Einrede des
nichterfüllten Vertrags wg. Sachmängeln (§ 320 BGB) durch den
Vertragspartner/Zedenten auch bei Abtretung von Gewährleistungsansprüchen
BGH, Urteil vom 26. Juli
2007 - VII ZR 262/05
Fundstelle:
NJW-RR 2007, 1612
Amtl. Leitsatz:
1. Ein neues
Verteidigungsmittel kann nicht zurückgewiesen werden, wenn es durch einen
gerichtlichen Hinweis veranlasst wurde.
2. Der Auftraggeber kann dem Werklohnanspruch des Auftragnehmers die Einrede
des nicht erfüllten Vertrags wegen Mängeln der Werkleistung auch dann
entgegenhalten, wenn er die Gewährleistungsansprüche an einen Dritten
abgetreten hat (Bestätigung von BGH, Urteil vom 22. Februar 1971 - VII ZR
243/69, BGHZ 55, 354).
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung betrifft das Werkvertragsrecht, ist aber
für das Kaufrecht wegen dessen identischer Struktur von gleicher Bedeutung.
Die zentrale Aussage ist, daß der Auftraggeber dem Werklohnanspruch des
Auftragnehmers wegen Mängeln der Werkleistung die Einrede des nicht
erfüllten Vertrags gemäß § 320 BGB auch dann entgegenhalten kann, wenn er
die Gewährleistungsansprüche an einen Dritten abgetreten hat. Die
Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft müssen nur vorliegen,
wenn der Auftraggeber, der seine Gewährleistungsansprüche abgetreten hat, im
Wege der Klage oder Widerklage die Beseitigung der Mängel verlangt. Einer
besonderen Ermächtigung zur Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts
bedarf es nicht. Das zentrale Argument hierfür in BGHZ 55, 354 war, daß der
Nachbesserungsanspruch kein Gewährleistungs-, sondern ein echter
Erfüllungsanspruch ist (dann ist allerdings nicht einsichtig, warum die
aktive Geltendmachung im Falle der Zession einer Ermächtigung bedarf).
Letztlich benutz der BGH ein Billigkeitsargument: Jede andere Auffassung
würde zu dem ungereimten Ergebnis führen, daß der Bauunternehmer, dessen
Leistung mangelhaft ist, von dem Bauherrn die volle Bezahlung seines
Werklohnes verlangen könnte, ohne daß dieser nur Zug um Zug gegen
Beseitigung der Mängel zu zahlen hätte, nur weil er die
Gewährleistungsansprüche abgetreten hat.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung restlichen Werklohns. Die
Beklagte rechnet, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, mit einem
Anspruch auf Ersatz eines an einen Nachbarn für die Nutzung eines
Grundstücksstreifens gezahlten Entgelts auf und macht wegen bestehender
Baumängel ein Zurückbehaltungsrecht geltend.
2 Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit Generalunternehmervertrag vom
30. September 1997 mit der schlüsselfertigen Errichtung zweier Stadtvillen
zum Pauschalpreis von 6.475.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer auf einem
Grundstück, das mit dem Erbbaurecht einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts
(im Folgenden: GbR) belastet ist. Die Parteien vereinbarten die Geltung der
VOB/B und eine Bauzeit von zwölf Monaten. Mitte November 1997 legten sie die
Fertigstellung bis Ende November 1998 fest. In der Folgezeit nahm die
Beklagte verschiedene Änderungen des Bauentwurfs vor. Die Klägerin stellte
eine Vielzahl von Nachträgen. Im Revisionsverfahren ist nur noch über den
Nachtrag 4 zu entscheiden. Die Klägerin beansprucht insoweit eine Vergütung
von 8.172,20 DM (4.178,38 €) für eine nach Errichtung der Terrasse
vorzunehmende Änderung der Terrassenaufkantung.
3 Das Bauvorhaben wurde am 25. Januar 2000 ohne Außenanlagen abgenommen.
Dabei wurden die in den Mängellisten vom 29. Dezember 1999 aufgeführten
Mängel gerügt. Am 3. März 2000 trat die Beklagte ihre
Gewährleistungsansprüche an die aus dem Erbbaurecht berechtigte GbR ab.
4 Die Klägerin stellte am 26. Januar 2000 eine Schlussrechnung, aus der sie
erstinstanzlich eine Restwerklohnforderung von 3.020.968,57 DM geltend
gemacht hat. Die Beklagte hat mit einem Anspruch auf Ersatz eines Entgelts
aufgerechnet, das für die Nutzung eines für die Bauausführung erforderlichen
Streifens des Nachbargrundstücks ab Mitte Februar 1998 angefallen sein soll.
