BVerfG NJW 1999, 1322:
zur Veröffentlichung in BVerfGE vorgesehen
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht
(Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG) schützt den einzelnen auch gegenüber
der fälschlichen Zuschreibung von Mitgliedschaften in Vereinigungen
oder Gruppen, sofern diese Zuschreibung Bedeutung für die Persönlichkeit
und deren Bild in der Öffentlichkeit hat.
2. Es ist mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
unvereinbar, daß dem von einer Tatsachenbehauptung nachteilig Betroffenen
die Möglichkeit, die Unwahrheit der Behauptung im gerichtlichen Verfahren
geltend zu machen, unter Berufung darauf abgeschnitten wird, der sich Äußernde
habe im Prozeß für seine Behauptung Belegtatsachen beigebracht.
Der Bf., ein bekannter österreichischer Künstler
der in Deutschland lebt, beschäftigte sich seit 1972 mit den Schriften
und Lehren von Scientology und besuchte auch Kurse, die diese Organisation
anbot. Seit 1975 wurde er in verschiedenen Zeitschriften als Scientologe
bezeichnet oder sonst mit Scientology in Verbindung gebracht. 1994 sollte
aufgrund einer privaten Initiative das ehemalige KZ-Gelände "Neue
Bremm" in Saarbrücken künstlerisch gestaltet werden. Der Bf.
kam für den Auftrag in Betracht und sollte ein Modell entwerfen. Die
Bekl. des Ausgangsverfahrens, zwei Vereine, die sich die Bekämpfung
von Sekten zur Aufgabe gemacht haben, wollten eine Beteiligung des Bf.
verhindern und wandten sich zu diesem Zweck in einem Offenen Brief an Medien
und Politiker. Darin schrieben sie:
... Daß aber nun der österreichische
Künstler Gottfried Helnwein, der weltweit für die kriminelle,
totalitär organisierte Scientology Church Werbung betreibt, ein Modell
für die Neugestaltung des Geländes entwerfen soll ..., ist ein
grenzenloser Skandal. Durch Medien und Politik wird somit ein Werbeträger
einer kriminellen Vereinigung hofiert, der in unzähligen Veröffentlichungen
für S. wirbt. und sich selbst als ,Geistlicher‘ bezeichnet (Scientologyjargon:
,Auditor IV‘ d. h. er gehört zu der Gruppe der absoluten Laien, die
in einem zwangshypnotischen Verfahren unter Zuhilfenahme eines Lügendetektors
die Psyche von Menschen zerstören, um sie unter Bewußtseinskontrolle
zu stellen). Der Erlös einer limitierten Lithographie, die u. a. in
der Saarbrücker ,Galerie 48‘, Julius Kieferstr. 105, erhältlich
ist, fließt nachweislich dem scientologischen Geheimdienst (OSA München)
zu ... Die mögliche Einflußnahme der kriminellen, menschenverachtenden
Vereinigung ,Scientology‘ auf die öffentliche Kultur auch im Saarland
steht hier auf dem Prüfstand. In Erwartung Ihrer baldigen Maßnahmen...
Der Bf. erhielt den Auftrag nicht.
Auf die vom Bf. nach einem erfolgreichen einstweiligen
Verfügungsverfahren erhobene Klage verurteilte das LG die Bekl. des
Ausgangsverfahrens antragsgemäß, es zu unterlassen, folgende
Behauptungen wörtlich oder sinngemäß aufzustellen oder
zu verbreiten:
1. Der österreichische Künstler Gottfried
Heinwein bezeichnet sich selbst als Geistlicher.
2. Der österreichische Künstler ist
Auditor IV der Scientology Church.
3. Gottfried Heinwein gehört zu einer Gruppe,
die in einem zwangshypnotischen Verfahren unter Zuhilfenahme eines Lügendetektors
die Psyche von Menschen zerstören, um sie unter Bewußtseinskontrolle
zu stellen.
