Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners im
Falle der Zession nach § 410 BGB (Nichtvorlage einer Abtretungsurkunde);
Vorbehalt des § 242 BGB
BGH, Urteil vom 23. August 2012 - VII
ZR 242/11 - OLG Stuttgart
Fundstelle:
NJW 2012, 3426
Amtl. Leitsatz:
Ein
Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 BGB besteht nach Treu und Glauben
nicht, wenn eine anderweitige Inanspruchnahme des Schuldners durch den
Zedenten nach Lage des Falles ausgeschlossen ist.
Zentrale Probleme:
Es geht um § 410 BGB: Danach
kann der Schuldner die Zahlung an einen Zessionar verweigern, wenn dieser
keine Abtretungsurkunde vorlegt. Die ratio ist klar: Der Schuldner riskiert,
an einen Nichtberechtigten zu leisten mit der Folge, nicht nach § 362 I BGB
durch Erfüllung befreit zu werden, denn er weiß ja nicht, ob überhaupt eine
Zession stattgefunden hat oder diese wirksam ist. Wird ihm eine (echte!)
Urkunde vorgelegt, ist er nach § 405 BGB geschützt. Hier geht es jetzt um
eine Einschränkung dieses Rechts nach § 242 BGB, die genau auf diese ratio
gestützt wird. Weiterhin offengelassen wird, ob die Aushändigung einer Kopie
genügt.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Die Klägerin macht gegen die
Beklagte aus abgetretenem Recht der A. Ltd. Gewährleistungsansprüche wegen
Mängeln einer von der Beklagten errichteten Balkonanlage geltend,
erstinstanzlich gerichtet auf Zahlung von Kostenvorschuss sowie
Schadensersatzfeststellung und zweitinstanzlich auf Kostenerstattung nach
von der Klägerin vorgenommener Mängelbeseitigung sowie Schadensersatz. Im
Revisionsverfahren geht es nur darum, ob an Stelle der unbedingten
Verurteilung der Beklagten eine Verurteilung Zug-um-Zug gegen Aushändigung
des Originals einer Abtretungsurkunde zu erfolgen hat.
2 Die Beklagte errichtete im Auftrag der A. Ltd. eine Balkonanlage an einem
zu sanierenden Gebäude in K. Die Klägerin ist Bauherrin des
Sanierungsobjekts und ihrerseits Auftraggeberin der A. Ltd.
3 In einem an die Klägerin adressierten Schreiben vom 8. Juni 2005, das mit
"Abtretungsvollmacht" überschrieben ist, führte die A. Ltd. Folgendes aus:
"Bezug nehmend auf das Gespräch am 07.06.2005 betreffs der 'B. GmbH' möchte
ich Ihnen hiermit, wie zugesagt, die Abtretung der Gewährleistungsansprüche
gegen die Firma B. GmbH zur Beseitigung der Mängel übertragen". Dieses
Schreiben wurde von der A. Ltd. per Telefax an die Klägerin versandt.
4 Mit der Klageschrift hat die Klägerin eine Kopie des Telefaxausdrucks vom
8. Juni 2005 übersandt. Mit der Klageerwiderung hat die Beklagte ein
Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend gemacht.
Die Klägerin hat im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht den Ausdruck des von ihr empfangenen Telefaxes vom 8. Juni
2005 übergeben.
5 Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 28.369,60 € zuzüglich
Zinsen verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der
Klägerin weitere Schäden zu ersetzen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte
verurteilt, an die Klägerin 19.603,47 € zuzüglich Zinsen zu zahlen.
6 Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte
an Stelle der unbedingten Verurteilung eine Verurteilung Zug-um-Zug gegen
Übergabe eines Originals der Abtretungsvollmacht vom 8. Juni 2005. Die
Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe:
7 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
8 Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe
als Zessionarin wegen Mängeln der von der Beklagten errichteten Balkonanlage
ein Anspruch auf Erstattung von Mängelbeseitigungskosten sowie ein Anspruch
auf Schadensersatz in Höhe von zusammen 19.603,47 € zuzüglich Zinsen zu. Die
Klägerin sei durch Abtretung Inhaberin dieser Ansprüche geworden. Mit
Schreiben vom 8. Juni 2005 seien Gewährleistungsansprüche gegen die Beklagte
an die Klägerin abgetreten worden. Bei sachgerechter Auslegung könne diese
"Abtretungsvollmacht" nur als Abtretung selbst ausgelegt werden, weil eine
Übertragung der Abtretung ansonsten keinen Sinn mache.
