Anwendbarkeit des HWiG bei Vertragsänderung, Begriff der "vorhergehenden Bestellung" (Vertreterbesuch)

BGH, Urteil v. 19.11.1998 - VII ZR 424/97


Amtlicher Leitsatz

1. § 1 I Nr. 1 HWiG ist anwendbar, wenn der Kunde durch mündliche Verhandlungen im Bereich einer Privatwohnung zum Abschluß eines Vertrags bestimmt worden ist; auf den Anlaß des Besuchs des Gewerbetreibenden kommt es grundsätzlich nicht an, sofern er nicht zu Vertragsverhandlungen bestellt worden ist.
2. Der Kunde kann auch dann zu einer auf den Abschluß eines Vertrags gerichteten Erklärung bestimmt worden sein, wenn er den Besuch eines Gewerbetreibenden zum Anlaß genommen hat, Änderungswünsche zu einem bestehenden Vertrag zu äußern und anschließend ein neuer Vertrag geschlossen wurde.


Fundstellen:

NJW 1999, 575


Sachverhalt:

Die Kl. begehrt Schadensersatz. R, der Ehemann der Bekl. bat die Kl., ihn zu besuchen, um über Möglichkeiten des Anbaus eines Wintergartens zu sprechen. Nachdem die Kl. ein erstes Angebot unterbreitet hatte, forderte R Alternativangebote, die die Kl. ihm zuleitete. Nach ihrer Behauptung entschieden sich die Bekl. und R für ein bestimmtes Angebot und bestellten einen Vertreter zu Vertragsverhandlungen in ihr Haus. Dort schlossen die Parteien am 30. 7. 1992 einen Vertrag, wonach die Kl. die Überdachung für einen späteren Wintergarten zum Preis von 18892 DM planen und montieren sollte. Als am 10. 9. 1992 ein Techniker der Kl. erschien, um das Aufmaß zu nehmen, äußerten die Bekl. und R verschiedene Änderungswünsche. Die Bekl. unterschrieb anschließend einen Vertrag über die Erstellung eines kompletten Wintergartens zum Preis von 44570 DM. Im Frühjahr 1993 übersandte die Kl. der Bekl. einen Bauantrag und bat, diesen an das Bauordnungsamt weiterzuleiten. Dazu kam es nicht.

Die Kl. hat den Vertrag vom 10. 9. 1992 gekündigt und Schadensersatz von 12050,13 DM geltend gemacht. Die Bekl. hat u.a. eingewandt, sie könne mangels Belehrung über das Widerrufsrecht ihre Erklärung widerrufen, so daß der Vertrag nach dem Haustürgeschäftewiderrufsgesetz (HWiG) nicht wirksam geworden sei.

Das LG hat der Klage in Höhe von 3100 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das BerGer. hat die Klage insgesamt mit der Begründung abgewiesen, der Vertrag vom 10. 9. 1992 sei nicht wirksam geworden, da die Bekl. ihre Erklärung habe widerrufen können. Es hat die Revision zugelassen, um zu klären, in welchem Umfang Änderungsvereinbarungen dem HWiG unterfallen. Die Revision der Kl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. führt aus, der Kl. stünden vertragliche Ansprüche nicht zu, da die Bekl. ihre Erklärung gem. den §§ 1 I, 2 I 4 HWiG widerrufen habe. Die Parteien hätten am 10. 9. 1992 einen Vertrag über eine entgeltliche Leistung geschlossen. Die Änderung einer bereits bestehenden Vereinbarung stelle zumindest dann einen Vertragsabschluß i.S. des § 1 I HWiG dar, wenn sie einem Neuabschluß gleichkomme; dies sei hier der Fall. Die Parteien hätten den Vertrag vom 30. 7. 1992 ersatzlos aufgehoben.

Die Bekl. sei zu der Unterzeichnung des Vertrags vom 10. 9. 1992 durch die an diesem Tage in ihrer Privatwohnung geführten mündlichen Verhandlungen bestimmt worden. Selbst wenn das Gespräch an diesem Tag seinen Ausgangspunkt darin gehabt habe, daß die Bekl. und R Änderungswünsche geäußert hätten, so sei die Bekl. jedenfalls in eine Drucksituation geraten. Sie habe sich entscheiden müssen, ob sie den ursprünglichen Vertrag habe weiterlaufen lassen oder ihn durch eine neue Vereinbarung habe ersetzen wollen, ohne die Möglichkeit zu haben, Vergleichsangebote einzuholen.

