IPR/IZPR: Internationale Zuständigkeit für Scheidungsverfahren nach der EheVO, Verhältnis der EheVO zur Rom III-VO; Scheidungsstatut nach der Rom III-VO (konkludente Rechtswahl); iranisches Ehescheidungsrecht und ordre public; Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens; Privatscheidung ("talaq") vor deutschen Gerichten; Versorgungsausgleich nach Art. 17 III EGBGB


OLG Hamm, Beschluss vom 07.05.2013 - II-3 UF 267/12


Fundstelle:

noch nicht bekannt


Amtl. Leitsatz:

1. § 65 Absatz IV FamFG entbindet das Beschwerdegericht nicht von der vollumfänglichen Prüfung der internationalen Zuständigkeit. Diese ergibt sich für den Scheidungsantrag ausländischer Ehegatten mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im Falle der Eheschließung nach ausländischem religiösen (hier islamisch-schiitischen) Recht auch nach dem Inkrafttreten der Rom-III-Verordnung (EU) in Deutschland zum 21.6.2012 weiterhin aus Art. 3 a) der Brüssel-IIa-Verordnung (EG).
2. Für familiengerichtliche Ehescheidungsverfahren, die ab dem 21.6.2012 eingeleitet worden sind (vorliegend am 22.6.2012), bestimmt sich die Frage, welches nationale Recht bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist, allein nach den Regelungen der Rom-III-Verordnung. Danach ist für nach ausländischem Recht geschlossene Ehen gemäß Art 8 a) der Rom-III-Verordnung im Falle des gewöhnlichen Aufenthalts beider Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Familiengerichts im Bundesgebiet grundsätzlich deutsches Eherecht anwendbar, jedenfalls, soweit nicht beide Ehegatten ausschließlich die ausländische Staatsangehörigkeit haben und eine nach § 19 I Rom-III-Verordnung vorrangige völkerrechtliche Vereinbarung der beteiligten Staaten hierauf abstellt.
3. Eine gegenüber Art. 8 a) Rom-III-Verordnung vorrangige Rechtswahl des ausländischen Eherechts durch die Ehegatten nach Art. 5 Rom-III-Verordnung kann bereits vor dem Inkrafttreten der Rom-III-Verordnung erfolgt sein. Dass die Ehegatten zum Zeitpunkt der Bestimmung des ausländischen Rechtsregimes für die Eheschließung und Ehescheidung nicht die faktische Auswahlmöglichkeit eines anderen, insbesondere des deutschen Eherechts hatten, ändert bei der gebotenen Auslegung nach dem hypothetischen Willen der Ehegatten entsprechend den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242, § 313 Absatz I BGB) nichts daran, dass - auch nach dem weiten Normzweck des Art. 5 Rom-III-Verordnung - in der einvernehmlichen Vereinbarung von iranischen Ehescheidungsgründen zugunsten der Ehefrau in der Heiratsurkunde entsprechend den Art. 1138 iran. ZGB, § 8 iran. Gesetz zum Schutze der Familie eine wirksame Rechtswahl des iranischen Scheidungsrechts liegen kann.
4. Der iranische Ehemann kann die iranische Ehefrau in der Heiratsurkunde wirksam gemäß den Art. 1133,1134, 1138 iran. ZGB zu dem Ausspruch der Scheidungsformel "Talaq" an seiner Stelle bevollmächtigen. Die erforderliche Gegenwart zweier gerechter Männer bei dem Scheidungsausspruch kann in der Gerichtsverhandlung durch anwesende männliche Rechtsanwälte und Richter sichergestellt sein.
5. Lebt der Ehemann mit der Ehefrau in Deutschland für die Dauer von zumindest sechs Monaten zusammen von SGB-II-Leistungen, ohne der Ehefrau aus eigenen Mitteln "Unterhaltsgeld" zu zahlen, liegt der Scheidungsgrund des § 8 Nr. 2
iran. Gesetz zum Schutze der Familie vor, ohne dass die Ehefrau bei erkennbarer Leistungsunfähigkeit zunächst erfolglos versuchen müsste, den Ehemann durch ein gerichtliches Verfahren und einen Vollstreckungsversuch zur Unterhaltszahlung zu zwingen.
6. Der Scheidungsgrund des § 8 Nr. 4
iran. Gesetz zum Schutze der Familie (schlechtes Benehmen und Verhalten des Ehemannes gegenüber der Ehefrau, für die das Weiterführen des Ehelebens nicht mehr aushaltbar ist) kann im Falle hochstrittiger außergerichtlicher Auseinandersetzungen der Ehegatten vor der Trennung und einer Vielzahl darauf fußender familien- und strafgerichtlicher Verfahren auch ohne eine bereits rechtskräftige Verurteilung des Ehemannes wegen ihm vorgeworfener Straftaten gegen die Ehefrau trotz des Grundsatzes "In dubio pro reo" festgestellt werden, wenn bei einer Gesamtwürdigung jedenfalls erhebliches Fehlverhalten des Ehemannes als maßgeblicher Grund für die Trennung und das Scheitern der Ehe vorliegt.
7. Ein Verstoß der gerichtlichen Entscheidung zur Ehescheidung nach ausländischem Recht gegen den deutschen Ordre
public (Art. 12 Rom-III-Verordnung) oder das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 10 Rom-III-Verordnung) liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die iranische Ehefrau nach beiden Rechtsordnungen unter zumutbaren Voraussetzungen die Ehescheidung beantragen kann. Dies ist vorliegend der Fall, weil sie auch nach deutschem Ehescheidungsrecht trotz noch nicht dreijähriger räumlicher Trennung wegen nachgewiesener einseitiger Zerrüttung der Ehe gemäß den §§ 1565 II,1566 I, § 1567 BGB die Ehescheidung beantragen kann.