Darüber hinaus hat sie wegen der in den Mängellisten vom 29. Dezember 1999
aufgelisteten Mängel ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht.
5 Das Landgericht hat die Beklagte mit Endurteil vom 14. März 2001 unter
Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 2.206.436,38 DM nebst Zinsen
verurteilt. Es hat der Klägerin die mit Nachtrag 4 geltend gemachte
Forderung zuerkannt, weil die zunächst vorgenommene Ausführung der Terrasse
dem Schalungsplan entsprochen habe und sie nicht verpflichtet gewesen sei,
diesen auf Übereinstimmung mit den abweichenden Ausführungsplänen zu
überprüfen. Die Gegenforderung der Beklagten auf Ersatz des Nutzungsentgelts
hat das Landgericht in Höhe von 7.600 DM zuerkannt. Ein
Zurückbehal-tungsrecht wegen bei der Abnahme festgestellter und später noch
aufgetretener Mängel hat es der Beklagten im Hinblick auf die Abtretung der
Gewährleistungsansprüche versagt.
6 Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Beklagte
hat im Berufungsverfahren den begehrten Ersatzbetrag des Nutzungsentgelts
auf 22.600 DM (11.555,20 €) erhöht.
7 Das Berufungsgericht hat die Parteien mit Verfügung vom 14. April 2005
unter Einräumung einer bis 15. Juli 2005 verlängerten Stellungnahmefrist
darauf hingewiesen, dass es für den Nachtrag 4 nicht auf die Prüfungspflicht
der Klägerin ankomme, da die geänderten Ausführungspläne erst am 2. Juni
1998 übergeben worden seien. Zu diesem Zeitpunkt sei die Terrasse offenbar
schon fertig gestellt gewesen, so dass ein Rückbau erforderlich geworden
sei; Rückbau und Höhe der Forderung seien nicht bestritten.
8 Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 15. Juli 2005 geltend gemacht, der
Nachtrag 4 sei, wenn man die Berechtigung dem Grunde nach unterstelle, nur
mit einem Betrag von netto 1.375 DM berechtigt. Sie hat unter Zeugenbeweis
gestellt, dass die Terrasse am 2. Juni 1998 nicht fertig gestellt gewesen
sei. Die Aufkantung sei nur eingeschalt, nicht bewehrt und nicht betoniert
gewesen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 1. September 2005 unter
Beweisantritt behauptet, dass die Terrasse am 2. Juni 1998 fertig gestellt
gewesen sei, die Mehrkosten ordnungsgemäß berechnet worden und Minderkosten
nicht angefallen seien.
9 Das Berufungsgericht hat die Beklagte ohne Beweisaufnahme aufgrund der
mündlichen Verhandlung vom 9. September 2005 verurteilt, an die Klägerin
695.882,74 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Berufung der Klägerin und die
weitergehende Berufung der Beklagten hat es abgewiesen. Mit der vom Senat
insoweit zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte eine Abweisung der
Klage bezüglich des Nachtrags 4, die Zuerkennung der Nutzungsentschädigung
von 22.600 DM (11.555,20 €) sowie die Berücksichtigung eines auf Mängel
gestützten Zurückbehaltungsrechts im Umfang von 264.600 DM (135.287,83 €).
Entscheidungsgründe:
10 Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt im Umfang der geltend
gemachten Beschwer zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
11 Auf das Schuldverhältnis der Parteien sind die bis 31. Dezember 2001
geltenden Gesetze anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
12 1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Klägerin stehe die mit
Nachtrag 4 geltend gemachte Forderung von netto 7.045 DM zu, weil die
Terrasse bei Übergabe der geänderten Ausführungspläne am 2. Juni 1998
bereits fertig gestellt gewesen und deshalb ein Rückbau erforderlich
geworden sei. Dieser Sachverhalt sei nach dem Hinweis vom 14. April 2005
unstreitig. Die Behauptung der Beklagten im Schriftsatz vom 15. Juli 2005,
die Terrasse sei noch nicht fertig gestellt gewesen und die beanspruchten
Mehrkosten seien nur zum Teil angefallen, sei nach § 528 ZPO a.F. als
verspätet zurückzuweisen. Bis zu diesem Zeitpunkt seien der Rückbau der
Terrasse und die Höhe der Forderung nicht bestritten gewesen. Mit
Schriftsatz vom 1. September 2005 sei die Klägerin der Behauptung der
Beklagten entgegengetreten. Die von der Beklagten beantragte Beweisaufnahme
hätte zur Vertagung und damit zu einer Verzögerung geführt.
