Vollstreckungsgegenklage
analog § 767 ZPO bei Wirkungslosigkeit eines Urteils infolge eines
Prozeßvergleichs
BGH, Beschluss vom 23.
August 2007 - VII ZB 115/06
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Mit der prozessualen
Gestaltungsklage analog § 767 Abs. 1 ZPO kann geltend gemacht werden, dass
ein Urteil infolge eines Vergleichs wirkungslos geworden ist.
Gründe:
I.
1 Die Parteien streiten um die Kosten des Rechtsstreits nach
übereinstimmender Erledigungserklärung. Mit ihrer Klage wandte sich die
Klägerin gegen die Vollstreckung aus einem Versäumnisurteil, das durch einen
späteren Vergleich gegenstandslos geworden war.
2 Die Parteien hatten zunächst vor dem Landgericht einen Rechtsstreit
umgekehrten Rubrums geführt. Der Beklagte des hiesigen Verfahrens hatte dort
gegen die Klägerin ein Versäumnisurteil erwirkt, wonach diese an den
Beklagten einen Betrag von 39.364,54 € nebst Zinsen zu bezahlen hatte.
Aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteils hatte der Beklagte
die Obergerichtsvollzieherin H. mit der Zwangsvollstreckung gegen die
Klägerin beauftragt und einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt,
durch den Ansprüche der Klägerin gegenüber ihrer Hausbank gepfändet und dem
Beklagten zur Einziehung überwiesen wurden. Nach fristgerechtem Einspruch
ist das Verfahren vor dem Landgericht im Einspruchstermin durch Vergleich
beendet worden. Im Vergleich verpflichtete sich die hiesige Klägerin, an den
Beklagten einen Betrag von 16.250 € zu zahlen. Der hiesige Beklagte
verpflichtete sich seinerseits, sämtliche Pfändungsmaßnahmen unverzüglich
einzustellen und dies der zuständigen Gerichtsvollzieherin mitzuteilen.
3 Unter dem 19. Juni 2006 teilte der hiesige Beklagte sowohl den Vertretern
der Klägerin als auch der Bank mit, dass nur noch aus einem Betrag in Höhe
von 16.250 € vollstreckt werde und dies auch der Gerichtsvollzieherin so
mitgeteilt worden sei. Sollte der Betrag eingetrieben sein, werde man die
Vollstreckungsmaßnahmen im Übrigen zurücknehmen. Am 5. und 6. Juli 2006
forderte die Klägerin den Beklagten telefonisch auf, noch am 6. Juli 2006
gegenüber der Gerichtsvollzieherin und der Bank mitzuteilen, dass die
Vollstreckungsmaßnahmen als gegenstandslos zu betrachten seien. Dies ließ
der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten zunächst ablehnen. Mit
Schriftsatz vom 7. Juli 2006 teilten die Bevollmächtigten des Beklagten den
Rechtsanwälten der Klägerin mit, dass sie die Pfändung zurücknehmen werden.
Mit Schriftsätzen vom 10. Juli 2006 nahm der Beklagte sowohl gegenüber der
Bank als auch gegenüber der Gerichtsvollzieherin jeweils die Pfändung aus
dem Versäumnisurteil zurück.
4 Bereits am 6. Juli 2006 hat die Klägerin Vollstreckungsgegenklage beim
Landgericht eingereicht. Sie hat beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem
Versäumnisurteil des Landgerichts für unzulässig zu erklären und den
Beklagten zu verurteilen, die ihm erteilte vollstreckbare Ausfertigung des
Versäumnisurteils an die Klägerin herauszugeben. Der Beklagte hat
Zurückweisung der Vollstreckungsabwehrklage beantragt. Nach Aushändigung der
vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils an die Bevollmächtigten
der Klägerin am 29. August 2006 hat die Klägerin am 30. August 2006 den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Dem hat der Beklagte
mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 27. September 2006
zugestimmt.
5 Das Landgericht hat dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt,
weil die gegen die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil gerichtete
Vollstreckungsabwehrklage zulässig und begründet gewesen sei. Auf die
sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Kosten des
Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Dagegen richtet sich die vom
Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
6 Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Beklagten.
7 1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO mit Bindungswirkung für
den Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (vgl. BGH,
Beschluss vom 13. Juli 2006 - VI ZB 63/03, NJW-RR 2004, 1717 m.w.N.) und
auch im Übrigen zulässig.
8 2. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Vollstreckungsgegenklage
nach § 767 ZPO sei nicht der richtige Rechtsbehelf und daher mangels
Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen. Die Klägerin habe sich mit ihrer
Klage gegen einen nicht mehr existierenden Titel gewandt, weil das für
vorläufig vollstreckbar erklärte Versäumnisurteil durch den vor dem
Landgericht geschlossenen Vergleich wirkungslos geworden sei. Zwar habe der
Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2004 (IXa ZB 326/03,
NJW-RR 2004, 1718) den Grundsatz aufgestellt, der Schuldner habe ein
Wahlrecht, wenn die Voraussetzungen sowohl des § 732 ZPO als auch die der
Vollstreckungsgegenklage in entsprechender Anwendung des § 767 ZPO vorlägen.
