Internationales Arbeitsrecht; Vertragsstatut nach
Art. 6 Abs. 2 lit. a EVÜ (entspr. nunmehr Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO);
Anknüpfung an den gewöhnlichen Arbeitsort nach Art. 8 II Rom I-VO, Art. 19
Nr. 2 lit. a EuGVVO
EuGH v. 15.3.2011 - Rs. C-29/10 (Koelzsch gegen
Großherzogtum Luxemburg)
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Tenor:
Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens über das auf
vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur
Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom, ist dahin auszulegen, dass, wenn der
Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehreren Vertragsstaaten ausübt, der Staat,
in dem er im Sinne dieser Bestimmung in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich
seine Arbeit verrichtet, derjenige ist, in dem oder von dem aus er unter
Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte, die diese Tätigkeit
kennzeichnen, seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber im
Wesentlichen erfüllt.
Zentrale Probleme:
Es geht um das auf einen Arbeitsvertrag anwendbare
Recht und die Einschränkungen einer Rechtswahl. Das ist heute in
Art. 8 der Rom I-VO geregelt, die hier
intertemporal nicht anwendbar war. Die Ausführungen zur Vorläufernorm (Art.
6 EVÜ, in Deutschland die nunmehr aufgehobene Regelung des Art. 30 EGBGB)
beanspruchen aber auch für Art. 8 Rom I-VO Geltung, auf die der EuGH hier
auch eingeht.
©sl 2011
Urteil:
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs.
2 Buchst. a des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (ABl.
L 266, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Rom), der sich auf
Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse von Einzelpersonen bezieht.
2
Es ergeht im Rahmen einer Haftungsklage des Herrn Koelzsch gegen das
Großherzogtum Luxemburg, die er mit einem Verstoß der luxemburgischen
Gerichte gegen die genannte Bestimmung des Übereinkommens von Rom begründet
hat. Die Gerichte hatten über eine Schadensersatzklage zu entscheiden, die
der Kläger des Ausgangsverfahrens gegen das in Luxemburg ansässige
internationale Fuhrunternehmen Ove Ostergaard Luxembourg SA, vormals Gasa
Spedition Luxembourg (im Folgenden: Gasa), mit dem er einen Arbeitsvertrag
geschlossen hatte, erhoben hatte.
Rechtlicher Rahmen
Die Vorschriften über das auf vertragliche Schuldverhältnisse
anzuwendende Recht und über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und
Handelssachen
Übereinkommen von Rom
3
Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom bestimmt:
„Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl
muss ausdrücklich sein oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den
Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die
Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen
Teil desselben treffen.“
4
Art. 6 („Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse von Einzelpersonen“)
des Übereinkommens von Rom sieht vor:
„(1)
Ungeachtet des Artikels 3 darf in individuellen Arbeitsverträgen die
Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz
entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt
wird, das nach diesem Artikel mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre.
(2)
Abweichend von Artikel 4 sind mangels einer Rechtswahl nach Artikel 3 auf
Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse anzuwenden:
a) das
Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags
gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen
anderen Staat entsandt ist, oder
b) das
Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den
Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in
ein und demselben Staat verrichtet,
es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der
Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem
anderen Staat aufweist; in diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staates
anzuwenden.“
5
Das Erste Protokoll betreffend die Auslegung des am 19. Juni 1980 in
Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften (ABl. 1998, C 27, S. 47) (im Folgenden: Erstes Protokoll über
die Auslegung des Übereinkommens von Rom) bestimmt in seinem Art. 2:
„Folgende Gerichte können eine Frage, die bei ihnen in einem schwebenden
Verfahren aufgeworfen wird und sich auf die Auslegung von Regelungen
bezieht, die in den in Artikel 1 genannten Übereinkünften enthalten sind,
dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen, wenn sie eine Entscheidung
darüber zum Erlass ihres Urteils für erforderlich halten:
…
b) die
Gerichte der Vertragsstaaten, sofern sie als Rechtsmittelinstanz
entscheiden.“
Verordnung (EG) Nr. 593/2008
6
Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf
vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177,
S. 6) hat das Übereinkommen von Rom ersetzt. Diese Verordnung findet
Anwendung auf Verträge, die am 17. Dezember 2009 oder später geschlossen
wurden.
