Sittenwidrigkeit der Mithaftung von Ehegatten 

BGH, Urteil v. 06.10.1998 - XI ZR 244/97  

Amtlicher Leitsatz:

Die von der finanziell überforderten Ehefrau bei einer Umschuldung auf Verlangen der Bank übernommene Mithaftung ist ohne Hinzutreten besonders belastender Umstände nicht sittenwidrig, wenn der ursprüngliche, dem Ehemann allein gewährte Kredit zum überwiegenden Teil für die Gründung des gemeinsamen Hausstandes und andere den gemeinsamen Interessen beider Ehepartner dienende Anschaffungen verwandt wurde.  



Fundstellen:

NJW 1999, 135



Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Schuldbeitritts. Im Jahre 1990 hatte der als Immobilienmakler tätige türkische Ehemann der Bekl. Schwierigkeiten bei der Rückzahlung eines ihm durch die Kl. gewährten Ratenkredits über 50000 DM. Da er zusätzlich Steuerschulden in Höhe von rund 18500 DM hatte, vereinbarten die Vertragsparteien am 6. 6.1990 eine Umschuldung unter Erhöhung des Kreditrahmens auf 85000 DM. Der neue Darlehensvertrag wurde von der Bekl. auf Verlangen der Kl. als sogenannter "Mitantragsteller(in)" unterzeichnet. Die Bekl. war damals 24 Jahre alt. Sie besitzt zwar eine abgeschlossene Realschulausbildung, hat aber keinen Beruf erlernt und war auch nicht erwerbstätig. Im September 1988 hat sie einen behinderten Sohn geboren. In der Folgezeit zahlte der Ehemann der Bekl. die Beiträge für die zum Zweck der Kreditablösung abgeschlossene Lebensversicherung nicht. Die Kl. kündigte daher die Geschäftsverbindung fristlos und forderte die Eheleute zur Rückzahlung des durch die Verrechnung eines fälligen Festgeldguthabens auf 75000 DM reduzierten Darlehensbetrags auf. Die Bekl., die seit September 1993 von ihrem Ehemann getrennt lebt, ist der Ansicht, die von ihr verlangte Mitantragstellung sei sittenwidrig. Die Kl. hält dem in erster Linie entgegen, der Kredit des Ehemanns sei zum überwiegenden Teil auch der Bekl. persönlich zugute gekommen. Das LG hat der Klage gegen beide Eheleute bis auf einen Teil der Zinsen und bei der Bekl. unter Abzug von Gutschriften stattgegeben. Die von ihr eingelegte Berufung blieb erfolglos. Die Revision führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat in der von der Kl. verlangten Mitantragstellung der Bekl. einen wirksamen Schuldbeitritt gesehen und dazu im wesentlichen ausgeführt: Zwar habe die Bekl. trotz der formularmäßigen Bezeichnung als "Mitantragsteller" offenbar keine eigenen Ansprüche oder Rechte gegen die Kl. erworben, sondern lediglich einen sie finanziell erheblich überfordernden Schuldbeitritt erklärt. Da aber das erste Darlehen ihres Ehemanns nach der glaubhaften Aussage des Kreditsachbearbeiters H hauptsächlich für die Gründung des gemeinsamen Hausstandes und andere im Interesse beider Eheleute liegende Anschaffungen ausgegeben worden sei, sei der Kl. keine eigennützige und verwerfliche Ausnutzung ihrer Machtstellung vorzuwerfen. Zusätzliche, die Bekl. besonders belastende Umstände seien entweder nicht bewiesen oder der Kl. bei der Umschuldung nicht bekannt gewesen.
II. Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand.
1. Der Revision ist allerdings nicht zu folgen, soweit sie den Schuldbeitritt auch ohne eine der Kl. zuzurechnende unzulässige Willensbeeinträchtigung der Bekl. für sittenwidrig hält.
