NJW 1998, 2895
s. nunmehr auch BGH NJW 2002, 361
Ein Vertrag, der darauf gerichtet ist, durch
die Vermarktung und den Vertrieb von Telefonkarten Telefonsex kommerziell
zu fördern, ist sittenwidrig. Die Nichtigkeit erstreckt sich auch
auf ein damit verbundenes Darlehen.
Die Kl. nimmt die Bekl. auf Rückzahlung eines
Darlehens in Höhe von 100 000 DM in Anspruch. Die Bekl. machen im
Wege der Aufrechnung und Widerklage Gegenansprüche aus der Lieferung
von Telefonsexkarten sowie wegen angeblicher Zeitungsannoncenkosten geltend.
Mit Vertrag vom 15. 10. 1992 übernahm die Kl. für die Bekl. die
Vermarktung und den Vertrieb von Telefonkarten. Mit diesen von den Bekl.
hergestellten Karten sollten die Endabnehmer telefonisch von den Bekl.
vermittelte "Dienstleistungen" ohne Zusatzgeräte und ohne Belastung
mit weiteren postalischen Telefongebühren abrufen können. Zu
den Dienstleistungen gehörten sogenannte Sex-Gespräche mit Mitarbeiterinnen
der Bekl. und das Abspielen von entsprechenden, auf Tonträgern gespeicherten
Erzählungen. Für "Maßnahmen der Systemsicherung" gewährte
die Kl. den Bekl. mit dem Vertrag vom 15. 10. 1992 ein Darlehen über
100 000 DM, das frühestens nach Ablauf eines Jahres zurückgezahlt
werden sollte. In der Folgezeit erhielt die Kl. "Telefon-Sexkarten" im
Gesamtwert von 103 600 DM; von diesem Betrag sind unter Berücksichtigung
eines Rabatts von 35% und zweier Zahlungen in Höhe von 355 DM bzw.
1200 DM noch 65 785 DM offen, mit denen die Bekl. die Aufrechnung erklärt
haben. Ferner forderten die Bekl. von der Kl. die Erstattung angeblich
in der Zeit von September 1992 bis Dezember 1992 verauslagter Inseratskosten
in Höhe von 89 214,35 DM, die sie nunmehr mit einem Teilbetrag von
34 215 DM zur Aufrechnung gestellt haben und in Höhe des Restbetrags
von 54 999,35 DM im Wege der Widerklage verlangen. Anfang 1993 kam es zwischen
den Parteien über die Vertragsdurchführung zum Streit, in dessen
Verlauf die Parteien wechselseitig fristlose Kündigungen aussprachen.
Beide Vorinstanzen (vgl. zuletzt OLG Karlsruhe,
NJW 1997, 2605) haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer., dessen Urteil in NJW 1997, 2605,
abgedruckt ist, hat den Zahlungsanspruch der Kl. zugesprochen und die Widerklage
abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Der Anspruch der Kl. auf Rückzahlung des
darlehensweise gewährten Betrags von 100 000 DM ergebe sich aus §
812 I 1 BGB, weil der Vertriebsvertrag vom 15. 10. 1992 nichtig sei. Dies
folge zwar nicht - wie das LG gemeint habe - aus § 134 BGB i. V. mit
§ 120 I Nr. 2 OWiG, weil das Tatbestandsmerkmal "sexuelle Handlung"
bei Telefongesprächen mit sexuellem Inhalt nicht erfüllt sei.
Der Vertriebsvertrag sei jedoch wegen Sittenwidrigkeit nach § 138
I BGB nichtig. Denn die mit dem Vertrieb der Telefonkarten verfolgte Art
der Kommerzialisierung von Intimverhalten verstoße auch unter Berücksichtigung
der heutigen Ansichten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht
Denkenden. Das Unwerturteil über die entgeltlichen Leistungen der
Mitarbeiterinnen der Bekl. unterscheide sich nicht wesentlich von dem über
die entgeltlichen Leistungen Prostituierter, auch wenn bei Telefonsex kein
unmittelbarer körperlicher Kontakt hergestellt werde. Dem Rückzahlungsanspruch
der Kl. stehe auch nicht § 817 S. 2 BGB entgegen, weil den Bekl. mit
der Darlehensgewährung nur die zeitweilige Kapitalnutzung überlassen
worden sei. Wegen der Nichtigkeit des Vertriebsvertrags entbehrten auch
die Gegenansprüche der Bekl. einer Grundlage.
II. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision
ohne Erfolg.
1. Der Zahlungsanspruch der Kl. in Höhe der
Klageforderung ergibt sich aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB. Entgegen der
Auffassung der Revision hat das BerGer. zu Recht den Vertrag vom 15. 10.
1992 einschließlich der Darlehensvereinbarung als nichtig angesehen,
weil dieser Vertrag sittenwidrig ist und dem Rückzahlungsanspruch
die Vorschrift des § 817 S. 2 BGB nicht entgegensteht.
a) Zu Recht hat das BerGer. die Vereinbarung vom
15. 10. 1992 nicht bereits wegen Verstoßes gegen § 120 I Nr.
2 OWiG (bzw. § 119 I Nr. 2 OWiG) nach § 134 BGB als nichtig eingestuft.
Nach dieser Vorschrift, der Verbotsgesetzcharakter zukommt (vgl. BGHZ 118,
182 [188 ff.] = NJW 1992, 2557 = LM H. 12-1992 § 134 BGB Nr. 141),
handelt ordnungswidrig, wer unter anderem durch Verbreiten von Tonträgern
oder Datenspeichern Gelegenheit zu entgeltlichen sexuellen Handlungen anbietet.
Mit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur kann die lediglich
akustische Vermittlung sexueller Reize nicht unter den Begriff der sexuellen
Handlung i. S. der §§ 119, 120 OWiG eingeordnet werden, weil
hierunter nur solche Handlungen zu verstehen sind, bei denen der
eigene oder ein fremder Körper eingesetzt wird (vgl. OLG Hamm, NJW
1995, 2797; OLG Stuttgart, NJW 1989, 2899; Behm, NJW 1990, 1822 [1823];
Göhler, OWiG 11. Aufl., § 119 Rdnrn. 5, 7 a; Kurz, in: KK-OWiG,
§ 119 Rdnr. 6, § 120 Rdnr. 13; Rebmann-Roth-Herrmann, OWiG, Stand:
April 1997, § 119 Rdnr. 5, § 120 Rdnr. 10; Tröndle, StGB,
48. Aufl., § 184 c Rdnr. 2; a. A. LG Bonn, NJW 1989, 2544).
b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Vereinbarung
vom 15. 10. 1992 jedoch als sittenwidrig i. S. des § 138 I BGB anzusehen.
Nach den Feststellungen des BerGer., die von der Revision ausdrücklich
hingenommen werden, sollten die zum Weiterverkauf vorgesehenen Telefonkarten
größtenteils dazu dienen, dem Endabnehmer gegen Entgelt mit
hierfür bezahlten Mitarbeiterinnen der Bekl. Telefongespräche
sexuellen Inhalts zu ermöglichen.
