Keine Streitverkündung
(§ 72 ZPO) an den gerichtlichen Sachverständigen zwecks Geltendmachung eines
Schadensersatzanspruchs aus § 839a BGB
BGH, Beschluss vom 27. Juli
2006 - VII ZB 16/06
Fundstelle:
NJW 2006, 3214
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
1. Die Streitverkündung gegenüber einem gerichtlichen
Sachverständigen zur Vorbereitung von Haftungsansprüchen gegen diesen aus
angeblich fehlerhafter, im selben Rechtsstreit erbrachter
Gutachterleistungen ist unzulässig.
2. Der Streitverkündungsschriftsatz ist nicht zuzustellen.
Zentrale Probleme:
Es geht um die in Rspr. und Lit. streitige
Frage, ob einem gerichtlichen Sachverständigen in dem Prozeß, in welchem er
sein Gutachten erstattet, gem. § 72 ZPO der Streit verkündet werden kann, um
anschließend in einem Haftungsprozess gegen den Gutachter (Haftung aus
§ 839a BGB) von der Interventionswirkung (§§ 74 I, 68 ZPO) profitieren zu
können. Der BGH verneint dies: Die Streitverkündung
sei bereits deshalb allgemein unzulässig, weil der Sachverständige in diesem
Verfahren nicht als Dritter im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO behandelt werden
kann. Er steht als neutraler, vom Gericht bestellter „Gehilfe des Richters“
ähnlich dem Richter nicht außerhalb des Prozesses. Ein Beitritt nach § 74
ZPO, der ihm dann nicht verwehrt werden dürfte, müsste ihn zwangsläufig an
die Seite einer Prozesspartei stellen und damit seine verfahrensrechtliche
Position entgegen der im Prozessrecht vorgesehenen Aufgabenverteilung völlig
verändern. Er wäre nunmehr der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
nach § 406 ZPO ausgesetzt und könnte auf diese Weise von einer Prozesspartei
nach Belieben aus dem Rechtsstreit entfernt werden. Damit wäre die
Entscheidung, ob ein Sachverständiger weiter im Verfahren verbleiben soll,
in die Hand der Partei gegeben und das Recht des Gerichts beeinträchtigt,
den Sachverständigen pflichtgemäß auszuwählen.
©sl 2006
Gründe
I.
1
Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Bezahlung restlichen Werklohns.
Die Beklagten machen u.a. geltend, die Werkleistungen seien teilweise nicht
vertragsgerecht erbracht worden.
2
Der Sachverständige H. hat im Auftrag des Landgerichts unter dem 13.
September 2004 ein schriftliches Gutachten erstattet, der Sachverständige B.
als Mitgutachter ein solches unter dem 21. Juni 2005.
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Die Beklagten behaupten, Gutachten und Mitgutachten seien teilweise grob
fahrlässig unrichtig. Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2005 haben sie den
beiden Sachverständigen den Streit verkündet. Sie machen geltend, bei einer
den Gutachten folgenden rechtskräftigen Entscheidung zu ihrem Nachteil
stünden ihnen Schadensersatzansprüche gemäß § 839 a BGB gegen die
Sachverständigen zu.
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Das Landgericht hat die Zustellung der Streitverkündungsschriftsätze
abgelehnt, da die Streitverkündung rechtsmissbräuchlich sei. Die dagegen
eingelegte sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde erstreben die Beklagten die Zustellung der
Streitverkündungsschriftsätze an die Sachverständigen H. und B.
II.
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Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs.
3 ZPO zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht führt aus, die Streitverkündungsschriftsätze seien
den Sachverständigen zu Recht nicht zugestellt worden, weil die
Streitverkündung vorliegend eine nicht hinnehmbare, letztlich
missbräuchliche Einflussnahme auf das Gerichtsverfahren darstelle und die
für die Gerichtsgutachtertätigkeit unverzichtbare Unparteilichkeit
untergrabe. Ziel der Beklagten sei es, die erforderliche weitere
Sachaufklärung durch die gerichtlich eingesetzten Gutachter zu unterbinden.