a) Richtig ist, daß die unbeschränkte Mithaftungserklärung die Bekl. finanziell erheblich überforderte. Allein die Zinsen für das Umschuldungsdarlehen beliefen sich jährlich auf 9775 DM. Dieser Verpflichtung stand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kein Einkommen oder Vermögen der Bekl. gegenüber. Sollte sie trotz der für ihren behinderten Sohn aufzuwendenden Pflege die Absicht zur alsbaldigen Aufnahme einer Arbeit gehabt haben, wäre dies belanglos, da für eine zu nenneswerten Tilgungsleistungen geeignete Erwerbsaussicht kein konkreter Anhalt bestand. Der Umstand, daß die Bekl. den neuen Darlehensvertrag als sogenannter "Mitantragsteller" unterzeichnet hat, rechtfertigt - wie auch das BerGer. zutreffend bemerkt hat - keine andere Beurteilung. Zwar ist der Bank der Vorwurf, mit dem Haftungsbegehren für den Darlehensnehmer bewußt eine aussichtslose Situation geschaffen zu haben, grundsätzlich dann nicht zu machen, wenn mehrere Personen, die ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung haben, sich als Gesamtschuldner verpflichten und zusammen über ein Erwerbseinkommen oder Vermögen verfügen, das ihnen eine Kredittilgung ohne Gefährdung des eigenen Lebensunterhalts ermöglicht (s. dazu BGH, NJW 1989, 1665 = LM § 138 [Bc] BGB Nr. 59 = WM 1989, 595 [597f.]; BGH, NJW 1990, 1034 = LM § 138 [Bb] BGB Nr. 61 = WM 1990, 59f.; vgl. auch Nobbe, Neue höchstrichterliche Rspr. zum BankR, 6. Aufl., Rdnr. 714). Da aber mit dem neuen Kredit nach den vertraglichen Vereinbarungen die Schulden des Ehemanns der Bekl. getilgt werden sollten, standen der Kl. von Anfang an keine gleichberechtigten Darlehensnehmer gegenüber. Daß die Mitantragstellung der Bekl. vor diesem Hintergrund lediglich einen Schuldbeitritt darstellt, wird im übrigen auch von der Revisionserwiderung nicht in Zweifel gezogen.
b) Die Tatsache allein, daß der Ehepartner eine Verpflichtung eingegangen ist, die ihn finanziell überfordert, macht das Rechtsgeschäft jedoch im allgemeinen noch nicht sittenwidrig. Vielmehr müssen Umstände hinzukommen, durch die ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern hervorgerufen wird, welches die Mithaftung auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange des Gläubigers rechtlich nicht hinnehmbar erscheinen läßt (s. dazu z.B. BGHZ 125, 206 [210f.] = NJW 1994, 1278 = LM H. 9-1994 § 765 BGB Nr. 91; BGH, NJW 1996, 1274 = LM H. 6-1996 § 765 BGB Nr. 104 = WM 1996, 519 [521] m.w. Nachw.). Anders als die Revision meint, ergibt sich aus der Entscheidung des IX. Zivilsenats des BGH vom 18. 9. 1997 (NJW 1997, 3372 = LM H. 5-1998 § 765 BGB Nr. 120; zum Abdruck in BGHZ 136, 347 vorgesehen) für den vorliegenden Fall nichts anderes. Auch wenn danach unter bestimmten Voraussetzungen zu vermuten ist, daß der Ehegatte oder Lebenspartner sich auf die Verpflichtung nur aufgrund emotionaler Bindung an den Hauptschuldner eingelassen und die Bank das in verwerflicher Weise ausgenutzt hat, so betrifft dies jedenfalls nicht die Fälle, in denen das Mithaftungsbegehren auf einer die Interessen beider Vertragsteile hinreichend berücksichtigenden Abwägung beruht. Zwar hat die Bekl. aus dem neuen Kredit ihres Ehemanns keinen unmittelbaren geldwerten Vorteil erlangt (vgl. Gundlach-Halstenberg, in: Schimansky-Bunte-Lwowski, BankR-Hdb., § 82 Rdnr. 99). Andererseits ist aber nach den unangegriffenen Angaben des Kreditsachbearbeiters H ein innerer Zusammenhang zwischen der auch der Bekl. unmittelbar zugute gekommenen Verwendung des alten Darlehens sowie dem allgemein hohen Lebensstandard beider Eheleute und der notwendig gewordenen Umschuldung nicht zu leugnen. Im Hinblick hierauf ist die dem Mithaftungsbegehren zugrunde liegende Interessenabwägung der Kl. jedenfalls nicht in dem Maße als unangemessen anzusehen, daß ihr ein bewußter oder leichtfertiger Verstoß gegen die guten Sitten angelastet werden kann.