Zentrale Probleme:

Eine Fundgrube für IPR'ler und Studierende des jeweiligen Schwerpunktbereichs. Die zentralen Probleme ergeben sich aus den umfangreichen Leitsätzen. Volltext der Entscheidung u.a. bei https://openjur.de/u/632248.html.

©sl 2014


Aus den Gründen:

I.

Der Antragsgegner (noch 31 Jahre alt, iranischer Staatsbürger) wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 14.11.2012, durch den seine Ehe mit der Antragstellerin (23 Jahre alt, gebürtige Iranerin und eingebürgerte Deutsche) geschieden und der Versorgungsausgleich ausgeschlossen worden ist.

Die Antragstellerin und der Antragsgegner heirateten am 14.04.2009 in Ka./Iran nach dem islamischen Recht. Die Heiratsurkunde enthält neben einer Vollmacht zugunsten der Antragstellerin, die ihr die Beantragung der Ehescheidung ermöglicht, verschiedene bei der Eheschließung vereinbarte Bedingungen für einen möglichen Scheidungsantrag durch die Ehefrau, auf deren Einzelheiten der Senat in der rechtlichen Würdigung unter II. zurückkommt. Aus der Ehe ist die Tochter C M (*08.04.2010) hervorgegangen. Die Beteiligten leben seit Juni 2011, spätestens aber seit Oktober 2011 getrennt. Die Antragstellerin hatte ursprünglich das Härtefallscheidungsverfahren 106 F 341/11 Amtsgericht - Familiengericht - Essen eingeleitet, in dem sie eine Trennung der Beteiligten in der Ehewohnung im Juni 2011 sowie erhebliche Beleidigungen des Antragsgegners, gewalttätige Auseinandersetzungen und Drohungen des Antragsgegners zur Entführung des gemeinsamen Kindes in den Iran behauptete. Das Familiengericht hat der Antragstellerin seinerzeit Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung versagt, ein Härtegrund sei nicht hinreichend vorgetragen. Jedenfalls leben die Beteiligten seit dem 16.10.2011 getrennt, an dem der Antragsgegner wegen von der Antragstellerin geltend gemachter Gewalttätigkeiten von der Polizei bis zum 26.10.2011 der Ehewohnung verwiesen wurde. Auf Antrag der Antragstellerin hat das Amtsgericht - Familiengericht - Essen in dem Gewaltschutzverfahren 106 F 273/11 durch Beschluss im schriftlichen Verfahren vom 18.10.2011 und diesen weitgehend bestätigenden Beschluss nach mündlicher Verhandlung vom 23.11.2011 die Ehewohnung der Antragstellerin zugewiesen und Kontaktverbote gegen den Antragsgegner verhängt. Die Beschwerde des Antragsgegners hatte gemäß dem Beschluss des 1. Familiensenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14.02.2012 in dem Verfahren II-1 UF 317/11 nur hinsichtlich der Anordnungen bzgl. der Tochter C Erfolg, während es bzgl. der Antragstellerin bei der Wohnungszuweisung und den Kontaktverboten verblieb. Diese wurden auf Antrag der Antragstellerin in dem Verfahren 106 F 84/12 Amtsgericht - Familiengericht - Essen durch Beschluss vom 18.04.2012 sowie aufgrund einer vom Antragsgegner beantragten mündlichen Verhandlung durch Vergleich vom 20.06.2012 verlängert.
...
In dem vorliegenden Scheidungsverfahren hat die Antragstellerin in erster Instanz die Scheidung der Ehe der Beteiligten beantragt; der Antragsgegner hat Zurückweisung beantragt.
....

