Voraussetzungen der Verwirkung
BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - VII
ZR 177/13
Fundstelle:
NJW 2014, 1230
Amtl. Leitsatz:
a) Eine Verwirkung kommt nur in Betracht, wenn
sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in
seinen Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete
Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (Bestätigung von
BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 - EnZR 16/12, RdE 2013, 369 Rn. 13).
b) Diese Voraussetzungen werden nicht allein durch den Vortrag eines auf
Rückzahlung von Honorar in Anspruch genommenen Architekten erfüllt, er habe
"natürlich" mit den eingehenden Honorarzahlungen bereits in anderer Weise
kalkuliert.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung erläutert lehrbuchmäßig die
Voraussetzungen der Verwirkung (s. bei Tz. 13).
©sl 2014
Tatbestand:
1 Die Klägerin fordert von der
Beklagten die Rückzahlung angeblich überzahlten Architektenhonorars.
2 Im Dezember 2003/Januar 2004 schlossen die Parteien einen als
"Beratungsauftrag" bezeichneten Vertrag mit dem Betreff "Wohnanlage R. B.
... - Beratung bezüglich Undichtigkeiten und Beseitigung derselben", der
eine Abrechnung nach Stundensätzen vorsieht.
3 In der Folgezeit übersandte die Beklagte der Klägerin unter Bezugnahme auf
den genannten Vertrag fünf Honorarabschlagsrechnungen, die aus dem Zeitraum
April 2004 bis Februar 2005 datieren und überwiegend Abrechnungen nach
Zeitaufwand und Stundensätzen enthalten, mit einem Gesamtbetrag von
19.038,07 €. Die betreffenden Rechnungsbeträge wurden von der Klägerin
sämtlich bezahlt.
4 Die Beklagte übersandte der Klägerin ferner eine vom 29. August 2005
datierende Honorarabschlagsrechnung für erbrachte Architektenleistungen
bezüglich Fassadeninstandsetzung mit einem Bruttobetrag von 13.920 €, der
ebenfalls von der Klägerin bezahlt wurde. Darüber hinaus stellte die
Beklagte der Klägerin mit Honorarrechnung vom 8. März 2006 für erbrachte
Architektenleistungen bezüglich Fassadeninstandsetzung einen Restbetrag von
3.916,95 € in Rechnung, der von der Klägerin ebenfalls bezahlt wurde.
5 Die Beklagte übersandte der Klägerin außerdem weitere Honorarrechnungen
vom 8. März 2006 und vom 4. Dezember 2006 mit einem Gesamtbetrag von
2.094,80 €. Auch diese Rechnungsbeträge wurden von der Klägerin bezahlt.
6 Die Klägerin hat in erster Instanz Rückzahlung eines Betrags von 25.239,61
€ nebst Zinsen begehrt mit der Begründung, die Beklagte sei auf der
Grundlage eines nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
abzurechnenden Honorars in dieser Höhe überzahlt.
7 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit
der diese den Rückzahlungsbetrag auf 24.033,68 € ermäßigt hat, hat das
Berufungsgericht zurückgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der Senat
mit Urteil vom 11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11, BauR 2013, 117 = NZBau 2012,
783 = ZfBR 2013, 39 das erste Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Nach der Zurückverweisung hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin
erneut zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die
Klägerin ihre vorinstanzlich gestellten Anträge weiter. Die Beklagte
beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
8 Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
9 Das Berufungsgericht führt im Wesentlichen aus, die geltend gemachten
Rückzahlungsansprüche der Klägerin seien verwirkt. Das Landgericht habe mit
Recht auf den Einwand der illoyal verspäteten Rechtsausübung hingewiesen,
der für sämtliche Rückforderungsbeträge gelte. Denn die Klägerin habe
Bedenken gegen den von der Beklagten übersandten Architektenvertrag
angemeldet, was die Honorierung und deren Grundlage betroffen habe. Deswegen
habe sie diesen Vertrag nicht unterschrieben. Sie habe ferner gewusst, dass
die Beklagte bis dahin auf Stundenlohnbasis abgerechnet habe; eine
entsprechende Vereinbarung habe sie auch unterschrieben. Die Klägerin habe
damit gewusst, dass die Beklagte nicht auf der Basis der Honorarordnung für
Architekten und Ingenieure abgerechnet habe. Gleichwohl habe die Klägerin in
Kenntnis dessen, dass sie bereits etliche Teilrechnungen auf
Stundenlohnbasis honoriert habe, sowohl die auf den nicht zustande
gekommenen Architektenvertrag gestützten Rechnungen als auch weitere
Stundenlohnrechnungen anstandslos und vorbehaltlos honoriert, obwohl es sich
angesichts der aufgezeigten Umstände geradezu aufgedrängt habe, dass hier
möglicherweise eine Überzahlung im Verhältnis zu dem nach den Grundsätzen
der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure geschuldeten Honorar
vorgelegen habe.
