Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) bei
Pauschalpreisvereinbarung
BGH, Beschluss vom 23. März 2011 - VII ZR 216/08
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Ein Rückgriff auf die gesetzlichen Regelungen
zum Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt grundsätzlich nicht in Betracht,
soweit eine vertragliche Regelung wie § 2 Nr. 3 VOB/B (jetzt: § 2 Abs. 3
VOB/B) vorliegt.
b) Die Anwendung der gesetzlichen Regelungen zum Wegfall der
Geschäftsgrundlage ist jedoch möglich, wenn die Parteien einer
Einheitspreisvereinbarung ausnahmsweise eine bestimmte Menge zugrundegelegt
haben und diese Menge überschritten wird.
Gründe:
1
1. Die Beklagte beauftragte die Klägerin im
Zusammenhang mit der Erneuerung einer Bundesautobahn mit Bauleistungen.
Unter anderem war eine Menge von fünf Tonnen zu entsorgender Abfälle
(Abfall, Busch, Hecken- und Schnittgut) ausgeschrieben. Die Klägerin hatte
nach ihrer Behauptung auf der Grundlage eines Nachunternehmerangebots einen
Einheitspreis von 2.413 €/t angeboten und den Zuschlag erhalten. Sie
beauftragte einen Nachunternehmer mit dieser Leistung zu einem Einheitspreis
von 62,10 €/t. Die Klägerin macht geltend, die tatsächliche Menge sei ca.
610 t. Nachdem ihr gekündigt worden war, verlangt sie in diesem Prozess für
eine geleistete Menge von 265,14 t einen Einheitspreis von 2.413,25 € unter
Abzug von eingesparten Kosten von 116,82 €/t für 259,64 t. In einem
weiteren Prozess verlangt sie mit der Behauptung, die Kündigung sei zu
Unrecht erfolgt und es wären weitere 345 t zu entsorgen gewesen, Zahlung von
768.404,13 €.
2 Das Berufungsgericht hat für 5,5 t den Einheitspreis von 2.413 €/t und für
weitere 9,5 t einen unter Berücksichtigung der Vergütungsregelung des § 2
Nr. 3 VOB/B errechneten Einheitspreis von 2.296,43 € zuerkannt.
3 Für die restliche Menge von 250,14 t hat es wegen schwerwiegender
Störung der Geschäftsgrundlage nach Maßgabe der Regelung des § 313 BGB unter
Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben einen Preis von 275,35
€/t festgesetzt. Bei Abgabe des Angebots und Erteilung des Zuschlags seien
die Parteien ersichtlich davon ausgegangen, dass zum einen der
ausgeschriebene Vordersatz von fünf Tonnen jedenfalls annähernd den zu
erwartenden Massen entsprochen habe und zum anderen der angebotene
Einheitspreis von 2.413,25 €/t auf einem realistisch kalkulierten Angebot
beruht habe. Keine Partei habe zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit
einer derart weitgehenden und in ihrem Ausmaß schwerwiegenden
Abweichung von Massen und Nachunternehmerpreis vorausgesehen. Die
Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die
Beschwerde der Klägerin.
4 2. Die Beschwerde ist unbegründet.
5 a) Zu Unrecht sieht die Beschwerde in der Entscheidung des
Berufungsgerichts eine Abweichung von der Rechtsprechung des Senats (BGH,
Urteil vom 20. März 1969 - VII ZR 29/67, WM 1969, 1019; Urteil vom 18.
Dezember 2008 - VII ZR 201/06, BGHZ 179, 213), von Entscheidungen des
Kammergerichts (BauR 2001, 1591) und des Oberlandesgerichts Naumburg (BauR
2006, 1305) und der herrschenden Literaturmeinung.
6 aa) Nach der Rechtsprechung des Senats enthält § 2 Nr. 3 VOB/B (jetzt § 2
Abs. 3) bei einem VOB-Vertrag eine abschließende Regelung für die
Überschreitung der Massenansätze über 10 % hinaus. Die Regelung ist nicht
auf eine bestimmte prozentuale Überschreitung beschränkt. Auf die
Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, kann daneben
nicht zurückgegriffen werden. Denn die Frage der Preisgestaltung bei
Massenüberschreitungen ist vertraglich geregelt (BGH, Urteil vom
20. März 1969 - VII ZR 29/67, WM 1969, 1019; Urteil vom 18. Dezember 2008 -
VII ZR 201/06, BGHZ 179, 213 Rn. 36).
