NJW 1999, 2883
Zur objektiven Evidenz des Mißbrauchs
einer umfassenden Kontovollmacht.
Der Bekl. hatte sich von der Kl. eine Kontovollmacht
für deren Sparkonto geben lassen und anschließend deren "Sparbuch
geplündert". Die Kl. macht Ansprüche gegen die Sparkasse geltend.
Dabei geht es nicht um Ersatzansprüche, sondern schlicht und einfach
darum, ob die Sparkasse insoweit den Anspruch der Klägerin aus dem
Sparvertrag auf Auszahlung des Betrags (nach h.M. aus § 607 BGB) nach
§ 362 I, II, 185 BGB erfüllt hat. Dabei kam es entscheidend auf
die Wirksamkeit der Kontovollmacht an. Wegen der Abstraktion der Vollmacht
vom Innenverhältnis ist die Ausübung einer Vollmacht auch dann
wirksam, wenn der Bevollmächtigte sie in einer Weise ausübt,
die (nur) im Innenverhältnis zum Vollmachtgeber unzulässig ist.
Um dies zu verhindern, muß ein Vollmachtgeber (soweit rechtlich möglich)
die Vollmacht selbst nach außen einschränken. Nur ausnahmsweise
kann ein solcher Mißbrauch im Innenverhältnis die Vertretungsmacht
nach außen beschränken. Der BGH präzisert hier lehrbuchartig
die Voraussetzungen, unter denen nach den Grundsätzen des Vollmachtsmißbrauchs
keine befreiende Leistung der Sparkasse angenommen werden kann. Er läßt
weiterhin offen, inwieweit die Frage des Mitverschuldens hier relevant
werden kann.
Die Kl. fordert von der Bekl. den Restbetrag eines
Sparguthabens, das die Bekl. an einen Bevollmächtigten der Kl. ausbezahlt
hat. Die damals 70jährige Kl. hatte bei der Sparkasse Sein Sparkonto,
das im Frühjahr 1992 ein Guthaben von rund 150 000 DM aufwies. Im
April 1992 eröffnete sie ein Sparkonto bei der Bekl., für das
sie ihrem Hausarzt Dr. D Verfügungsvollmacht erteilte. Dieser hatte
der Kl. nach ihrer Darstellung angeboten, ihre Ersparnisse zins-günstig
bei einer Bank in Luxemburg anzulegen und behauptet, daß dafür
ein Mindestbetrag von 200 000 DM erforderlich sei. Das bei der Sparkasse
S angelegte Sparguthaben wurde im Mai 1992 auf das neue Sparkonto bei der
Bekl. übertragen. Außerdem nahm die Kl. bei der Sparkasse 5
ein Darlehen in Höhe von 50000 DM auf. Den Darlehensbetrag übergab
die Kl. Dr. D, der ihn auf dem Sparkonto der Kl. bei der Bekl. einzahlte.
Das Sparkonto wies damit ein Guthaben von insgesamt 203 041,90 DM auf.
Wenige Tage nach der Übertragung des Sparguthabens löste die
Ehefrau von Dr. D das Sparkonto auf. Einen Teilbetrag von 3040,90 DM ließ
sie sich in bar auszahlen. 200 000 DM zahlte sie sogleich bei der Bekl.
zur Tilgung von bei dieser bestehenden Darlehensverbindlichkeiten ihres
Ehemannes ein. Dr. D, der diese abredewidrige Verwendung des Geldes von
vornherein beabsichtigt hatte, wurde u. a. dafür wegen Betrugs zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
In einem Rechtsstreit zwischen der Kl. und Dr. D verpflichtete sich Dr.
D in einem Vergleich zur Zahlung eines Teilbetrags von 80000 DM, der auch
geleistet wurde. Die Kl. fordert von der Bekl. die Erstattung ihres restlichen
Schadens in Höhe von 121 040,90 DM. Die Kl. ist der Ansicht, daß
die Bekl. nicht an Frau D hätte leisten dürfen, so daß
ihre Ansprüche auf Rückzahlung des Sparguthabens weiterbesründen.