Mit Beschluss vom 14.11.2012 hat sodann das Familiengericht die am 14.04.2009 in Ka./Iran geschlossene Ehe der Beteiligten geschieden und angeordnet, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Wegen der Einzelheiten der Begründung für das anzuwendende iranische Scheidungsrecht und für das Vorliegen der iranischen Scheidungsvoraussetzungen wird auf den erstinstanzlichen Beschluss verwiesen.

Mit seiner Beschwerde strebt der Antragsgegner die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs und hilfsweise dessen inhaltliche Abänderung wegen des Nichtvorliegens der iranischen Scheidungsvoraussetzungen an. ....

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, aber unbegründet.

A.

Es findet gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das neue Verfahrensrecht Anwendung, weil das zugrunde liegende Verfahren erst am 22.06.2012 von der Antragstellerin eingeleitet worden ist.

B.
Die Beschwerde ist nach den §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 FamFG statthaft und fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG gemäß § 64 Abs. 1 FamFG beim Amtsgericht Essen eingelegt und gemäß § 117 Abs. 1 FamFG fristgerecht vor dem Senat begründet worden.

C.
In der Sache selbst hat die Beschwerde des Antragsgegners indes keinen Erfolg.

I. Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Scheidungsantrag:

1. ) Das Amtsgericht und der Senat sind für die Entscheidung über den Ehescheidungsantrag der Antragstellerin international zuständig. Dies stellt der Senat vorliegend trotz des § 65 Abs. 4 FamFG ausdrücklich positiv fest. Soweit nach dieser Regelung an sich eine Beschwerde nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe, gilt dieser Ausschluss der Zuständigkeitsprüfung entgegen dem weiten Wortlaut der Norm nämlich gerade nicht für die internationale Zuständigkeit. Angesichts der Komplexität der Materie, insbesondere der Vielzahl der vorrangigen europäischen Vorschriften und staatsvertraglichen Bestimmungen, unterliegt die internationale Zuständigkeit vielmehr umfänglich der Prüfung des Beschwerdegerichts (vgl. Sternal, in: Keidel, FamFG, 17. Auflage, § 65 Rn. 18 mit Rechtsprechungsnachweisen zu der vergleichbaren revisionsrechtlichen Regelung).

2. ) Das Amtsgericht hat sich in der Begründung des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich nur in einem Satz mit der Möglichkeit einer Entscheidung nach dem deutschen Verfahrensrecht befasst. Es ist jedoch stillschweigend und im Ergebnis zutreffend von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Entscheidung über den Scheidungsantrag der Antragstellerin ausgegangen, obwohl ausweislich der Heiratsurkunde die Eheschließung vor einem Geistlichen in Anwendung religiösen (islamisch-schiitischen) Rechts vollzogen wurde.

3. ) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Scheidungsantrag bei ausländischen Ehegatten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und ihre Ehe in Anwendung ausländischen religiösen (hier: islamisch-schiitischen) Rechts geschlossen haben, ergibt sich nicht mehr aus § 606a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO a. F. (vgl. hierzu noch BGH, Urteil vom 06.10.2004, XII ZR 225/01, FamRZ 2004, S. 1952, recherchiert bei juris, Rn. 8 ff.), sondern aus Art. 3 a) der seit dem 01.03.2005 geltenden Verordnung Brüssel II a (Verordnung EG VO Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung; vgl. zu deren Anwendbarkeit aktuell OLG Hamm, Beschluss vom 17.01.2013, 4 UF 172/12, recherchiert bei juris, Rn. 22 ff.).

