Kameraüberwachung eines
Grundstücks und allgemeines Persönlichkeitsrecht der Nachbarn;
Rechtsmängelhaftung im Werkvertrag: Reichweite der Rechtskraft
BGH, Urteil vom 16. März
2010 - VI ZR 176/09
Fundstelle:
NJW 2010, 1533
Amtl. Leitsatz:
Bei der Installation von
Überwachungskameras auf einem privaten Grundstück kann das
Persönlichkeitsrecht eines vermeintlich überwachten Nachbarn schon aufgrund
einer Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische
Möglichkeit einer Überwachung reicht dazu aber nicht aus.
Zentrale Probleme:
Eine bemerkenswerte Fallkonstellation aus Allgemeinem
Persönlichkeitsrecht, Werkvertragsrecht und Prozeßrecht, aus der man
wunderbar eine Klausur machen könnte: Ein Werkunternehmer installiert eine
Überwachungskamera, deren Betrieb dem Grundstücksbesitzer später aufgrund
eines Rechtsstreits mit den Nachbar (nach Auffassung des Senats zu Unrecht)
verboten wird. Er macht jetzt werkvertragliche Gewährleistungsansprüche
gegen den Werkunternehmer aus §§ 634 Nr. 4, 280 BGB geltend (Rechtsmangel
des Werkes bzw. Nebenpflichtverletzung aus § 241 II BGB unter dem Aspekt
einer Hinweispflicht). Der Senat verneint das zu Recht. Dabei muß er nicht
entscheiden, ob das wirklich ein SE-Anspruch bestünde (was er aber zu recht
bezweifelt), sondern er verneint bereits die Unzulässigkeit des Betriebs der
Kameras. Das kann er, obwohl ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil
vorliegt. Dessen Rechtskraft wirkt nämlich nicht zwischen den Parteien des
vorliegenden Rechtsstreits (§ 322 ZPO). Der Grundstücksbesitzer hätte als im
Rechtsstreit mit dem Nachbarn den Streit verkünden müssen (§ 72 ZPO) und
hätte dann von der Interventionswirkung der §§ 74, 68 ZPO profitiert.
©sl 2010
Tatbestand:
1 Die Beklagte, eine Firma für Sicherheits- und
Kommunikationstechnik, installierte im Auftrag des Klägers zu 1 (nach
Vortrag der Kläger auch der Klägerin zu 2) an der von den Klägern gemieteten
Doppelhaushälfte sieben Videokameras zur videotechnischen Überwachung des
von ihnen bewohnten Grundstücks. Die Kameras waren unstreitig so installiert
und eingestellt, dass eine Überwachung ausschließlich des Grundstücks der
Kläger erfolgte. Durch (manuelle) Veränderungen der Kameraeinstellungen
hätten allerdings auch Vorgänge auf dem Nachbargrundstück erfasst werden
können. Nach Inbetriebnahme der Anlage wurden die Kläger von
Grundstücksnachbarn in einem Rechtsstreit auf Entfernung der Kameras,
hilfsweise auf Unterlassung der Videoüberwachung wegen Verletzung des
Persönlichkeitsrechts in Anspruch genommen. Das angerufene Amtsgericht gab
nur dem Hilfsantrag statt, das Landgericht verurteilte die Kläger auf die
Berufung der Grundstücksnachbarn, die Kameras zu beseitigen. Mit der
vorliegenden Klage verlangen die Kläger von der Beklagten Ersatz der ihnen
durch den Rechtsstreit mit den Grundstücksnachbarn entstandenen Kosten. Sie
sind der Ansicht, die Beklagte hätte sie auf die Möglichkeit einer
Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Nachbarn hinweisen müssen. Die
Beklagte hält ihre Leistung für mangelfrei, da die Kameras nur das
Grundstück der Kläger erfasst hätten; nur dies habe sie den Klägern
bestätigt.
2 Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat das
Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision verfolgen die Kläger ihr Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
3 Das Berufungsgericht führt aus:
4 Die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht durch eine fehlerhafte
Aufklärung liege nicht vor. Eine Zusicherung, dass Persönlichkeitsrechte
Dritter durch die Installation nicht verletzt würden, habe die Beklagte
nicht gegeben. Was sie in ihren Schreiben bestätigt habe, entspreche den
Tatsachen. Die Anlage sei so installiert gewesen, dass zum Zeitpunkt der
Inbetriebnahme eine Überwachung des Nachbargrundstücks nicht erfolgte. Mehr
habe die Beklagte nicht zugesichert.