Dieser Grundsatz gelte nach der zitierten Entscheidung aber nur, wenn es
möglich sei, mit einer Vollstreckungsgegenklage eine weitere Klage in
entsprechender Anwendung des § 767 ZPO (prozessuale Gestaltungsklage) zu
verbinden. Das sei aber nur dann der Fall, wenn gegen den Titel tatsächlich
auch materielle Einwendungen erhoben würden. Gehe es dem Schuldner lediglich
darum, die Wirkungslosigkeit des Titels feststellen zu lassen, stehe ihm
ausschließlich die Klauselerinnerung nach § 732 ZPO zur Verfügung.
9 3. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
10 a) Die fehlende Vollstreckungsfähigkeit des Titels kann mit der
prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 ZPO geltend gemacht werden, ohne
dass ein Rechtsschutzinteresse wegen der Möglichkeit, dies mit der
Klauselerinnerung nach § 732 ZPO geltend zu machen, zu verneinen wäre
(BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 - XII ZR 94/03, BGHZ 165, 223; Beschluss
vom 16. Juli 2004 - IXa ZB 326/03, NJW-RR 2004, 1718; Urteil vom 10. März
2004 - IV ZR 143/03, NJW-RR 2004, 1275; Urteil vom 2. Dezember 2003 - XI ZR
421/02, VersR 2004, 839; Urteil vom 27. September 2001 - VII ZR 388/00, BauR
2002, 83 = NZBau 2002, 25 = ZfBR 2002, 63; Urteil vom 18. November 1993 - IX
ZR 244/92, BGHZ 124, 164, 170 ff). Die prozessuale Gestaltungsklage kann
mit einer Vollstreckungsgegenklage, die sich auf materiell-rechtliche
Einwendungen stützt, verbunden werden. Ihre Zulässigkeit hängt entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht davon ab, dass sie gemeinsam
mit einer Vollstreckungsgegenklage erhoben wird. Für eine derartige
einschränkende Voraussetzung fehlt jeglicher sachliche Grund.
11 b) Mit der prozessualen Gestaltungsklage kann auch die
Wirkungslosigkeit eines Titels infolge eines Vergleichs geltend gemacht
werden. Auch wenn das Versäumnisurteil durch Abschluss des Vergleichs im
Einspruchsverfahren ohne gerichtlichen Ausspruch seine Wirksamkeit verloren
hat, stellt es weder ein Nichturteil noch ein nichtiges (wirkungsloses)
Urteil dar. Es besitzt weiter den Rechtsschein der Vollstreckungsfähigkeit.
Da es der Sache nach um die Vollstreckungsfähigkeit des vorläufig
vollstreckbaren Titels geht und diese nach der Systematik der
Zivilprozessordnung nur im Wege einer Vollstreckungsgegenklage beseitigt
werden kann, rechtfertigt sich die analoge Anwendung des § 767 ZPO (BGH,
Urteil vom 18. November 1993 - IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164, 170 ff).
12 4. Die Kostenentscheidung des Landgerichts hält der allein gebotenen
summarischen rechtlichen Nachprüfung stand. Die Zwangsvollstreckung aus dem
vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteil war durch Abschluss des
nachfolgenden Vergleichs im Einspruchstermin unzulässig geworden, weil der
Vergleich dem Versäumnisurteil ohne weiteres die Wirkung und damit die
formelle Vollstreckungsfähigkeit genommen hatte, ohne dass es dazu eines
gerichtlichen Ausspruchs bedurfte. Der Prozessvergleich beendet im Umfang
der Vereinbarung über den Streitgegenstand den Rechtsstreit und die
Rechtshängig-keit (Lackmann in Musielak, ZPO, 5. Aufl. § 794, Rdn. 19;
MünchKommZPO/ Wolfsteiner, 3. Aufl., § 794, Rdn. 72; Hüßtege in Thomas/Putzo,
ZPO, 28. Aufl. § 794, Rdn. 26 ff.). Urteile, die im Rechtsstreit ergangen,
aber noch nicht rechtskräftig sind, werden daher ohne weiteres wirkungslos,
wenn die Parteien keine anderen Vereinbarungen treffen, etwa, dass aus dem
Urteil weiter vollstreckt werden dürfe.
13 Eine solche Vereinbarung haben die Parteien dieses Rechtsstreits nicht
getroffen; vielmehr heißt es unter Ziffer 2 des Vergleiches ausdrücklich,
dass der Kläger sich verpflichtet, sämtliche Pfändungsmaßnahmen unverzüglich
einzustellen und dies der zuständigen Gerichtsvollzieherin mitzuteilen.
Dieser Vereinbarung ist zu entnehmen, dass das Versäumnisurteil keine
Grundlage für die Zwangsvollstreckung mehr sein soll.
14 Die Anwendung des Rechtsgedankens aus § 93 ZPO kommt nicht in Betracht.
Der Beklagte hat Anlass zur Klage gegeben. Er war mehrfach von den
Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert worden, Pfändungsmaßnahmen
einzustellen, Zwangsvollstreckungsanträge zurückzunehmen und die
vollstreckbare Ausfertigung des Versäumnisurteils herauszugeben. Dem ist er
trotz seiner Verpflichtung aus dem Vergleich bis zur Erhebung der
Vollstreckungsgegenklage nicht nachgekommen.
III. 15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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