Abgrenzung
vom Eigenschaden des Getöteten und Unterhaltsschaden für Hinterbliebene nach
§ 844 BGB
BGH, Urteil
vom 22. Juni 2004 - VI ZR 112/03
Fundstelle:
NJW 2004, 2894
s. auch BGH NJW 2001, 971, 973
Amtl. Leitsatz:
Zu den Voraussetzungen eines
Schadensersatzanspruchs wegen entgangener Eigenleistungen (Bauarbeiten)
eines bei einem Unfall getöteten Angehörigen.
Tatbestand:
Der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Klägerinnen zu 2 und 3
erlitt am 4. November 1996 bei einem von dem Erstbeklagten verschuldeten
Verkehrsunfall schwere Verletzungen, an deren Folgen er am 12. November 1996
verstarb. Die volle Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer
Streit.
Die Klägerinnen haben Schadensersatz und Schmerzensgeld begehrt. Davon sind
in der Revisionsinstanz noch Schadensersatzansprüche wegen Eigenleistungen
im Streit, die der Verstorbene nicht mehr erbringen konnte. Die Klägerinnen
sind Erbinnen des Verstorbenen. Sie haben behauptet, es sei beabsichtigt
gewesen, das im Eigentum der Klägerin zu 1 stehende Familienanwesen
umfangreich zu renovieren und zu erweitern. Dabei wären durch
Eigenleistungen des Verstorbenen Lohnkosten in Höhe von 100.602,51 DM
eingespart worden. Diesen Betrag verlangen sie von den Beklagten ersetzt.
Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Die Berufung der
Klägerinnen hatte in diesem Punkt keinen Erfolg. Mit der vom
Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen ihr
Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch aus gemäß §
1922 BGB auf die Klägerinnen übergegangenem Recht sei nicht gegeben. Ein
vererblicher Schadensersatzanspruch des Verstorbenen sei bereits deswegen zu
verneinen, weil das auszubauende Anwesen im Eigentum der Klägerin zu 1
gestanden habe und eine etwaige Vermögensmehrung daher nicht dem
Verstorbenen, sondern ihr zugute gekommen wäre. Auch ein in das Vermögen des
Verstorbenen fallender Ausgleichsanspruch bestehe nicht, da ein solcher
nicht vereinbart gewesen sei. Ein allenfalls in Betracht kommender Anspruch
auf Zugewinnausgleich habe zum Zeitpunkt des Versterbens noch nicht
bestanden und sei deshalb nicht vererblich gewesen. Die Grundsätze der
Drittschadensliquidation trügen den Anspruch ebenfalls nicht, denn hier sei
keine der in Rechtsprechung und Literatur dafür anerkannten Fallgruppen
gegeben. Auch auf § 844 Abs. 2 BGB könne der Anspruch der Klägerinnen nicht
gestützt werden. Dabei könne dahinstehen, ob sie insoweit überhaupt
gemeinschaftlich aktivlegitimiert seien. Es bedürfe auch keiner
Entscheidung, ob diese Vorschrift, die als Rechtsfolge die Zahlung einer
Geldrente vorsehe, als Grundlage des geltend gemachten Ersatzanspruchs
herangezogen werden könne. Dem Begehren der Klägerinnen stehe jedenfalls
entgegen, daß ihnen hinsichtlich der nicht erbrachten Eigenleistungen ein
Unterhaltsanspruch nicht entgangen sei, denn Renovierung und Ausbau des
Eigenheims seien nicht Teil des von dem Verstorbenen rechtlich geschuldeten
Unterhalts gewesen.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Für die Revisionsinstanz ist mangels gegenteiliger Feststellungen des
Berufungsgerichts zugunsten der Klägerinnen zu unterstellen, daß das im
Eigentum der Klägerin zu 1 stehende Familienanwesen ohne den Unfall
renoviert und ausgebaut worden wäre und der Verstorbene dabei
Eigenleistungen erbracht hätte.