4. Der Erlös einer limitierten Lithographie,
die in der Saarbrücker Galerie 48 erhältlich ist, fließt
nachweislich dem scienrologischen Geheimdienst (OSA München) zu.
Die behaupteten Tatsachen seien von den Bekl.
nicht bewiesen worden. Auf die Berufung der Bekl. änderte das OLG
die erstinstanzliche Entscheidung durch das angegriffene Urteil weitgehend
ab. Es hielt die Entscheidung nur hinsichtlich der Äußerung
zu 4 aufrecht; bezüglich der Äußerungen zu 1 bis 3 wies
es die Klage ab. Die Revision wurde nicht zugelassen. Es komme nicht darauf
an, ob die Äußerungen zu 1 und 2 ehrenrührig und unwahr
seien. Wer eine herabsetzende Behauptung über Dritte aufstelle, die
nicht aus dem eigenen Erfahrungsbereich stamme und die er nicht selbst
überprüfen könne, müsse sich zur Begründung auf
unwidersprochene Presseberichte beziehen dürfen. Überspannte
Anforderungen an die Darlegungslast des Trägers der Meinungsfreiheit
seien zu vermeiden, damit er nicht vom Gebrauch seines Grundrechts abgeschreckt
werde. Davon gehe auch das BVerfG aus (BVerfGE 85, 1 = NJW 1992, 1439-
Kritische Bayer-Aktionäre). Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.
Aus den Gründen:
B. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Das angegriffene Urteil verletzt den Bf. in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
aus Art. 2 Ii. V. mit Art. 11 GG, soweit es seine Klage abgewiesen hat.
Zwar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil insgesamt.
Im Umfang der Stattgabe beschwert es den Bf. indessen nicht. Da seine Verfassungsbeschwerde
insoweit auch keine Ausführungen enthält, ist sein Begehren dahingehend
auszulegen, daß es sich auf die ihn belastenden Teile des Urteilsausspruchs
beschränkt (vgl. BVerfGE 1,14139] =NJW 1951, 877; BVerfGE 7,99 [105
f.] = NJW 1957,1513; BVerfGE 68,1 [68] = NJW 1985,603).
I. Der Bf. wird durch die angegriffene Entscheidung
in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht berührt.
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet
seinen Schutz auch gegenüber Zuschreibungen von Gruppenmitgliedschaften,
sofern diesen Bedeutung für die Persönlichkeit zukommt und deren
Bild in der Öffentlichkeit nachteilig beeinflußt.
Das Grundrecht schützt Elemente der Persönlichkeit,
die nicht Gegenstand besonderer Freiheitsgarantien sind, aber diesen in
ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht
nachstehen (vgl. BVerfGE 54, 148 [153] = NJW 1980, 2070; st. Rspr.). Dazu
gehört auch die soziale Anerkennung des Einzelnen. Aus diesem Grund
umfaßt das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Schutz vor Äußerungen,
die geeignet sind, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit
auszuwirken. Derartige Äußerungen gefährden die von Art.
21 GG gewährleistete freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil
.sie das Ansehen des Einzelnen schmälern, seine sozialen Kontakte
schwächen und infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben
können. Allerdings reicht der Schutz dieses Grundrechts nicht so weit,
daß es dem Einzelnen einen Anspruch darauf verliehe, in der Öffentlichkeit
nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder von anderen
gesehen werden möchte. jedenfalls wird er aber vor verfälschenden
oder entstellenden Darstellungen seiner Person geschützt, die von
nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung
sind (vgl. BVerfGE 97, 125 [148 f] = NJW 1998, 1381; BVerfGE 97, 391 [403]
= NJW 1998, 2889).
Die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder
Vereinigungen hat in der Regel eine derartige Persönlichkeitsrelevanz.