9 Der Beklagten stehe kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 Abs. 1
Satz 1 BGB zu. Die Beklagte habe mit der Klageerwiderung zu Unrecht geltend
gemacht, vor Aushändigung der Abtretungsurkunde im Original nicht zur
Leistung verpflichtet zu sein. Die Aushändigung einer Fotokopie der
Abtretungsurkunde genüge für eine Aushändigung im Sinne des § 410 BGB. Die
Klägerin habe die Abtretungsurkunde als Telefax vorgelegt. Zweifel an der
Echtheit der vorgelegten Fotokopie habe die Beklagte nicht geäußert, sondern
lediglich deren Eignung als Nachweis bestritten.
II.
10 Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
11 1. Zutreffend und von der Revision unbeanstandet entnimmt das
Berufungsgericht dem mit "Abtretungsvollmacht" überschriebenen Schreiben vom
8. Juni 2005 im Wege der Auslegung eine Abtretung der
Gewährleistungsansprüche an die Klägerin.
12 2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht ein
Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten nach § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB
verneint.
13 a) Diese Bestimmung betrifft den Fall, dass der Schuldner einer
abgetretenen Forderung an den neuen Gläubiger leistet. Der Schuldner
ist dem neuen Gläubiger gegenüber zur Leistung nur gegen Aushändigung einer
von dem bisherigen Gläubiger über die Abtretung ausgestellten Urkunde
verpflichtet. Bei § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt es sich um eine
Schuldnerschutzbestimmung; sie soll den Schuldner einer abgetretenen
Forderung vor der Gefahr schützen, an einen Nichtgläubiger zu leisten und
ein zweites Mal in Anspruch genommen zu werden (BGH, Urteil vom 12.
November 1992 - I ZR 194/90, NJW 1993, 1468, 1469 - Katalogbild).
Deshalb sieht das Gesetz vor, dass der Schuldner an einen als neuen
Gläubiger Auftretenden nur gegen Aushändigung einer von dem bisherigen
Gläubiger über die Abtretung ausgestellten Urkunde zu leisten braucht. Zwar
tritt die den Schuldner befreiende Wirkung des § 409 Abs. 1 Satz 2 BGB schon
dann ein, wenn der Schuldner sich eine Urkunde über die Abtretung vorlegen
lässt. Um dem Schuldner aber dem Gläubiger gegenüber den Nachweis, dass eine
Urkunde über die Abtretung vorgelegen hat, zu erleichtern, gewährt § 410
Abs. 1 Satz 1 BGB ihm darüber hinaus das Recht, von dem die Leistung
Fordernden, in der Urkunde als neuer Gläubiger Bezeichneten, die
Aushändigung zu verlangen. Die über die Abtretung ausgestellte
Urkunde erhält damit eine quittungsähnliche Eigenschaft (BGH, Urteil vom 16.
Januar 1958 - VII ZR 66/57, BGHZ 26, 241, 246). Die Vorschrift dient
danach dem Zweck, dem Schuldner ein Beweismittel in die Hand zu geben
(BGH, Urteil vom 12. November 1992 - I ZR 194/90, aaO 1469 -
Katalogbild). Die Bestimmung des § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet
keinen Gegenanspruch und darum auch kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273
BGB, sondern ein Leistungsverweigerungsrecht, das der Schuldner dem neuen
Gläubiger einredeweise entgegenhalten kann (BGH, Urteil vom 24.
November 2006 - LwZR 6/05, NJW 2007, 1269 Rn. 24; Urteil vom 21. November
1985 - VII ZR 305/84, BauR 1986, 222, 224 = ZfBR 1986, 65; Urteil vom 17.
Februar 1969
- II ZR 102/67, WM 1969, 598, 599; Staudinger/Busche [2012], § 410 Rn. 5).
14 b) Es ist umstritten, ob die Aushändigung einer Fotokopie der
Abtretungsurkunde den Erfordernissen des § 410 BGB genügt.
