NJW 1997, 660
Amtl. Leitsätze:
1. Die Stellung als Halter eines Kraftfahrzeugs
endet jedenfalls dann, wenn die tatsächliche Möglichkeit, den
Einsatz des Kraftfahrzeugs zu bestimmen (Verfügungsgewalt), nicht
nur vorübergehend (hier: mindestens 2 1/2 Jahre) entzogen worden ist.
2. Eine entsprechende Anwendung des
§ 7 III 1 Halbs. 2 StVG zu Lasten des früheren Halters ist in
den Fällen des § 7 III 2 StVG nach Wechsel der Haltereigenschaft
auch dann nicht möglich, wenn der neue Halter unbekannt ist.
Die Kl. begehrt vom Bekl. Ersatz von Schäden,
die sie an ihrem, von ihrem Sohn gesteuerten Pkw Volvo 240 GLE bei einem
Verkehrsunfall am 22. 4. 1992 auf der Autobahn A 57 erlitten hat. Auf den
Pkw Volvo der Kl. fuhr ein Pkw VW-Scirocco auf, der mit einem gestohlenen
polizeilichen Kennzeichen versehen war, dessen Fahrer Verkehrsunfallflucht
beging und unbekannt ist. Der Bekl. hatte den Scirocco im Rahmen seines
Gebrauchtwagenhandels Ende 1988 erworben und beim Straßenverkehrsamt
abgemeldet. Er hatte ihn einem Kaufinteressenten Ende 1988/Anfang 1989
übergeben, ohne sich dessen Personalien zu merken. Der Interessent
gab den VW nicht zurück. Der Bekl. erstattete keine Anzeige. Die Kl.
hat die Ansicht vertreten, der Bekl. müsse für den Schaden eintreten,
weil er noch Halter des VW-Scirocco gewesen sei oder sich zumindest als
solcher behandeln lassen müsse.
Das LG hat der Klage stattgegeben; eine
Verpflichtung des Bekl. zum Schadensersatz sei in entsprechender Anwendung
der §§ 7 I, III StVG anzunehmen. Vor allem dann, wenn der letzte
Halter es zu vertreten habe, daß eine konkrete Person als aktueller
Halter nicht mehr ermittelt werden könne, gelte der Grundsatz, daß
jedes Kraftfahrzeug bis zum letzten Betrieb einen Halter haben müsse.
Das OLG hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die zugelassene Revision der Kl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat die Abweisung der Klage
im wesentlichen damit begründet, der Bekl. sei im Unfallzeitpunkt
nicht mehr Halter des Pkw VW-Scirocco gewesen. Die Haftung des Halters
beruhe darauf, daß er die Verantwortung für die Ingebrauchnahme
des Fahrzeugs trage; sie ende mit dem endgültigen Verlust jeglicher
Verfügungsgewalt über das Kraftfahrzeug. Dieser sei nach einem
Diebstahl des Fahrzeugs jedenfalls dann gegeben, wenn der Täter polizeilichen
Nachforschungen nicht mehr ausgesetzt sei. Im vorliegenden Fall sei der
mögliche Dieb im Unfallzeitpunkt über 2 1/2 Jahre nach der Inbesitznahme
des Fahrzeugs polizeilichen Nachforschungen nicht mehr ausgesetzt und damit
Halter gewesen; zudem sei das Fahrzeug bei der Zulassungsstelle abgemeldet
und mit gestohlenen Kennzeichen versehen gewesen. Eine weite Auslegung
der Ausnahmevorschrift in § 7 III 1 Halbs. 2 StVG sei nicht zulässig.
Auch eine Haftung aus § 823 I BGB deshalb, weil der Bekl. die Person
des Kaufinteressenten nicht zuverlässig ermittelt gehabt habe und
auf diese Weise die Benutzung des Fahrzeugs durch den Unfallfahrer und
damit den Unfall ermöglicht habe, komme nicht in Betracht. Insoweit
fehle der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden
Ereignis und dem eingetretenen Schaden. Auch bei schuldhafter Ermöglichung
eines Diebstahls oder einer Unterschlagung erstrecke § 7 III 1 Halbs.
2 StVG die Haftung des Halters nicht über den Zeitpunkt hinaus, zu
dem seine Halterstellung geendet habe.
II. Das angefochtene Urteil hält
den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Der Kl. steht gegen den Bekl. kein
Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Unfall vom 22. 4. 1992 entstandenen
Schadens gem. § 7 I StVG zu, denn der Bekl. war im Zeitpunkt des Unfalls
nicht mehr Halter des Pkw VW-Scirocco.
Ohne Rechtsfehler geht das BerGer. davon
aus, daß eine Haftung aus § 7 I StVG nach dem Verlust der Haltereigenschaft
nicht mehr begründet werden kann. Halter eines Kraftfahrzeugs ist
nach gefestigter Rechtsprechung, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung
in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt, die ein solcher
Gebrauch voraussetzt (vgl. BGHZ 87, 133 (135) = NJW 1983, 1492 = LM §
7 StVG Nr. 53; BGHZ 116, 201 (202, 205f.) = NJW 1992, 900 = LM H. 8/1992
§ 242 (Cd) BGB Nr. 319). Dementsprechend endet die Stellung als Halter
eines Kraftfahrzeugs jedenfalls dann, wenn die tatsächliche Möglichkeit,
den Einsatz des Kraftfahrzeugs zu bestimmen (Verfügungsgewalt), auf
eine nicht nur vorübergehende Zeit entzogen wird. So liegt der Fall
hier. Es kann daher dahinstehen, ob der Bekl. den Pkw 1988 veräußert
oder ihn einem Kaufinteressenten zu einer Probefahrt überlassen hat.