Denn die Streitverkündung gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen habe,
wie dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten unzweifelhaft bewusst sei, bei
einem Beitritt zwingend den Verlust der Unparteilichkeit des
Sachverständigen zur Folge, während für den Streitverkünder die
Interventionswirkung des § 68 ZPO nicht zu erzielen sei.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, der Partei müsse
Gelegenheit gegeben werden, die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für
einen ihr gemäß § 839 a BGB zustehenden Anspruch zu schaffen. Werde ihr die
Möglichkeit der Streitverkündung versagt, beraube man sie eines ganz
wesentlichen Mittels, welches dem Sachverständigen vor Augen führe, dass
eine Partei erwäge, wegen eines falschen Gutachtens gegen ihn vorzugehen. Es
sei auch nicht ersichtlich, weshalb die Streitverkündung zum Schutz des
Sachverständigen zu unterbleiben habe. Bei einem nach seiner pflichtgemäßen
Beurteilung richtigen Gutachten habe der Sachverständige nichts zu
befürchten. Habe das Gutachten Mängel, sei es seine Aufgabe, das Gutachten
richtig zu stellen.
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3. Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Streitverkündung
an den gerichtlichen Sachverständigen unzulässig und die Zustellung der
Streitverkündungsschriftsätze als rechtsmissbräuchlich zu verweigern ist.
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a) In Rechtsprechung ( OLG Koblenz, Beschluss vom 28. September 2005
- 12 W 251/05, BauR 2006, 144 ) und Literatur (Böckermann MDR 2002, 1348 ;
Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 72 Rdn. 1;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 72 Rdn. 5;
Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 72 Rdn. 3; Rickert/König NJW 2005, 1829
; Kamphausen, BauR 2006, 142 ; differenzierend: Ulrich, BauR 2006, 724 ;
Weise, NJW-Spezial 2006, 165 ) wird teilweise angenommen, eine
Streitverkündung an den gerichtlichen Sachverständigen komme während eines
anhängigen Rechtsstreits nicht in Betracht. Der gerichtliche Sachverständige
sei als zur Unparteilichkeit verpflichteter Helfer des Gerichts kein
außenstehender Dritter im Sinne des § 72 ZPO , sondern - wie der Richter -
selbst Prozessbeteiligter. Die Streitverkündung an den gerichtlichen
Sachverständigen sei damit generell unzulässig.
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b) Der Senat hat diese Frage bisher offengelassen (vgl. auch BGH,
Beschluss vom 10. Februar 2005 - VII ZB 22/04, BauR 2005, 899 = ZfBR 2005,
449 ), jedoch bereits im Urteil vom 12. Januar 2006 ( VII ZR 207/04 , BauR
2006, 716 = NZBau 2006, 239 = ZfBR 2006, 341 ) auf erhebliche Bedenken gegen
die Wirksamkeit der Streitverkündung gegenüber einem Sachverständigen in
einem derartigen Fall hingewiesen. Er schließt sich nunmehr der oben a)
dargestellten Rechtsauffassung an.
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Die Streitverkündung gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigen zur
Vorbereitung von Haftungsansprüchen gegen diesen aus angeblich fehlerhafter,
im selben Rechtsstreit erbrachter Gutachterleistungen ist bereits deshalb
allgemein unzulässig, weil der Sachverständige in diesem Verfahren nicht
als Dritter im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO behandelt werden kann. Er
steht als neutraler, vom Gericht bestellter „Gehilfe des Richters“ ähnlich
dem Richter nicht außerhalb des Prozesses. Wie dieser ist er, um in
Erfüllung seiner prozessrechtlichen Aufgabe dem Richter die notwendige
Sachkunde für die Entscheidung des Rechtsstreits zu vermitteln, zur
Unparteilichkeit verpflichtet und unterliegt gemäß § 406 ZPO einer
vergleichbaren Regelung über die Ablehnung wegen Befangenheit.