Die Bekl. macht geltend, daß die Auszahlung des Sparguthabens befreiende
Wirkung gehabt habe, weil die Kl. Dr. D eine umfassende Verfügungsvollmacht
über das neu eröffnete Sparkonto eingeräumt habe.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat
das Urteil des LG abgeändert, die Bekl. zur Zahlung von 50260,22 DM
verurteilt und im übrigen die Berufung der Kl. zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgte die Kl. ihr Anliegen weiter. Die Bekl. erstrebte
mit der Anschlußrevision die völlige Abweisung der Klage. Die
Revision der Kl. war begründet. Die Anschlußrevision der Bekl.
blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
I. 1. Das BerGer. hat zur Begründung folgendes
ausgeführt:
Die Bekl. habe bei der Auflösung des Sparguthabens
und der Abhebung des Guthabens der Kl. ihre vertragliche Sorgfaltspflicht
gegenüber der Kl. fahrlässig verletzt, so daß sie unter
Berücksichtigung eines erheblichen Mitverschuldens der Kl. für
ein Viertel des Gesamtschadens, also 50260,22 DM, hafte. Die Bekl. habe
das gesamte Guthaben an Dr. D, vertreten durch seine Ehefrau, ausbezahlt.
Dazu sei sie aufgrund der bestehenden Verfügungsvollmacht zwar befugt
gewesen. Trotzdem habe die Bekl. die ihr gegenüber der Kl. obliegenden
Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt. Die Bekl. sei aufgrund des Sparvertrags
verpflichtet gewesen, im Rahmen des Zumutbaren Vermögens-verluste
der Kl. zu vermeiden. Aufgrund der vertraglichen Beziehungen zwischen den
Parteien habe eine Verpflichtung der Bekl. bestanden, bei der Kl. nachzufragen,
ob sie mit Rechtsgeschäften einverstanden sei, die in auffälliger
Weise aus dem üblichen Rahmen fallen. Dazu habe unter den hier vorliegenden
Umständen Anlaß bestanden. Beim Umfang der Haftung sei zu berücksichtigen,
daß der vorsätzlich und strafbar handelnde Dr. D die Hauptverantwortung
für den Schaden trage. Unter Abwägung aller Umstände sei
der Haftungsanteil der Bekl. bei Berücksichtigung eines Mitverschuldens
der Kl. auf ein Viertel zu schätzen.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung
nicht stand. Die Kl. hat als Gläubigerin des Sparguthabens Anspruch
auf die Auszahlung ihres Guthabens (§ 607 BGB). Das BerGer. hat unberücksichtigt
gelassen, daß die Kl. die im Auftrag des Kontobevollmächtigten
Dr. D von dessen Ehefrau vorgenommene Abhebung nicht gegen sich gelten
lassen muß, da dieser seine Vollmacht mißbraucht hat.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH
hat grundsätzlich der Vertretene das Risiko des Vollmachtsmißbrauchs
zu tragen; den Vertragspartner trifft keine Prüfungspflicht, ob und
inwieweit der Vertreter im Innenverhältnis gebunden ist, von seiner
nach außen unbeschränkten Vertretungsmacht nur begrenzten Gebrauch
zu machen. Der Vertretene ist gegen einen erkennbaren Mißbrauch der
Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner jedoch dann geschützt,
wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger
Weise Gebrauch gemacht hat, so daß beim Vertragspartner begründete
Zweifel bestehen mußten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters
gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig ist dabei eine massive
Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Mißbrauchs
(vgl. Senat, NJW-RR 1992, 1135 = LM H. 2/1993 § 167 BGB Nr. 35 = WM
1992, 1362 [1363]; BGH, NJW 1994, 2082 = LM H. 9/1994 § 164 BGB Nr.
75 = WM 1994, 1204 [1206], und BGHZ 127,239 = NJW 1995, 250 = LM H. 3/1995
§ 164 BGB Nr. 78). Die objektive Evidenz ist insbesondere dann gegeben,
wenn sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage
des Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdrängt (vgl.
Schramm, in: Bankrechts-Hdb. § 32 Rdnr. 24 m. w. Nachw.).
