RGZ 133, 388
1. Besteht für ein städtisches Theater
die rechtliche Verpflichtung, jedermann zum (entgeltlichen) Besuch der
Vorstellungen zuzulassen?
2. Unter welchen Umständen verstößt
die Weigerung des Theaterunternehmers gegen die guten Sitten?
Gründe:
Durch den "Verkauf" der Theatereintrittskarte schließt
der Theaterunternehmer einen Werkvertrag des Inhalts ab, daß er dem
berechtigten Inhaber der Karte den Besuch der Vorstellung gestatten und
ihm das Spiel vorführen werde. Der Kläger wäre aber beim
Besuch der Vorstellungen am 15. und 18. Juli 1928 nicht berechtigter Inhaber
der Eintrittskarten gewesen und er könnte dies auch in Zukunft nicht
mehr sein, wenn die Beklagte berechtigt wäre, ihm den Eintritt in
ihr Stadttheater zu untersagen. Dann könnte sich die Beklagte ihm
gegenüber, auch wenn er im Besitz einer Eintrittskarte wäre,
auf ihre Erklärung berufen, daß sie mit ihm keinen Vertrag abschließen
wolle (§§ 807, 796 BGB).
I. Das Berufungsgericht nimmt den der Beklagten
günstigen Standpunkt ein, daß diese grundsätzlich frei
darüber zu bestimmen habe, mit wem sie einen Theaterbesuchsvertrag
abschließen wolle, daß also - abgesehen von etwaiger Anwendung
des § 826 BGB - ein Abschlußzwang auch für städtische
Theater zu verneinen sei. Dem ist, entgegen der Ansicht der Revision, beizutreten.
Für die Frage, ob ein solcher rechtlicher Zwang besteht, ist, wie
das Berufungsgericht zutreffend betont, davon auszugehen, daß unser
Recht vom Grundsatz der Vertragsfreiheit beherrscht ist (Art. 152 RVerf.)
und daß ein Zwang besonderer gesetzlicher Grundlage bedarf.
1. Man hat einen Abschlußzwang für
Theaterunternehmungen, die von öffentlichrechtlichen Körperschaften
betrieben werden, daraus entnehmen wollen, das sie, aus öffentlichen
Mitteln unterhalten und für das Gesamtpublikum bestimmt. "publizistische
Anstalten" seien (Dernburg, Preuß. Privatrecht 1897 Bd. 2 S. 107;
Opet Theaterrecht 1897 S. 254 flg.). Die öffentlichrechtliche Körperschaft
untersteht aber auch für ein solches Unternehmen der Privatrechtsordnung,
die für solchen Fall seine dem Eigentümer und Werkunternehmer
zum Vertragsschluß gegen seinen Willen zwingenden Vorschriften kennt,
wie sie z.B. für die Eisenbahnen (§§ 453, 473 HGB), die
Reichspost (§ 3 Reichspostgesetz vom 28. Oktober 1871), die Telegraphenanstalten
(§ 5 Reichstelegraphengesetz vom 6. April 1892) gegeben sind. Die
eben erwähnten Vorschriften sind nicht Ausdruck eines allgemeinen
Grundsatzes, daß etwa Anstalten, welche ihre Dienste dem gesamten
Publikum anbieten und zu diesem Behufe konzessioniert sind, den Abschluß
ihrer Geschäfte nicht willkürlich, sondern nur aus guten Gründen
verweigern dürfen (so Dernburg a.a. O.9; sie sind vielmehr Ausnahmevorschriften
vom Grundsatz der Vertragsfreiheit. Wieweit die Bestimmung des § 826
BGB zu einem anderen Ergebnis führen kann, ist später zu erörtern.
Eine verwaltungsrechtlich erteilte Konzession kann nur dann zur Annahme
eines Abschlußzwangs führen, wenn sie eine entsprechende Auflage
enthält, was aber für das Theaterunternehmen der Beklagten nicht
der Fall ist. Die Verwendung öffentlicher Mittel für solche Zwecke
kann zu einer öffentlichrechtlichen Verantwortlichkeit der städtischen
Behörden für richtigen Gebrauch des Unternehmens führen,
sie bewirkt aber keine Abänderung der hier anzuwendenden Privatrechtsbestimmungen.
2. Einen nicht nur für Theater öffentlicher
Rechtspersönlichkeiten, sondern auch für solche von Privatunternehmern
geltenden Abschlußzwang hat man für diejenigen Theater annehmen
wollen, die sich in rechtlicher oder tatsächlicher Monopolstellung
befinden (vgl. Opet a.a.O. S. 256 flg.) Die Revision vertritt die Auffassung,
ein solcher Zwang aus Monopolstellung sei im vorliegenden Falle zu bejahen:
"Das Theater der Beklagten besitze als einziges derartiges Bildungsinstitut
in B. ein tatsächliches Monopol. Das Bedürfnis, zur allgemeinen
Bildung ein solches Bildungsinstitut zu besuchen, sei modernen Anschauungen
entsprechend als rechtlich geschütztes Bedürfnis anzuerkennen."
Allerdings ist in der Rechtsprechung des Reichsgerichts anerkannt, daß
der Mißbrauch einer rechtlichen oder tatsächlichen Monopolstellung,
insbesondere die Weigerung eines in solcher Vorzugsstellung befindlichen
Unternehmers, zu den allgemeinen und angemessenen Bedingungen Verträge
abzuschließen, eine gegen die guten Sitten verstoßende Handlung
darstellen und zur Schadensersatzpflicht führen kann ( vgl. RGZ Bd.