2. Entgegen der Auffassung der Revision haben die Klägerinnen als Erbinnen
des Verstorbenen keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten gemäß §§
823 BGB, 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 3 Nr. 1 und 2 PflVG i.V.m. § 1922 BGB.
Ein solcher Ersatzanspruch bestünde nur, wenn der behauptete Schaden in der
Person des Verstorbenen vor dessen Tod entstanden wäre. Nur ein solcher
Anspruch fällt in das Vermögen des Erblassers und kann mit dessen
Tod gemäß § 1922 BGB auf die Erben übergehen (vgl. Senatsurteile vom 21.
September 1965 - VI ZR 78/64 - VersR 1965, 1077, 1078 und vom
21. November 2000 - VI ZR 231/99 - NJW 2001, 971,
973). Dem Erblasser selbst ist im Streitfall der behauptete
Vermögensschaden jedoch nicht entstanden.
a) Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß die von dem Erblasser ohne
den Unfall erbrachten Eigenleistungen ausschließlich zu einer
Vermögensmehrung der Klägerin zu 1 geführt hätten. Von der Revision wird
auch nicht in Abrede gestellt, daß das zu renovierende und auszubauende
Familienanwesen damals schon im Alleineigentum der Klägerin zu 1 stand.
b) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dem Erblasser sei gleichwohl ein
Schaden entstanden, und zwar deshalb, weil er aufgrund seiner
Unfallverletzungen die Umbauarbeiten selbst nicht mehr habe erbringen
können, sondern in Auftrag gegeben und voraussichtlich die hierfür
erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt hätte. Da jedoch der
geschädigte Erblasser bereits wenige Tage nach dem Unfall seinen
Verletzungen erlag und somit weder die Umbauarbeiten durchführen noch in
Auftrag geben konnte, unterscheidet sich der Streitfall in wesentlicher
Hinsicht von dem Sachverhalt, der dem von der Revision angeführten Urteil
des Oberlandesgerichts Zweibrücken zugrunde lag (OLG Zweibrücken, NZV 1995,
315, 316 mit NA-Beschluß des Senats vom 31. Januar 1995 - VI ZR 85/94). In
jenem Fall mußte ein Geschädigter, der einen Verkehrsunfall schwer verletzt
überlebt hatte, Lohnkosten für die Beschäftigung anderer Arbeitskräfte
aufwenden, weil ihm Eigenleistungen bei einem Hausbau nicht mehr möglich
waren. Bei dieser Sachlage ist dem dortigen Geschädigten mit Recht ein
Ersatzanspruch zugebilligt worden (vgl. auch Senatsurteile vom 6. Juni 1989
-VI ZR 66/88 - VersR 1989, 857 m.w.N. und vom 24. Oktober 1989 - VI ZR
263/88 - NJW 1990, 1037). Anders liegen die Dinge jedoch im Streitfall.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß ein Anspruch des Geschädigten auf
Ersatz der durch die Einstellung von Ersatzkräften entstehenden Lohnkosten
nicht bereits mit der Notwendigkeit von deren Einstellung, sondern erst mit
tatsächlich erfolgter Einstellung dieser Ersatzkräfte entstanden wäre (vgl.
Senatsurteil vom 25. Januar 1972 -VI ZR 75/71 - VersR 1972, 460, 463). Mit
dem Tod des Geschädigten war die Schadensentwicklung, soweit sie das
Vermögen des Geschädigten betraf, und damit die Entstehung der Ansprüche,
die auf die Klägerinnen als seine Erbinnen gemäß § 1922 BGB übergehen
konnten, abgeschlossen (vgl. Senatsurteile vom 23. September 1966 - VI ZR
9/65 - VersR 1966, 1141, 1142 und vom 25. Januar 1972 - VI ZR 75/71 - aaO;
vgl. auch Senatsurteile vom 20. Februar 1962 - VI ZR 65/61 - VersR 1962, 337
f.; vom 21. September 1965 - VI ZR 78/64 - VersR 1965, 1077, 1078 und vom
21. November 2000, aaO). Diese schadensrechtliche Konsequenz gilt jedenfalls
dann, wenn, wie im Streitfall, ein höchstpersönliches Rechtsgut des
Geschädigten, nämlich sein Körper bzw. seine Gesundheit, verletzt wurde, das
von der Erbfolge ausgeschlossen ist (vgl. Stoll, Der Tod als Schadensfall,
in: Festschrift für Zepos, 1973, S. 681, 689 ff.; zustimmend MünchKomm-BGB/Leipold,
3. Aufl., § 1922 Rn. 22; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., vor § 249 Rn. 258;
Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rn. 187; Staudinger/Schiemann,
BGB, 13. Bearb. [1998], Vorbem. zu § 249 Rn. 53). Der Tod des Berechtigten
verhindert hier die Weiterentwicklung des Schadens. Das folgt notwendig aus
der Unvererblichkeit des verletzten Rechtsguts, die zugleich bedeutet, daß
die Position des Verletzten insoweit nicht auf den Gesamtrechtsnachfolger
übergehen kann. Vererblich ist nur die in der Person des Erblassers
entstandene Ersatzforderung, so wie sie im Zeitpunkt des Erbfalles besteht.