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Mit dieser verfahrensrechtlichen Stellung des Sachverständigen, insbesondere
der unabdingbaren Gewährleistung seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit,
wäre es unvereinbar, ihn als Dritten im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO zu
behandeln und ihn aus Gründen in die Rolle eines Streitverkündungsempfängers
zu versetzen, die ihren Ursprung gerade in seiner Aufgabenerfüllung im
Rahmen desselben Rechtsstreits haben. Ein Beitritt nach § 74 ZPO , der
ihm dann nicht verwehrt werden dürfte, müsste ihn zwangsläufig an die Seite
einer Prozesspartei stellen und damit seine verfahrensrechtliche Position
entgegen der im Prozessrecht vorgesehenen Aufgabenverteilung völlig
verändern. Er wäre nunmehr der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
nach § 406 ZPO ausgesetzt und könnte auf diese Weise von einer Prozesspartei
nach Belieben aus dem Rechtsstreit entfernt werden. Damit wäre die
Entscheidung, ob ein Sachverständiger weiter im Verfahren verbleiben soll,
in die Hand der Partei gegeben und das Recht des Gerichts beeinträchtigt,
den Sachverständigen pflichtgemäß auszuwählen.
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Diesem aus der verfahrensrechtlichen Stellung des Sachverständigen folgenden
Verständnis des § 72 Abs. 1 ZPO dahin, dass er nicht als Dritter im Sinne
dieser Regelung anzusehen ist, stehen auch keine höherrangigen
schutzwürdigen Interessen der Prozesspartei entgegen, die eine andere
Auslegung gebieten könnten. Soweit sie in besonderen Fallkonstellationen
möglicherweise ein Interesse an einer Interventionswirkung nach § 68 ZPO
haben sollte, das jedenfalls nicht den Hauptstreitpunkt über Richtigkeit
oder Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens betreffen kann (vgl. dazu
Rickert/König, NJW 2005, 1829 ), kann dies nicht dazu führen, entgegen den
dargestellten verfahrensrechtlichen Grundregeln den Rechtsstreit den
Gefahren auszusetzen, die aus einer faktischen Parteidisposition über den
Sachverständigen resultieren würden. Vielmehr stellt sich eine
Streitverkündung an den Sachverständigen regelmäßig als
rechtsmissbräuchlicher Versuch dar, einen Sachverständigen, mit dessen
Begutachtung die Partei nicht einverstanden ist, aus dem Rechtsstreit zu
entfernen, statt die Bedenken, die gegen die gutachterliche Stellungnahme
bestehen mögen, mit den insoweit vorgesehenen prozessualen Mitteln zur
Geltung zu bringen.
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c) Die Zustellung einer Streitverkündungsschrift, die eine aus den
dargelegten Gründen generell unzulässige Streitverkündung an den
Sachverständigen bewirken soll, ist vom Gericht zu verweigern. Dies folgt
daraus, dass eine Zustellung der Streitverkündungsschrift in derartigen
Fällen bereits die Gefahren für einen ordnungsgemäßen Fortgang des
Rechtsstreits heraufbeschwören würde, derentwegen die Streitverkündung
selbst als unzulässig zu erachten ist. Im Falle einer Zustellung würde der
Sachverständige, auch wenn die Streitverkündung als solche unzulässig ist,
sich veranlasst sehen können, den Beitritt zum Rechtsstreit zu erklären und
damit seine Befangenheit herbeizuführen. Damit wäre der Erfolg des
regelmäßig rechtsmissbräuchlichen Vorgehens der Partei erreicht. Dem muss
dadurch begegnet werden, dass es schon nicht zur Zustellung der
Streitverkündungsschrift kommt.
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