Mängelhaftung beim
Werkvertrag; Schadensersatz für Mangelfolgeschaden (§§ 634 Nr. 3, 280 I
BGB); Leistungsinhalt beim Werkvertrag; Bedeutung der Wartungsvorschriften
des Herstellers
BGH, Urteil vom 23. Juli
2009 - VII ZR 164/08
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Eine mit der
Grundüberholung einer technischen Anlage beauftragte Fachwerkstatt hat die
hierfür geltenden, über die anerkannten Regeln der Technik hinausgehenden
Anforderungen des Herstellers jedenfalls dann zu beachten, wenn sie die
Sicherheit des Betriebs dieser Anlage betreffen.
Tatbestand:
1 Die Klägerin macht auf sie nach § 67 VVG a.F. übergegangene
Schadensersatzansprüche ihrer Versicherungsnehmerin, der P.-GmbH, geltend.
Darüber hinaus beansprucht sie Ersatz von Kosten, die ihr vorgerichtlich
durch die Einschaltung von Sachverständigen entstanden sind. Das Bestehen
des Versicherungsverhältnisses und die Versicherungsleistung sind
bestritten.
2 Die P.-GmbH beauftragte die Beklagte im November 2003 mit der
Grundüberholung eines Zwölf-Zylinder-Gasmotors der Firma C., mit dem ein
Blockheizkraftwerk im Hallenbad in P. betrieben wird. Die Beklagte hat im
Rahmen der Grundüberholung die Befestigungsschrauben der Kontergewichte auf
der Kurbelwelle nicht ausgetauscht. Nach Inbetriebnahme des Motors Anfang
Januar 2004 riss am 14. Juni 2004 ein Gegengewicht der Kurbelwelle ab und
verursachte erhebliche Folgeschäden an dem Motor. Ursache des Abrisses des
Gegengewichts war der Bruch von zwei hochfesten Befestigungsschrauben. Die
Beklagte hat den beschädigten Motor instand gesetzt und dafür 150.586,71 €
berechnet, auf die die P.-GmbH unter Vorbehalt 90.000 € gezahlt hat.
3 Die Klägerin behauptet, sie habe eine Versicherungsleistung von 124.000 €
an die P.-GmbH erbracht. Diesen Betrag und die Kosten der von ihr
beauftragten Sachverständigen, insgesamt 128.817,17 €, sowie vorgerichtliche
Anwaltskosten hat sie in erster Instanz von der Beklagten ersetzt verlangt.
4 Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur
Zahlung von 94.817,17 € nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat
die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision
erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6 Das Berufungsgericht lässt offen, ob zwischen der Klägerin und der P.-GmbH
ein Versicherungsverhältnis bezüglich des streitgegenständlichen Motors
bestand, auf dessen Grundlage die Klägerin die behaupteten Leistungen
erbracht hat. Es verneint einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus
übergegangenem Recht der P.-GmbH gemäß § 280 Abs. 1 BGB, § 67 VVG a.F. schon
deshalb, weil es - entgegen der übereinstimmenden gegenteiligen Auffassung
des vorgerichtlich tätigen Privatgutachters und des Gerichtsgutachters - der
Meinung ist, die Beklagte habe bei der Grundüberholung des Motors keine
schuldhafte Pflichtverletzung dadurch begangen, dass sie die
Befestigungsschrauben der Kontergewichte auf der Kurbelwelle nicht
ausgetauscht habe.
7 Obwohl die Wartungsvorschriften des Herstellers C. jedenfalls seit
November 2002 auch bei Gas-Aggregaten den Austausch der
Befestigungsschrauben vorsähen, könne der Beklagten eine Fahrlässigkeit
wegen der Wiederverwendung der Schrauben nicht angelastet werden. Die
Wartungsvorschriften enthielten keine allgemein anerkannten Regeln der
Technik. Es handele sich allenfalls um private technische Regelungen mit
Empfehlungscharakter. Eine verfestigte Auffassung, dass einmal gelöste
Befestigungsschrauben stets zu erneuern seien, habe sich im Januar 2004 noch
nicht gebildet gehabt. Mit der Wiederverwendung der Befestigungsschrauben
nach sorgfältiger Prüfung, wie sie von verschiedenen Herstellern
vergleichbarer Motoren zugelassen worden sei, habe die Beklagte nicht gegen
die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen. Die Forderung nach dem
Austausch einmal gelöster Befestigungsschrauben diene nur der Vermeidung
eines Restrisikos, das aus dem Herstel-lungsprozess der hochfesten Schrauben
herrühre. Das Maß der erforderlichen Sorgfalt sei in einem solchen Fall nach
einer Kosten-Nutzen-Analyse zu bestimmen. Danach sei ein Austausch geprüfter
unbeschädigter Befestigungsschrauben nicht geboten, da eine
Befestigungsschraube mindestens 50 € koste und pro Aggregat 36 Schrauben
erforderlich seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Beklagte als von
dem Hersteller C. nicht autorisiertes Fachunternehmen keine Auskünfte über
dessen Wartungsvorschriften erhalten habe.
II.
8 Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Die Abweisung der Klage kann nicht darauf gestützt werden, dass
der Beklagten bei der Grundüberholung des Motors keine schuldhafte
Pflichtverletzung anzulasten sei.