Gehört ihnen jemand durch Geburt oder Sozialisation an, so besitzt
sie meist identitätsbildenden Einfluß auf die Person. Ist er
ihnen durch freien Entschluß beigetreten, weist das in der Regel
auf einen hohen Identifikationsgrad mit ihren Zielen und Verhaltensweisen
hin und kann persönlichkeitsbestimmende Kraft annehmen. Von seiner
Umwelt wird der Einzelne mit Organisationen oder Gruppen, zu denen er sich
bekennt, mehr oder weniger identifiziert. Sein Ansehen hängt nicht
allein von seinen individuellen Eigenschaften und Leistungen, sondern auch
von der Einschätzung der Gruppen ab, denen er angehört (vgl.
BVerfGE 93, 266 [299] = NJW 1995, 3303). Das gilt im besonderen für
Gruppen oder Vereinigungen, die sich religiös oder weltanschaulich
definieren, und zwar in gesteigertem Maß, wenn sie nicht zu den traditionellen
Religions- oder Weltanschauungsgruppen zählen, sondern eine Minderheitenposition
einnehmen und in der Gesellschaft kritisch oder gar ablehnend betrachtet
werden.
2. Die angegriffene Entscheidung beeinträchtigt
den Bf. in seinem Grundrecht aus Art. 2 II i.V. mit Art. 1 I GG.
Der grundrechtliche Schutz gegenüber nachteiligen
Behauptungen wirkt freilich nicht unmittelbar gegenüber Dritten. Auch
das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet direkte Wirkung nur
gegenüber dem Staat. Dieser ist aber grundrechtlich gehalten, den
Einzelnen vor Persönlichkeitsgefährdungen durch Dritte zu schützen
(vgl. BVerfGE 73, 18 [201] = NJW 1987, 239; BVerfGE 97, 125 [146] = NJW
1998, 1381). Soweit die Gerichte Normen anwenden, die diesem Schutz dienen,
haben sie die grundrechtlichen Maßgaben zu beachten. Verfehlen sie
sie, so liegt darin nach der ständigen Rechtsprechung des B VerfG
nicht nur eine Verletzung objektiven Verfassungsrechts, sondern auch ein
Verstoß gegen die subjektiven Grundrechte des Betroffenen (vgl. BVerfGE
7, 198 [206 f.] = NJW 1958, 257).
Gerichtliche Entscheidungen, die persönlichkeitsrelevante
Aussagen zulassen, gegen die sich der Betroffene mit der Begründung
wehrt, sie seien falsch, beeinträchtigen daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Das ist bei der Abweisung der Klage des Bf. auf Unterlassung der Äußerungen,
er sei Mitglied der Scientology-Gruppe, habe sich selbst als Geistlicher
dieser Gemeinschaft bezeichnet und sei auch Geistlicher, der Fall. Die
ihm vorgeworfene enge Verbindung zu Scientology kann das Bild negativ beeinflussen,
das sich die Öffentlichkeit von ihm macht. Das gilt um so mehr, als
gerade diese Organisation in der Gesellschaft äußerst umstritten
ist und des öfteren Gegenstand staatlicher Warnungen und kritischer
Presseberichte war. Es ist auch nicht auszuschließen, daß die
Behauptung, der Bf. sei Scientologe in führender Position, seine künstlerische
Betätigung erschwert, weil sich eine Rufschädigung bei Aufträgen
oder Ankäufen nachteilig auswirken kann.
II. Die angegriffene Entscheidung verletzt das
allgemeine Persönlichkeitsrecht.
1. Dieses ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet.
Nach Art. 2 1 GG wird es durch die verfassungsmäßige Ordnung
einschließlich der Rechte anderer beschränkt. Zu diesen Rechten
gehört auch die Freiheit der Meinungsäußerung, die Art.
