Ersatz des Erwerbsausfallschadens (§ 842 BGB) bei
Verletzung eines Beziehers von ALG II
BGH, Urteil vom 25. Juni 2013 - VI ZR
128/12 - OLG Jena
Fundstelle:
noch nicht bekannt
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
Ein Erwerbsschaden im Sinne
des § 842 BGB entsteht auch demjenigen, der infolge des verletzungsbedingten
Wegfalls seiner Erwerbsfähigkeit seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus
§ 19 SGB II verliert.
Tatbestand:
1 Die Klägerin, eine Trägerin der
gesetzlichen Rentenversicherung, nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer
aus übergegangenem Recht ihrer Versicherten S. auf Ersatz von
Rentenleistungen und Beiträgen zur Rentenversicherung in Anspruch.
2 Die im Januar 1960 geborene S. wurde am 20. Mai 2007 bei einem
Verkehrsunfall schwer verletzt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten
steht außer Streit. S. war im Unfallzeitpunkt arbeitslos und bezog
Arbeitslosengeld II. Wegen ihrer schweren Verletzungen bezieht sie seit 1.
Mai 2008 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
3 Die Klägerin begehrt anteiligen Ersatz der von ihr in der Zeit vom 1. Mai
2008 bis 30. November 2010 erbrachten Rentenzahlungen in Höhe des von S.
ohne die unfallbedingt eingetretene Erwerbsunfähigkeit bezogenen
Arbeitslosengeldes II. Darüber hinaus verlangt sie Ersatz von Beiträgen zur
Rentenversicherung für die Zeit vom 1. Juli 2008 bis 30. November 2010 sowie
die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr weitere unfallbedingt
an S. erbrachte Rentenleistungen sowie weitere Beitragsausfälle zu ersetzen.
4 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung
der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom
Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche
weiter.
Entscheidungsgründe:
A.
5 Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2012, 361 veröffentlicht ist,
hat angenommen, dass die Klägerin gegen den Haftpflichtversicherer des
Unfallverursachers keinen Anspruch auf Regress habe. Bei den Rentenzahlungen
und dem Beitragsregress handele es sich nicht um sachlich kongruente
Leistungen zu den wegen des unfallbedingt weggefallenen Arbeitslosengelds II
erlittenen Nachteilen. Der Wegfall des Arbeitslosengelds II sei nicht als
ersatz- und übergangsfähiger Erwerbsschaden im Sinne des § 842 BGB zu
bewerten. Erwerbsschäden könnten nur bei dem Verlust solcher staatlicher
Leistungen entstehen, denen eine Lohnersatzfunktion zukomme. Das
Arbeitslosengeld II folge jedoch dem im Sozialrecht herrschenden
Bedürftigkeitsprinzip. Ihm müsse eine Lohnersatzfunktion abgesprochen
werden. Die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II stellten sich als
Spezialfall der Sozialhilfe für erwerbsfähige Hilfebedürftige dar. Sie
würden nicht dadurch zu Lohnersatzleistungen, dass sie nach § 7 Abs. 1 Satz
1 Nr. 2 SGB II Erwerbsfähigkeit voraussetzten. Das Merkmal der
Erwerbsfähigkeit diene vielmehr dazu, den Vorrang der Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit vor den Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts zu rechtfertigen.
B.
6 Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand.
I.
7 Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Berufung der
Klägerin auch insoweit zulässig, als sie sich gegen die Abweisung der
Ansprüche auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung richtet. Die
Berufungsbegründung genügt in vollem Umfang den Anforderungen des § 520 Abs.
3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Denn sie lässt erkennen, aus welchen Gründen die
Klägerin das angefochtene Urteil für unrichtig hält (vgl. BGH, Beschluss vom
26. Juli 2004 - VIII ZB 29/04, NJW-RR 2004, 1716; Musielak/Ball, ZPO, 10.
Aufl., § 520 Rn. 31). Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des
Beitragsausfalls mit der Begründung abgewiesen, dass es an einem
übergangsfähigen Ersatzanspruch der Klägerin fehle, da ihr kein
Erwerbsschaden entstanden sei. Diese Beurteilung hat die Klägerin in der
Berufungsbegründung angegriffen und sich mit ihr inhaltlich
auseinandergesetzt.