Der Erbe kann mittels dieser Forderung nur dasjenige verlangen, was auch
der Erblasser im Zeitpunkt des Todes hätte fordern können. Daran ändert sich
auch dann nichts, wenn der Verletzte schon zu Lebzeiten das Recht erworben
hat, Ersatz für künftig drohende Schäden zu fordern, etwa für den
Verdienstausfall, den er während der mutmaßlichen Dauer seiner
Erwerbsunfähigkeit erleiden wird. Der Tod des Verletzten schließt künftigen
Schaden aus und ermöglicht eine definitive Berechnung, welcher Schaden ihm
tatsächlich erwachsen ist. Somit wird eine ursprünglich entstandene
Ersatzforderung mit dem Tode des Gläubigers hinfällig, soweit sie den
definitiven Schaden übersteigt und sich auf einen längeren Zeitabschnitt
bezieht, als ihn der Verletzte tatsächlich erlebt hat (Stoll aaO, S. 689).
Das bedeutet für den Streitfall, daß die Klägerinnen Ersatz der anstelle von
Eigenleistungen des Geschädigten aufzuwendenden Lohnkosten nicht als
Erbinnen aus übergegangenem Recht gemäß § 1922 BGB verlangen können. Bei den
von ihnen geltend gemachten Aufwendungen handelt es sich vielmehr um
mittelbare Schäden oder Drittschäden Diese sind im Falle der Tötung eines
Menschen jedoch nicht gemäß §§ 823 BGB, 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, sondern
nur nach Maßgabe der §§ 844 BGB, 10 Abs. 2 StVG ersatzfähig (vgl.
Senatsurteil vom 21. November 2000, aaO).
c) Zutreffend und von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsgericht
auch etwaige Ausgleichsansprüche des Erblassers sowie ihm
zustehende Schadensersatzansprüche aus Drittschadensliquidation verneint. Die
Voraussetzungen dafür liegen im Streitfall ersichtlich nicht vor.
3. Ein Ersatzanspruch der Klägerinnen ergibt sich auch nicht aus §§ 844 Abs.
2 BGB, 10 Abs. 2 StVG. Nach diesen Vorschriften haben bei der Tötung eines
gesetzlich zum Unterhalt Verpflichteten die unterhaltsberechtigten Personen
Anspruch auf Ersatz des mittelbaren Schadens, der ihnen durch Entzug des
Unterhaltsrechts entsteht (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei
Personenschaden,8. Aufl., Rn. 319). Der Ersatz ist grundsätzlich durch
Entrichtung einer Geldrente zu leisten.
a) Zutreffend gehen Berufungsgericht und Revision davon aus, daß maßgeblich
für den Umfang des geschuldeten Unterhalts der Ehegatten untereinander und
im Verhältnis zu den Kindern der fiktive gesetzliche Unterhalt nach §§ 1360a
Abs. 1, 1602 Abs. 2, 1610 BGB ist, der sich nach der persönlichen und
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Getöteten richtet (st. Rspr., vgl.
Senatsurteile vom 23. September 1986 - VI ZR 46/85 - VersR 1987, 156, 157;
vom 5. Juli 1988 - VI ZR 299/87 - VersR 1988, 1166, 1168; vom 5. Dezember
1989 - VI ZR 276/88 - VersR 1990, 317 f.; vom 6. Oktober 1992 - VI ZR 305/91
- VersR 1993, 56, 57 und vom 4. November 2003 - VI ZR 346/02 - VersR 2004,
75, 76, jeweils m.w.N.; BGH, Urteil vom 12. Juli 1979 - III ZR 50/78 - VersR
1979, 1029).
b) Bei der Bemessung der gemäß §§ 844 Abs. 2 BGB, 10 Abs. 2 StVG zu
leistenden Geldrente ist der gesamte Lebensbedarf der Familie zu
berücksichtigen, d.h. alles, was zur Haushaltsführung und Deckung der
persönlichen
Bedürfnisse der Ehegatten und der gemeinsamen Kinder erforderlich ist. Die
Berechnung des Schadensersatzanspruchs erfordert somit eine
Gesamtbetrachtung sämtlicher zu berücksichtigender Posten. Dabei sind nach
ständiger Rechtsprechung des Senats der Vermögensbildung dienende Ausgaben
wie Eigenleistungen zum Erwerb eines Eigenheims nicht in die
Gesamtberechnung einzustellen (vgl. Senatsurteile vom 23. September 1966 -
VI ZR 9/65 - aaO und vom 3. Juli 1984 - VI ZR 42/83 - VersR 1984, 961).
Dagegen können Instandsetzungs- und Erhaltungskosten, die ebenso wie
Nebenkosten oder Zinsen für ein zum Erwerb des Eigenheims aufgenommenes
Darlehen der Finanzierung des Wohnbedarfs dienen, bis zur Höhe der fiktiven
Miete für eine angemessene Wohnung ebenso wie Rücklagen für die Anschaffung
und Reparatur von Wohnungseinrichtung und Hausrat in der Gesamtrechnung
Berücksichtigung finden (vgl. Senatsurteile BGHZ 137, 237, 241; vom 16.
Dezember 1986 - VI ZR 192/85 - VersR 1987, 507 f.; vom 31. Mai 1988 - VI ZR
116/87 - VersR 1988, 954 ff.; vom 5. Dezember 1989 - VI ZR 276/88 - VersR
1990, 317 f. und vom 4. November 2003 - VI ZR 346/02 - aaO).
c) Zu einem Schadensersatzanspruch der Klägerinnen wegen Entzugs ihrer
gesetzlichen Unterhaltsrechte könnten die von dem Verstorbenen
beabsichtigten Eigenleistungen demnach allenfalls in dem Umfang führen, in
dem sie für die Instandsetzung oder Erhaltung des von der Familie bewohnten
Hauses notwendig gewesen wären. Soweit eine Erweiterung des Hauses geplant
war, hätten die Eigenleistungen hingegen der Vermögensbildung gedient.
Insoweit müßten sie unterhaltsrechtlich außer Betracht bleiben. Letztlich
kann die Frage, in welchem Umfang die in Aussicht genommenen Arbeiten zur
Instandsetzung oder Unterhaltung des Hauses erforderlich gewesen wären,
jedoch offenbleiben. Das Begehren der Klägerinnen ist nämlich nicht auf
Zahlung einer Unterhaltsrente gemäß §§ 844 Abs. 2 BGB, 10 Abs. 2 StVG
gerichtet. Sie machen vielmehr isoliert die fiktiven Lohnkosten als
eigenständige Schadensposition geltend, ohne diese in die Berechnung
etwaiger Unterhaltsansprüche gegenüber dem Verstorbenen einzustellen. Damit
haben sie die tatsächlichen Voraussetzungenfür einen Ersatzanspruch gemäß §§
844 Abs. 2 BGB, 10 Abs. 2 StVG aber nicht ausreichend dargetan. Auf die
Frage, ob die Eigenleistungen, wovon die Revision offenbar ausgeht, den drei
Klägerinnen gemeinschaftlich zugute gekommen wären, oder ob wegen der
Verschiedenheit der Voraussetzungen für Höhe und Dauer etwaiger
Rentenansprüche insoweit nur eine anteilige Geltendmachung in Betracht käme
(vgl. BGHZ 11, 181, 183 f.), kommt es demgemäß nicht mehr an.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
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