4. ) Etwas anderes ergibt sich hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit auch nicht aus der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (Rom-III-Verordnung), die seit dem 21.06.2012 in Deutschland gilt (vgl. OLG Hamm, a. a. O., Rn. 27). Artikel 2 der Rom-III-Verordnung bestimmt nämlich, dass diese Verordnung die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003, also der Brüssel-II a-Verordnung, unberührt lässt. Für die Frage der internationalen Zuständigkeit des Familiengerichts und des Senats ist es insoweit vorliegend anders als für die Frage des anzuwendenden materiellen Eherechts (siehe dazu unten III.) rechtlich unerheblich, dass die Antragstellerin ihren Scheidungsantrag am 22.06.2012 -d. h. einen Tag nach dem Inkrafttreten der Rom-III-Verordnung in Deutschland am 21.06.2012 - anhängig gemacht hat. Auf den Wegfall des § 606a ZPO mit dem Inkrafttreten des FamFG zum 01.09.2009 kommt es für die internationale Zuständigkeit ebenso nicht entscheidungserheblich an, denn er ist bereits zum 01.03.2005 durch die Brüssel-II a-Verordnung verdrängt worden.

II. Hauptantrag auf Aufhebung und Zurückverweisung gemäß den §§ 117 Abs. 2 S. 1 FamFG, 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO:

Der Senat hat geprüft, aber nach pflichtgemäßem Ermessen davon abgesehen, die angefochtene Entscheidung gemäß dem Hauptantrag des Antragsgegners nach den §§ 117 Abs. 2 S. 1 FamFG, 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers aufzuheben und mitsamt dem zugrundeliegenden Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen. ... (wird ausgeführt).

III. Hilfsantrag auf abändernde Zurückweisung des Scheidungsantrages: Anwendbares Scheidungsrecht:

Der Hilfsantrag des Antragsgegners auf abändernde Zurückweisung des Scheidungsantrages der Antragstellerin ist unbegründet, denn das Amtsgericht hat im Ergebnis zutreffend das materielle iranische Scheidungsrecht zugrunde gelegt und das Vorliegen der iranischen Scheidungsvoraussetzungen zu Recht bejaht.

1. ) Das Amtsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Anwendung iranischen Scheidungsrechts allerdings rechtsfehlerhaft mit den Art. 17 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 EGBGB begründet; etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.02.1929, weil dieses in Art. 8 Abs. 3 bestimme, dass die Angehörigen jedes Staates im Gebiet des anderen Staates den Vorschriften der heimischen Gesetze unterworfen blieben.

2. ) Sowohl das Amtsgericht als auch beide Beteiligten haben insoweit die am 21.06.2012 in Deutschland in Kraft getretene Rom-III-Verordnung (Verordnung Nr. 1259/2010/EU) und ihre Auswirkungen auf das vorliegend anzuwendende Scheidungssachrecht verkannt. Neben vertraglichen Schuldverhältnissen, ungerechtfertigter Bereicherung und Deliktsrecht besteht damit nun auch eine EU-Verordnung bei der Trennung von Ehen bzw. bei der Ehescheidung. Die neue Verordnung dient der Bestimmung, welches nationale Recht bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist (vgl. auch Art. 1 Abs. 1 der Verordnung). Bisher galt hier das autonome deutsche internationale Privatrecht, also die Regelungen des deutschen EGBGB, dessen Kollisionsregelungen vorrangig auf das Recht nach der Staatsangehörigkeit der Beteiligten abstellen. Diese Regelungen werden nun für den Bereich der Ehescheidung von der Rom-III-Verordnung abgelöst.

Im vorliegenden Fall begründen folgende Gesichtspunkte die vorrangige und ausschließliche Anwendung der Rom-III-Verordnung als Kollisionsregelungen für die Ehescheidung der Beteiligten:

- Die Rom-III-Verordnung ist nach Art. 21 seit dem 21.06.2012 in Kraft getretenes, in Deutschland verbindliches und unmittelbar geltendes Recht.