aa) Die Sittenwidrigkeit von Telefonsex-Verträgen
wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Das Unwerturteil
wird im wesentlichen damit begründet, daß beim Telefonsex die
jeweilige Mitarbeiterin des Anbieters als Person zum Objekt herabgewürdigt
und zugleich der Intimbereich zur Ware gemacht werde (vgl. OLG Düsseldorf,
NJW-RR 1991, 246 f.; OLG Hamm, NJW 1989, 2551; LG Mannheim, NJW 1995, 3398
f.; AG Essen, NJW 1989, 3162 f.; AG Garmisch-Partenkirchen, NJW 1990, 1856
f.; AG Halle, NJW-RR 1993, 1016; Erman-Brox, BGB, 9. Aufl., § 138
Rdnr. 85; Mayer-Maly, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 138 Rdnr. 52;
Medicus, BGB AT, 7. Aufl., Rdnr. 701; Staudinger-Sack, BGB 1996, §
138 Rdnr. 454). Die Gegenansicht weist darauf hin, daß - anders als
bei der Prostitution oder bei einer Peep-Show - beim Telefonsex die Anbieterin
dem Anrufer nicht ausgeliefert sei, sondern ihr noch ausreichend Fluchträume
verblieben; die Anbieterin werde durch das Fehlen eines unmittelbaren persönlichen
Kontakts nicht zur bloßen Ware (vgl. OLG Hamm, NJW 1995, 2797; OLG
Stuttgart, NJW 1989, 2899; LG Hamburg, NJW-RR 1997, 178 f.; AG Aue, NJW
1997, 2604 f.; AG Düsseldorf, NJW 1990, 1856; AG Offenbach, NJW 1988,
1097; Behm, NJW 1990, 1822 [1824]; Jauernig-Jauernig, BGB, 8. Aufl., §
138 Rdnr. 17; Palandt-Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 138 Rdnr. 52).
bb) Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung
vom 15. 10. 1992 ist sittenwidrig. Das ergibt sich daraus, daß die
Parteien mit dieser Vereinbarung ein bestimmtes Sexualverhalten ihrer potentiellen
Kunden in verwerflicher Weise kommerziell ausnutzen wollten. Der vertragsmäßig
verfolgte Geschäftszweck war damit selbst sittenwidrig (ebenso für
den Kaufvertrag über ein Telefonsexvermittlungsunternehmen: OLG Düsseldorf,
NJW-RR 1991, 246). Es kann auch davon ausgegangen werden, daß bei
diesen Gesprächen der Anrufer die Möglichkeit zur Selbstbefriedigung
oder zu anderen sexuellen Praktiken erhalten bzw. auf Wunsch hierzu animiert
werden soll. Hierdurch wird der Intimbereich - wie bei der Prostitution
oder bei einer Peep-Show - zur Ware gemacht. Daß es zwischen Anrufer
und "Service-Mädchen" zu keinem unmittelbaren körperlichen Kontakt
kommt, ist ohne Bedeutung. Denn bei dem Gespräch wird von der Anbieterin
auch vorgegeben, sexuelle Handlungen an sich oder dem Anrufer vorzunehmen,
um ihn so zur sexuellen Erregung oder Befriedigung zu bringen (vgl. LG
Mannheim, NJW 1995, 3398: "Wortbordelle"; AG Essen, NJW 1989, 3162 [3163]).
Diesem Zweck des Gesprächs bzw. Wunsch des Kunden muß sich die
Gesprächspartnerin unterordnen, so daß der Gesprächsinhalt
nicht ihrer freien Willensbestimmung unterliegt und damit ihre "aktive"
Rolle nur scheinbar ist. Dadurch wird die Anbieterin zum Objekt gerade
auch deshalb herabgewürdigt, weil es an einer unmittelbaren menschlichen
Begegnung fehlt und sie auf ihre Stimme und den Inhalt ihrer Äußerungen,
die üblicherweise nur in Momenten intimen Zusammenseins abgegeben
werden, reduziert wird (vgl. AG Halle, NJW-RR 1993, 1016). Wegen der fehlenden
Zugangskontrolle sprechen schließlich auch Gründe des im Interesse
der Allgemeinheit liegenden Jugendschutzes für die Sittenwidrigkeit
des mit der Vertriebsvereinbarung bezweckten Leistungserfolgs (vgl. BVerwGE
64, 274 [276] = NJW 1982, 664; BVerwGE 71, 29 [31] = NVwZ 1985, 826; OLG
Karlsruhe, NJW 1978, 61).