Jedenfalls hat dieser das Fahrzeug nicht mehr zurückgegeben, sondern
mindestens 2 1/2 Jahre lang unter Ausschluß der Verfügungsmöglichkeit
des Bekl. selbst genutzt oder sogar weitergegeben.
2. Auch eine Haftung aus § 7 III
StVG scheidet im vorliegenden Fall aus.
a) In Betracht käme lediglich §
7 III 2 StVG. Diese Bestimmung erfaßt die Fälle, in denen der
Halter das Fahrzeug einem anderen überlassen, es diesem also zu einem
bestimmten Zweck anvertraut hat. Wenn dieser dann bei oder nach Erledigung
der Zweckbestimmung das Fahrzeug zu einer nicht vom Willen des Halters
gedeckten Schwarzfahrt benutzt (sog. Exzeß des Benutzers), bleibt
§ 7 III 2 StVG anwendbar (vgl. Greger, Zivilrechtliche Haftung im
Straßenverkehr, 2. Aufl., § 7 StVG Rdnr. 337; amtl. Begründung
zum Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für
Kraftfahrzeughalter und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr
mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag
vom 7. 11. 1939 - RGBl I, 2223 - in DJ 1939, 1771f. zu Art. II Nr. 2).
Eine Haftung nach § 7 III 2 StVG
setzt aber voraus, daß der Überlassende weiterhin Halter ist.
Die Bestimmung macht die Befreiung des Halters von seiner Haftung nach
§ 7 III 1 StVG für die Fälle, in denen sich der Schwarzfahrer
eigenmächtig in den Besitz des Fahrzeugs gesetzt und der Halter das
nicht verschuldet hat, rückgängig. Für eine solche Haftungsbefreiung
besteht kein Anlaß, wenn der Halter für die Auswahl der Person,
der er das Fahrzeug anvertraut, verantwortlich ist. Verbleibt es für
diese Fälle daher bei der Haftung des Halters gem. § 7 I StVG,
geht die Haftung aus § 7 III 2 StVG nicht weiter als jene und setzt
damit in gleicher Weise das (Fort-)Bestehen der Haltereigenschaft zur Begründung
der Haftung voraus (ebenso Greger, § 7 StVG Rdnrn. 337, 358, 369).
Daran fehlt es vorliegend, wie bereits ausgeführt wurde.
b) Eine Haftung des Bekl. aus § 7
III 1 StVG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil in den Fällen
des § 7 III 2 StVG nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes Satz
1 dieser Vorschrift keine Anwendung findet. Deshalb kommt es letztlich
auch nicht darauf an, ob der in der Literatur vertretenen Mindermeinung
zu folgen wäre, nach der die Bestimmung des § 7 III 1 Halbs.
2 StVG in sinngemäßer Anwendung auch den Fall der unbefugten
Benutzung mit Halterwechsel umfassen soll (vgl. Greger, § 7 StVG Rdnrn.
332, 357).
Soweit die Revision darüber hinaus
(insoweit im Gegensatz zu Greger, § 7 StVG Rdnrn. 337, 358, 369) eine
Haftung des früheren Halters für die Fälle der unbefugten
Benutzung durch einen anfänglich befugten Benutzer sogar nach Halterwechsel
begründen will, geht das fehl. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen
Regelung des § 7 III 2 StVG schließt die anfängliche Überlassung
des Fahrzeugs die unmittelbare und erst recht die entsprechende Anwendung
des gesamten § 7 III 1 StVG aus. Eine entsprechende Anwendung des
§ 7 III 1 Halbs. 2 StVG zu Lasten des früheren Halters ist in
den Fällen des § 7 III 2 StVG nach Wechsel des Halters auch dann
nicht möglich, wenn der neue Halter unbekannt ist; auf die Kenntnis
von der Person des Halters stellt das Gesetz nicht ab.
3. Eine Haftung des Bekl. aus § 823
BGB hat das BerGer. im Ergebnis ohne Rechtsfehler verneint. Die Revision
rügt ohne Erfolg, der Bekl. habe die ihm obliegende allgemeine Pflicht
verletzt, die zum Schutz Dritter notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Die
Revision meint, der Bekl. habe dadurch, daß er den Wagen für
eine Probefahrt überlassen habe, ohne die Personalien des Kaufinteressenten
festzuhalten, das Fahren mit einem gefälschten oder gestohlenen Kennzeichen
ohne Versicherungsschutz ermöglicht. Das geht fehl. Der Bekl. war
nicht gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern verpflichtet,
die Personalien eines Kaufinteressenten festzustellen und zu vermerken.
Solche Feststellungen waren allenfalls im eigenen Interesse des Bekl. angebracht,
um ihm die Durchsetzung eventueller Ansprüche zu erleichtern. Soweit
er die Feststellungen unterließ, handelte er schon objektiv nicht
pflichtwidrig gegenüber der Kl. Daß der Bekl. in schadensursächlicher
Weise gegen seine Verpflichtung aus § 21 I Nr. 2 StVG verstoßen
hätte, ist von der Revision nicht geltend gemacht und nicht ersichtlich.
Das BerGer. hat mithin zu Recht einen Zurechnungszusammenhang zwischen
dem Verhalten des Bekl. und dem bei der Kl. eingetretenen Schaden verneint.