"Berliner
Testament" (§ 2269 BGB): Keine Erbausschlagung durch Schlußerben vor dem
zweiten Erbfall
BGH, Urteil
vom 8. 10. 1997 - IV ZR 236/96
Fundstelle:
NJW 1998, 543
DNotZ 1998, 830
FamRZ 1998, 103
ZEV 1998, 22
Amtl. Leitsatz:
Der Schlußerbe eines Berliner
Testaments (§ 2269 BGB) kann gem. § 1946 BGB die Erbschaft erst ausschlagen,
wenn er Erbe geworden ist; das wird er erst beim Tod des längerlebenden
Ehegatten.
Zum Sachverhalt:
Die Kl. hält sich nach dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament ihres am
25. 6. 1953 vorverstorbenen Vaters und ihrer am 10. 1. 1992 gestorbenen
Stiefmutter, der zweiten Ehefrau ihres Vaters, für deren Schlußerbin. Sie
macht ihre Rechte gegenüber den Bekl. geltend, die die Stiefmutter in einem
notariellen Testament vom 9. 2. 1988 zu ihren alleinigen Erben bestimmt hat.
In dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament vom 27. 3. 1953 hatten sich der
Vater der Kl. und ihre Stiefmutter gegenseitig als alleinige Erben
eingesetzt. „Nacherbe des Letztversterbenden“ sollte die Kl. sein. Falls sie
beim Tode des Erstversterbenden Erbansprüche stelle, werde sie „auf den
Pflichtteil gesetzt“. Nach dem Tode des Vaters der damals noch
minderjährigen Kl. beantragte deren Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin
einen Erbschein zugunsten der Kl. aufgrund gesetzlicher Erbfolge. Erst
danach wurde das gemeinschaftliche Ehegattentestament eröffnet; der
Erbscheinsantrag wurde zurückgewiesen. Am 20. 3. 1954 schlug die Mutter der
Kl. durch öffentlich beglaubigte Erklärung gegenüber dem NachlaßG die im
Testament vom 27. 3. 1953 für die Kl. vorgesehene „Nacherbschaft“ aus. Dazu
hatte das VormG die Genehmigung erteilt. Die Stiefmutter der Kl. erhielt im
Jahre 1955 ein Hausgrundstück von ihren Eltern. Daraus besteht im
wesentlichen ihr Nachlaß.
Das LG hat durch Teilurteil festgestellt, daß die Kl. Alleinerbin nach ihrer
Stiefmutter geworden sei, und die Bekl. zur Auskunft über den Bestand der
Erbschaft und den Verbleib der Erbschaftsgegenstände verurteilt. Das OLG hat
auf die Berufung der Bekl. die Klage, die sich ferner auf Herausgabe des
Hausgrundstücks und noch zu bezeichnender Nachlaßgegenstände richtet,
insgesamt abgewiesen (NJW-RR 1997, 136 = FamRZ 1996, 1567, m. Anm. Leipold =
ZEV 1996, 310, m. Anm. Edenfeld = Rpfleger 1997, 340, m. Anm. Frohn). Die
Revision der Kl. hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
II. 2. Die Revision rügt mit Recht, daß der Erbfall, den § 1946 BGB
voraussetzt, beim Schlußerben erst der Tod des längerlebenden Ehegatten ist.
Vorher hat der Schlußerbe zwar ein Erbrecht, auf das er gem. § 2352 BGB
verzichten kann, ist aber noch nicht Erbe und kann daher auch nicht
ausschlagen.
Insofern unterscheidet sich die Rechtsstellung des Schlußerben wesentlich
vom Nacherben (§ 2100 BGB) und vom Ersatzerben (§ 2096 BGB). Dem Nacherben
fällt die Erbschaft zwar erst an, nachdem zunächst ein anderer Erbe war; es
gibt aber nur einen Erbfall, der die Vor- und danach die Nacherbschaft zur
Folge hat. Auch bei der Ersatzerbfolge ist denkbar, daß dem Ersatzerben die
Erbschaft erst anfällt, nachdem ein vor ihm Berufener nach dem Erbfall -
aber mit Rückwirkung auf diesen - weggefallen ist; der Ersatzerbe wird dann
unmittelbar Nachfolger des Erblassers (vgl. Schlichting, in: MünchKomm, 3.