5 Die Anlage sei auch nicht mangelhaft gewesen. Zwar könne ein Rechtsmangel
im Sinne des § 633 Abs. 3 BGB vorliegen, wenn das Werk, das der Unternehmer
errichtet habe, Unterlassungsansprüchen Dritter ausgesetzt sei, wozu auch
ein Unterlassungsanspruch Dritter aus dem Persönlichkeitsrecht gehören
könne, sofern dieser der Benutzung der Sache entgegenstehe. Im vorliegenden
Fall liege aber in der Installation der Videokameras, so wie sie von der
Beklagten vorgenommen worden sei, kein Eingriff in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht der Nachbarn, so dass diesen kein Unterlassungsanspruch
gegen die Kläger zugestanden habe. Die theoretische Möglichkeit, die Kameras
zu verändern, beinhalte - jedenfalls in Fällen, in denen ein berechtigtes
Interesse des Grundstückseigentümers oder Mieters an der Überwachung bestehe
- noch keine widerrechtliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Das Recht
am eigenen Bild schütze als allgemeines Persönlichkeitsrecht nur vor
tatsächlich erfolgten missbräuchlichen Bildaufzeichnungen, nicht aber vor
der bloßen Möglichkeit, unzulässige Abbildungen anzufertigen. Hier habe auf
Seiten der Nachbarn lediglich ein subjektives Befürchten vorgelegen, während
ihr Grundstück objektiv nicht gefilmt worden sei und die Kameras auch nicht
ohne äußerlich wahrnehmbaren Aufwand hätten verändert werden können. Eine
abweichende Ausrichtung, etwa durch Fernsteuerung, sei nicht möglich
gewesen. Die Kläger hätten hingegen ein berechtigtes Interesse an der
Überwachung ihres Grundstücks gehabt, da es unstreitig bereits Übergriffe
auf ihr Grundstück gegeben habe.
6 Das Urteil im Rechtsstreit zwischen den Klägern und ihren Nachbarn stehe
dieser Wertung nicht entgegen, da die Beklagte an jenem Prozess nicht
beteiligt gewesen und ihr auch nicht der Streit verkündet worden sei.
II.
7 Die dagegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Zutreffend hat das
Berufungsgericht angenommen, den Klägern stehe gegen die Beklagte kein
Anspruch auf Ersatz der Prozesskosten aus den §§ 634 Nr. 4, 280 BGB zu.
8 1. Gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur fehlenden
Rechtskraftwirkung des Urteils, das im Rechtsstreit mit den Nachbarn
ergangen ist, wendet sich die Revision nicht. Insoweit sind auch
Rechtsfehler nicht ersichtlich.
9 2. Ob, wie die Kläger in der Revisionsverhandlung geltend gemacht
haben, die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht durch die Beklagte in
Betracht kommt, kann im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen (unten
zu 3) dahinstehen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass in Anbetracht der
Umstände des Falles sowohl die Verletzung einer solchen Pflicht als auch das
Vorliegen eines Mangels der gelieferten Überwachungsgeräte bereits im Ansatz
als zweifelhaft erscheinen. Der Lieferant einer Überwachungsanlage
hat dem Erwerber vollständige Auskunft über Zustand und Eigenschaften der
Anlage zu geben. Das hat die Beklagte hier getan. Hingegen dürfte der
Lieferant im Regelfall nicht verpflichtet sein, auf die selbstverständliche
Tatsache hinzuweisen, dass die Anlage nicht derart umgestaltet werden darf,
dass dadurch die Rechte Dritter verletzt werden. Auch hinsichtlich der
rechtlichen Beurteilung der Umstände, unter denen die Anlage ohne Verletzung
der Rechte Dritter benutzt werden darf, ist in der Regel keine Belehrung
durch den Lieferanten zu erwarten; insoweit muss der Erwerber in
Zweifelsfällen kompetenten Rechtsrat einholen.
10 3. Die Revision bekämpft die Annahme des Berufungsgerichts, die
Installation der Kameras auf dem Grundstück der Kläger habe das
Persönlichkeitsrecht der Nachbarn nicht beeinträchtigt; der
Unterlassungsanspruch der Nachbarn sei begründet gewesen, so dass das Werk
der Beklagten mangelhaft gewesen sei. Das ist indes unrichtig.