II.
8 Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch der Klägerin
auf Ersatz der an S. erbrachten Rentenleistungen und von entgangenen
Beiträgen zur Rentenversicherung aus § 823 Abs. 1, § 842 BGB, § 7 Abs. 1, §§
11, 18 Abs. 1 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG aF, § 116 Abs. 1 Satz 1, § 119 Abs. 1
Satz 1 SGB X nicht verneint werden.
9 1. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des
Berufungsgerichts, S. sei infolge des Unfalls kein Erwerbsschaden im Sinne
der § 842 BGB, § 11 Satz 1 StVG entstanden.
10 a) Da S. im Zeitpunkt des Unfalls arbeitslos war und auf der Grundlage
der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht davon ausgegangen werden
kann, dass sie in der Folgezeit in eine Arbeitsstelle hätte vermittelt
werden können, hat sie allerdings keinen konkreten Verdienstausfallschaden
erlitten. Ein solcher ist zwischen den Parteien auch nicht im Streit.
11 b) Wie die Revision mit Erfolg geltend macht, liegt ein ersatzfähiger
Erwerbsschaden jedoch darin, dass S. infolge des Unfalls erwerbsunfähig
geworden ist und dadurch ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus § 19 SGB
II verloren hat.
12 aa) Gemäß § 842 BGB, § 11 Satz 1 StVG erstreckt sich bei einer
Körperverletzung die Verpflichtung zum Schadensersatz auf die (Vermögens-)
Nachteile, die der Verletzte durch die Aufhebung oder Minderung seiner
Erwerbsfähigkeit erleidet. Dabei kommt der Arbeitskraft als solcher
allerdings kein Vermögenswert zu; ihr Wegfall allein stellt deshalb auch bei
"normativer" Betrachtung keinen Schaden im haftungsrechtlichen Sinne dar
(vgl. Senatsurteile vom 5. Mai 1970 - VI ZR 212/68, BGHZ 54, 45, 50 ff.; vom
20. März 1984 - VI ZR 14/82, BGHZ 90, 334, 336; vom 28. November 2000 - VI
ZR 386/99, VersR 2001, 730, 731 mwN; vom 8. April 2008 - VI ZR 49/07, BGHZ
176, 109 Rn. 9 mwN; siehe auch BGH, Urteile vom 24. November 1995 - V ZR
88/95, BGHZ 131, 220, 225 f.; vom 8. November 2001 - IX ZR 64/01, NJW 2002,
292, 293). Aus diesem Grunde entsteht demjenigen, der nur von seinem
Vermögen oder seiner Rente lebt, arbeitsunwillig oder arbeitslos ist, ohne
Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beanspruchen zu können, allein durch
den Verlust seiner Arbeitsfähigkeit noch kein ersatzpflichtiger Schaden
(vgl. Senatsurteile vom 5. Mai 1970 - VI ZR 212/68, BGHZ 54, 45, 52; vom 20.
März 1984 - VI ZR 14/82, BGHZ 90, 334, 336; vom 8. April 2008 - VI ZR 49/07,
BGHZ 176, 109 Rn. 9 mwN).
13 Die Ersatzpflicht greift jedoch ein, wenn durch die Beeinträchtigung der
Arbeitskraft des Verletzten in dessen Vermögen ein konkreter Schaden
entstanden ist. Ein solcher liegt nicht nur in dem Verlust von
Arbeitseinkommen; der Erwerbsschaden umfasst vielmehr alle wirtschaftlichen
Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine
Arbeitskraft verletzungsbedingt nicht verwerten kann, die also der Mangel
der vollen Einsatzfähigkeit seiner Person mit sich bringt (vgl.
Senatsurteile vom 20. März 1984 - VI ZR 14/82, BGHZ 90, 334, 336 f.; vom 8.
April 2008 - VI ZR 49/07, BGHZ 176, 109
Rn. 9; siehe auch Senatsbeschluss vom 20. Oktober 2009 - VI ZB 53/08, VersR
2010, 133 Rn. 7).