Aufl., § 2096 Rdnrn. 1 f.). Damit geht es auch bei der Ersatzerbfolge immer
nur um einen Erbfall. Da § 1946 BGB für die Ausschlagung nur den Erbfall,
nicht aber den Anfall der Erbschaft voraussetzt, ist es gerechtfertigt,
ebenso wie § 2142 I BGB dem Nacherben die Ausschlagung schon mit dem Erbfall
einräumt, auch dem Ersatzerben diese Möglichkeit zu geben, selbst wenn der
vorberufene Erbe noch nicht weggefallen ist und es unter Umständen zu einem
Anfall an den Ersatzerben überhaupt nicht kommt (RGZ 80, 377 [382]).
Beim Berliner Testament erwirbt der Schlußerbe dagegen nach dem Tode des
zuerst versterbenden Ehegatten zwar eine Rechtsstellung, die sich aus der
Bindung des überlebenden Ehepartners an die im gemeinschaftlichen Testament
zugunsten des Schlußerben getroffenen wechselbezüglichen Verfügungen ergibt
(vgl. Musielak, in: MünchKomm, § 2269 Rdnr. 32). Ob man insoweit von einer
Anwartschaft oder nur von einer rechtlich begründeten Aussicht sprechen
kann, künftig Erbe zu werden, spielt hier keine Rolle (offengelassen auch in
BGHZ 37, 319 [322 f.] = NJW 1962, 1910 = LM § 2271 BGB Nr. 13). Denn
ausschlagen kann der Schlußerbe gem. § 1946 BGB erst nach dem Erbfall, durch
den er Erbe wird. Das aber ist der Tod des längerlebenden Ehegatten (BGHZ
88, 102 [105 f.] = NJW 1983, 2875 = LM § 2327 BGB Nr. 3). Dies wäre im
Gegensatz zur Auffassung des OLG auch dann nicht anders, wenn im
gemeinschaftlichen Testament Ersatzerben für den Schlußerben vorgesehen
sind.
3. Danach ist die hier erklärte Ausschlagung wirkungslos geblieben. Es mag
zwar sein, daß es keinen Anlaß gibt, den Schlußerben vor sich selbst zu
schützen oder ihn zu bevormunden. Auch ist eine möglichst frühe Klärung der
Erbfolge wünschenswert. Das reicht jedoch nicht aus, um eine Ausschlagung
entgegen § 1946 BGB schon vor dem Erbfall zuzulassen.
Wenn der Schlußerbe schon vor dem möglicherweise noch fernen Schlußerbfall
einen Teil des Vermögens der Ehegatten erhalten möchte und der überlebende
Ehegatte daran interessiert ist, sich von den Bindungen des
gemeinschaftlichen Testaments zu lösen durch eine Abfindung des Schlußerben,
bietet das Gesetz hierfür mit dem Zuwendungsverzicht gem. § 2352 BGB einen
geeigneten Weg. Einem notariell beurkundeten Zuwendungsverzicht kann -
entgegen der Revisionserwiderung - die hier vorgenommene Ausschlagung nicht
deshalb gleichgestellt werden, weil sie für die damals noch minderjährige
Kl. vormundschaftsgerichtlich genehmigt worden ist.
Schließlich ist die Berufung der Kl. auf die Unwirksamkeit der Ausschlagung
auch nicht treuwidrig. Das BerGer. folgt der Kl. darin, daß die Erlangung
von Pflichtteilsansprüchen für die Ausschlagung nicht von wesentlicher
Bedeutung gewesen sein könne, weil insoweit keine nennenswerten Beträge zu
erwarten gewesen seien. Vielmehr deute alles darauf hin, daß die Kl. eine
Abfindung erhalten habe. Trotz der in erster Instanz durchgeführten
Beweisaufnahme hat aber auch das BerGer. den Zweck der Ausschlagung nicht
aufklären und insbesondere nicht feststellen können, daß die Kl. tatsächlich
eine Abfindung erhalten hat. Das Risiko der Nichterweislichkeit von
Umständen, die das Vorgehen der Kl. treuwidrig erscheinen lassen könnten,
trägt die dadurch begünstigte Partei (Roth, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 242
Rdnr. 52); das sind hier die Bekl. und nicht - wie das BerGer. meint - die
Kl.
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