- Sie gilt nach der Übergangsvorschrift des Art. 18 Abs. 1 für gerichtliche Verfahren, die ab dem 21.06.2012 eingeleitet worden sind. Das Scheidungsverfahren ist genau einen Tag später, am 22.06.2012, durch Anhängigkeit der Antragsschrift vom 20.06.2012 eingeleitet worden, so dass die Rom-III-Verordnung vorliegend uneingeschränkt geltendes Recht ist. Dass die Antragstellerin bereits zuvor vergeblich und ausschließlich im Verfahrenskostenhilfestadium am 16.12.2011 das Härtefallscheidungsverfahren 106 F 341/11 Amtsgericht - Familiengericht - Essen eingeleitet hatte, ist für das stichtagsbezogene Rechtsregime im vorliegenden, isoliert zu betrachtenden Verfahren rechtlich unerheblich.

- Da beide Beteiligten unstreitig während des ehelichen Zusammenlebens jedenfalls seit April 2011 ihren gewöhnlichen Aufenthalt bis zur Trennung sowie auch noch zum Zeitpunkt der Anrufung des Familiengerichts am 22.06.2012 in der Bundesrepublik Deutschland in Essen gehabt haben, greift im Grundsatz Art. 8 a) Rom-III-Verordnung mit der Möglichkeit einer verdrängenden Rechtswahl nach Art. 5.

- Art. 19 Abs. 1 Rom-III-Verordnung führt insoweit nicht dazu, dass aufgrund von Art. 8 Abs. 3 des Niederlassungsabkommens vom 17.02.1929 zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien in Verbindung mit dem Schlussprotokoll vom 04.11.1954 etwa vorrangiges, unberührt bleibendes Völkerrecht gälte. Anders als in dem vom 4. Familiensenat des OLG Hamm jüngst entschiedenen Fall (OLG Hamm, a. a. O., Rn. 30 und 32) besitzen vorliegend nämlich nicht beide Beteiligte ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit. Unabhängig von der streitigen Frage, ob die Antragstellerin wirksam aus der iranischen Staatsangehörigkeit entlassen worden ist, hat sie nämlich jedenfalls auch kraft Einbürgerung seit der Aushändigung der Urkunde vom 23.02.2011 am 01.07.2011 die deutsche Staatsangehörigkeit (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 15.01.1986, IVb ZR 75/84, FamRZ 1986, S. 345 ff., recherchiert bei juris, Rn. 7).

3.) Im Ergebnis führt die demnach uneingeschränkte Geltung der Rom-III-Verordnung vorliegend indes nicht zur Anwendung des deutschen, sondern weiterhin zur Anwendung des materiellen iranischen Scheidungsrechts. Zwar ist nach dem Grundsatz in Art. 8 a) der Rom-III-Verordnung regelmäßig nicht mehr die Staatsangehörigkeit entscheidend, sondern der gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, und die Verordnung gilt auch unabhängig davon, ob sie auf die Rechtsordnung eines Mitgliedsstaates der EU oder auf einen anderen Staat verweist. Es handelt sich um autonomes Kollisionsrecht der EU. Vorliegend haben die Beteiligten zwar während ihres ehelichen Zusammenlebens, ihrer Trennung und der Anrufung des Amtsgerichts ebenso wie im Beschwerdeverfahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland; sie haben in der Heiratsurkunde jedoch wirksam von der Möglichkeit einer Rechtswahl zugunsten des iranischen Scheidungsrechts Gebrauch gemacht. Neben den zwingenden gesetzlichen Regelungen ist es nämlich auch möglich, das anzuwendende Recht frei zu wählen, Art. 5 der Rom-III-Verordnung. Eine solche Rechtswahl ist grundsätzlich vorrangig vor der Regelung des Art. 8. Insoweit liegt in dem Inhalt der Heiratsurkunde vom 14.04.2009 („Bei der Eheschließung vereinbarte Bedingungen: .....") aus den folgenden Gründen nach Auffassung des Senats eine für das vorliegende Scheidungsverfahren bindende Rechtswahl:

- Die Beteiligten hatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl beide ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit (Art. 5 Abs. 1 lit. c Rom-III-Verordnung).

- Die Vereinbarung ist in der Heiratsurkunde den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 Rom-III-Verordnung entsprechend in Schriftform getroffen worden, und von beiden Ehegatten sind ausdrücklich die Bedingungen der Eheschließung zur Kenntnis genommen und unterschrieben worden (siehe Übersetzung der Heiratsurkunde, Seite 2 unten). Nach der Übergangsregelung in Art. 18 Abs. 1 Rom-III-Verordnung ist unschädlich, dass die Vereinbarung bereits vor dem 21.06.2012 geschlossen worden ist.