14 bb) Ein derartiger Vermögensschaden entsteht auch demjenigen, der den
Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II aus § 19 SGB II verliert,
weil er verletzungsbedingt erwerbsunfähig geworden ist.
15 (1) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats begründete der
unfallbedingte Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld oder
Arbeitslosenhilfe aus § 117 Abs. 1 bzw. §§ 190 ff. SGB III in der bis 31.
Dezember 2004 geltenden Fassung einen Erwerbsschaden des Verletzten
(vgl. Senatsurteile vom 20. März 1984 - VI ZR 14/82, BGHZ 90, 334, 337 ff.;
vom 18. Februar 1986 - VI ZR 55/85, VersR 1986, 485, 486; vom 8. April 2008
- VI ZR 49/07, BGHZ 176, 109 Rn. 9). Maßgeblich hierfür war, dass
das Gesetz den Arbeitslosen wegen seiner Arbeitsfähigkeit und Bereitschaft
zur Arbeitsleistung weiterhin als in den Arbeitsmarkt eingegliedert ansah
und der Arbeitslose seine Leistungsansprüche verlor, wenn er unfallbedingt
arbeitsunfähig wurde. Denn der Rechtsanspruch auf Arbeitslosenunterstützung
entstand nicht schon durch die bloße Tatsache der Arbeitslosigkeit. Er
setzte voraus, dass der Arbeitslose arbeitsfähig war und sich der
Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellte (vgl. Senatsurteile vom
20. März 1984 - VI ZR 14/82, BGHZ 90, 334, 337; vom 8. April 2008 - VI ZR
49/07, BGHZ 176, 109 Rn. 9; siehe auch Senatsurteil vom 18. Februar 1986 -
VI ZR 55/85, VersR 1986, 485, 486; Denck, NZA 1985, 377, 378 f.).
16 (2) Diese Erwägungen beanspruchen auch Geltung für das mit dem
Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember
2003 (BGBl. I S. 2954, in Kraft getreten gemäß Art. 61 am 1. Januar 2005)
eingeführte Arbeitslosengeld II (§ 19 SGB II).
17 (a) Zwar weist das Arbeitslosengeld II deutliche Unterschiede zur
Arbeitslosenhilfe nach altem Recht auf. Mit dem Sozialgesetzbuch II hat der
Gesetzgeber ein völlig neues Leistungssystem geschaffen, das Elemente der
Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe in sich vereint und deshalb als
spezielles Fürsorgesystem für Erwerbsfähige ohne oder ohne ausreichende
Erwerbsarbeit zu qualifizieren ist (vgl. BT-Drucks. 15/1516 S. 41, 49; OLG
Stuttgart, OLGR 2008, 795; OLG Köln, OLGR 2009, 538, 540; OLGR 2009, 611 f.;
siehe auch BGH, Urteil vom 8. Februar 2012 - IV ZR 287/10, VersR 2012, 427
Rn. 14: "Transfereinkommen"; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, Einf. E 010 Rn.
219 [Stand: Mai 2010]; Gagel/Bieback, SGB II/SGB III, Vor § 1 SGB II Rn. 2,
17, 43, 57 [Stand: Januar 2008]). Das Arbeitslosengeld II weist in stärkerem
Maße als früher die Arbeitslosenhilfe Übereinstimmungen mit der Sozialhilfe
auf. In Abkehr von dem Lebensstandardprinzip wird es nicht nach dem früher
erzielten Arbeitsentgelt bemessen, sondern orientiert sich an dem Bedarf des
Leistungsempfängers (§§ 19 ff. SGB II; vgl. BVerfGE 128, 90, 95; BSGE 107,
66 Rn. 33; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, Einf. E 010 Rn. 89 [Stand: Mai
2010]); siehe auch BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009 - B 14 AS 46/08 R,
juris Rn. 10; Koh-te in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum
Sozialrecht, 2. Aufl., § 20 SGB II Rn. 3). Im Unterschied zur
Arbeitslosenhilfe kommt ihm keine Lohnersatzfunktion zu (vgl. BT-Drucks.