15 Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (AP Nr. 3 zu § 398 BGB)
genügt eine Fotokopie der über die Abtretung ausgestellten Urkunde
grundsätzlich den Erfordernissen des § 410 BGB; nur wenn der Schuldner
verständliche Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Fotokopie erhebt,
besteht die Verpflichtung zur Vorlage des Originals. Dieser Rechtsprechung
haben sich das Bundessozialgericht (BSGE 76, 184, 189 f.), ein Teil der
Instanzgerichte (KG, KGR 2006, 326 f.; OLG Naumburg, Urteil vom 25. August
2005 - 2 U 52/05 [Lw], juris; LAG Frankfurt, DB 1988, 612) und der Literatur
(Soergel/Schreiber, BGB, 13. Aufl., § 410 Rn. 1; RGRK/Weber, BGB, 12. Aufl.,
§ 410 Rn. 5) angeschlossen. Demgegenüber vertritt eine verbreitete Meinung
die Auffassung, dass die Aushändigung einer Fotokopie der über die Abtretung
ausgestellten Urkunde den Erfordernissen des § 410 BGB nicht genügt (KG,
FamRZ 2009, 1781; Staudinger/Busche, aaO § 410 Rn. 6; MünchKommBGB/Roth, 6.
Aufl., § 410 Rn. 5; Knerr in jurisPK-BGB, 5. Aufl., § 410 Rn. 7; PWW/Müller,
BGB, 7. Aufl., § 410 Rn. 2).
16 c) Der Bundesgerichtshof hat diese Frage offengelassen
(Urteil vom 24. November 2006 - LwZR 6/05, NJW 2007, 1269 Rn. 25). Auch im
Streitfall muss nicht entschieden werden, ob die von der Klägerin
ausgehändigte Fotokopie des Telefaxausdrucks vom 8. Juni 2005 den
Erfordernissen des § 410 BGB genügt.
17 aa) Es kann dahinstehen, ob § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB im Streitfall schon
gemäß § 410 Abs. 2 BGB nicht anwendbar ist. Die Klägerin hat in erster
Instanz mit Schriftsatz vom 5. September 2008 unter Bezugnahme auf § 410
Abs. 2 BGB unbestritten vorgetragen, dass der Zeuge v. S., der Vertreter der
A. Ltd., der Beklagten die Abtretung angezeigt habe. Es kann offenbleiben,
ob mit dem genannten Vortrag hinreichend dargetan ist, dass die A. Ltd. der
Beklagten die Abtretung schriftlich angezeigt hat.
18 bb) Ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB steht
der Beklagten jedenfalls aus einem anderen Grund nicht zu. Eine
Rechtsausübung ist nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich, wenn ihr kein
schutzwürdiges Interesse des Ausübenden zugrunde liegt (vgl.
Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 242 Rn. 50 f.). So liegt der
Fall hier bezüglich der Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts nach
§ 410 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach Lage des Falles ist eine anderweitige
Inanspruchnahme der Beklagten wegen der geltend gemachten Forderung
ausgeschlossen. Ein schützenswertes Interesse an der Vorlage des
Originals des Schreibens vom 8. Juni 2005 ist deshalb nicht erkennbar. Die
A. Ltd. hat die Mängelansprüche an die Klägerin abgetreten. Zu Unrecht meint
die Beklagte, das Schreiben vom 8. Juni 2005 sei nicht geeignet, diese
Abtretung zu belegen. Der sich aus diesem Schreiben ergebende Sachverhalt
ist von ihr nicht bestritten worden, insbesondere hat die Beklagte nicht
behauptet, das Schreiben sei nicht von der A. Ltd. verfasst worden. Aus ihm
ergibt sich die Abtretung. Der vom Berufungsgericht ausgeurteilte Betrag
betrifft die Erstattung von Kosten einer von der Klägerin vorgenommenen
Mängelbeseitigung (14.653,47 €) und Schadensersatz (4.950 €). Nach Lage des
Falles ist es ausgeschlossen, dass die Kosten der von der Klägerin
vorgenommenen Mängelbeseitigung seitens der bisherigen Gläubigerin, der A.
Ltd., erstattet verlangt werden. Denn diese Kosten sind originär bei der
Klägerin entstanden. Auch bezüglich des als Schadensersatz ausgeurteilten
Betrags ist es im Hinblick auf den engen sachlichen Zusammenhang zwischen
Kostenerstattung und Schadensersatz nach Lage des Falles ausgeschlossen,
dass die Beklagte anderweitig in Anspruch genommen wird.
III.
19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.
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