5 1 GG jedermann gewährleistet. Ebensowenig wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht
ist jedoch die Meinungsfreiheit vorbehaltlos garantiert. Sie findet nach
Art. 5 II GG ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und
im Recht der persönlichen Ehre. Als zivilrechtliche Grundlage für
Unterlassungsbegehren gegenüber Äußerungen kommen §§
10041,82311 BGB i.V. mit § 186 StGB in Betracht, von denen das OLG
bei seinem Urteil ausgegangen ist. Die Belange der Meinungsfreiheit finden
demgegenüber vor allem in § 193 StGB Ausdruck (vgl. BVerfGE 12,
113 [12sf.] = NJW 1961, 819; BVerfGE 93, 266 [290 f.] = NJW 1995, 3303),
der bei Wahrnehmung berechtigter Interessen eine Verurteilung wegen ehrverletzender
Äußerungen ausschließt und - vermittelt über §
823 II BGB, sonst seinem Rechtsgedanken nach - auch im Zivilrecht zur Anwendung
kommt.
Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind
Sache der dafür zuständigen Gerichte. Doch müssen diese
die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend berücksichtigen,
damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt
bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 [205ff.] = NJW 1958, 257). Das verlangt in
der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung
durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit
durch die Untersagung der Äußerung andererseits, die im Rahmen
der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des einfachen Rechts vorzunehmen
ist und die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen
hat.
Das Ergebnis dieser Abwägung läßt
sich wegen der Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls
nicht generell und abstrakt vorausbestimmen. In der Rechtsprechung haben
sich im Lauf der Zeit aber einige Vorzugsregeln herausgebildet. So geht
bei Werturteilen der Persönlichkeitsschutz regelmäßig der
Meinungsfreiheit vor, wenn sich die Äußerung als Angriff auf
die Menschenwürde, als Schmähkritik oder als Formalbeleidigung
darstellt (vgl. BVerfGE 93, 266 [293 f.] = NJW 1995, 3303). Bei Tatsachenbehauptungen
hängt die Abwägung vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Aussagen müssen
in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den
Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (vgl. BVerfGE 97, 391 [403] = NJW
1998, 2889).
Diese Formel ist allerdings differenzierungsbedürftig.
Auch bei wahren Aussagen können ausnahmsweise Persönlichkeitsbelange
überwiegen und die Meinungsfreiheit in den Hintergrund drängen.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Aussagen die Intim-, privat-
oder Vertraulichkeitssphäre betreffen und sich nicht durch ein berechtigtes
Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lassen (vgl.
B VerfGE 34,269 [281ff.] = NJW 1973, 1221; BVerfGE 66, 116 [139] = NJW
1984, 1741), oder wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten
drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung
der Wahrheit steht (vgl. BVerfGE 35, 202 [232] = NJW 1973, 1226; BVerfGE
97, 391 [403ff.] = NJW 1998, 2889).
Für die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen
gibt es dagegen in der Regel keinen rechtfertigenden Grund. Das bedeutet
aber nicht, daß unwahre Tatsachenbehauptungen von vorneherein aus
dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen. Zwar hat das B VerfG
festgestellt, daß unrichtige Information unter dem Blickwinkel der
Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut sei (vgl. BVerfGE 54, 208
[2191 = NJW 1980, 2071). Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5
1 1 GG liegen aber nur bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen und solche,
deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft
feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen
den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen
(vgl. BVerfGE 61, 1 [8] = NJW 1983, 1415; BVerfGE 90, 1 [15] = NJW 1994,
1781; BVerfGE 90, 241 [254] = NJW 1994, 1779).