15/1516, S. 72 sowie § 3 Abs. 4 SGB III; BSGE 107, 66 Rn. 33; BSG, Urteil
vom 21. Juni 2011 - B 4 AS 14/11 B, juris Rn. 8; OLG München, NJW-RR 2006,
439, 440; OLG Düsseldorf, OLGR 2006, 358; OLG Dresden, OLGR 2007, 306; OLG
Schleswig, OLGR 2008, 951, 953; OLG Hamm, OLGR 2009, 15; OLG Köln, OLGR
2009, 538, 540; OLGR 2009, 611 ff.; Gagel/Steinmeyer, § 116 SGB III Rn. 2,
16 f. [Stand: Juli 2010]; aA BSG, Urteil vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS
20/07 R, UV-Recht Aktuell 2008, 888, 894; vgl. Staudinger/Schiemann, BGB,
Neubearb. 2005, § 252 Rn. 29; Staudinger/Vieweg, BGB, Neubearb. 2007, § 842
Rn. 65; Heß/Burmann in Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 6.
D. Rn. 14 [Stand: April 2011]).
18 Auch sieht das Sozialgesetzbuch II den Leistungsberechtigten von
Arbeitslosengeld II nicht - wie dies früher für den Empfänger von
Arbeitslosenhilfe galt - als in den Arbeitsmarkt eingegliedert an. Die
Arbeitslosigkeit und die vorausgegangene sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung sind anders als im Fall der Arbeitslosenhilfe nicht mehr
Voraussetzungen der Leistung. Auch wer als Erwerbsfähiger nach früherem
Recht nicht Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezog, sondern nur
Sozialhilfe, fällt nunmehr unter die Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß
dem Sozialgesetzbuch II (vgl. Gagel/Bender, § 8 SGB II Rn. 3 f. [Stand: Juni
2012]; Gagel/Hänlein, § 7 SGB II Rn. 10 [Stand: Januar 2009]; Klinkhammer,
FamRZ 2004, 1909 f.; siehe auch Pardey, Berechnung von Personenschäden, 4.
Aufl., Rn. 1548; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rn. 68 [Stand: Januar
2012]; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, Einf. E 010 Rn. 62 ff. [Stand: Mai
2011]).
19 (b) Aus diesen Gründen verneint ein Teil der Literatur und der
Instanzgerichte den Eintritt eines Erwerbsschadens, wenn ein
hilfebedürftiger Erwerbsfähiger verletzungsbedingt seinen Anspruch auf
Gewährung von Arbeitslosengeld II verliert (OLG Köln, OLGR 2009, 611 ff.;
OLG Celle, Urteil vom 27. Juni 2012 - 14 U 193/10, juris Rn. 89;
Plagemann/Probst, DAR 2012, 61, 67; BeckOK BGB/Spindler, § 842 Rn. 5 [Stand:
1. Februar 2013]; Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 10.
Aufl., Rn. 168; Pardey, Berechnung von Personenschäden, 4. Aufl., Rn. 2120,
2123; Rüßmann in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 842 Rn. 4; Erman/Schiemann, BGB,
13. Aufl., § 842 Rn. 3).
20 Andere Stimmen im Schrifttum nehmen hingegen einen Erwerbsschaden an
(vgl. Dauck, LMK 2008, 264450; MünchKommBGB/Wagner, 5. Aufl., §§ 842, 843 Rn.
48; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 29 Rn. 160; Heß/Burmann
in Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 6. D. Rn. 14 [Stand:
April 2011]; Huber, JZ 2008, 1114, 1116; ders. in Dauner-Lieb/Langen, BGB,
2. Aufl., §§ 842, 843 Rn. 133; Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess, 26.
Aufl., Kap. 30 Rn. 25 mit Fn. 19; Staudinger/Vieweg, BGB, Neubearb. 2007, §
842 Rn. 79 aE; Waltermann in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum
Sozialrecht, 2. Aufl., § 116 SGB X Rn. 46; Himmelreich/Halm/Euler, Handbuch
des Fachanwalts Verkehrsrecht, 4. Aufl., Kapitel 10 Rn. 4).
