Prüfungsumfang des EuGH bei Vorlagefragen im Verfahren nach Art. 234 EGV (hier: AGB-Richtlinie): Der EuGH legt europäisches Recht aus, aber er löst keine Fälle … EuGH, Urt. v. 1.4.2004, Rs. C-237/02 (Freiburger Kommunalbauten GmbH Baugesellschaft & Co. KG ./. Hofstetter) Fundstelle: noch nicht bekannt Tenor Es ist Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob eine Vertragsklausel wie die, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, die Kriterien erfüllt, um als missbräuchlich im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen qualifiziert zu werden. 1. Der
Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 2. Mai 2002, beim
Gerichtshof eingegangen am 27. Juni 2002, gemäß Artikel 234 EG eine
Frage nach der Auslegung von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie
93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln
in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29; im Folgenden: Richtlinie)
zur Vorabentscheidung vorgelegt.
5. Zu den in diesem Anhang aufgeführten Klauseln gehören:
6. Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt: „Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt." Das nationale Recht 7. Zur im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit war der von der Richtlinie vorgesehene Schutz der Verbraucher gegen missbräuchliche Klauseln im deutschen Recht durch das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 9. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3317, im Folgenden: AGBG) gewährleistet. § 9 dieses Gesetzes bestimmte:
8. Zum Werkvertrag enthält das Bürgerliche Gesetzbuch (im Folgenden: BGB) in § 641 Absatz 1 eine dispositive Vorschrift über die Fälligkeit der Vergütung. Nach dieser Vorschrift ist die Vergütung bei der Abnahme des Werkes zu entrichten. Das Ausgangsverfahren 9. Mit notariellem Vertrag vom 5. Mai 1998 verkaufte die Freiburger Kommunalbauten, eine kommunale Baugesellschaft, im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeiten Herrn und Frau Hofstetter einen Stellplatz zur privaten Nutzung in einem von ihr zu errichtenden Parkhaus. 10. Nach § 5 Absatz 1 des Vertrages wurde der gesamte Kaufpreis nach Übergabe einer Sicherheit durch den Unternehmer fällig. Im Fall des Zahlungsverzugs hatte der Erwerber Verzugszinsen zu zahlen. 11. Die Sicherheit wurde in Form einer Bankbürgschaft geleistet und Herrn und Frau Hofstetter am 20. Mai 1999 übergeben. Die bürgende Bank übernahm darin unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage die Bürgschaft zur Sicherung der etwaigen Ansprüche, die Herr und Frau Hofstetter gegen die Freiburger Kommunalbauten im Hinblick auf die Rückgewähr des Erwerbspreises, den sie erhalten hat oder zu dessen Verwendung sie ermächtigt worden ist, geltend machen könnten. 12. Herr und Frau Hofstetter verweigerten die Zahlung. Sie machten geltend, dass die Bestimmung über die Fälligkeit des Gesamtpreises gegen § 9 AGBG verstoße. Sie zahlten den Preis erst, nachdem sie den Stellplatz in dem Parkhaus am 21. Dezember 1999 mangelfrei abgenommen hatten. 13. Die Freiburger Kommunalbauten verlangte Verzugszinsen wegen verspäteter Zahlung. Das Landgericht Freiburg gab der Klage statt. Das Oberlandesgericht Karlsruhe wies die Klage auf Berufung ab. Die Freiburger Kommunalbauten legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof ein. 14. Dieser stellt fest, dass der streitige Vertrag in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle, wie dieser in deren Artikel 3 Absatz 2 definiert sei. Er neigt zu der Annahme, dass § 5 des streitigen Vertrages im Kontext des deutschen Rechts keine missbräuchliche Klausel sei. Allerdings sei diese Beurteilung unter Berücksichtigung der Vielfalt der in den Mitgliedstaaten geltenden Regelungen nicht frei von Zweifeln. Der Bundesgerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Ist die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Veräußerers enthaltene Klausel, nach der der Erwerber eines zu errichtenden Bauwerks den gesamten Preis hierfür unabhängig von einem Baufortschritt zu zahlen hat, wenn der Veräußerer ihm zuvor die Bürgschaft eines Kreditinstituts stellt, welche die Geldansprüche des Erwerbers sichert, die diesem wegen mangelhafter oder unterlassener Erfüllung des Vertrages erwachsen können, als missbräuchlich im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anzusehen? Zur Vorlagefrage 15. Alle vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen enthalten eine Abwägung der Vor- und Nachteile, die mit der streitigen Klausel im Rahmen des nationalen Rechts verbunden sind. 16. Die Freiburger Kommunalbauten und die deutsche Regierung machen geltend, dass die streitige Klausel nicht missbräuchlich sei. Die Nachteile, die sich für den Verbraucher aus der Verpflichtung ergeben könnten, den Preis vor Erfüllung des Vertrages zu zahlen, würden durch die vom Bauunternehmer gestellte Bankbürgschaft ausgeglichen. Diese Klausel kehre zwar die Reihenfolge der Erbringung der Leistungen, wie sie dispositiv in § 641 BGB vorgesehen sei, um. Da sie aber für den Bauunternehmer die Notwendigkeit verringere, Darlehen für die Baufinanzierung in Anspruch zu nehmen, könne der Preis des Bauwerks entsprechend herabgesetzt werden. Außerdem begrenze die vom Bauunternehmer gestellte Bankbürgschaft die Nachteile für die Erwerber, da sie die Rückgewähr der gezahlten Beträge sowohl bei Nichterfüllung als auch bei Schlechterfüllung und sogar bei Insolvenz des Unternehmers garantiere. 