II. Hiergegen wendet sich die Revision der Kl. im Ergebnis ohne Erfolg. Die Parteien haben am 10. 9. 1992 einen neuen, die ursprüngliche Vereinbarung ersetzenden Vertrag geschlossen, auf den das HWiG uneingeschränkt anwendbar ist (1). Dieser Vertrag ist durch den Widerruf der Bekl. nicht wirksam geworden (2).

1. a) Die Ausführungen des BerGer. zur rechtlichen Beurteilung der vertraglichen Absprache vom 10. 9. 1992 sind widersprüchlich. Es bejaht einerseits eine Vertragsänderung, die einem Neuabschluß gleichkomme. Andererseits geht es davon aus, der neue Vertrag habe den alten Vertrag "ersetzt" bzw. "aufgehoben", so daß Ansprüche aus dem alten Vertrag nicht mehr hergeleitet werden könnten. Der Senat kann die Auslegung der Vereinbarung vom 10. 9. 1992 nachholen, da der Sachverhalt sich aus dem unstreitigen Tatbestand ergibt und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind.

b) Nach § 305 BGB können die Beteiligten den Inhalt eines Schuldverhältnisses durch Vertrag ändern. Davon ist der Fall der Aufhebung des bisherigen und der Begründung eines neuen Schuldverhältnisses zu unterscheiden. Die Frage, ob das eine oder das andere vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, NJW 1992, 2283 [2284] = LM H. 1/1993 § 305 BGB Nr. 58). Maßgebend ist dabei in erster Linie der Wille der Parteien, der sich im allgemeinen aus der Fassung eines Änderungsvertrags ergibt. Neben dem Wortlaut der Urkunde sind auch die wirtschaftliche Bedeutung der Abänderung und die Verkehrsauffassung zu berücksichtigen (BGH, NJW 1992, 2283 = LM H. 1/1993 § 305 BGB Nr. 58).

c) Nach diesen Grundsätzen liegt ein das bisherige Schuldverhältnis ersetzender, nicht bloß ändernder Vertrag vor. Das zeigt bereits die Form des neuen Vertrags; der alte Vertrag ist durch Verwendung eines neuen Formulars vollständig ersetzt worden. Die beiderseitigen Hauptleistungen sind neu; eine Bezugnahme auf den alten Vertrag findet sich nicht. Die von der Kl. ursprünglich zu erbringende Sachleistung war auf ein ausbaufähiges Vordach zum Preis von 18892 DM gerichtet; nunmehr sollte sie einen kompletten Wintergarten zum Preis von 44570 DM liefern und montieren. Auch in anderen Modalitäten wie Lieferzeit und Zahlungsweise weichen die Verträge voneinander ab. Ein Wille der Parteien, der ursprüngliche Vertrag solle jedenfalls teilweise in Kraft bleiben, ist nicht erkennbar.

2. Das BerGer. hat zu Recht angenommen, die Bekl. habe ihre auf den Abschluß eines Vertrags über eine entgeltliche Leistung gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen (§§ 1 I Nr. 1, 2 I 4 HWiG).

a) Die Auffassung der Revision, dem könne nicht beigetreten werden, da der Besuch des Vertreters der Kl. bei der Bekl. am 10. 9. 1992 nicht zwecks Kundenwerbung, sondern allein deshalb geschehen sei, um das Aufmaß für die im Vertrag vom 30. 7. 1992 vereinbarte Leistung zu nehmen, überzeugt nicht. Für die Anwendung des HWiG kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Gewerbetreibende den Kunden zu Werbezwecken in seiner Wohnung aufsucht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist für seine Anwendbarkeit ausreichend, daß der Kunde durch mündliche Verhandlungen im Privatbereich zum Abschluß des Vertrags bestimmt worden ist. Auf den Anlaß des Besuchs kommt es grundsätzlich nicht an. Das ergibt sich bereits aus der Ausnahmevorschrift des § 1 II Nr. 1 HWiG, wonach ein Recht auf Widerruf dann nicht besteht, wenn die mündlichen Verhandlungen, auf denen der Abschluß des Vertrags beruht, auf vorhergehende Bestellung des Kunden geführt worden sind. Entgegen der Annahme der Revision liegt eine derartige Bestellung nicht bereits dann vor, wenn der Gewerbetreibende kommt, um das Aufmaß zu nehmen.