Der Wahrheitsgehalt fällt dann aber bei der
Abwägung ins Gewicht (vgl. BVerfGE 94, 1 [8] = NJW 1996, 1529). Grundsätzlich
tritt die Meinungsfreiheit bei unwahren Tatsachenbehauptungen hinter das
Persönlichkeitsrecht zurück. Dabei muß aber bedacht werden,
daß die Wahrheit im Zeitpunkt der Äußerung oft ungewiß
ist und sich erst als Ergebnis eines Diskussionsprozesses oder auch einer
gerichtlichen Klärung herausstellt (vgl. BVerfGE 97, 125 [149] = NJW
1998, 1381). Würde angesichts dieses Umstands die nachträglich
als unwahr erkannte Äußerung immer mit Sanktionen belegt werden
dürfen, so stünde zu befürchten, daß der Kommunikationsprozeß
litte, weil risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert
werden könnten. Damit wäre ein vom Grundrechtsgebrauch abschreckender
Effekt verbunden, der aus Gründen der Meinungsfreiheit vermieden werden
muß (vgl. BVerfGE 43, 130 [136] = NJW 1977, 799).
Die Rechtsprechung der Zivilgerichte hat deswegen
zwischen den Anforderungen der Meinungsfreiheit und den Be langen des Persönlichkeitsschutzes
dadurch einen Ausgleich herzustellen versucht, daß sie demjenigen,
der nachteilige Tatsachenbehauptungen über andere aufstellt, Sorgfaltspflichten
auferlegt, die sich im einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten
richten und etwa für die Medien strenger sind als für Privatleute
(vgl. BGH, NJW 1966, 2010 [2011] = LM § 823 BGB Nr. 9; 1987, 2225
[2226] = LM § 823 [Bd] BGB Nr. 13). Gegen die Entwicklung derartiger
Pflichten bestehen verfassungsrechtlich keine Einwände (vgl. BVerfGE
12, 113 [130] = NJW 1961, 819). Sie können im Gegenteil als Ausdruck
der Schutzpflicht angesehen werden, die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
folgt. Von Verfassungs wegen kommt es lediglich darauf an, daß die
Wahrheitspflicht nicht überspannt wird und so den freien Kommunikationsprozeß,
den Art. 5 1 GG im Sinn hat, einschnürt (vgl. BVerfGE 54, 208 [219
f.] = NJW 1980, 2072; BVerfGE 61, 1 [8] = NJW 1983, 1415; BVerfGE 85, 1
[15, 17] = NJW 1992, 1439).
Die Abwägung hängt von der Beachtung
dieser Sorgfaltspflichten ab. Bei völlig haltlosen oder aus der Luft
gegriffenen Behauptungen kann danach die Meinungsfreiheit das Persönlichkeitsrecht
nicht verdrängen. Im übrigen kommt es auf den im Einklang mit
den grundgesetzlichen Anforderungen entwickelten Umfang der Sorgfaltspflichten
an. Sind sie eingehalten, stellt. sich aber später die Unwahrheit
der Äußerung heraus, ist die Äußerung als im Äußerungszeitpunkt
rechtmäßig anzusehen, so daß weder Bestrafung noch Widerruf
oder Schadensersatz in Betracht kommt. Dagegen gibt es kein legitimes Interesse,
nach Feststellung der Unwahrheit an der Behauptung festzuhalten (vgl. BVerfGE
97, 125 [149] = NJW 1998, 1381). Besteht die Gefahr, daß die Äußerung
dessen ungeachtet aufrechterhalten wird (sogenannte Erstbegehungsgefahr,
vgl. BGH, NJW 1986, 2503 [2505] = LM § 1004 BGB Nr. 169), kann der
sich Äußernde folglich zur Unterlassung verurteilt werden. Wirkt
die Beeinträchtigung des von der Äußerung Betroffenen fort,
kann dieser eine Richtigstellung verlangen (vgl. BVerfGE 97, 125 [149]
= NJW 1998, 1381).
Da die Ermittlung der Wahrheit von Tatsachenbehauptungen
oft außerordentlich schwierig ist, haben die Zivilgerichte demjenigen,
der sich nachteilig über einen Dritten äußert, außerdem
eine erweiterte Darlegungslast auferlegt, die ihn anhält, Belegtatsachen
für seine Behauptung anzugeben (vgl. BGH, NJW 1974, 1710 [1711] =
LM § 138 ZPO Nr. 14). Diese Darlegungslast bildet die prozessuale
Entsprechung der materiellrechtlichen Regel, daß bei haltlosen Behauptungen
der Schutz der Meinungsfreiheit hinter dem Persönlichkeitsschutz zurückzutreten
hat. Ist der sich Äußernde nicht in der Lage, seine Behauptung
mit Belegtatsachen zu erhärten, wird sie wie eine unwahre behandelt.