21 (c) Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Im Gegensatz zur
Sozialhilfe entsteht der Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II
nicht schon durch die bloße Tatsache der Hilfebedürftigkeit. Vielmehr setzt
er voraus, dass der Betroffene erwerbsfähig ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II)
und für die Eingliederung in Arbeit zur Verfügung steht (vgl. § 7
Abs. 4a Satz 1, § 31 Abs. 1 Nr. 2, 3 SGB II, vgl. auch BT-Drs. 16/1696, S.
26; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, Einf. E 010 Rn. 88, 219 [Stand: Mai
2010]). Hauptziel des Sozialgesetzbuchs II ist es, arbeitsfähige Arbeitslose
wieder in das Erwerbsleben einzugliedern. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht
das Sozialgesetzbuch II in sachlicher Hinsicht vielfältige Instrumente und
Förderleistungen vor, vor allem solche, die sich im Bereich der
Arbeitsförderung nach dem Sozialgesetzbuch III bewährt haben (vgl. BSGE 104,
185 Rn. 14; BSGE 105, 279 Rn. 39; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, Einf. E
010 Rn. 210 [Stand: Mai 2010]; Gagel/Bieback, Vor § 1 SGB II Rn. 19 [Stand:
Januar 2008]; BeckOK SGB II/Harich, § 16 Rn. 1, 9 f. [Stand: 1. März 2013];
5. Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht,
2. Aufl., § 16 SGB II Rn. 2, 4).
22 Dass das Arbeitslosengeld II sich im Unterschied zur
Arbeitslosenhilfe nicht an der Höhe des gewöhnlich erzielten Arbeitsentgelts
orientiert und daher keine Lohnersatzfunktion hat, steht der Annahme eines
Erwerbsschadens nicht entgegen. Die Lohnersatzfunktion einer
Sozialleistung kann zwar dafür sprechen, dass mit ihrem Verlust ein
Erwerbsschaden eintritt (vgl. Senatsurteile vom 20. März 1984 - VI ZR 14/82,
BGHZ 90, 334, 337 f.; vom 8. April 2008 - VI ZR 49/07, BGHZ 176, 109 Rn.
14). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist sie jedoch keine
notwendige Bedingung für die Annahme eines Erwerbsschadens. Entscheidend ist
vielmehr, dass das Sozialgesetzbuch II die Leistungsberechtigung von der
Erwerbsfähigkeit abhängig macht und dem Leistungsbezieher ein
Vermögensnachteil entsteht, wenn er infolge des verletzungsbedingten
Wegfalls seiner Erwerbsfähigkeit seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II
verliert.
23 cc) Nach diesen Grundsätzen ist S. ein Erwerbsschaden entstanden. Da sie
infolge des Unfalls erwerbsunfähig geworden ist, sind die Voraussetzungen
für den Bezug von Arbeitslosengeld II entfallen. Eine diese Leistung
bewilligende Entscheidung war gemäß § 40 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330
Abs. 3 SGB III, § 48 Abs. 1 SGB X aufzuheben.
24 Ein ersatzpflichtiger Vermögensschaden ist auch nicht deshalb zu
verneinen, weil S. aufgrund ihrer bei dem Unfall erlittenen Verletzungen
gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI Rente wegen voller Erwerbsminderung (in das
Arbeitslosengeld II übersteigender Höhe) von der Klägerin bezieht. Diese
Leistung ist bei der Schadensberechnung in normativ wertender Korrektur der
Schadensbilanz nicht zu berücksichtigen. Sie stellt eine Maßnahme der
sozialen Sicherung und Fürsorge gegenüber dem Geschädigten dar, die dem
Schädiger nach dem Rechtsgedanken des § 843 Abs. 4 BGB nicht zu Gute kommen
soll. Andernfalls würde die Bestimmung des § 116 SGB X, die den
Ersatzanspruch des Verletzten auf den Drittleistenden überleitet, ihres
Sinnes beraubt (vgl. Senatsurteil vom 7. November 2000 - VI ZR 400/99, VersR
2001, 196, 197; MünchKommBGB/Wagner, 5. Aufl., §§ 842, 843 Rn. 83;
Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 249 Rn. 135, jeweils mwN).