2. Entgegen der Ansicht des BerGer. ist aber nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand eine die Bekl. besonders belastende Willensbeeinträchtigung nicht auszuschließen.
a) Allerdings hat die Bekl. nicht substantiiert dargelegt, auf welche Weise sie von ihrem Ehemann zur Abgabe der Mithaftungserklärung gedrängt worden ist. Ihre Behauptung, mit ihm in einer "typisch moslemischen Ehe" gelebt zu haben, läßt für sich genommen nicht auf einen konkreten Eingriff in die Entscheidungsfreiheit schließen. Davon abgesehen ist auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund sich die Kl. eine etwaige unzulässige Willensbeeinträchtigung der Bekl. entgegen den nicht angegriffenen Ausführungen des BerGer. zurechnen lassen müßte.
b) Indes hat die Revision mit ihrer Verfahrensrüge Erfolg, das BerGer. habe eine Bezeichnung der von der Kl. begehrten Mithaft als "reine Formsache" nicht für unbewiesen halten dürfen. Die Verharmlosung oder Verschleierung des Haftungsrisikos durch die Bank stellt eine sittenwidrige Beeinträchtigung der Willensfreiheit des finanziell überforderten Ehepartners dar (s. dazu etwa Urt. d. Senats, BGHZ 120, 272 [277] = NJW 1993, 322 = LM H. 4-1993 § 138 [Bc] BGB Nr. 75; vgl. auch Gundlach-Halstenberg, in: Schimansky-Bunte-Lwowski, § 82 Rdnr. 107). Das hat auch das BerGer. nicht verkannt. Es hat jedoch lediglich darauf abgestellt, daß die entsprechende Behauptung der Bekl. nach der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen H nicht bewiesen sei. Dabei hat es übersehen, daß die Bekl. sich für ihre Sachdarstellung in der Berufungsschrift ausdrücklich auch auf das Zeugnis ihres Ehemanns bezogen hat. Da dieser in der Berufungsinstanz nicht mehr Partei war, steht einer Zeugenrolle unabhängig von der Möglichkeit, einen einfachen Streitgenossen über alle lediglich die anderen Streitgenossen betreffenden Tatsachen zu vernehmen (vgl. dazu etwa BGH, LM § 59 ZPO Nr. 4 = NJW 1983, 2508 [L] = MDR 1984, 47 m.w. Nachw.), kein prozessuales Hindernis entgegen. Andere Gründe, die es dem BerGer. erlaubten, sich seine Überzeugung allein auf der Grundlage der Bekundungen des Zeugen H zu bilden, sind nicht ersichtlich und werden auch von der Revisionserwiderung nicht aufgezeigt.
III. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das BerGer. zurückzuverweisen. Dieses wird den nicht mehr bei der Kl. beschäftigten Zeugen H noch einmal zusammen mit dem Ehemann der Bekl. über die von ihr dem Kreditsachbearbeiter vorgeworfene Verharmlosung bzw. Verschleierung des Haftungsrisikos vernehmen müssen. Es wird dabei H vorzuhalten haben, daß er nach seiner bisherigen Aussage lediglich gegenüber dem früheren Kollegen R die Anordnung zur Einbindung der Bekl. in die Haftung ihres Ehemanns gegeben haben will, während nach der Darstellung der Kl. er und nicht R mit der Umschuldung betraut gewesen sein soll.  



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