13 2. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Beklagten unter Verstoß
gegen § 528 ZPO a.F. als verspätet zurückgewiesen.
14 a) Auf die Berufung der Beklagten finden gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO die am
31. Dezember 2001 geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung Anwendung,
weil die mündliche Verhandlung, auf die das angefochtene landgerichtliche
Urteil ergangen ist, vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden ist.
15 b) Die Beklagte hat erstmals im Schriftsatz vom 15. Juli 2005 unter
Beweisantritt die Behauptung aufgestellt, der Rückbau sei nicht in dem von
der Klägerin behaupteten Umfang erforderlich gewesen. Es handelt sich damit
um ein neues Verteidigungsmittel i.S.d. § 528 ZPO. Das Berufungsgericht
begründet nicht, ob die Zurückweisung auf § 528 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO
beruht. Unabhängig davon durfte das Berufungsgericht das Vorbringen nicht
als verspätet behandeln; denn die Zurückweisung eines neuen
Verteidigungsmittels kommt nicht in Betracht, wenn es durch einen
gerichtlichen Hinweis veranlasst wurde. Dies ist hier der Fall. Das
Berufungsgericht hat unter dem 14. April 2005 darauf hingewiesen, dass nicht
der Streit der Parteien über die Prüfungspflicht der Klägerin entscheidend
sei, sondern der Umstand, dass die Terrasse im Zeitpunkt der Übergabe der
geänderten Ausführungspläne offenbar schon fertig gestellt gewesen sei, aus
diesem Grund ein Rückbau erforderlich geworden sei, und es davon ausgehe,
dass Rückbau und Kosten unstreitig seien. Das durch diesen Hinweis
veranlasste und innerhalb der Stellungnahmefrist erfolgte Vorbringen der
Beklagten durfte das Berufungsgericht daher nicht als verspätet
zurückweisen.
16 3. Eine abschließende Entscheidung des Senats über den Nachtrag 4 kommt
auch nicht teilweise in Betracht. Die Beklagte hat der Klägerin eine
Forderung in Höhe von netto 1.375 DM nur für den Fall zugestanden, dass der
Vergütungsanspruch dem Grunde nach besteht. Davon kann nicht ausgegangen
werden, da das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat,
dass der Klägerin nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien, nach §
2 Nr. 5 VOB/B oder auf einer sonstigen rechtlichen Grundlage ein
Zahlungsanspruch zusteht.
II.
17 Das Berufungsurteil enthält weder zu dem von dem Landgericht
zugesprochenen Anspruch auf Ersatz eines Nutzungsentgelts von 7.600 DM noch
zu dem in der Berufungsinstanz erweiterten Anspruch auf Ersatz eines
Nutzungsentgelts von 22.600 DM (11.555,20 €) Ausführungen.
18 Die fehlende Entscheidung wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.
III.
19 1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beklagten stehe wegen
Mängeln der Werkleistung der Klägerin ein Zurückbehaltungsrecht nicht zu.
Nach Abtretung ihrer Mängelbeseitigungsansprüche könne sie
Gewährleistungsansprüche mangels Rechtsinhaberschaft nur noch in
gewillkürter Prozessstandschaft geltend machen. Die dafür erforderlichen
Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor.
20 2. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand. Für einen vergleichbaren Fall hat der Senat entschieden, dass der
Auftraggeber dem Werklohnanspruch des Auftragnehmers wegen Mängeln der
Werkleistung die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gemäß § 320 BGB auch
dann entgegenhalten kann, wenn er die Gewährleistungsansprüche an einen
Dritten abgetreten hat (BGH, Urteil vom 22. Februar 1971 - VII ZR
243/69, BGHZ 55, 354, 358). Die Voraussetzungen einer gewillkürten
Prozessstandschaft müssen nur vorliegen, wenn der Auftraggeber, der seine
Gewährleistungsansprüche abgetreten hat, im Wege der Klage oder Widerklage
die Beseitigung der Mängel verlangt. Einer besonderen Ermächtigung zur
Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts bedarf es nicht.
21 Das Berufungsgericht wird daher zu prüfen haben, ob der Werkleistung der
Klägerin Mängel anhaften, aus denen die Einrede des nicht erfüllten Vertrags
abgeleitet werden kann.
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