17. Herr und Frau Hofstetter tragen vor, die streitige Klausel sei missbräuchlich und falle in die Kategorie der Klauseln nach Punkt 1 Buchstaben b und o des Anhangs der Richtlinie. Der in allen Zivilrechtsordnungen anerkannte fundamentale Grundsatz, dass Leistungen im Gegenseitigkeitsverhältnis Zug um Zug zu erfüllen seien, werde verletzt, und die "Waffengleichheit" der Vertragsparteien werde zum Nachteil des Verbrauchers aufgehoben, dessen Position entscheidend geschwächt werde, insbesondere wenn Streit über die Mangelfreiheit der Bauleistung bestehe. Zudem sei die Klausel überraschend, sie sei nicht klar, und sie sei von einem Unternehmer in einer Monopolstellung auferlegt worden. 18. Nach einer eingehenden Prüfung des deutschen Rechts gelangt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu dem Ergebnis, dass die streitige Klausel jedenfalls zu einem Nachteil für den Verbraucher führe. Ob es sich um ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie handele, sei eine Wertungsfrage, die zu beantworten Sache des nationalen Richters sei. 19. Hierzu ist festzustellen, dass Artikel 3 der Richtlinie mit der Bezugnahme auf die Begriffe von Treu und Glauben und des erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnisses zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragspartner nur abstrakt die Faktoren definiert, die einer nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel missbräuchlichen Charakter verleihen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Mai 2002 in der Rechtssache C-478/99, Kommission/Schweden, Slg. 2002, I-4147, Randnr. 17). 20. Der Anhang, auf den Artikel 3 Absatz 3 der Richtlinie verweist, enthält lediglich eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können. Eine in der Liste aufgeführte Klausel ist nicht zwangsläufig als missbräuchlich anzusehen, und umgekehrt kann eine nicht darin aufgeführte Klausel gleichwohl für missbräuchlich erklärt werden (Urteil Kommission/Schweden, Randnr. 20). 21. Die Missbräuchlichkeit einer bestimmten Vertragsklausel beurteilt sich nach Artikel 4 der Richtlinie unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, und aller den Vertragsschluss begleitenden Umstände. In diesem Zusammenhang sind auch die Folgen zu würdigen, die die Klausel im Rahmen des auf den Vertrag anwendbaren Rechts haben kann, was eine Prüfung des nationalen Rechtssystems impliziert. 22. Daraus folgt, wie der Generalanwalt in Nummer 25 seiner Schlussanträge festgestellt hat, dass der Gerichtshof im Rahmen der Ausübung der Zuständigkeit zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die ihm in Artikel 234 EG übertragen ist, die vom Gemeinschaftsgesetzgeber zur Definition des Begriffes der missbräuchlichen Klausel verwendeten allgemeinen Kriterien auslegen kann. Dagegen kann er sich nicht zur Anwendung dieser allgemeinen Kriterien auf eine bestimmte Klausel äußern, die anhand der Umstände des konkreten Falles zu prüfen ist. 23. Zwar hat der Gerichtshof im Urteil vom 27. Juni 2000 in den Rechtssachen C-240/98 bis C-244/98 (Océano Grupo Editorial und Salvat Editores, Slg. 2000, I-4941, Randnrn. 21 bis 24) festgestellt, dass eine von einem Gewerbetreibenden vorformulierte Klausel, die die Zuständigkeit für alle Rechtsstreitigkeiten aus dem Vertrag dem Gericht zuweist, in dessen Bezirk der Gewerbetreibende seine Niederlassung hat, alle Kriterien erfüllt, um als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie qualifiziert werden zu können. Diese Beurteilung erfolgte jedoch in Bezug auf eine Klausel, die ausschließlich und ohne Gegenleistung zugunsten des Verbrauchers für den Gewerbetreibenden vorteilhaft war, da sie unabhängig vom Vertragstyp die Wirksamkeit des gerichtlichen Schutzes der Rechte in Frage stellte, die die Richtlinie dem Verbraucher zuerkennt. Daher konnte die Missbräuchlichkeit dieser Klausel festgestellt werden, ohne dass alle Umstände des Vertragsschlusses geprüft und die mit dieser Klausel verbundenen Vor- und Nachteile im Rahmen des auf den Vertrag anwendbaren nationalen Rechts gewürdigt werden mussten. 24. Wie sich aus den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen ergibt, ist das bei der Klausel, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, nicht der Fall. 25. Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, festzustellen, ob eine Vertragsklausel wie die, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, die Kriterien erfüllt, um als missbräuchlich im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie qualifiziert zu werden. |