25 2. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann auch ein Übergang des
Anspruchs der S. auf Ersatz des ihr entstandenen Erwerbsschadens auf die
Klägerin gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht verneint werden. Entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nicht an der erforderlichen
sachlichen Kongruenz zwischen den von der Klägerin erbrachten Leistungen und
der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten.
26 a) Sachliche Kongruenz besteht, wenn sich die Ersatzpflicht des
Schädigers und die Leistungsverpflichtung des Sozialversicherungsträgers
ihrer Bestimmung nach decken. Hiervon ist auszugehen, wenn die Leistung des
Versicherungsträgers und der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz dem
Ausgleich derselben Einbuße des Geschädigten dienen. Es genügt, wenn der
Sozialversicherungsschutz seiner Art nach den Schaden umfasst, für den der
Schädiger einstehen muss; es kommt nicht darauf an, ob auch der einzelne
Schadensposten vom Versicherungsschutz gedeckt ist (vgl. Senatsurteile vom
18. Mai 2010 - VI ZR 142/09, VersR 2010, 1103 Rn. 15 mwN; vom 3. Mai 2011 -
VI ZR 61/10, VersR 2011, 946 Rn. 14 mwN).
27 b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Rente wegen voller
Erwerbsminderung, die die Klägerin gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI an S. zu
erbringen hatte, und der von der Beklagten zu leistende Schadensersatz
dienen dem Ausgleich derselben Einbuße der Geschädigten. Denn die Rente ist
zur Behebung des dieser unfallbedingt entstandenen Erwerbsschadens bestimmt
(vgl. OLG Bamberg, VersR 1979, 473, 474; OLG Hamm, Urteil vom 30. November
2010 - 9 U 19/10, juris Rn. 29; Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess,
26. Aufl., Kap. 30 Rn. 25; KassKomm/Kater, Sozialversicherungsrecht, § 116
SGB X Rn. 123 [Stand: Juni 2012]; zur Lohnersatzfunktion der Rente siehe
Gabke in jurisPK-SGB VI, 2008, § 43 SGB VI Rn. 6). Sie soll einen Ausgleich
für die wirtschaftlichen Einbußen schaffen, die sich daraus ergeben, dass
die Fähigkeit der Geschädigten, am Erwerbsleben teilzunehmen,
gesundheitsbedingt eingeschränkt ist (vgl. Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, §
43 Rn. 1
[Stand: Mai 2008]).
28 Der Annahme sachlicher Kongruenz steht nicht entgegen, dass dem
Arbeitslosengeld II keine Lohnersatzfunktion zukommt. Es genügt, dass der
Wegfall des entsprechenden Leistungsanspruchs einen Erwerbsschaden begründet
und die zu erbringende Sozialleistung dem Ausgleich dieses Schadens dient.
III.
29 Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, (§
562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur
Endentscheidung reif, da auf der Grundlage der Feststellungen des
Berufungsgerichts weder der Zeitpunkt des Eintritts eines Erwerbsschadens
der Geschädigten noch die für den Anspruchsübergang gemäß § 116 Abs. 1 Satz
1 SGB X erforderliche zeitliche Kongruenz beurteilt werden können. Die
Feststellungen des Berufungsgerichts sind insoweit in sich widersprüchlich
und deshalb nicht bindend. Das Berufungsgericht stellt zum einen fest, dass
die Klägerin an die Geschädigte in der Zeit vom 1. Mai 2008 bis 30. November
2010 Rentenleistungen als Ersatz für das unfallbedingt weggefallene
Arbeitslosengeld II erbracht habe. Zum anderen führt es aus, die Klägerin
habe bis Ende November 2010 Arbeitslosengeld II bezogen. Ausweislich des von
der Klägerin zur Akte gereichten Bescheids der ARGE SGB II Sömmerda vom 18.
Dezember 2007 wurde der Klägerin Arbeitslosengeld II bis einschließlich 30.
Juni 2008 bewilligt. Diesen Zeitpunkt hat die Klägerin offensichtlich ihrem
Antrag auf Ersatz entgangener Beiträge zur Rentenversicherung zugrunde
gelegt; den Beitragsausfall macht sie nämlich erst ab 1. Juli 2008 geltend.
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