Intertemporales
Verjährungsrecht nach der Schuldrechtsreform: Verjährung von
Gewährleistungsansprüchen aus vor dem 1.1.2002 geschlossenen Kaufverträgen,
die nach dem 1.1.2002 entstanden sind (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3
EGBGB)
BGH, Urteil vom 26. Oktober
2005 - VIII ZR 359/04
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz
1 und Abs. 3 EGBGB sind auf Ansprüche aus vor dem 1. Januar 2002
geschlossenen Schuldverhältnissen auch dann anzuwenden, wenn die Ansprüche
erst nach diesem Tag entstanden sind. Daher gilt für
Gewährleistungsansprüche aus vor dem 1. Januar 2002 geschlossenen
Kaufverträgen die Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. auch dann, wenn die
Ansprüche erst nach diesem Tag entstanden sind.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt mit seiner am 13. November 2003 erhobenen Klage Minderung
und Schadensersatz in Höhe von 4.000 € wegen Mängeln eines Wohnwagens, den
er im August/September 2001 von der Beklagten gekauft hatte und der am 16.
Mai 2002 an ihn ausgeliefert worden war.
Das Amtsgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Landgericht
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger
mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Kläger könne gegenüber der Beklagten Gewährleistungsansprüche aus dem
Kaufvertrag nicht mehr geltend machen, weil eventuell entstandene
Gewährleistungsansprüche nach § 477 BGB a.F. verjährt seien. Die Verjährung
von Ansprüchen, die am 1. Januar 2002 bereits bestanden hätten und noch
nicht verjährt seien, richte sich gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB
grundsätzlich nach neuem Recht. Hiervon mache jedoch Art. 229 § 6 Abs. 3
EGBGB eine Ausnahme, wenn die alte Verjährungsfrist - wie im Falle des § 477
BGB - kürzer sei als die nach neuem Recht. Diese Überleitungsvorschrift sei
entsprechend anzuwenden, wenn - wie hier - Gewährleistungsansprüche nach dem
1. Januar 2002 entstanden seien, der zugrunde liegende Kaufvertrag aber vor
diesem Tag abgeschlossen worden sei.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand, so dass die
Revision des Klägers zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat die Klage
mit Recht im Hinblick auf die von der Beklagten erhobene Einrede der
Verjährung abgewiesen.
1. Die Revision stellt nicht in Frage, dass Gewährleistungsansprüche des
Klägers aus dem im August/September 2001 geschlossenen Kaufvertrag im
Zeitpunkt der Klageerhebung verjährt waren, wenn hierfür die
Verjährungsfrist von sechs Monaten nach § 477 Abs. 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung (im folgenden:
a.F.) maßgebend ist.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht
die Verjährung der geltend gemachten Gewährleistungsansprüche nach § 477
Abs. 1 BGB a.F. beurteilt hat. Sie meint, diese Ansprüche unterlägen nicht
der kurzen Verjährung des § 477 BGB a.F., sondern verjährten nach § 438 Abs.
1 Nr. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der seit dem 1. Januar 2002
geltenden Fassung erst in zwei Jahren. Dies trifft nicht zu.
a) Nach der allgemeinen Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB
ist auf Schuldverhältnisse, die - wie der vorliegende Kaufvertrag - vor dem
1. Januar 2002 entstanden sind, das Bürgerliche Gesetzbuch, soweit nicht ein
anderes bestimmt ist, in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden.
Zum Verjährungsrecht trifft Art. 229 § 6 EGBGB - als lex specialis -eine
differenzierende, von dem Grundsatz des Art. 229 § 5 EGBGB teilweise
abweichende Regelung. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB bestimmt als Ausnahme
von Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB, dass auf die am 1. Januar 2002 bestehenden
und noch nicht verjährten Ansprüche bereits das neue Verjährungsrecht
Anwendung findet. Hiervon regeln jedoch Art. 229 § 6 Abs. 3 und 4 EGBGB
wiederum Rückausnahmen, die unter bestimmten Voraussetzungen zur Geltung des
früheren Verjährungsrechts zurückführen. Nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB
kommt es für die Frage, ob die alten oder die neuen Verjährungsfristen
anzuwenden sind, auf einen Fristenvergleich an, der dazu dient, das
gesetzgeberische Prinzip des Vorrangs der früher vollendeten Verjährung zu
verwirklichen (vgl. Gsell, NJW 2002, 1297).
b) Mit Recht hat das Berufungsgericht die Regelung des Art. 229 § 6 Abs. 3
EGBGB auf den vorliegenden Fall angewendet und aus ihr hergeleitet, dass für
die Verjährung der vom Kläger geltend gemachten Gewährleistungsansprüche aus
dem im August/September 2001 geschlossenen Kaufvertrag noch die
Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. Anwendung findet, weil diese kürzer ist
als die neue Verjährungsfrist von zwei Jahren nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB.
