Anrechnung ersparter Nacherfüllungsaufwendungen analog § 326 Abs. 2 S. 2 BGB bei vom Käufer zu verantwortender Unmöglichkeit der Nacherfüllung


OLG München, Urteil vom 21.07.2006 - 19 U 2503/05


Fundstellen:

OLGR München 2006, 811
ZGS 2007, 80
MDR 2007, 250


Amtl. Leitsatz:

Ist ein Schadenseintritt nicht auf die leichte Mangelhaftigkeit der Kaufsache, sondern auf einen bestimmungswidrigen Gebrauch durch den Käufer oder eine von diesem beauftragte Person zurückzuführen, ist ein Rücktritt unter Berücksichtigung von § 323 Abs. 6 BGB ausgeschlossen. Zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Entlastung des Verkäufers einer leicht mangelhaften Sache ist § 326 Abs. 2 S. 2 BGB analog anzuwenden. Der Verkäufer, der zur Nacherfüllung verpflichtet gewesen wäre, wenn die Mängel vor dem Eintritt des Schadensereignisses bekannt gewesen wären, hat daher dem Käufer seine insoweit ersparten Aufwendungen zu ersetzen.


Zentrale Probleme:

S. die Anm. zu BGH NJW 2006, 1195 m.w.N. Es handelte sich hier um die erste bekannte Entscheidung, die in einem Fall der "Vereitelung" der Nacherfüllung durch den Käufer diesem aus § 326 II 2 BGB (im Wege der Analogie) einen (dann aus § 326 IV resultierenden) Anspruch auf Erstattung der dem Verkäufer ersparten Nacherfüllungsaufwendungen i.S.v. § 439 II BGB gibt: Der gelieferte Anhänger hatte einen zunächst behebbaren Mangel, der aber dann wegen der unsachgemäßen Behandlung der Kaufsache durch den Käufer unbehebbar wurde. Damit entfällt nach § 326 V, 323 VI BGB die Möglichkeit des Rücktritts, weil der Käufer für den rücktrittsbegründenden Umstand (Unmöglichkeit der Nacherfüllung) selbst "verantwortlich" ist (s. dazu Lorenz NJW 2006, 1175). Das Minderungsrecht entfällt dann auch, weil § 441 I BGB an das Rücktrittsrecht anknüpft.
Der BGH hat in vergleichbaren Fällen (Selbstvornahme) bisher einen Anspruch aus § 326 II 2 BGB strikt abgelehnt, weil § 437 BGB eine abschließende Aufzählung sei (s. die Nachweise in der Anm. zu
BGH NJW 2006, 1195). Der vorliegenden Entscheidung ist m.E. vollständig zuzustimmen. Zutreffend ist auch, daß das OLG den Anspruch der kaufrechtlichen Verjährung nach § 438 I Nr. 3 BGB unterwirft (s. dazu bereits Lorenz NJW 2003, 1417).

©sl 2006


Gründe:


I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Gewährleistungsansprüche geltend.

Der Kläger erwarb für private Zwecke im Mai 2002 von der Beklagten, die u.a. mit Kraftfahrzeugen handelt, einen fabrikneuen Pkw-Anhänger, den die Nebenintervenientin produziert hatte. Im August 2002 ist dieser Anhänger bei Wegebaumaßnahmen im Gebirge stark beschädigt worden. Mit Anwaltsschreiben vom 29.11.2002 ließ der Kläger der Beklagten eine Frist zur Behebung der Mängel bis zum 15.12.2002 setzen, die fruchtlos verstrich. Klage wurde mit dem Schriftsatz vom 27.2.2003 erhoben, die der Beklagten am 22.3.2003 zugestellt wurde.

Die Beklagte hat in der zweiten Instanz die Einrede der Verjährung erheben lassen.

Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen im Endurteil des Landgerichts München II vom 11.2.2005 Bezug genommen.

Das Landgericht München II hat die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat beantragen lassen, das Endurteil des Landgerichts München II vom 11.2.2005 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von € 5.394.- nebst 6 % Zinsen hieraus seit dem 16.12.2002 - hilfsweise zur Zahlung von € 1.856.- nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2002 - an ihn zu verurteilen.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin haben die Zurückweisung der Berufung beantragen lassen.

Das Berufungsgericht hat das erstinstanzlich eingeholte Gutachten ergänzen lassen.


II .Die zulässige Berufung führt zu einem geringen Teil zum Erfolg, da der Anhänger zwei kleinere Mängel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB aufgewiesen hat, die jedoch nicht für den bei den Wegebaumaßnahmen eingetretenen Schaden ursächlich gewesen sind.

Der Kläger hat analog § 326 Abs. 2 S. 2 BGB einen Anspruch auf Zahlung der Kosten, die der Beklagten bei einer Nacherfüllung entstanden wären.

Die Durchführung einer Nacherfüllung, die - wie sich aus §§ 440, 441 BGB ergibt - den anderen Gewährleistungsansprüchen vorgeht, ist inzwischen unmöglich, da der streitgegenständliche Anhänger wegen der durchgeführten Materialprüfungen völlig zerstört ist.

Nach den vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten hat das äußere Profil des Rahmens eine zu geringe Festigkeit aufgewiesen und das Fangseil ist zu lang gewesen. Im Übrigen ist der streitgegenständliche Anhänger mängelfrei gewesen. Die beiden festgestellten Mängel sind nach den Gutachten für das Schadensereignis bei der Wegebaumaßnahme nicht ursächlich gewesen. Ursache für dieses Schadensereignis ist danach ein bestimmungswidriger Gebrauch des streitgegenständlichen Anhängers gewesen. Wegen der allgemein anerkannten Sachkunde der beauftragten Gutachter hat das Berufungsgericht keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen.

Da der Schadenseintritt bei der Wegebaumaßnahme nicht auf die festgestellten Mängel, sondern auf einen bestimmungswidrigen Gebrauch durch den Kläger oder eine von diesem beauftragte Person zurückzuführen ist, ist ein Rücktritt unter Berücksichtigung von § 323 Abs. 6 BGB ausgeschlossen. § 437 Nr. 2 BGB verweist auf § 323 BGB ohne jede Einschränkung.

Durch die Kopplung von Rücktritt und Minderung in § 441 BGB entfällt damit auch das Minderungsrecht, so dass zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Entlastung der Beklagten als Verkäuferin einer leicht mangelhaften Sache § 326 Abs. 2 S. 2 BGB analog anzuwenden ist. Danach muss sich der Schuldner das anrechnen lassen, was er infolge der Befreiung von der Leistung erspart. Dies bedeutet, dass die Beklagte, die zur Nacherfüllung verpflichtet gewesen wäre, wenn die beiden Mängel vor dem Eintritt des Schadensereignisses bekannt gewesen wären, dem Kläger ihre ersparten Aufwendungen zu ersetzen hat. Nach den Feststellungen der Gutachter hätten die Bruttokosten für die Mängelbeseitigung € 362,15 betragen. Da der Verkäufer gemäß § 439 Abs. 2 BGB auch Wege- und Transportkosten zu tragen hat, schätzt das Berufungsgericht die Kosten für das Abholen und das Bringen des Anhängers unter Berücksichtigung der Entfernung zwischen dem Wohnort des Klägers und dem Firmensitz der Beklagten durch einen Mitarbeiter der Beklagten gemäß § 287 ZPO auf €40.-.

Die Ansprüche des Klägers auf Ersatz der Nacherfüllungskosten sind auch nicht gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB verjährt, da der Lauf der Verjährungsfrist durch die Klageerhebung im Februar 2003 gehemmt worden ist. Die Hemmungswirkung des § 209 BGB, die hier gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB am 22.3.2003 eingetreten ist, gilt gemäß § 213 BGB auch für den vorgenannten Anspruch, da sich diese auf alle durch § 437 BGB geschützte Rechte erstreckt (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Auflage, Rn. 2 zu § 213 BGB).

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung vorliegt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92, 101 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.