b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar
ist ihre Feststellung tatrichterliche Würdigung, die im Revisionsverfahren
nur beschränkt überprüfbar ist. Der Nachprüfung unterliegt
aber jedenfalls, ob der Begriff der objektiven Evidenz verkannt wurde und
ob bei der Beurteilung wesentliche Umstände außer Betracht gelassen
wurden. Ist das der Fall, kann das RevGer. die Beurteilung selbst vornehmen,
wenn die Feststellungen des BerGer. wie hier ein abgeschlossenes
Tatsachen-bild ergeben (vgl. dazu Senat, NJW 1992, 316 [317] = LM H. 6/1
992 Art. 16 WG Nr. 5). Die Bekl. wußte, daß das von der Kl.
bei ihr angelegte Sparguthaben durch eine Darlehensaufnahme der Kl. um
50000 DM auf 200 000 DM erhöht worden war. Die Kl. gewährte ihrem
Hausarzt (und nicht etwa einem Familienangehörigen) eine umfassende
Verfügungsvollmacht, die nur kurze Zeit nach der Eröffnung des
Kontos und nur wenige Tage nach dem Eingang des Hauptbetrags von 150 000
DM dazu benutzt wurde, das Sparguthaben aufzulösen, um eigene Darlehensverbindlichkeiten
des Bevollmächtigten bei der Bekl. zu tilgen. Wie das BerGer. zutreffend
hervorhebt, hätte es einfachere Wege gegeben, wenn die Kl. mit dem
Sparguthaben die persönlichen Schulden ihres Hausarztes hätte
tilgen wollen. Es handelt sich hier nicht um ein alltägliches und
normales Geschehen im bankgeschäftlichen Verkehr. Der Vorgang ist
vielmehr so auffällig, daß sich der Bekl. als Vertragspartnerin
der Kl. der Verdacht eines Mißbrauchs der Vollmacht hätte aufdrängen
müssen. Der eigennützige Einsatz der Vollmacht gibt in der Regel
Anlaß zur Aufmerksamkeit. Unter den hier gegebenen Umständen
bestanden starke Verdachtsmomente, die für eine Zweckentfremdung der
abgehobenen Geldbeträge und dafür sprachen, daß der Vertreter
diese der Vertretenen unter Mißbrauch seiner Vollmacht entziehen
wollte. Die Bekl. mußte insbesondere deshalb mißtrauisch werden,
weil es sich um ein mit einem erheblichen Kreditbetrag aufgestocktes Guthaben
handelte, das der Berechtigte gewöhnlich zu eigenen Anlagezwecken,
nicht aber zur Tilgung der Schulden seines Kontobevollmächtigten verwenden
will. Diese Zweifel drängten eine Rückfrage bei der Kl. auf.
Ihr eigenes finanzielles Interesse an der Tilgung des dem Verfügungsbevollmächtigten
gewährten Darlehens hätte die Bekl. demgegenüber zurückstellen
müssen.
c) Da ein Fall des Vollmachtsmißbrauchs
vorliegt, ist die Bekl. in ihrem Vertrauen auf den Bestand der Vertretungsmacht
nicht schutzwürdig. Die Kl. braucht als Vertretene die Rechtsgeschäfte
des Vertreters nicht gegen sich gelten zu lassen (st.Rspr. vgl. Senat,
NJW 1990, 384 [385] = LM § 138 [Ab] BGB Nr. 13; BGH, NJW 1991, 1812
[1813] = LM H. 2/19 92 § 164 BGB Nr. 69, jew. m. w. Nachw.). Der Anspruch
der Kl. auf Auszahlung des Guthabens ist durch die von dem Verfügungsbevollmächtigten
veranlaßte Abhebung nicht erloschen und besteht fort.
d) Es kann offen bleiben, ob der in einem Einzelfall
vertretenen Ansicht zu folgen ist, bei einem Vollmachtsmißbrauch
seien in Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB die nachteiligen
Folgen des Vertretergeschäfts nach dem auf beiden Seiten vorliegenden
Verschulden zu verteilen (BGHZ 50, 112 [114] = NJW 1968, 1379 = LM §
50 HGB Nr. 1; abl. Erman/ Brox, BGB, 9. Aufl., § 167 Rdnr. 50; Staudinger/Schilken,
BGB, 13. Bearb., § 167 Rdnr. 104; Schramm, in: MünchKomm, 3.
Aufl., § 164 Rdnr. 107). Die Erteilung der Verfügungsvollmacht
durch die Kl. kann für sich allein noch nicht als eine schuldhafte
Mitwirkung am Mißbrauch der Vollmacht gewertet werden. Im übrigen
hat die Kl. die Vollmacht dem Angehörigen eines Berufsstandes erteilt,
der allgemein als vertrauenswürdig gilt. Hinsichtlich der Person des
bevollmächtigten Dr. D waren im Zeitpunkt der Bevollmächtigung
keine Umstände bekannt, die gegen ein solches Vertrauen sprachen.
Der Kl. kann auch keine unterlassene Kontrolle des Vertreters vorgeworfen
werden. Dieser hat die Kl. durch die Zahlung von Zinsen über einen
Zeitraum von mehr als zwei Jahren in dem Glauben gelassen, daß er
das Geld für sie angelegt habe.
3. Da keine weiteren Feststellungen zu treffen
sind, konnte der Senat selbst entscheiden (§ 565 III Nr. 1 ZPO). Der
Klage war in vollem Umfang stattzugeben.