Vergeblich hält die Revision der Anwendung des Art. 229 § 6 Abs. 3 BGB
entgegen, dass die vom Kläger geltend gemachten Gewährleistungsansprüche
nicht, wie Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB es voraussetze, am 1. Januar
2002 bereits bestanden hätten, sondern erst danach - mit der Auslieferung
des Fahrzeugs am 16. Mai 2002 - entstanden seien. Zwar bezieht sich der
Wortlaut des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB in der Tat nur auf Ansprüche,
die am 1. Januar 2002 bereits bestanden. Um solche Ansprüche handelt es sich
hier nicht. Etwaige Gewährleistungsansprüche des Klägers bestanden am 1.
Januar 2002 noch nicht; sie konnten erst mit der Übergabe des Wohnwagens am
16. Mai 2002 entstehen. Damit ist jedoch die Anwendung des Art. 229 § 6 Abs.
1 Satz 1 EGBGB und auch des Absatzes 3 dieser Vorschrift nicht
ausgeschlossen.
Die Regelung des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB über die Geltung des neuen
Verjährungsrechts für Ansprüche aus vor dem 1. Januar 2002 entstandenen
Schuldverhältnissen ist, wie der Senat bereits entschieden hat, nicht auf am
1. Januar 2002 bereits bestehende Ansprüche beschränkt, sondern erstreckt
sich - erst recht - auf solche Ansprüche, die nach dem 1. Januar 2002
entstanden sind (Senatsurteil vom 19. Januar 2005
- VIII ZR 114/04, NJW 2005, 739 unter II 2 b, zur Veröffentlichung in BGHZ
162, 30 bestimmt). Die vom Kläger geltend gemachten
Gewährleistungsansprüche werden damit nicht nur von Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz
1 EGBGB, sondern auch von Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB erfasst, so dass für sie
die gegenüber § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB kürzere Verjährungsfrist des § 477 BGB
a.F. maßgebend ist.
aa) Die Anwendung der Bestimmung in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB über den
Fristenvergleich auf nach dem 1. Januar 2002 entstandene Ansprüche aus
Altverträgen folgt daraus, dass die Überleitungsvorschrift zum neuen
Verjährungsrecht (Art. 229 § 6 EGBGB) eine in sich zusammenhängende Regelung
darüber enthält, unter welchen Voraussetzungen auf Ansprüche aus vor dem 1.
Januar 2002 entstandenen Schuldverhältnissen bereits die neuen Vorschriften
zum Verjährungsrecht oder noch die bisherigen Verjährungsvorschriften
Anwendung finden. Die Bestimmung in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB über den für
die Geltung der Verjährungsfrist maßgeblichen Fristenvergleich regelt selbst
nicht, für welche Ansprüche der Fristenvergleich anzustellen ist; der
Anwendungsbereich des Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB ergibt sich aus Abs. 1 der
Vorschrift. Deshalb ist mit der Ausdehnung des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1
EGBGB auf nach dem 1. Januar 2002 entstandene Ansprüche aus Altverträgen
auch der Fristenvergleich für diese Ansprüche nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB
eröffnet.
Dem steht nicht entgegen, dass die Ausdehnung des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1
EGBGB auf einer Erst-recht-Argumentation beruht, mit der sich eine Rückkehr
zum alten Verjährungsrecht als Folge des Fristenvergleichs nach Art. 229 § 6
Abs. 3 EGBGB nicht ohne weiteres begründen lässt (so zutreffend Gsell, aaO).