- Die Rechtswahlvereinbarung kann nach Art. 5 Abs. 2 Rom-III-Verordnung jederzeit, spätestens bei der Anrufung des Gerichts, also im Umkehrschluss auch schon zuvor bei der Eheschließung, getroffen werden.

- Die unter den Buchstaben A und B der Heiratsurkunde „bei der Eheschließung vereinbarten Bedingungen" zu den Voraussetzungen, unter denen die Antragstellerin als Ehefrau die Ehescheidung als Bevollmächtigte ihres Ehemannes, des Antragsgegners, beantragen kann, entsprechen inhaltlich sinngemäß, teils fast wörtlich, den Regelungen des iranischen Ehescheidungsrechts in den Art. 1133, 1134, 1138 iran. ZGB in Verbindung mit § 8 Ziffer 1. bis 14. des iranischen Gesetzes zum Schutze der Familie. Da die Beteiligten eine Vollmacht des Antragsgegners zugunsten der Antragstellerin vereinbart haben, die dieser die Geltendmachung der Scheidung gerade in für das iranische Eherecht typischen Fallkonstellationen erlaubt, liegt in dem Inhalt der Heiratsurkunde ein deutliches Indiz für die Wahl des iranischen Scheidungsrechts im Sinne der Art. 5 Abs. 1 a), 7 Abs. 1 Rom-III-Verordnung.

- Die Scheidungsbedingungen, die ausweislich der Anhörung der Beteiligten und ihrer Vertreter vor dem Senat dem Inhalt einer Vielzahl anderer iranischer Heiratsurkunden ähneln, sind von diesen zusammen mit ihren jeweiligen Familien ausgehandelt und von beiden Beteiligten in deren Kenntnis unterschrieben worden.

4. ) Der Senat verkennt nicht, dass nach dem Wortlaut eine Rechtswahl üblicherweise voraussetzt, dass für die Beteiligten tatsächlich zum Zeitpunkt der Vereinbarung mehrere mögliche Rechtsregime zur Auswahl zur Verfügung standen. Indes kann nach dem Normzweck des Art. 5 Rom-III-Verordnung, der den beteiligten Ehegatten in jeder Phase der Entwicklung von der Eheschließung bis zur Beantragung der Ehescheidung (Abs. 2) und dem Abschluss des Scheidungsverfahrens (vgl. Abs. 3) die freie Entscheidung zugunsten eines ihnen -unter den Voraussetzungen des Art. 5 Rom-III-Verordnung - genehmen Ehescheidungsrechts ermöglichen soll, nicht davon ausgegangen werden, dass diese Möglichkeit einschränkend nur dann ausgeübt werden kann, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens zwei unterschiedliche anwendbare Rechtsregime tatsächlich zur Verfügung stehen.

5. ) Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass die Beteiligten nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB), die als Ausprägung von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB auch im Familienrecht greifen (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 72. Auflage, § 313 Rn. 7), nach dem insoweit maßgeblichen hypothetischen Willen (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2005, X ZR 108/03, FamRZ 2006, S. 473, recherchiert bei juris, Rn. 12) auch dann nicht die Geltung des deutschen Ehescheidungsrechts vereinbart hätten, wenn bei der Eheschließung bereits sicher geplant und umsetzbar gewesen wäre, dass die Beteiligten ihr Eheleben in Deutschland führen würden. Die Beteiligten haben bei ihrer Anhörung vor dem Senat bekundet, dass sie sich bei ihrer Eheschließung keine Gedanken über eine mögliche Anwendung des deutschen Scheidungsrechts gemacht haben. Für den Antragsgegner ist ausweislich seiner Anhörung vor dem Senat jedoch durch die Wahl des iranischen Eheschließungsrechts stillschweigend implizit klar gewesen, dass auch eine etwaige Scheidung nach diesem Recht (und damit nicht nach deutschem Recht) erfolgen würde. Zwar ist der Antragstellerin in der Heiratsurkunde das Recht zuerkannt worden, den Wohnort der Ehegatten zu bestimmen. Angesichts des bereits jahrelangen Aufenthalts der Antragstellerin und ihrer Eltern in Deutschland mit lediglich jährlichen Urlauben im Iran sowie dem bei der Eheschließung bereits geplanten Rückflug nach Deutschland dürften insoweit beide Beteiligten davon ausgegangen sein, dass das Eheleben mittelfristig in Deutschland stattfinden sollte. Unter Berücksichtigung aller genannten Umstände vermag der Senat gleichwohl nicht davon auszugehen, dass die Beteiligten bei redlichem Verhalten deshalb bereits bei der Eheschließung das deutsche Eherecht vereinbart hätten, wenn sie daran gedacht hätten (vgl. zu diesem Maßstab für den hypothetischen Parteiwillen BGH, a. a. O.). Insbesondere der - für die Antragstellerin erkennbar - in der islamischen Tradition verwurzelte Antragsgegner hätte sich nicht mit der Vereinbarung der Anwendung deutschen Scheidungsrechts einverstanden erklärt, und zum Zeitpunkt der Eheschließung durfte dies angesichts der nach dem Scharia-Recht im Iran geschlossenen Ehe von ihm auch nicht redlicherweise erwartet werden. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass es sich von der Familienkonstellation her um eine typische islamische Ehe handelt, in der die Ehegatten (entfernt) miteinander verwandt sind (hier ist der Antragsgegner der Cousin der Mutter der Antragstellerin) und die Familien bei dem Aushandeln der Ehe- und Scheidungsbedingungen mit beteiligt sind.

6. ) Die nach alldem wirksame Rechtswahl zugunsten des iranischen Scheidungsrechts bei der Eheschließung konnte die Antragstellerin nicht einseitig wirksam widerrufen, etwa durch die Einleitung des vorliegenden Scheidungsverfahrens unter Berufung auf die Scheidungsvoraussetzungen des deutschen Eherechts in ihrer Antragsschrift vom 20.06.2012. Art. 5 Abs. 2 und 3 Rom-III-Verordnung sehen nämlich grundsätzlich nur einvernehmliche nachträgliche Änderungen der Rechtswahl (ggf. noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Gerichtsverfahren) vor, und Art. 6 Abs. 2 Rom-III-Verordnung erlaubt ein einseitiges Lösen von der Vereinbarung nur, wenn die Unzumutbarkeit der Beurteilung des Verhaltens eines der Ehegatten nach dem gewählten Recht damit begründet wird, man habe dieser Vereinbarung nach dem Recht des Staates nicht wirksam zugestimmt. Dies lässt sich aber nach dem Inhalt der Heiratsurkunde und dem Ergebnis der Anhörung der Beteiligten vor dem Senat gerade nicht feststellen.

IV. Scheidungsvoraussetzungen:

Entsprechend den insoweit zutreffenden Feststellungen des Familiengerichts liegen - auch nach dem Ergebnis der ergänzenden Anhörung der Beteiligten mithilfe des Dolmetschers vor dem Senat - die Scheidungsvoraussetzungen nach dem iranischen Recht vor.

1. ) Die Antragstellerin hat die Scheidungsformel „Talaq" (sinngemäß: „Ich verstoße Dich."/„Ich will geschieden werden.") auf Deutsch bei der amtsgerichtlichen Anhörung vom 29.08.2012 in Gegenwart des Antragsgegners und zweier gerechter Männer (des Rechtsanwalts des Antragsgegners und des Amtsrichters) im Sinne der Art. 1133, 1134 iran. ZGB ausgesprochen. Ausweislich des Berichterstattervermerks hat die Antragstellerin die Erklärung, dass sie geschieden werden wolle, zudem im Senatstermin vom 07.05.2013 vor den drei männlichen Senatsmitgliedern als gerechten Männern noch mehrfach in deutscher Sprache wiederholt und sie zusätzlich ausdrücklich in der iranischpersischen Sprache dem Antragsgegner gegenüber mit „Talaq" bekräftigt.

2. ) Soweit die Art. 1133, 1134 iran. ZGB den Ausspruch des „Talaq" an sich nur durch den Ehemann vorsehen, ist in der Heiratsurkunde vom 14.04.2009 der Antragstellerin unter „B)" von dem Antragsgegner unwiderruflich und wirksam im Sinne des Art. 1138 iran. ZGB die Vollmacht erteilt worden, sich in den nachfolgend in der Urkunde aufgeführten Fällen scheiden zu lassen, also selbst die Scheidungsformel auszusprechen bzw. vor Gericht die Scheidung zu beantragen. Hiervon hat sie mit dem schriftlichen Scheidungsantrag und ihren Erklärungen zu Protokoll der Verhandlungen vom 29.08.2012 und 07.05.2013 Gebrauch gemacht.