Auch dagegen ist verfassungsrechtlich nichts einzuwenden,
wenn die Anforderungen an die Darlegungslast nicht zu Lasten der Meinungsfreiheit
überspannt werden. Eine solche Überspannung war vom B VerfG im
Fall der Kritischen Bayer-Aktionäre (BVerfGE 85, 1 NJW 1992, 1439)
beanstandet worden, auf den sich das OLG in der angegriffenen Entscheidung
berufen hat. Stellen Privatpersonen Tatsachenbehauptungen auf, die nicht
ihrem persönlichen Erfahrungsbereich entstammen, genügt danach
regelmäßig die Berufung auf unwidersprochene und zur Stützung
der Behauptung geeignete Presseberichte zur Erfüllung der Darlegungslast,
weil andernfalls Presseberichte, die nachteilige Aussagen über Personen
enthalten, trotz ihres meinungsbildenden Charakters im individuellen Meinungsaustausch
kaum noch verwertet werden könnten (vgl. BVerfGE 85, 1 [22] = NJW
1992, 1439).
Die Erfüllung der Darlegungslast macht aber
die Wahrheitsermittlung nicht entbehrlich. Darlegungsstufe und Beweisstufe
müssen vielmehr unterschieden werden. Auch eine durch Belegtatsachen
gestützte Behauptung kann falsch sein. Daher verlangt das allgemeine
Persönlichkeitsrecht, daß dem von der Tatsachenbehauptung nachteilig
Betroffenen die Möglichkeit, die Unwahrheit der Behauptung im Verfahren
geltend zu machen, nicht unter Berufung auf die Erfüllung der Darlegungslast
abgeschnitten wird. Nur wenn er den Belegtatsachen seinerseits nichts entgegenzusetzen
hat, kann die Wahrheit der Äußerung unterstellt werden. Im übrigen
ist der Wahrheitsgehalt aufzuklären, sofern die prozessualen Voraussetzungen
dafür vorliegen.
Das gilt auch, wenn die behauptete Tatsache Presseberichten
entnommen ist. Aus der Bayer-Entscheidung ergibt sich insoweit nichts anderes.
Das dort angegriffene Urteil war vom BVerfG vielmehr aufgehoben worden,
weil das Gericht die Anforderungen an die Darlegungslast unter Verstoß
gegen Art. 5 I GG überdehnt und deshalb die behaupteten Tatsachen
ohne weiteres unwahren Tatsachen gleichgestellt hatte. Daraus folgt aber
nicht, daß die Wahrheit oder Unwahrheit unerheblich wäre und
der Kl. eines Unterlassungsbegehrens die Unrichtigkeit der Presseberichte
seinerseits nicht mehr konkret darlegen und gegebenenfalls unter Beweis
stellen dürfte.
2. Diesen Anforderungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
ist das OLG nicht gerecht geworden.
a) Die Abweisung des Unterlassungsbegehrens hinsichtlich
der Äußerung zu 1 hält der verfassungsrechtlichen Nachprüfung
nicht stand. Es begegnet verfassungsrechtlich allerdings keinen Bedenken,
daß das OLG die Äußerung zu 1, der Bf. bezeichne sich
selbst als Geistlicher von Scientology, als Tatsachenbehauptung angesehen.
hat. Sie ist dem Beweis zugänglich. Dagegen dürfte es die Wahrheit
dieser Behauptung nicht offen lassen. Vielmehr hätte es die Darlegung
des Bf., der Artikel aus dem sich die Selbstbezeichnung als Geistlicher
ergebe, sei von ihm nicht gebilligt worden und - was die Auditoreigenschaft
angehe - falsch, sowie seine Angabe, er habe sich 1992 von Scientology
distanziert, im Verfahren berücksichtigen müssen.