Dies spricht nicht gegen die Anwendung der Bestimmung über den
Fristenvergleich auf nach dem 1. Januar 2002 entstandene Ansprüche aus
Altverträgen. Denn Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB regelt hinsichtlich der
Anwendung des neuen Verjährungsrechts - ebenso wie die allgemeine
Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB - nur einen Grundsatz,
der durch die nachfolgenden Bestimmungen des Art. 229 § 6 EGBGB -
insbesondere auch durch die über den Fristenvergleich nach Abs. 3 dieser
Vorschrift - eingeschränkt wird. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist
deshalb so zu lesen, dass die neuen Verjährungsvorschriften auf die am 1.
Januar 2002 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche - erst recht auf
die danach erst entstandenen - Anwendung finden, soweit nicht in den
nachfolgenden Absätzen des Art. 229 § 6 EGBGB ein anderes bestimmt ist.
Aufgrund dieser Regelungssystematik der Überleitungsvorschrift ist der
Fristenvergleich nach Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB auf alle Ansprüche
anzuwenden, die unter Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB fallen - nicht nur
auf die am 1. Januar 2002 schon bestehenden, sondern auch auf die danach
erst entstandenen.
bb) Im Hinblick auf die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche, um die es
im vorliegenden Rechtsstreit geht, bestehen darüber hinaus auch sachliche
Gründe, die es rechtfertigen, dass sich die kürzere Verjährungsfrist des §
477 BGB a.F. gegenüber der längeren Frist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht
nur bei den am 1. Januar 2002 bereits bestehenden, sondern auch bei den erst
danach entstandenen Gewährleistungsansprüchen durchsetzt (ebenso
Münch-KommBGB/Grothe, 4. Aufl., Art. 229 § 6 Rdnr. 9; Gsell, aaO, 1303;
Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 11. Aufl., Anh. vor § 194 Rdnr. 8; Pa-landt/Heinrichs,
BGB, 64. Aufl., EGBGB, Art. 229 § 6 Rdnr. 5; a.A. Mansel/Budzikiewicz, Das
Neue Verjährungsrecht, § 10 Rdnr. 27).
Der in Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB geregelte Vorrang der kürzeren
Verjährungsfrist dient dem Schutz des Schuldners (BT-Drucks.
14/6040, S. 273). Der Gesetzgeber hat unter diesem Gesichtspunkt die
grundsätzliche Geltung der neuen Verjährungsvorschriften für noch nicht
verjährte Ansprüche aus Altverträgen (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB)
durch Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB eingeschränkt und ist damit im Interesse des
Schuldnerschutzes (Er-man/Schmidt-Räntsch, aaO; MünchKommBGB/Grothe, aaO)
hinsichtlich der Verjährung zum Grundsatz der Geltung alten Rechts für vor
dem 1. Januar 2002 entstandene Schuldverhältnisse (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB) zurückgekehrt. Dieser Zweck des Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB spricht
dafür, den Fristenvergleich auf die am 1. Januar 2002 schon entstandenen und
die danach erst entstehenden Gewährleistungsansprüche aus vor diesem Tag
geschlossenen Kaufverträgen gleichermaßen anzuwenden und somit für beide
Fälle die Verjährungsfrist des § 477 BGB a.F. gelten zu lassen. Eine
unterschiedliche Behandlung ist unter dem für Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB
maßgeblichen Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes nicht gerechtfertigt. Im
Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Geltung der längeren
Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB bei nach dem 1. Januar 2002
entstandenen Gewährleistungsansprüchen aus Altverträgen zum Nachteil des
Schuldners dieser Ansprüche zu einem vom Gesetzgeber nicht gewollten
Eingriff in das Äquivalenzverhältnis und damit in die Privatautonomie führen
würde (Münch-KommBGB/Grothe, aaO, Rdnr. 9; Gsell, aaO, 1303;
Palandt/Heinrichs, aaO, Rdnr. 3; a.A.: Mansel/Budzikiewicz, aaO, Rdnr. 27).
Ob, wie die Revision meint, Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB auf Ansprüche aus vor
dem 1. Januar 2002 geschlossenen Sukzessiv- oder Dauerlieferungsverträgen
keine Anwendung finden dürfe, damit nicht auf lange Zeit noch die
Verjährungsfristen nach altem Recht gelten, ist hier nicht zu entscheiden.
Denn um einen solchen Vertrag handelt es sich bei dem Kaufvertrag der
Parteien nicht.
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