Dieses Verständnis entspricht dem Zweck der Regelung. Die Vorschrift dient dem Schutz des Kunden; sie soll ihn vor einem übereilten und unüberlegten Abschluß eines Geschäfts schützen, wenn ihm bei einem nicht bestellten Hausbesuch des Anbieters, der bei Geschäften dieser Art meist psychologisch besonders geschult ist, die für Ladengeschäfte typische Umkehrmöglichkeit und Überlegungszeit fehlt (BT-Dr 10/2876, S. 6 [abgedr. in: ZIP 1985, 376ff.]; vgl. auch Senat, BGHZ 110, 308 [309] = NJW 1990, 1732 = LM HWiG Nr. 2). Dieser Schutzzweck greift gleichermaßen ein, wenn der Gewerbetreibende den Kunden in einer Privatwohnung aufsucht, um einen bereits geschlossenen Vertrag abzuwickeln und es dabei zu erneuten Vertragsverhandlungen kommt. Eine die Widerrufsmöglichkeit des Kunden einschränkende Interpretation würde dem aufgeführten Gesetzeszweck nicht gerecht (vgl. BGHZ 109, 127 [133] = NJW 1990, 181 = LM § 1 UWG Nr. 536).

b) Der Auffassung der Revision, die Bekl. sei zum Abschluß des Vertrags nicht "bestimmt" worden, da die "werbemäßige Ansprache" von ihr ausgegangen sei, kann nicht beigetreten werden. § 1 I Nr. 1 HWiG setzt voraus, daß der Kunde durch die mündlichen Verhandlungen in einer Privatwohnung zu der Vertragserklärung bestimmt worden ist. Eine Mitursächlichkeit zwischen den in § 1 I HWiG genannten Verhandlungssituationen und der Abgabe der Willenserklärung des Kunden genügt (BGHZ 131, 385 = NJW 1996, 926 [928] = LM H. 6/1996 HWiG Nr. 24/25).

Die Ausführungen des BerGer. zur Ursächlichkeit der Verhandlungen im Wohnbereich der Bekl. am 10. 9. 1992 für den dort getätigten Vertragsschluß weisen Rechtsfehler nicht auf. Auch die Revision zieht nicht in Zweifel, daß die Bekl. sich aufgrund der Verhandlung unter Druck gesetzt sah, sich entscheiden zu müssen, ob sie einen neuen Vertrag abschließen wolle.

Auf eine, wie die Revision ausführt, "werbemäßige Ansprache" des Kunden kommt es nicht an. Die Kausalität der in den Privaträumen geführten Verhandlungen für die Erklärung des Kunden wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß der Kunde anläßlich des Besuchs des Gewerbetreibenden von sich aus auf Änderungen eines bestehenden Vertrags zu sprechen gekommen war. Sinn und Zweck des HWiG verbieten eine einschränkende Beurteilung. Selbst wenn der Kunde das Gespräch eröffnet, das zum Vertragsschluß führt, so fehlen die bei einem Ladengeschäft typische Umkehrmöglichkeit und die gebotene Überlegungszeit (BT-Dr 10/2876, S. 6). Es wird dem Gesetzeszweck, die Entscheidungsfreiheit des Kunden umfassend zu schützen, nicht gerecht, maßgeblich auf eine allein anbieterinitiierte geschäftliche Kontaktaufnahme abzustellen (so wohl Ulmer, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 1 HWiG Rdnr. 13). Die Frage einer Überrumpelung und eines nicht gewünschten Vertragsschlusses läßt sich nur entscheiden, wenn das gesamte zum Vertragsschluß führende Verhalten in den Blick genommen wird. Das hat das BerGer. zutreffend gewürdigt.