Insbesondere hinsichtlich der Distanzierung hätte
das OLG beachten müssen, daß es auch Ausdruck der Persönlichkeit
des einzelnen ist, seine Anschauungen zu ändern und sich neu zu orientieren.
In diesem Fall kann er verlangen, daß Dritte sein verändertes
Selbstverständnis nach einer gemeinten und öffentlichen Distanzierung
von einer Organisation, mit der er in Verbindung stand, respektieren und
seine Zugehörigkeit nur noch für die Vergangenheit behaupten.
Da die beanstandete Äußerung im Präsens formuliert ist,
spielt die behauptete Distanzierung für die Aufrechterhaltung der
Behauptung ebenso eine Rolle wie die Frage, ob die Selbstbezeichnung für
die Vergangenheit zutrifft.
b) Auch die Abweisung des Unterlassungsbegehrens
bezüglich der Äußerung zu 2 verletzt den Bf. in seinem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das OLG hat sie zwar in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise als Tatsachenbehauptung angesehen. Es durfte
die Wahrheit oder Unwahrheit der Behauptung, der Bf. sei Auditor IV aber
nicht durch den Hinweis auf die Berichterstattung in "Celebrity" für
unerheblich erklären. Vielmehr hätte es berücksichtigen
müssen, daß der Bf. unter Vorlage von Erklärungen der Scientology
- Kirche Deutschland bestreitet, eine Ausbildung zum Auditor gemacht und
eine derartige Funktion innegehabt zu haben. Auch auf die behauptete Distanzierung
von Scientology, insbesondere ihre Ernsthaftigkeit, hätte das Gericht
eingehen müssen.
c) Schließlich verletzt auch die Abweisung
des Unterlassungsbegehrens hinsichtlich der Äußerung zu 3 den
Bf. in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Zwar hat das OLG insoweit
die Wahrheitsfrage nicht offengelassen, sondern für erwiesen angesehen,
daß der Bf. Scientologe sei, und in der entsprechenden Behauptung
zusammen mit den über die Tätigkeit der Organisation gemachten
Aussagen auch eine Herabsetzung seiner Person erblickt. Es ist jedoch vom
Vorrang der Meinungsfreiheit vor dem Persönlichkeitsschutz ausgegangen.
Dabei hat esaber nicht berücksichtigt, daß der Bf. den Darlegungen
der Bekl. seine Abkehr von Scientology entgegengesetzt hat. Da diese Übergehung
ebenfalls in dem unzutreffenden Verständnis von Schutzgehalt und Reichweite
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurzelt, leidet die Entscheidung
insoweit an demselben Mangel, der bereits für die beiden anderen Äußerungen
festgestellt worden ist, ohne daß es darauf ankäme, ob sie überdies
gegen Art. 103 1 GG verstößt.
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem
Grundrechtsverstoß. Die Parteien haben für ihre Behauptungen
Beweis angeboten. Die danach jedenfalls bei Bejahung der Erstbegehungsgefahr
notwendige Beweisaufnahme ist auch nicht an anderer Stelle, insbesondere
nicht bei der vom BerGer. vorgenommenen Würdigung der Äußerung
zu 3, nachgeholt worden. Dort hat das OLG lediglich die (zeitweilige) Scientology-Mitgliedschaft
des Bf. festgestellt, die aber über die Selbstbezeichnung oder Funktion
als Geistlicher sowie für die behauptete Distanzierung von Scientology
nichts auszusagen vermag. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, daß
das OLG bei Beachtung der Anforderungen aus Art. 21 i. V. mit Art. 1 I
GG zu einem anderen, für den Bf. günstigeren Ergebnis gelangt
wäre.