48 S. 114, Bd. 62 S. 264, Bd. 79 S. 229, Bd. 115 S. 258). Verpflichtungen
aus dem Mißbrauch einer Monopolstellung können aber nur auf
der rechtlichen Grundlage des § 826 BGB entstehen. Ob Raum für
die Anwendung dieser Bestimmung ist, richtet sich ganz nach der Lage des
Einzelfalls. Ein allgemeiner Satz des Inhalts, daß Unternehmer in
Monopolstellung einem Abschlußzwang unterlägen, ist nicht aufzustellen.
Das würde dem schon hervorgehobenen gesetzlichen Grundsatze der Vertragsfreiheit
widersprechen.
3. Zwar kein Zwang zum Vertragsschluß, aber
solch eine ähnlich wirkende Bindung des Theaterunternehmers wird im
Schrifttum auf der Grundlage bejaht, daß die Ankündigung einer
Theatervorstellung ein bindendes Vertragsangebot an das Publikum sei, welches
jedermann durch das Verlangen nach Aushändigung einer Eintrittskarte
annehmen könne (Opet a.a.O. 259 flg.; Saeger in der Ztschr. f. Rechtspflege
in Braunschweig Bd. 59 S. 44). Aber der bloßen Ankündigung ist
keine solche Bedeutung beizumessen. Sie ist nach dem erkennbaren Willen
des Unternehmers und nach der dem Wesen der Sache entsprechenden allgemeinen
Auffassung - ebenso wie sonstige an die Allgemeinheit ergehenden Ankündigungen
und Zusendungen von Preislisten - lediglich eine unverbindliche Bereiterklärung,
Theaterbesuchsverträge abzuschließen, aber nicht schon selbst
Teil des demnächst zu schließenden Vertrags. Übrigens würde
die andere Meinung den Kläger nicht weiterführen; denn nach der
Ansicht ihrer Verfechter kann der Theaterunternehmer vor der Ankündigung
deren Wirksamkeit für eine bestimmte Person durch besondere Mitteilung
an diese ausschließen. Nach dem bisher Erörterten läßt
sich also ein Zwang für die Beklagte, mit dem Kläger einen Theaterbesuchsvertrag
abzuschließen, nicht begründen.
II. Eine Schranke für die Ausübung der
grundsätzlich bestehenden Vertragsfreiheit der Beklagten ist aber
durch die Vorschrift des § 826 BGB gesetzt, nach der die vorsätzliche,
gegen die guten Sitten verstoßende Schädigung eines anderen
schadensersatzpflichtig macht. Als hiergegen verstoßend und daher
rechtswidrig könnte es z. B. angesehen werden, wenn eine Stadtverwaltung
den Abschluß von Theaterbesuchsverträgen aus willkürlichen
oder offensichtlich nichtssagenden Gründen verweigern wollte. §
826 bietet eine Handhabe, unparteiischer Berichterstattung und sachlicher
Kritik den nötigen Schutz zu gewähren. Einem Kritiker gegenüber
könnte die Verweigerung des Abschlusses eines Theaterbesuchsvertrags
gerade dann verwerflich sein, wenn der Unternehmer damit bezwecken würde,
sachliche Kritiken zu hindern oder unsachliche Kritiken zu erzielen und
so die freie Meinungsäußerung der Theaterkritik zu erschweren
oder zu unterbinden.
Um die Ausschließung als rechtswidrig und
als unter § 826 BGB fallend zu kennzeichnen, müßte indes
der Kläger darlegen, daß die Beklagte willkürlich oder
leichtfertig oder mit den eben als verwerflich bezeichneten Zielen gehandelt
habe. Dafür ist aber nach den tatsächlichen Feststellungen des
Berufungsurteils in diesem Falle kein Raum. Dort ist gesagt, nach den Darlegungen
der Parteinen habe die Beklagte das Verbot nicht aus Willkür ausgesprochen,
sondern weil sie sich durch die veränderte kritische Stellungnahme
des Klägers benachteiligt fühlte. Sie habe auf den Kläger
keinen Druck ausüben wollen, um unsachliche Kritiken zu erhalten,
sondern lediglich eine Schädigung ihres Theaters durch seine Kritik
vermeiden wollen, die sie für unsachlich, unrichtig und schädigend
gehalten habe. So habe sie zum Schutze ihrer eigenen berechtigten Belange
gehandelt und auch gewichtige Gründe für ihr Vorgehen gehabt.
In diesen Ausführungen sind unangreifbare
tatsächliche Feststellungen enthalten. Aus ihnen ergibt sich, daß
der Vorderrichter die Frage des Verstoßes gegen § 826 BGB nicht,
wie die Revision meint, nach rein subjektiven Gesichtspunkten geprüft
hat, sondern daß er annimmt, die Beklagte habe gewichtige Gründe
für ihr Vorgehen, also nachprüfbare Unterlagen gehabt, die eben
die Annahme der Willkür und der Leichtfertigkeit ausschlössen.
Das Berufungsgericht verneint auch ausdrücklich den Beweggrund unzulässiger
Beeinflussung der Kritik. Deswegen kann die Verweigerung des Vertragsschlusses
in diesem Falle nicht als unsittliche Schädigung des Klägers
angesehen werden.