisen müssen. Die Revision zeigt nämlich schon nicht auf, daß das Urteil hierauf beruht. Sie macht geltend, die Zeugin K wäre im Falle eines Hinweises zum Beweis dafür benannt worden, daß sie die behaupteten Zusagen des Maklers L weder von ihm erhalten noch an die Kl. oder den Zeugen H weitergegeben habe. Dies steht jedoch der Feststellung des BerGer. nicht entgegen, wonach die Angaben des Maklers L nicht von der Zeugin K, sondern allein von den Zeugen S und H vermittelt worden sind und die Zeugin K nur den Kontakt zu der Kl. hergestellt hat.
3. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Annahme des BerGer., die Bekl. habe für das Verhalten des Maklers L nach § 278 BGB einzustehen, frei von Rechtsfehlern.
a) Die Garantiehaftung für den Erfüllungsgehilfen stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, daß der Schuldner nur für eigenes Verschulden aufzukommen hat. Sie beruht auf der Erwägung, daß der Schuldner mit der Einschaltung eines Gehilfen seinen Geschäftskreis im eigenen Interesse erweitert und folglich das mit der Arbeitsteilung verbundene Personalrisiko tragen soll (vgl.Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl., § 278 Rdnr. 1; Hanau, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 278 Rdnr. 1). Als Erfüllungsgehilfe ist daher anzusehen, wer nach den tatsächlichen Umständen mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (s. nur BGHZ 13, 111 (113) = NJW 1954, 1193 = LM § 276 (Cg) BGB Nr. 5; BGHZ 50, 32 (35) = NJW 1968, 1569 = LM § 278 BGB Nr. 50).
Hiervon ausgehend hat die Rechtsprechung den Makler nicht generell als Erfüllungsgehilfen seines Vertragspartners betrachtet (RGZ 101, 97 (99); BGHZ 33, 302 (309) = NJW 1961, 164 = LM § 276 (Cc) BGB Nr. 15; Senat, WM 1964, 853 (854)). Dabei steht nicht die selbständige Stellung des Maklers einer Einschätzung als Erfüllungsgehilfe entgegen - auch sonst hindert die Selbständigkeit nicht die Anwendung des § 278 BGB (vgl. BGHZ100, 117 (122) = NJW 1987, 1815 = LM § 676 BGB Nr. 32; Hanau, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 278 Rdnr. 14) -, sondern der Umstand, daß der Makler durch seine Vermittlungstätigkeit eine eigene Leistung gegenüber dem Auftraggeber erbringt, die nicht ohne weiteres zugleich die Verpflichtung des Auftraggebers gegenüber dem späteren Vertragspartner erfüllt. Auch aus dessen Sicht erscheint der Makler nicht generell als Hilfsperson des Kontrahenten, sondern - je nach Sachlage - als Dritter, der durch seine Tätigkeit die Parteien zusammenbringt.
b) Dies gilt jedoch nur, wenn sich der Makler vereinbarungsgemäß darauf beschränkt, seine spezifischen Maklerdienste anzubieten. Übernimmt er demgegenüber mit Wissen und Wollen einer der späteren Vertragsparteien Aufgaben, die typischerweise ihr obliegen, so wird er in deren Pflichtenkreis tätig. Er ist dann nicht mehr allein Makler, sondern zugleich Hilfsperson dessen, in dessen Pflichtenkreis er Aufgaben wahrnimmt. Dies rechtfertigt die Anwendung des § 278 BGB. Wann dies anzunehmen ist, kann nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der konkreten Maklertätigkeit beantwortet werden. Darüber besteht - soweit ersichtlich - in Rechtsprechung und Literatur Einvernehmen. Zweifelhaft ist hingegen, von welchen allgemeinen Richtsätzen hierbei auszugehen ist.
Die Rechtsprechung hat es vermieden, allgemeingültige Rechtssätze zur Differenzierung aufzustellen, und die konkreten Einzelfallumstände, die einer wertenden Betrachtung unterzogen werden müssen, in den Vordergrund gerückt. Dabei haben sich verschiedene Fallgruppen herausgebildet, in denen dem Makler die Stellung eines Erfüllungsgehilfen zuerkannt worden ist. So ist die Zurechnung bejaht worden, wenn der Makler als beauftragter Verhandlungsführer oder Verhandlungsgehilfe des Schuldners aufgetreten ist (BGHZ 47, 224 (230) = NJW 1967, 1026 = LM § 6 AbzG Nr. 9; BGH, NJW-RR 1987, 59 = WM 1986, 1032 (1034); BGHZ 114, 263 (269) = NJW 1991, 2556 = LM § 459 BGB Nr. 109). Für den Bereich des § 123 BGB - und damit übertragbar auf den des § 278 BGB (BGH, NJW-RR 1987, 59 = WM 1986, 1032 (1034)) - ist das Einstehenmüssen des Geschäftsherrn auch dann bejaht worden, wenn der am Zustandekommen des Geschäfts Beteiligte, also etwa auch ein Makler, wegen seiner engen Beziehung zum Geschäftsherrn als dessen  Vertrauensperson erscheint (BGH, NJW 1978, 2144 = LM § 123 BGB Nr. 51 = WM 1978, 1154 (1155); BGH, NJW 1979, 1593 = LM § 123 BGB Nr. 53 = WM 1979, 429 (431); vgl. auch Senat, NJW 1995, 2550 = LM H. 11/1995 § 278 BGB Nr. 127 = BB 1995, 1609). Dabei ist nicht entscheidend, ob ihm für die Verhandlung Vertretungsmacht eingeräumt worden ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob bei wertender Beurteilung der tatsächlichen Umstände sein Verhalten dem Geschäftsherrn zuzurechnen ist (BGH, NJW 1978, 2144 = LM § 123 BGB Nr. 51 = WM 1978, 1154 (1155); BGH, NJW 1979, 1593 = LM § 123 BGB Nr. 53 = WM 1979, 429 (431)). Dies kann z.B. der Fall sein, wenn der Makler als Repräsentant seines Auftraggebers, wie dessen bevollmächtigter Vertreter, aufgetreten ist, als derjenige, mit dem wie mit dem Eigentümer selbst  verhandelt werden könne (Senat, NJW 1995, 2550 = LM H. 11/1995 § 278 BGB Nr. 127 = BB 1995, 1609).
Angesichts der erforderlichen wertenden Beurteilung der Einzelfallumstände verbietet sich jede schematische Lösung der Zurechnungsproblematik. Ausgangspunkt der Überlegungen muß jedoch stets die Konzeption des § 278 BGB bleiben, der die Zurechnung davon abhängig macht, daß jemand mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn zur Erfüllung von Pflichten tätig wird, die dem Geschäftsherrn obliegen. Der Makler muß also - von der Vertragspartei zurechenbar veranlaßt - Aufgaben übernommen haben, die dem Pflichtenkreis dieser Partei zuzuordnen sind. Bleibt die Tätigkeit des Maklers dahinter zurück, beschränkt er sich auf das Anbieten reiner Maklerdienste, ohne sich in die Erfüllung von Haupt- oder Nebenpflichten einer Vertragspartei einbinden zu lassen, kommt eine Zurechnung nach § 278 BGB in Betracht.
c) Nach dem von dem BerGer. festgestellten Sachverhalt ist der Makler L als Erfüllungsgehilfe der Bekl. anzusehen. Seine Tätigkeit beschränkte sich nicht darauf, seine Dienste als Vermittlungsmakler zu erbringen. Vielmehr war er von der Bekl. in die Erfüllung der ihr obliegenden vorvertraglichen Sorgfaltspflichten eingschaltet worden. Bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, besteht gleichwohl für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck (des anderen) vereiteln können und daher für seinen Entschluß von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten konnte (st.Rspr. des Senats, vgl. nur NJW 1979, 2243 = LM § 123 BGB Nr. 54 = WM 1982, 960 m.w.Nachw.). Ebenso besteht die Pflicht, dem Vertragspartner nicht Umstände vorzuspiegeln, die für seine Entscheidung wesentlich sein können, in Wirklichkeit jedoch nicht vorliegen. Zur Erfüllung dieser vorvertraglichen Pflichten hat sich die Bekl. des Maklers L als ihrer Hilfsperson bedient, indem sie ihm die Führung der wesentlichen Vertragsverhandlungen überlassen hat. Sie hatte ihm zwar keinen eigenen Verhandlungsspielraum eingeräumt und die Vertragskonditionen vorgegeben. Das ändert aber nichts daran, daß die Erfüllung der vorvertraglichen Sorgfaltspflichten ihm überlassen war. Dies wird besonders dadurch deutlich, daß sie wollte und wußte, daß der Makler neben dem Aushandeln der kaufvertragstypischen Leistungen gewisse Vorteile als Kaufanreize versprach. Sie selbst  blieb demgegenüber den Vorgesprächen, die üblicherweise Anlaß sind für Erläuterungen, zusätzliche Abmachungen und ergänzende Fragen, fern. Die Führung des Teils der Vertragsverhandlungen, in dem sich die zunächst allgemeinen vorvertraglichen Sorgfaltspflichten konkretisieren, blieb somit dem Makler überlassen. Dies rechtfertigt die Anwendung des § 278 BGB.
4. Die Ausführungen des BerGer. zur Schadenshöhe werden von der Revision hingenommen. Sie lassen auch Rechtsfehler nicht erkennen.


<- Zurück mit dem "Back"-Button Ihres Browsers!