3. ) Zudem liegen die in der Heiratsurkunde vertraglich vereinbarten Scheidungsgründe B) 1. (entspricht § 8 Nr. 2 iran. Gesetz zum Schutze der Familie) und B) 2. (entspricht § 8 Nr. 4 iran. Gesetz zum Schutze der Familie) vor: ... (wird ausgeführt)

V. Verstoß gegen den Ordre public (Art. 12 Rom-III-Verordnung) oder das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 10 Rom-III-Verordnung):

Da der Senat nach beiden Rechtsordnungen - aus den nachfolgenden Gründen auch nach dem deutschen Scheidungsrecht - die Voraussetzungen für die von der Antragstellerin beantragte Ehescheidung bejaht, stellt sich die Frage eines Verstoßes gegen den deutschen Ordre public (Art. 12 Rom-III-Verordnung) oder einer unzumutbaren Benachteiligung der Ehefrau (Art. 10 Rom-III-Verordnung) im Ergebnis nicht.
Nach deutschem Ehescheidungsrecht liegen die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe der Beteiligten ebenfalls vor, da die Ehe im Sinne des § 1565 Abs. 1 und 2 BGB gescheitert ist ... (wird ausgeführt)

VI. Versorgungsausgleich:

Schließlich hat das Familiengericht unabhängig von der Wahl des Rechtsregimes des Eherechts im Ergebnis zu Recht angeordnet, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet.

1. ) Zutreffend hat das Amtsgericht im Rahmen des von ihm angewandten iranischen Eherechts von der Durchführung des Versorgungsausgleichs abgesehen, da das iranische Eherecht diesen nicht kennt und kein Ehegatte die Durchführung beantragt hat. Rechtsgrundlage hierfür ist allerdings entgegen der angefochtenen Entscheidung nicht § 3 Abs. 3 VersAusglG. Vielmehr greift vorliegend, da die Rom-III-Verordnung keine Regelungen zum Versorgungsausgleich enthält, die Kollisionsnorm des Art. 17 Abs. 3 EGBGB, wonach unter den oben genannten Voraussetzungen kein Versorgungsausgleich stattfindet.

2. ) Im Falle der Anwendbarkeit des deutschen Ehescheidungsrechts wäre im Ergebnis ebenfalls kein Versorgungsausgleich durchzuführen. Zwar greift auch dann nicht die Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 3 VersAusglG ein. Angesichts der Eheschließung am 14.04.2009 und der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages am 01.08.2012 reicht die gesetzliche Ehezeit im Sinne des § 3 Abs. 1 VersAusglG nämlich vom 01.04.2009 bis zum 31.07.2012, beträgt also einige Monate mehr als drei Jahre. Es fehlt jedoch von vornherein bei beiden Beteiligten an ausgleichsfähigen ehezeitlichen Versorgungsanrechten im Sinne der §§ 1, 2 VersAusglG. Die Beteiligten haben insoweit bei ihrer Anhörung durch den Senat ausdrücklich unstreitig gestellt, dass sie während ihrer Ehe auf beiden Seiten keine Versorgungsanwartschaften erworben haben. Da beide Beteiligten während der gesamten Ehezeit teilweise im Iran gelebt und ansonsten in Deutschland durchgehend SGB-II-Leistungen bezogen haben, hätte der Senat auch im Falle der Annahme anzuwendenden deutschen Ehescheidungsrechts keine Veranlassung, an der Richtigkeit der Angaben der Beteiligten zu zweifeln und etwa von Amts wegen Auskünfte zum Versorgungsausgleich einzuholen. Nennenswerte Versorgungsanrechte können die Beteiligten nicht erworben haben, so dass der Versorgungsausgleich jedenfalls wegen des Unterschreitens der Bagatellgrenzen des § 18 VersAusglG nicht durchzuführen wäre.
...

III.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, da Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gegeben sind. Der vorliegende Beschluss steht im Einklang mit der in ihm zitierten höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung.