Testamentswiderruf durch Vernichtung (§ 2255 BGB): Rechtsgeschäftlicher
Charakter, Anfechtbarkeit nach § 2078 II BGB
RG, Urt. v.
21.3.1921 IV 486/20
Fundstelle:
RGZ 102, 69
Leitsatz:
Ist ein durch Vernichtung der
Testamentsurkunde bewirkter Widerruf des Testaments nach § 2078 II BGB
anfechtbar?
Der Kläger hat
Klage auf Feststellung erhoben, daß der Beklagte, sein Bruder, an dem
mütterlichen Nachlaß nur pflichtteilsberechtigt sei. Die Klage stützt sich
auf einen eigenhändiges Testament der Mutter, das nicht mehr auffindbar ist.
Der Beklagte wandte ein, dass die Mutter das Testament durch Vernichtung der
Urkunde widerrufen habe. Der Kläger bestritt dies, machte aber geltend, wenn
dem so sei, so habe die Mutter in der irrtümlichen Annahme gehandelt, daß
die zwei in ihrem Testament eingesetzten Erben in Geisteskrankheit verfallen
seien, und es sei der Widerruf des Testaments deshalb gemäß § 2078 Abs. 2
BGB angefochten worden.
Das Berufungsgericht erachtete die Anfechtung eines durch Vernichtung der
Testamentsurkunde erfolgt den Widerrufs für unzulässig und wies ebenso wie
das Landgericht die Klage ab.
Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils.
Aus den Gründen:
Das Berufungsgericht meint, das Gesetz kenne nur die Anfechtung einer
letztwilligen Verfügung, nicht aber die Anfechtung der Aufhebung einer
solchen, die in anderer Weise als durch Errichtung einer neuen letztwilligen
Verfügung, insbesondere durch Vernichtung der Testaments Urkunde (§ 2255
BGB), vorgenommen werde. Diese Ansicht verletzt das Gesetz. Richtig ist nur,
daß dieser Art des Widerrufs äußerlich nicht die Form einer letztwilligen
Verfügung hat, sachlich ist sie eine solche. Das Gesetz findet in der
Vernichtung - vorbehaltlich des Gegenbeweises – die Erklärung des Willens
des Erblassers, das Testament aufzuheben. Das ist eine letztwillige
Verfügung. Denn sie führt eine Änderung der bisherigen erbrechtlichen
Bestimmungen des Erblassers herbei und hat mithin in die Regelung des
Schicksals seines Vermögens für die Zeit nach seinem Tode zum Gegenstande.
Sie kann also Gegenstand der Anfechtung sein, wenn und soweit im übrigen die
gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung vorliegen. Dies trifft im
vorliegenden Falle zu. Ist die Behauptung des Klägers richtig, so ist die
Erblasserin zu der Verfügung durch die irrige Annahme des Eintritts eines
Umstandes, nämlich der Geisteskrankheit in Testamente bedachter Personen,
bestimmt worden (§ 2078 Absatz 2 BGB). Abkommen inwieweit eine Anfechtung
eines durch Vernichtung der Testaments Urkunde zum Ausdruck gebrachten
Widerruf auf Grund des § 2078 Absatz 1 BGB in Frage kommen kann, ist hier
nicht zu untersuchen
Ein gewisses Bedenken gegen die hier vertretene Ansicht ließe sich
vielleicht aus § 2257 entnehmen. Danach sollte Widerruf des Widerrufs nur
zulässig sein, denn letzterer durch Testament erfolgt ist. Es ließe sich
sagen, wenn nach Vernichtung der Testamentsurkunde nicht einmal ein
ausdrücklicher Widerruf des durch die Vernichtung zum Ausdruck gebrachten
Widerrufs zulässig ist, müsse auch die Zulassung einer Anfechtung bedenklich
erscheinen. Dieser lediglich er für den Widerrufe getroffenen Vorschrift
kann indessen für den Fall der Anfechtung entscheidende Bedeutung nicht
beigemessen werden. Für die Zulassung des Widerrufs eines durch Vernichtung
der Testamentsurkunde vollzogenen Widerrufs besteht kein besonderes
Bedürfnis. Dem der Erblasser selbst ist in der Lage, in der gehörigen Form
eine anderweitige letztwillige Verfügung zu treffen. Anders ist die
Sachlage, wenn sich nach dem Tode des Erblassers herausstellt, daß der
Erblasser sich bei dem Widerruf im Irrtum befunden hat.
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