7
Art. 8 („Individualarbeitsverträge“) der Verordnung Nr. 593/2008
lautet:
„(1)
Individualarbeitsverträge unterliegen dem von den Parteien nach Artikel 3
gewählten Recht. Die Rechtswahl der Parteien darf jedoch nicht dazu führen,
dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen
gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach den Absätzen 2, 3 und 4 des
vorliegenden Artikels mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch
Vereinbarung abgewichen werden darf.
(2)
Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl
bestimmt ist, unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem
oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags
gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich
verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit
vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet.
(3) Kann
das anzuwendende Recht nicht nach Absatz 2 bestimmt werden, so unterliegt
der Vertrag dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet,
die den Arbeitnehmer eingestellt hat.
(4)
Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag eine engere
Verbindung zu einem anderen als dem in Absatz 2 oder 3 bezeichneten Staat
aufweist, ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.“
Übereinkommen von Brüssel
8
Das Übereinkommen von Brüssel vom 27. September 1968 über die
gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil und
Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch das Übereinkommen vom
29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik
Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1) geänderten
Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) bestimmt in Art. 5:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats
hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:
1. wenn
ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens
bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden
ist oder zu erfüllen wäre; wenn ein individueller Arbeitsvertrag oder
Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des
Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer
gewöhnlich seine Arbeit verrichtet; verrichtet der Arbeitnehmer seine Arbeit
gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat, so kann der Arbeitgeber auch
vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, in dem sich die Niederlassung,
die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet bzw. befand;
…“
Verordnung (EG) Nr. 44/2001
9
Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des
Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(ABl. 2001, L 12, S. 1) hat das Brüsseler Übereinkommen ersetzt.
10 Art.
19 der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt:
„Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
hat, kann verklagt werden:
1. vor
den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, oder
2. in
einem anderen Mitgliedstaat
a) vor
dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit
verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat,
b) wenn
der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat
verrichtet oder verrichtet hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die
Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet bzw. befand.“
Nationales Recht
11 Das
luxemburgische Gesetz vom 18. Mai 1979 über die Reform der
Personalausschüsse (Mémorial A 1979 Nr. 45, S. 948) sieht in Art. 34 Abs. 1
vor:
„Die effektiven Mitglieder und die Ersatzmitglieder der verschiedenen
Personalausschüsse können während der Dauer ihres Mandats nicht entlassen
werden; die durch den Arbeitgeber zugestellte Kündigung an ein
Personalausschussmitglied ist null und nichtig.“
12 Das
deutsche Kündigungsschutzgesetz bestimmt in § 15 Abs. 1:
„Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats … ist unzulässig, es sei
denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus
wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass
die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung
vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung
der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats …
innerhalb eines Jahres … unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen,
die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der
Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
13 Mit
einem am 16. Oktober 1998 in Luxemburg unterzeichneten Arbeitsvertrag wurde
Herr Koelzsch, der Lastkraftwagenfahrer ist und seinen Wohnsitz in Osnabrück
(Deutschland) hat, von Gasa als Fahrer im grenzüberschreitenden Verkehr
eingestellt. Dieser Vertrag enthält eine Klausel, die auf das luxemburgische
Gesetz vom 24. Mai 1989 über den Arbeitsvertrag (Mémorial A 1989, Nr. 35, S.
612) verweist, und eine Klausel, mit der den Gerichten dieses Staates die
ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen wird.
14 Gasa
ist eine Tochtergesellschaft der Gasa Odense Blomster amba, einer
Gesellschaft dänischen Rechts. Gegenstand des Unternehmens ist die
Beförderung von Blumen und anderen Pflanzen von Odense (Dänemark) zu
Bestimmungsorten vor allem in Deutschland, aber auch in andere europäische
Länder mit Lastwagen, deren Abstellplätze sich in Deutschland, u. a. in
Kassel, Neukirchen-Vluyn und Osnabrück, befinden. In Deutschland verfügt
Gasa weder über einen Gesellschaftssitz noch über Geschäftsräume. Die
Lastwagen sind in Luxemburg zugelassen, und die Fahrer sind der
luxemburgischen Sozialversicherung angeschlossen.
15 Nach
der Ankündigung der Restrukturierung von Gasa und der Reduzierung des
Einsatzes von Transportfahrzeugen von Deutschland aus gründeten die
Beschäftigten dieses Unternehmens in Deutschland am 13. Januar 2001 einen
Betriebsrat, in den Herr Koelzsch am 5. März 2001 als Ersatzmitglied gewählt
wurde.
16 Mit
Schreiben vom 13. März 2001 kündigte der Direktor von Gasa den
Arbeitsvertrag von Herrn Koelzsch zum 15. Mai 2001.
Klage gegen Gasa auf Nichtigerklärung der Kündigung und auf
Schadensersatz
17
Der Kläger focht die Kündigung zunächst in Deutschland vor dem
Arbeitsgericht Osnabrück an, das sich mit Urteil vom 4. Juli 2001 für
örtlich unzuständig erklärte. Herr Koelzsch legte daraufhin Berufung beim
Landesarbeitsgericht Osnabrück ein, die jedoch zurückgewiesen wurde.
18 Mit Klageschrift vom
24. Juli 2002 erhob Herr Koelzsch beim Tribunal du travail de Luxembourg
(Arbeitsgericht Luxemburg) Klage gegen die Ove Ostergaard Luxembourg SA, die
Rechtsnachfolgerin von Gasa, mit dem Antrag, diese zur Zahlung von
Schadensersatz wegen unrechtmäßiger Kündigung sowie einer
Kündigungsabfindung und von rückständigem Lohn zu verurteilen. Er
trug vor, die zwingenden Bestimmungen des deutschen Rechts zum Schutz von
Betriebsratsmitgliedern fänden ungeachtet der Wahl des luxemburgischen
Rechts als des auf den Vertrag anwendbaren Rechts nach Art. 6 Abs. 1 des
Übereinkommens von Rom auf den Rechtsstreit Anwendung, da der Vertrag
deutschem Recht unterläge, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen
hätten. Seine Kündigung sei daher unrechtmäßig, da § 15 des
deutschen Kündigungsschutzgesetzes die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern
verbiete und dieses Verbot nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
auch für Ersatzmitglieder gelte.
19 In
seinem Urteil vom 4. März 2004 entschied das Tribunal du travail de
Luxembourg, dass der Rechtsstreit ausschließlich luxemburgischem Recht
unterliege, und wandte daher u. a. das Gesetz vom 18. Mai 1979 über die
Reform der Personalausschüsse an.
20
Dieses Urteil wurde in der Sache durch das Urteil der Cour d’appel de
Luxembourg (Berufungsgerichtshof Luxemburg) vom 26. Mai 2005 bestätigt, die
im Übrigen den Antrag von Herrn Koelzsch, auf die Gesamtheit seiner
Ansprüche deutsches Recht anzuwenden, als neu und somit unzulässig ansah.
Die Cour de cassation de Luxembourg (Kassationsgerichtshof Luxemburg) wies
das Rechtsmittel gegen diese Entscheidung mit Urteil vom 15. Juni 2006
ebenfalls zurück.
Haftungsklage gegen den Staat wegen Verstoßes der Gerichte
gegen das Übereinkommen von Rom
21
Nachdem dieses erste Verfahren vor den luxemburgischen Gerichten
endgültig abgeschlossen war, erhob Herr Koelzsch am 1. März 2007 auf der
Grundlage von Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 1. September 1988 über die
zivilrechtliche Haftung des Staates und der öffentlich-rechtlichen
Körperschaften (Mémorial A 1988, Nr. 51, S. 1000) eine Schadensersatzklage
gegen den Staat des Großherzogtums Luxemburg wegen schlechten Funktionierens
der luxemburgischen Justizdienste.
22 Herr
Koelzsch machte u. a. geltend, dass die Gerichte in den genannten
Entscheidungen dadurch gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 des Übereinkommens von Rom
verstoßen hätten, dass sie die zwingenden Bestimmungen des deutschen
Kündigungsschutzgesetzes für unanwendbar erklärt und die Einholung einer
Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, um
insbesondere das Kriterium des Orts der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit
im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Falles zu präzisieren,
abgelehnt hätten.
23 Mit
Urteil vom 9. November 2007 erklärte das Tribunal d’arrondissement de
Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg) (Luxemburg) die Klage für zulässig,
aber für unbegründet. Was insbesondere die Bestimmung des anwendbaren Rechts
angehe, hätten die mit dem Rechtsstreit zwischen Herrn Koelzsch und seinem
Arbeitgeber befassten Gerichte zu Recht entschieden, dass die
Arbeitsvertragsparteien luxemburgisches Recht als anwendbares Recht gewählt
hätten, so dass Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom nicht zu
berücksichtigen sei. Darüber hinaus seien auf die Vertretungsorgane der
Belegschaft die zwingenden Bestimmungen des Staates anzuwenden, in dem der
Arbeitgeber seinen Sitz habe.
24 Am
17. Juni 2008 legte Herr Koelzsch beim vorlegenden Gericht Berufung gegen
diese Entscheidung ein.
25 Nach
Ansicht der Cour d’appel de Luxembourg ist die Kritik des Berufungsklägers
an der Auslegung von Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom durch die
luxemburgischen Gerichte nicht ganz unbegründet, da diese nicht auf der
Grundlage dieser Bestimmung ermittelt hätten, welches Recht anzuwenden wäre,
wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen hätten.
26 Wäre
mangels Rechtswahl das luxemburgische Recht auf den Vertrag anzuwenden, sei
es nicht notwendig, das luxemburgische Gesetz mit den Bestimmungen des
deutschen Gesetzes, auf das sich der Kläger berufe, zu vergleichen, um das
für den Arbeitnehmer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom
günstigere Gesetz zu bestimmen. Wäre jedoch mangels Rechtswahl das deutsche
Gesetz anzuwenden, dürfte der zwingende Charakter der luxemburgischen
Kündigungsvorschriften der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften über
den besonderen Kündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern nicht
entgegenstehen.
27
Anders als das Tribunal d’arrondissement de Luxembourg in seinem Urteil
entschieden habe, erlaubten es die in Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens von
Rom vorgesehenen Anknüpfungskriterien, insbesondere das des Staates der
gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit, nicht, das deutsche Recht von
vorneherein als das auf den Vertrag anwendbare Recht auszuschließen.
28
Es liege nahe, den in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens von
Rom enthaltenen Begriff „Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer in
Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“ aus Gründen der
Kohärenz im Licht des in Art. 5 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens
aufgestellten Begriffs und unter Berücksichtigung der Formulierung
auszulegen, die in Art. 19 der Verordnung Nr. 44/2001 und in Art. 8 der
Verordnung Nr. 593/2008 verwendet werde, die nicht nur auf den Staat Bezug
nähmen, in dem die Arbeit verrichtet werde, sondern auch auf den Staat, von
dem aus der Arbeitnehmer seine Arbeit verrichte.
29
Angesichts dieser Erwägungen hat die Cour d’appel de Luxembourg
beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage
zur Vorhabentscheidung vorzulegen:
Ist die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens von Rom bestimmte
Kollisionsnorm, nach der auf Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse das
Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des
Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, dahin auszulegen, dass, wenn
der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung in mehreren Staaten erbringt, aber
regelmäßig in einen von diesen zurückkehrt, dieser Staat als derjenige
anzusehen ist, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet?
Zur Vorlagefrage
30
Da die Frage von einem Rechtsmittelgericht gestellt worden ist, ist
der Gerichtshof nach dem am 1. August 2004 in Kraft getretenen Ersten
Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens von Rom dafür zuständig,
über das Vorabentscheidungsersuchen zu befinden.
31
Um die Frage zu beantworten, ist die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des
Übereinkommens von Rom [red. Anm.: jetzt Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO] vorgesehene
Regel, insbesondere das Kriterium des Staates, in dem der Arbeitnehmer
„gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“, auszulegen.
32 Wie
die Europäische Kommission zu Recht ausgeführt hat, ist dieses
Kriterium in dem Sinne autonom auszulegen, dass der Inhalt und die Tragweite
dieser Verweisungsregel nicht auf der Grundlage des Rechts des angerufenen
Gerichts bestimmt werden können, sondern anhand von einheitlichen und
autonomen Kriterien ermittelt werden müssen, um die volle Wirksamkeit des
Übereinkommens im Hinblick auf seine Ziele sicherzustellen (vgl.
entsprechend Urteil vom 13. Juli 1993, Mulox IBC, C 125/92, Slg. 1993, I
4075, Randnrn. 10 und 16).
33
Darüber hinaus darf eine solche Auslegung diejenige der in Art. 5
Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens vorgesehenen Kriterien nicht
unberücksichtigt lassen, soweit diese die Regeln für die Bestimmung der
gerichtlichen Zuständigkeit für dieselben Bereiche festlegen und ähnliche
Begriffe aufstellen. Aus der Präambel des Übereinkommens von Rom ergibt sich
nämlich, dass dieses geschlossen wurde, um auf dem Gebiet des
Internationalen Privatrechts die Rechtsvereinheitlichung fortzusetzen, die
mit dem Brüsseler Übereinkommen begonnen hatte (vgl. Urteil vom 6.
Oktober 2009, ICF, C 133/08, Slg. 2009, I 9687, Randnr. 22).
34
Inhaltlich enthält Art. 6 des Übereinkommens von Rom spezielle
Kollisionsnormen für Einzelarbeitsverträge. Diese Kollisionsnormen weichen
von den in den Art. 3 und 4 dieses Übereinkommens vorgesehenen allgemeinen
Kollisionsnormen ab, die die freie Rechtswahl bzw. die Kriterien zur
Bestimmung des mangels einer solchen Wahl anzuwendenden Rechts betreffen.
35
Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens [red. Anm.: jetzt Art. 8 Abs. 1 Rom
I-VO] beschränkt die freie Rechtswahl. Er sieht vor, dass die
Vertragsparteien die Anwendbarkeit der zwingenden Bestimmungen des Rechts,
dem der Vertrag unterläge, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen
hätten, nicht durch Vereinbarung ausschließen können.
36
Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom stellt spezielle
Anknüpfungskriterien auf, nämlich das des Staates, in dem der Arbeitnehmer
„gewöhnlich seine Arbeit verrichtet (Buchst. a), oder, in Ermangelung eines
solchen Orts, das der „Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat“
(Buchst. b). Außerdem sieht dieser Absatz vor, dass diese beiden
Anknüpfungskriterien nicht anwendbar sind, wenn sich aus der Gesamtheit der
Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere
Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist; in diesem Fall ist das Recht
dieses anderen Staates anzuwenden.
37 Mit ihrer
Vorlageentscheidung möchte die Cour d’appel de Luxembourg Aufschluss
erhalten, welches der ersten beiden Kriterien auf den im
Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Arbeitsvertrag anwendbar ist.
38 Nach
Ansicht des Großherzogtums Luxemburg ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 6
des Übereinkommens von Rom, dass der von der Vorlagefrage erfasste Fall, der
die Arbeit im Transportsektor betreffe, derjenige sei, auf den sich das in
Art. 6 Abs. 2 Buchst. b aufgestellte Kriterium beziehe. Auf einen derartigen
Vertrag die Anknüpfungsregel des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a Anwendung finden zu
lassen, würde die Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 Buchst. b, die gerade den
Fall erfasse, in dem der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein
und demselben Staat verrichte, ihres Sinns entleeren.
39 Nach
Auffassung des Klägers des Ausgangsverfahrens, der griechischen Regierung
und der Kommission ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung des
Gerichtshofs zu Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens, dass die
systematische Auslegung des Kriteriums des Orts, an dem der Arbeitnehmer
„gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“, dazu führe, die Anwendung dieser Regel
auch in Fällen zuzulassen, in denen die Arbeit in mehreren Mitgliedstaaten
verrichtet werde. Insbesondere habe der Gerichtshof bei der konkreten
Bestimmung dieses Orts auf den Ort Bezug genommen, von dem aus der
Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber
hauptsächlich erfülle (Urteil Mulox IBC, Randnrn. 21 bis 23), oder auf den
Ort, den er zum tatsächlichen Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit gemacht
habe (Urteil vom 9. Januar 1997, Rutten, C 383/95, Slg. 1997, I 57, Randnr.
23), oder, in Ermangelung eines Büros, auf den Ort, an dem der Arbeitnehmer
den größten Teil seiner Arbeit verrichte (Urteil vom 27. Februar 2002,
Weber, C 37/00, Slg. 2002, I 2013, Randnr. 42).
40
Hierzu ergibt sich aus dem Bericht über das Übereinkommen über das auf
vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Herrn Giuliano und
Herrn Lagarde (ABl. 1980, C 282, S. 1), dass mit Art. 6 des Übereinkommens
bezweckt wurde, „eine geeignetere Regelung für Sachverhalte zu finden, bei
denen die Interessen der Vertragschließenden nicht auf der gleichen Ebene
liegen, um damit jener Partei, die in diesem Zusammenhang sozial und
wirtschaftlich als die schwächere anzusehen ist, einen angemesseneren Schutz
zu gewähren“.
41 Der
Gerichtshof hat sich bei der Auslegung der diese Verträge betreffenden
Zuständigkeitsregeln, die durch das Brüsseler Übereinkommen festgelegt sind,
ebenfalls von diesen Grundsätzen leiten lassen. Er hat nämlich entschieden,
dass in Fällen, in denen der Arbeitnehmer seine Berufstätigkeit wie im
Ausgangsverfahren in mehreren Vertragsstaaten verrichtet, dem Erfordernis,
dem Arbeitnehmer als der schwächeren Vertragspartei einen angemessenen
Schutz zu gewährleisten, gebührend Rechnung zu tragen ist (vgl. in diesem
Sinne Urteile Rutten, Randnr. 22, und vom 10. April 2003, Pugliese, C
437/00, Slg. 2003, I 3573, Randnr. 18).
42
Folglich ist Art. 6 des Übereinkommens von Rom, der dem Arbeitnehmer
einen angemessenen Schutz sichern soll, so zu verstehen, dass er die
Anwendung des Rechts des Staates, in dem der Arbeitnehmer seine berufliche
Tätigkeit ausübt, und nicht des Rechts des Staates, in dem der Arbeitgeber
seinen Sitz hat, gewährleistet. Denn der Arbeitnehmer übt seine
wirtschaftliche und soziale Tätigkeit im erstgenannten Staat aus und dort
beeinflusst, wie die Generalanwältin in Nr. 50 ihrer Schlussanträge
ausgeführt hat, das geschäftliche und politische Umfeld die
Arbeitstätigkeit. Daher muss die Einhaltung der im Recht dieses Staates
vorgesehenen Arbeitnehmerschutzvorschriften so weit wie möglich
gewährleistet werden.
43
Unter Berücksichtigung des Ziels des Art. 6 des
Übereinkommens von Rom ist somit festzustellen, dass das in Abs. 2 Buchst. a
dieser Vorschrift aufgestellte Kriterium des Staates, in dem der
Arbeitnehmer „gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“, weit auszulegen ist,
während das in Art. 6 Abs. 2 Buchst. b [red. Anm.: jetzt Art. 8 III Rom
I-VO] vorgesehene Kriterium des Orts der „Niederlassung, die den
Arbeitnehmer eingestellt hat“, anzuwenden ist, wenn das angerufene Gericht
nicht in der Lage ist, den Staat der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit zu
bestimmen.
44 Aus
dem Vorstehenden ergibt sich, dass das in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des
Übereinkommens von Rom enthaltene Kriterium auch in einem Fall wie dem im
Ausgangsverfahren fraglichen anwendbar ist, in dem der Arbeitnehmer seine
Tätigkeit in mehreren Vertragsstaaten ausübt, wenn es dem angerufenen
Gericht möglich ist, den Staat zu ermitteln, mit dem die Arbeit eine
maßgebliche Verknüpfung aufweist.
45 Nach
der in Randnr. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des
Gerichtshofs, die für die Prüfung des Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens von
Rom maßgeblich bleibt, ist, wenn die Arbeit in mehreren Mitgliedstaaten
verrichtet wird, das Kriterium des Staates, in dem die Arbeit gewöhnlich
verrichtet wird, weit auszulegen und so aufzufassen, dass es sich
auf den Ort bezieht, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine
berufliche Tätigkeit tatsächlich ausübt, und, in Ermangelung eines
Mittelpunkts der Tätigkeit, auf den Ort, an dem er den größten Teil seiner
Arbeit ausübt.
46
Diese Auslegung steht auch im Einklang mit dem Wortlaut der neuen
Bestimmung über Kollisionsnormen in Bezug auf Individualarbeitsverträge, die
mit der Verordnung Nr. 593/2008 eingeführt wurde und im vorliegenden Fall
zeitlich nicht anwendbar ist. Nach Art. 8 dieser Verordnung unterliegt der
Individualarbeitsvertrag, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen
haben, dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der
Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.
Dieses Recht bleibt auch anwendbar, wenn der Arbeitnehmer Leistungen
vorübergehend in einem anderen Staat erbringt. Darüber hinaus muss sich die
Auslegung dieser Bestimmung, wie im 23. Erwägungsgrund dieser Verordnung
ausgeführt, nach den Grundsätzen des favor laboratoris richten, da die
schwächere Partei eines Vertrags „durch Kollisionsnormen geschützt werden
[muss], die für sie günstiger sind“.
47 Aus
dem Vorstehenden ergibt sich, dass das vorlegende Gericht das in Art. 6 Abs.
2 Buchst. a des Übereinkommens von Rom aufgestellte Anknüpfungskriterium bei
der Prüfung, ob der Kläger des Ausgangsverfahrens seine Arbeit gewöhnlich in
einem Vertragsstaat verrichtet hat, und bei der Bestimmung, in welchem er
sie gewöhnlich verrichtet hat, weit auslegen muss.
48
Hierbei muss das vorlegende Gericht, wie die Generalanwältin in den Nrn. 93
bis 96 ihrer Schlussanträge vorgeschlagen hat, unter Berücksichtigung des
Wesens der Arbeit im internationalen Transportsektor wie der im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden sämtlichen Gesichtspunkten Rechnung
tragen, die die Tätigkeit des Arbeitnehmers kennzeichnen.
49
Es muss insbesondere ermitteln, in welchem Staat sich der Ort
befindet, von dem aus der Arbeitnehmer seine Transportfahrten durchführt,
Anweisungen zu diesen Fahrten erhält und seine Arbeit organisiert und an dem
sich die Arbeitsmittel befinden. Es muss auch prüfen, an welche Orte die
Waren hauptsächlich transportiert werden, wo sie entladen werden und wohin
der Arbeitnehmer nach seinen Fahrten zurückkehrt.
50
Daher ist auf die Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 2 Buchst. a
des Übereinkommens von Rom dahin auszulegen ist, dass, wenn der Arbeitnehmer
seine Tätigkeit in mehreren Vertragsstaaten ausübt, der Staat, in dem er im
Sinne dieser Bestimmung in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit
verrichtet, derjenige ist, in dem oder von dem aus er unter Berücksichtigung
sämtlicher Gesichtspunkte, die diese Tätigkeit kennzeichnen, seine
Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber im Wesentlichen erfüllt.
Kosten
51 Für
die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
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