11 a) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass die Herstellung
von Bildnissen einer Person, insbesondere die Filmaufzeichnung mittels einer
Videokamera, auch in der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen, etwa auf
einem öffentlichen Weg, einen unzulässigen Eingriff in das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstellen kann, selbst wenn keine
Verbreitungsabsicht besteht, wobei die Frage, ob ein derartiger
rechtswidriger Eingriff anzunehmen ist, nur unter Würdigung aller Umstände
des Einzelfalls und durch Vornahme einer die (verfassungs-) rechtlich
geschützten Positionen der Beteiligten berücksichtigenden Güter- und
Interessenabwägung beantwortet werden kann (Senatsurteil vom 25. April
1995 - VI ZR 272/94 - VersR 1995, 841 ff.). Eine Videoüberwachung greift in
das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seiner Ausprägung als
Recht der informationellen Selbstbestimmung ein; dieses Recht umfasst die
Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und
innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhal-te offenbart werden,
und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung
persönlicher Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1, 42 f.; 67, 100, 143;
BVerfG, NVwZ 2007, 688 ff.; NJW 2009, 3293 f.). Bei der Installation von
Anlagen der Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss deshalb
sichergestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch
benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen (vgl.
dazu Senatsurteil vom 25. April 1995 - VI ZR 272/94 - aaO; OLG Karlsruhe,
OLGR 1999, 83 f.; AG Nürtingen, NJW-RR 2009, 377 f.) von den Kameras erfasst
werden, sofern nicht ein das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen
überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung
bejaht werden kann.
12 b) Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht Dritter liegt vor, wenn
diese durch die Überwachung tatsächlich betroffen sind. Kann dies
festgestellt werden und ergibt die erforderliche Abwägung, dass das
Interesse des Betreibers der Anlage das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen
nicht überwiegt, ist der Unterlassungsanspruch begründet.
13 Ein Unterlassungsanspruch kann auch bestehen, wenn Dritte eine
Überwachung durch Überwachungskameras objektiv ernsthaft befürchten müssen
("Überwachungsdruck", vgl. dazu etwa LG Bonn, NJW-RR 2005, 1067 ff.; LG
Darmstadt, NZM 2000, 360; AG Winsen, Urteil vom 30. Dezember 2005 - 16 C
1642/05 - Juris). In der Rechtsprechung wird allerdings ein Anspruch auf
Unterlassung des Betriebs solcher Videokameras, die auf das
Nachbargrundstück lediglich ausrichtbar sind, verneint, wenn der Nachbar die
Anfertigung von Aufnahmen lediglich befürchtet und die Kameras nur mit
erheblichem und äußerlich wahrnehmbarem Aufwand, also nicht etwa nur durch
das Betätigen einer Steuerungsanlage, auf sein Grundstück gerichtet werden
können (vgl. LG Bielefeld, NJW-RR 2008, 327 f.; LG Itzehoe, NJW-RR 1999,
1394 f.).
14 Nach Ansicht des erkennenden Senats kommt es insoweit auf die Umstände
des Einzelfalls an. Die Befürchtung, durch vorhandene Überwachungsgeräte
überwacht zu werden, ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter
Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick
auf einen eskalierenden Nachbarstreit (vgl. OLG Köln, NJW 2009, 1827) oder
aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor,
kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund
der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische
Möglichkeit einer Überwachung durch Videokameras und ähnliche
Überwachungsgeräte beeinträchtigt hingegen das allgemeine
Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, nicht.
Deshalb ist die Installation einer Überwachungsanlage auf einem privaten
Grundstück nicht rechtswidrig, wenn objektiv feststeht, dass dadurch
öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst werden, wenn eine
solche Erfassung nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische
Veränderung der Anlage möglich ist und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht
beeinträchtigt werden. Insoweit kommt etwa die Beeinträchtigung der
Rechte von Mietern in einem privaten Miethaus (vgl. dazu etwa KG, WuM 2008,
663; LG Darmstadt, aaO; Horst, NZM 2000, 937, 940), von Betroffenen in einer
Wohnungseigentumsanlage (vgl. KG, NZM 2002, 702 f.; OLG Karlsruhe, NZM 2002,
703 f.; Huff, NZM 2002, 89 ff., 688 f.), aber auch von Grundstücksnachbarn
in Betracht.
15 c) Nach diesem Maßstab hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall zu
Recht angenommen, dass den Nachbarn der Kläger kein Unterlassungsanspruch
zustand. Ihr Persönlichkeitsrecht war nicht verletzt. Denn nach den von der
Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erfassten
die von den Klägern installierten Kameras ausschließlich deren eigenes
Grundstück, wobei diese Ausrichtung nur durch äußerlich wahrnehmbare
Arbeiten hätte geändert werden können. Konkrete Gründe für den Verdacht der
Nachbarn, die Überwachung könne sich auch auf ihr Grundstück erstrecken,
sind nicht festgestellt.
16 Die Leistung der Beklagten war demnach nicht mangelhaft, so dass ein
Anspruch der Kläger auf Erstattung der ihnen durch den Rechtsstreit mit den
Nachbarn entstandenen Kosten zu verneinen ist. |