9 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte die Beklagte bei
fachgerechter Ausführung des ihr erteilten Auftrags die
Befestigungsschrauben der Kontergewichte auf der Kurbelwelle auch nach
erfolgter Sichtprüfung nicht weiterverwenden.
10 a) Die P.-GmbH hat die Beklagte mit der Grundüberholung eines Gasmotors
beauftragt. Welchen konkreten Inhalt ein solcher Werkvertrag hat, ist
durch Auslegung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu
ermitteln, §§ 133, 157 BGB. Beauftragt sind alle Leistungen, die für die
fachgerechte Ausführung der Grundüberholung nötig sind. Dazu gehört
jedenfalls, dass die ausgebauten Motorteile auf ihre Unversehrtheit hin
untersucht und, soweit erforderlich, entweder hergerichtet oder erneuert
werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1995 - VIII ZR 23/94, BGHZ 128,
307). Ob ausgebaute Teile erneuert werden müssen, bestimmt sich nach den
anerkannten Regeln der Technik.
11 Über die anerkannten Regeln der Technik hinausgehende Anforderungen
des Herstellers für die Grundüberholung und Wartung sind jedenfalls dann zu
beachten, wenn sie die Sicherheit des Betriebs einer technischen Anlage
betreffen. Diese Sicherheitsanforderungen fußen auf der Einschätzung des
Herstellers zur Gefährdung seines Produkts und der dadurch entstehenden
Risiken für den Betrieb und die Verkehrssicherheit. Ein Besteller ist
regelmäßig nicht bereit, das Risiko einer anderen Einschätzung zu
übernehmen. Vielmehr erwartet er, dass ein Fachunternehmen sich die
Wartungsvorschriften eines Herstellers einer technischen Anlage beschafft
und diese beachtet. Ob diese Erwartungshaltung auch dann angenommen
werden kann, wenn kein Fachunternehmen beauftragt wird, kann dahinstehen.
Denn die Beklagte ist ein Fachunternehmen auf dem Gebiet "Technologie und
Service für Motoren und Antriebe".
12 Stellt der Hersteller aus Sicherheitsgründen Anforderungen an die
Grundüberholung, die die Anforderungen übertreffen, die allgemein üblich
sind oder den anerkannten Regeln der Technik entsprechen, darf der
Unternehmer nicht eigenmächtig entscheiden, ob das bei einer abweichenden
Ausführung bestehende Risiko eingegangen werden soll. Eine solche
Entscheidung steht nach entsprechender Aufklärung über das Risiko allein dem
Besteller zu.
13 b) Danach hat die Beklagte ihre Leistungspflichten verletzt. Wie das
Berufungsgericht zu Recht feststellt, dient der Austausch der einmal
gelösten Befestigungsschrauben der Vermeidung eines Restrisikos, das aus dem
Herstellungsprozess der hochfesten Schrauben erwächst und von den
verschiedenen Motorenherstellern unterschiedlich eingeschätzt wird. Es kann
dahingestellt bleiben, ob es bereits im November 2003 den anerkannten Regeln
der Technik entsprach, bei der Grundüberholung eines Gasmotors stets die
Befestigungsschrauben der Kontergewichte auf der Kurbelwelle auszuwechseln
oder ob eine Weiterverwendung nach besonderer Überprüfung als zulässig
angesehen wurde. Es kann deshalb auch offen bleiben, welche Art der
Überprüfung nach diesen Regeln zu erfolgen hatte und ob die Beklagte eine
derartige Prüfung vor der Weiterverwendung der Schrauben tatsächlich
vorgenommen hat. Denn die Beklagte ist bei der Überholung des Gasmotors
jedenfalls den von dem Hersteller des Aggregats gestellten Anforderungen
nicht gerecht geworden. Dessen Wartungsvorschriften enthielten seit November
2002 und damit zum Zeitpunkt der Ausführung der Reparatur die ausdrückliche
Anweisung, die Befestigungsschrauben nicht wieder zu verwenden. Dem hatte
die Beklagte nach dem Inhalt des geschlossenen Vertrages zu entsprechen.
14 2. Die Pflichtverletzung ist von der Beklagten auch zu vertreten. Nach
den Feststellungen des Berufungsgerichts war ihr bei der Grundüberholung des
Motors bekannt, dass Befestigungsschrauben nach einem Lösen wegen möglicher
Schadensrisiken nicht ohne weiteres wieder verwendet werden durften. Als
Fachbetrieb musste sie auch wissen, dass es für den Gasmotor bei einer
Grundüberholung zu beachtende Wartungsvorschriften des Herstellers gab. Sie
kann sich nicht darauf berufen, dass ihr als vom Hersteller nicht
autorisierter Vertragswerkstatt diese Wartungsvorschriften nicht zugänglich
gewesen seien. Das daraus entstehende Haftungsrisiko hätte sie nur durch
eine entsprechende Aufklärung vermeiden können.
15 3. Nach Zurückverweisung der Sache wird das Berufungsgericht nunmehr zu
prüfen haben, ob der Klägerin der geltend gemachte Schadensersatz in der vom
Landgericht zugesprochenen Höhe von 90.000 € aus übergegangenem Recht und
hinsichtlich der vorgerichtlich für die von ihr eingeschalteten
Sachverständigen verauslagten Beträge von 3.923,22 € und 893,95 € aus
eigenem Recht zusteht. |