Hemmung der Verjährung
nach § 203 S. 1 BGB während "Verhandlungen": Begriff der Verhandlungen;
Ablaufhemmung nach Ende der Verhandlungen
BGH, Urteil vom 26. Oktober
2006 - VII ZR 194/05
Fundstelle:
ZGS 2007, 73
NJW 2007, 587
Amtl. Leitsatz:
Für ein Verhandeln
genügt, wie bei § 852 Abs. 2 BGB a.F., jeder Meinungsaustausch über den
Schadensfall zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, sofern nicht
sofort und eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird. Die zu § 639 Abs. 2 BGB
a.F. ergangene Rechtsprechung kann zur Ausfüllung des Begriffs herangezogen
werden.
Tatbestand:
1 Die Kläger verlangen vom Beklagten Schadensersatz wegen mangelhafter
Architektenleistungen.
2 Sie errichteten in den Jahren 1996/97 ein Einfamilienhaus und beauftragten
den Beklagten mit sämtlichen in § 15 Abs. 2 HOAI genannten Leistungen. Kurz
vor Fertigstellung des Hauses wurde der Vertrag einvernehmlich aufgelöst.
Die Kläger leisteten am 6. März 1998 die vereinbarte Schlusszahlung von
4.600 DM.
3 Im Jahre 2002 traten am Fußboden des Hauses Schäden auf. Die Kläger
teilten dies dem Beklagten mit Schreiben ihres Streithelfers vom 16. Januar
2003 mit und machten Schadensersatz geltend. Ferner wurde die Möglichkeit
eines selbständigen Beweisverfahrens angesprochen und die Einholung eines
Schiedsgutachtens vorgeschlagen. Der Beklagte besichtigte am 25. Januar 2003
nach telefonischer Voranmeldung den Schaden und riet den Klägern zu einer
Überprüfung durch einen Sachverständigen. Die Kläger leiteten ein
selbständiges Beweisverfahren ein. Der Antrag wurde dem Beklagten am 29.
März 2003 zugestellt.
4 Das Landgericht hat die auf Zahlung von 24.965,14 € gerichtete Klage wegen
Verjährung abgewiesen. Die Berufung des Streithelfers der Kläger ist
erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich seine vom Senat zugelassene
Revision, mit der er den Anspruch der Kläger weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und
zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6 Für die Beurteilung der Verjährung des Schadensersatzanspruchs,
insbesondere der Frage, ob diese im Jahre 2003 gehemmt war, ist das
Bürgerliche Gesetzbuch in der ab 1. Januar 2002 geltenden Fassung maßgeblich
(Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Im Übrigen, auch für den Beginn der
Verjährung, richtet sich die Beurteilung des Schuldverhältnisses nach den
bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1, § 6 Abs.
1 Satz 2 EGBGB).
I.
7 Das Berufungsgericht ist der Meinung, ein Schadensersatzanspruch der
Kläger nach § 635 BGB a.F. sei verjährt. Die fünfjährige Verjährungsfrist
nach § 638 Satz 1 BGB a.F. habe am 6. März 1998 begonnen und sei vor der
Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens abgelaufen. Die Verjährung sei
nicht gemäß § 203 BGB n.F. gehemmt gewesen. Hierfür reiche der Umstand, dass
der Beklagte auf das Schreiben vom 16. Januar 2003 das Objekt in Augenschein
genommen und den Klägern geraten habe, den Schaden untersuchen zu lassen,
nicht aus. Dadurch habe er lediglich zum Ausdruck gebracht, dass
Schadensursache und Verantwortlichkeit durch ein Sachverständigengutachten
geklärt werden müssten. Wisse der Geschädigte, dass die Einholung eines
Gutachtens unumgänglich sei, habe er jederzeit die Möglichkeit, die
Verjährung durch Einleitung eines Beweisverfahrens zu hemmen. Die Annahme
von Verhandlungen i.S. des § 203 BGB n.F. sei demgegenüber nur dann
gerechtfertigt, wenn der Geschädigte aufgrund der Erklärung des Schädigers
noch erwarten könne, sich die Kosten eines Beweisverfahrens durch eine
Einigung mit dem Schädiger ersparen zu können. Selbst wenn man Verhandlungen
annehmen würde, würde die dadurch begründete Hemmung nicht ausreichen, um
den Eintritt der Verjährung zu verhindern.
II.
8 Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein
Schadensersatzanspruch der Kläger aus § 635 BGB a.F. ist nicht verjährt.
Die Verjährung war gemäß § 203 Satz 1 BGB n.F. durch Verhandlungen gehemmt.
9 1. Nach § 203 Satz 1 BGB n.F. ist die Verjährung gehemmt, solange zwischen
dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den
Anspruch begründenden Umstände schweben.
10 a) Der Begriff „Verhandlungen" ist weit auszulegen. Da § 203 Satz
1 BGB n.F. sich in seinem Wortlaut eng an § 852 Abs. 2 BGB a.F. anlehnt,
kann auf die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen
werden (MünchKommBGB/Grothe, 4. Aufl. Bd. 1a, § 203 Rdn. 5). Danach
genügt für ein Verhandeln jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall
zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, sofern nicht sofort und
eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird. Verhandlungen schweben schon dann,
wenn der in Anspruch Genommene Erklärungen abgibt, die dem Geschädigten die
Annahme gestatten, der Verpflichtete lasse sich auf Erörterungen über die
Berechtigung von Schadensersatzansprüchen ein. Nicht erforderlich ist, dass
dabei eine Vergleichsbereitschaft oder eine Bereitschaft zum Entgegenkommen
signalisiert wird (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - VI ZR 429/02, NJW
2004, 1654 m.w.N.).