7 bb) Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich nicht, dass eine Veränderung des
Einheitspreises nicht stattfinden kann, wenn eine bestimmte Menge zur
Geschäftsgrundlage des Vertrages erhoben worden ist und wegen der
Überschreitung dieser Menge ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt.
Es ist möglich, dass Geschäftsgrundlage einer
Einheitspreisvereinbarung ist, dass eine bestimmte Menge nicht überschritten
wird. Allerdings ist dem Einheitspreis die Möglichkeit einer Mengenänderung
immanent, so dass grundsätzlich kein Grund für die Annahme besteht, eine
bestimmte Menge sei zur Geschäftsgrundlage des Vertrages geworden. Bei einer
außergewöhnlichen Preisbildung, wie sie hier vorliegt, ist dies jedoch
denkbar, weil die darin angelegte Störung des Äquivalenzverhältnisses von
Leistung und Gegenleistung sich bei erheblichen Mengenänderungen in viel
stärkerem Maße auswirkt. Einen solchen Fall hat das Berufungsgericht
angenommen.
8 Dieser Fall ist von der von der Nichtzulassungsbeschwerde
erwähnten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht erfasst. Diese
zieht vielmehr den allgemein gültigen Grundsatz heran, dass ein Rückgriff
auf die gesetzlichen Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht in
Betracht kommt, soweit eine vertragliche Regelung vorliegt. Insoweit kommt
es auf die prozentuale Mengenüberschreitung nicht an und sind die
Vergütungsregelungen des § 2 Nr. 3 VOB/B abschließend, so dass die Anwendung
des § 313 BGB nicht möglich ist. Mit ihr ist nicht der gesetzlich nunmehr
niedergelegte Grundsatz in Frage gestellt, dass einer Preisvereinbarung eine
Geschäftsgrundlage zugrunde liegen kann, bei deren Wegfall der Vertrag unter
bestimmten Voraussetzungen anzupassen ist, § 313 BGB.
Dementsprechend ging es in der von der Nichtzulassungsbeschwerde erwähnten
Entscheidung des Senats vom 20. März 1969 (VII ZR 29/67, WM 1969, 1019)
nicht um einen Fall, in dem ein Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen einer
Überschreitung des nach dem Vertrag vorausgesetzten Mengenrahmens angenommen
wurde, sondern um die Frage, ob die Umlage der Gemeinkosten ausschließlich
nach der Regelung des § 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B zu erfolgen hat.
9 cc) Dass die Anwendung des § 313 BGB auf diejenigen Fälle, in
denen die Mengenänderung das von den Parteien gemeinsam vorausgesetzte Maß
überschreitet, nicht ausgeschlossen ist, wird im Übrigen auch in der
Literatur so gesehen (Kapellmann/Schiffers, Vergütung, Nachträge
und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag, Band 1, 5. Aufl., Rn. 605 ff., 1041
ff.; Nicklisch/Weick, VOB Teil B, 3. Aufl., § 2 Rn. 52; Leinemann, VOB/B, 3.
Aufl, § 2 Rn. 76; Kleine-Möller/Merl, Handbuch des privaten Baurechts, 3.
Aufl., § 10 Rn. 422 ff., 429; Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 3. Aufl., § 2
VOB/B Rn. 166; Kandel in BeckOK VOB/B § 2 Nr. 3 [Stand: 2. Mai 2010] Rn.
23b).
10 Die von der Nichtzulassungsbeschwerde herangezogenen Entscheidungen des
Kammergerichts (BauR 2001, 1591) und des Oberlandesgerichts Naumburg (BauR
2006, 1305) besagen dazu nichts.
11 b) Die Feststellung, ob eine bestimmte Menge zur Geschäftsgrundlage der
Preis- und Leistungsvereinbarung erhoben worden und diese weggefallen ist,
die Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 313 BGB und die Anpassung des
Vertrages sind Sache des Tatrichters im Einzelfall. Soweit die
Nichtzulassungsbeschwerde sich gegen diese Beurteilung richtet, besteht kein
Grund die Revision zuzulassen, weil die von der Beschwerde dargelegten
Zulassungsgründe nicht gegeben sind, § 543 Abs. 2 ZPO.
12 Die Ablehnung der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf den vorliegenden
Sachverhalt (vgl. das Urteil des Senats vom 18. Dezember 2008 - VII ZR
201/06, BGHZ 179, 213) durch das Berufungsgericht beschwert die Klägerin
nicht.
13 c) Von einer Begründung im Übrigen wird abgesehen, weil sie nicht
geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine
Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
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