Mit dem Kauf eines Pornoheftes oder dem Besuch
der Vorführung eines Pornofilms kann der mit der Vereinbarung verfolgte
Geschäftszweck nicht verglichen werden (vgl. aber AG Offenbach, NJW
1988, 1097; Behm, NJW 1990, 1822 [1824 f.]). Denn bei den von den Parteien
beabsichtigten Telefongesprächen sollte der Kunde immerhin in unmittelbaren
akustischen Kontakt zu seiner Gesprächspartnerin treten, die für
den Kunden nur eine "Gesprächsnummer" darstellt. Dadurch wird diese
zur Ware, so daß ihre Anonymität gerade kein Argument gegen
die Sittenwidrigkeit des Geschäfts darstellt (so aber OLG Hamm, NJW
1995, 2797; LG Hamburg, NJW-RR 1997, 178 [179]; Behm, NJW 1990, 1822
[1824 f.]). Ebensowenig überzeugt der Hinweis, der Gesprächspartnerin
verblieben ausreichend Fluchträume, die sie dem Anrufer nicht ausgeliefert
sein ließen (vgl. OLG Hamm, NJW 1995, 2797). In der Praxis werden
die Mitarbeiterinnen des Telefonsex-Anbieters das Telefonat "bei Nichtgefallen"
nicht einfach abbrechen können. Entgegen der Ansicht der Revision
kann der umstrittene Vertrag auch nicht mit einem (rechtlich wirksamen)
Bierlieferungsvertrag an ein Bordell (vgl. hierzu BGH, NJW-RR 1987, 999
= LM § 134 BGB Nr. 119 = WM 1987, 1106 [1107]) gleichgesetzt werden,
weil es sich bei jenem nur um ein bloßes Hilfsgeschäft handelt,
welches selbst wertneutral ist, während die Vereinbarung vom 15. 10.
1992 unmittelbar von dem beschriebenen Unwerturteil erfaßt wird (vgl.
für einen Anzeigenvertrag BGHZ 118, 182 [187 ff.] = NJW 1992, 2557
= LM H. 12-1992 § 134 BGB Nr. 141).
c) Die Nichtigkeit erstreckt sich nach §
139 BGB auch auf das mit dem Vertriebsvertrag untrennbar verbundene Darlehen,
da dieses zur Finanzierung von "Maßnahmen der Systemsicherung" dienen
sollte. Das Darlehen war für eine "Betriebsinvestition" zweckgebunden
und sollte das Telefonsexkartengeschäft objektiv fördern und
ermöglichen. Als bloß untergeordnetes Hilfsgeschäft im
Sinne der vorgenannten Rechtsprechung läßt es sich daher gerade
nicht einordnen (vgl. BGH, NJW-RR 1990, 750 = WM 1990, 799 [801]).
d) Entgegen der Ansicht der Revision steht dem
Klageanspruch nicht § 817 S. 2 BGB entgegen. Nach der Rechtsprechung
des Senats scheitert eine Rückforderung des Darlehenskapitals grundsätzlich
nicht an dieser Vorschrift, weil sonst der von der Rechtsordnung mißbilligte
Zweck gleichsam legalisiert würde; vielmehr ist ein solcher Ausschluß
- wie z. B. bei einem zu Spielzwecken hingegebenen und verlorenen Darlehen
- nur dann gerechtfertigt, wenn die Durchführung des zu mißbilligenden
Zwecks von vornherein mit einem dem Darlehensgeber bekannten Risiko verbunden
war, dieses Risiko sich verwirklicht und für den Darlehensnehmer zu
einem Verlust des Kapitals geführt hat (vgl. Senat, NJW 1995, 1152
= LM H. 7-1995 § 607 BGB Nr. 152 = WM 1995, 566 [567 f.]; BGH, NJW-RR
1990, 750 = WM 1990, 799 [802]; OLG München, MDR 1977, 228; Erman-Westermann,
§ 817 Rdnr. 22; Lieb, in: MünchKomm, § 817 Rdnr. 21; Becker-Eberhard,
WuB IV A. § 817 BGB 1.95; Kohler, EWiR 1995, 443 [444]). Ein solcher
Ausnahmefall liegt nicht vor.
2. Da die Vereinbarung vom 15. 10. 1992 wegen
Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB nichtig ist, stehen den Bekl. auch
die zur Aufrechnung gestellten bzw. mit der Widerklage geltend gemachten
Gegenansprüche nicht zu.