11 b) Dieses Verständnis von Verhandlungen umfasst regelmäßig auch die
bisher in § 639 Abs. 2 BGB a.F. geregelten Sachverhalte. Die zu dieser
Vorschrift ergangene Rechtsprechung kann zur Ausfüllung des Begriffs
herangezogen werden.
12 aa) Nach § 639 Abs. 2 BGB a.F. ist die Verjährung gehemmt, wenn sich der
Unternehmer im Einverständnis mit dem Besteller der Prüfung des
Vorhandenseins eines Mangels oder seiner Beseitigung unterzieht. Die Hemmung
setzt voraus, dass der Unternehmer bei dem Besteller den Eindruck erweckt,
er werde den Mangel prüfen bzw. sich um ihn kümmern, und der Besteller
hiermit einverstanden ist (BGH, Urteile vom 27. Januar 2005 - VII ZR 158/03,
BGHZ 162, 86 und vom 27. September 2001 - VII ZR 320/00, BauR 2002, 108 =
NZBau 2002, 42 = ZfBR 2002, 61). Abgesehen von dem Fall, dass der
Unternehmer von vornherein jede Verantwortung für den Mangel ablehnt (vgl.
BGH, Urteil vom 27. September 2001 - VII ZR 320/00, aaO), treffen die
Vertragsparteien durch ihren Meinungsaustausch regelmäßig eine
"Überprüfungsvereinbarung" (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 1999 - VII ZR
415/97, BauR 1999, 1019, 1021 = ZfBR 1999, 269) bzw. eine entsprechende
Abrede über einen Nachbesserungsversuch. Sie verhandeln im Sinne von § 203
Abs. 1 BGB n.F.
13 bb) Das entspricht, wie die Gesetzesmaterialien bestätigen, dem Willen
des Gesetzgebers. Die Verjährungshemmung durch Verhandlungen war bisher in §
639 Abs. 2, § 651 g Abs. 2 Satz 3, § 852 Abs. 2 BGB a.F. in
unterschiedlicher Weise geregelt. Durch das Gesetz zur Modernisierung des
Schuldrechts sollte die Verjährungshemmung durch Verhandlungen über den
Anwendungsbereich dieser Vorschriften hinaus zu einem allgemeinen
Rechtsinstitut ausgebaut werden (BT-Drucks. 14/7052, S. 178, 180). Die
spezielle Vorschrift des § 639 Abs. 2 BGB a.F. wurde von der allgemeinen
Vorschrift des § 203 Satz 1 BGB n.F. abgelöst (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.
267) und ist in dieser aufgegangen (vgl. Weyer, NZBau 2002, 366; Staudinger/Frank
Peters (2004), § 203 Rdn. 4; MünchKommBGB/Grothe, 4. Aufl. Bd. 1a, § 203
Rdn. 4;Ingenstau/ Korbion/Wirth, 15. Aufl., § 13 Nr. 4 VOB/B Rdn. 214, 215;
Kapell-mann/Messerschmidt-Weyer, § 13 VOB/B Rdn. 142; a.A. Werner/Pastor,
Der Bauprozess, 11. Aufl. Rdn. 2417; Lenkeit, BauR 2002, 196, 219;
Heiermann/ Riedl/Rusam, 10. Aufl., § 13 VOB/B Rdn. 92).
14 2. Die Parteien haben i.S. von § 203 Satz 1 BGB n.F. verhandelt. Die
Kläger haben mit dem Schreiben ihres Streithelfers vom 16. Januar 2003 dem
Beklagten den Schaden angezeigt und Schadensersatz verlangt. Der Beklagte
hat nach seinem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Vortrag daraufhin
telefonisch einen Besichtigungstermin vereinbart. Dieser fand am 25. Januar
2003 statt. Der Beklagte riet den Klägern zu einer Überprüfung durch einen
Sachverständigen. Dieses Verhalten durften die Kläger dahin verstehen, der
Beklagte lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des
Schadensersatzanspruchs ein (vgl. auch BGH, Urteil vom 15. April 1999 - VII
ZR 415/97, BauR 1999, 1019, 1021 = ZfBR 1999, 269). Dass der Beklagte seine
Einstandspflicht geleugnet hätte, stellt das Berufungsgericht nicht fest.
Unerheblich ist, ob die Kläger aufgrund des Verhaltens des Beklagten
erwarten konnten, durch eine Einigung mit ihm die Kosten eines selbständigen
Beweisverfahrens sparen zu können.
III.
15 Damit ist Verjährung nicht eingetreten. Die fünfjährige Verjährungsfrist
(§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F., § 638 Satz 1 BGB a.F.) begann mit Ablauf des
6. März 1998. Die Verjährung wurde durch den Beginn der Verhandlungen
gehemmt (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 1999 - VII ZR 415/97, aaO), der
jedenfalls in der telefonischen Vereinbarung des Besichtigungstermins im
Januar 2003 lag. Wie lange die hierdurch herbeigeführte Hemmung dauerte,
kann dahinstehen. Gemäß § 203 Satz 2 BGB n.F. konnte Verjährung
frühestens drei Monate nach Ablauf der Hemmung eintreten. In diesem
Zeitraum wurde dem Beklagten der Antrag auf Durchführung des selbständigen
Beweisverfahrens zugestellt, wodurch die Verjährung erneut gemäß § 204 Abs.
1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. bis zur Klageerhebung gehemmt war.
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