10 Die Klägerin habe dann mehr als zwei Jahre gewartet, bevor sie erstmals
Rückzahlungsansprüche gegenüber der Beklagten geltend gemacht habe. Bis
dahin habe die Beklagte darauf vertrauen dürfen, die gezahlten Honorare
behalten zu dürfen. Auch wenn bislang keine Verjährung eingetreten gewesen
sei, sei angesichts der gesamten Umstände von Verwirkung auszugehen.
II.
11 Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Klageanspruch ist
nicht verwirkt.
12 1. Für die Revisionsinstanz ist mangels gegenteiliger Feststellungen des
Berufungsgerichts davon auszugehen, dass der Klägerin der wegen Überzahlung
geltend gemachte Rückzahlungsanspruch in voller Höhe zusteht.
13 2. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ist ein Recht verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der
Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere
Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen
Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall,
wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des
Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend
machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das
Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass
ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil
entstünde (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 -
EnZR 16/12, RdE 2013, 369 Rn. 13; Urteil vom 20. Juli 2010 - EnZR 23/09, NJW
2011, 212 Rn. 20 - Stromnetznutzungsentgelt IV, jew. m.w.N.). Allein
der Ablauf einer gewissen Zeit nach Entstehung des Anspruchs vermag das
notwendige Umstandsmoment nicht zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom
14. Januar 2010 - VII ZR 213/07, BauR 2010, 618 Rn. 25 = NZBau 2010, 236 =
ZfBR 2010, 353). Unterliegt ein Rückforderungsanspruch der (kurzen)
regelmäßigen Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), kann eine weitere
Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur unter ganz besonderen
Umständen angenommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2013
- EnZR 16/12, aaO Rn. 13; Urteil vom 11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11, BauR
2013, 117 Rn. 20 = NZBau 2012, 783 = ZfBR 2013, 39, jew. m.w.N.).
Denn dem Gläubiger soll die Regelverjährung grundsätzlich ungekürzt erhalten
bleiben, um ihm die Möglichkeit zur Prüfung und Überlegung zu geben, ob er
einen Anspruch rechtlich geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 29.
Januar 2013 - EnZR 16/12, aaO Rn. 13).
14 Nach diesen Maßstäben ist das Recht, die Überzahlung geltend zu machen,
nicht verwirkt. Das Berufungsgericht hat nicht hinreichend berücksichtigt,
dass die Verwirkung eines der Regelverjährung unterliegenden Anspruchs vor
Ablauf der Verjährungsfrist nur unter ganz besonderen Umständen angenommen
werden kann. Solche Umstände, die im Streitfall zugleich das für die
Verwirkung notwendige Umstandsmoment darstellen würden, liegen nicht vor.
Allein der Zeitablauf bis zur Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche
vermag das notwendige Umstandsmoment nicht zu begründen. Auch die
vorbehaltlose Begleichung der von der Beklagten gestellten Rechnungen
rechtfertigt - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - nicht die
Annahme, die Beklagte habe sich im Vertrauen auf das Verhalten der Klägerin
in ihren Maßnahmen so eingerichtet, dass ihr durch die verspätete
Durchsetzung des Rückzahlungsanspruchs ein unzumutbarer Nachteil entstünde.
15 Der Vortrag, die Beklagte habe "natürlich" auch mit den eingehenden
Honorarzahlungen bereits in anderer Weise kalkuliert, ist substanzlos und
nicht geeignet, einen unzumutbaren Nachteil für die Beklagte zu begründen.
Entsprechendes gilt für den Vortrag, sie habe sich "natürlich" darauf
eingestellt, nach Ablauf einiger Jahre nicht mehr in treuewidriger Weise mit
Rückzahlungsansprüchen konfrontiert zu werden.
III.
16 Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Dadie
Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur weiteren
Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat
von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht.
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