Rechtswidrigkeit und
Lehre vom Erfolgsunrecht bei Schneeballwurf; (bedingter) Vorsatz und (bewußte)
Fahrlässigkeit; Begriff der groben Fahrlässigkeit; Bezugspunkt des
Verschuldens
BGH, Urteil vom 15. Juli
2008 - VI ZR 212/07
Fundstelle:
NJW 2009, 681
Amtl. Leitsatz:
1. Bewerfen sich Schüler
an einer ca. 100 m von der Schule entfernten Bushaltestelle mit
Schneebällen, so kann dieses Verhalten schulbezogen sein, so dass ein
Übergang von Forderungen des Geschädigten auf den Unfallversicherungsträger
ausscheidet.
2. § 110 Abs. 1 Satz 3 SGB VII ordnet an, dass sich das Verschulden
lediglich auf den die Haftung begründenden Tatbestand, nicht aber auf die
konkreten Schadensfolgen beziehen muss. Vorsätzliches Handeln im Sinne des §
110 Abs. 1 SGB VII setzt Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges
voraus..
Zentrale Probleme:
Es geht um das Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 1 SGB VII
in Verbindung mit § 106 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII. Danach
haftet ein Schädiger nicht, wenn eine gesetzliche Unfallversicherung besteht
und er nicht vorsätzlich gehandelt hat. Damit war hier die - allgemein
interessierende - Frage vom Bedeutung, ob sich der Vorsatz auch auf die
Schadensfolgen oder nur auf die Schädigung als solche beziehen muß. Der
Schneeballwurf (und auch der "Treffer") waren nämlich bewußt und gewollt,
nicht aber die schlimmeren Folgen (Augenverletzung). An sich muß sich der
Vorsatz nicht auf die Schadensfolgen, sondern nur auf die primäre
Rechtsgutsverletzung beziehen beziehen. Die Tatsache eines außergewohnlichen
Schadensverlaufes kann daher allenfalls im Rahmen der haftungsausfüllenden
Kausalität, d. h. im Zusammenhang mit § 249 oder aber als Mitverschulden
Berücksichtigung finden (s. § 254 II 1). Nur wenn der Schaden zum Tatbestand
der Haftung gehört (so etwa in § 826, der eine vorsätzliche sittenwidrige
Schädigung voraussetzt, oder bei einer Haftung aus §§ 823 II i. V. m. 263
StGB), muß sich das Verschulden auch auf diesen beziehen. Im Rahmen der
sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierung wird dies aber
teilweise anders gesehen, um das Privileg nicht leerlaufen zu lassen (s.
dazu Medicus/Lorenz, SchuldR I - im Erscheinen - Rn. 376 f). Hier verneint
der BGH aber schon Vorsatz bzgl. einer Verletzungshandlung: Zwar war das
Werfen des Schneeballs bewußt und damit vorsätzlich, nicht aber die
Verletzung eines durch § 823 I BGB geschützten Rechtsguts. Kurz: Der
Schneeballwerfer will zwar treffen, aber nicht verletzen, weil nicht jeder
"Treffer" mit einem Schneeball eine Körper- oder Gesundheitsverletzung
darstellt. Deshalb fehlte es hier am Vorsatz bereits bezüglich der
haftungsbegründenden Elemente und nicht erst bzgl. der Schadensfolgen. Im
Übrigen enthält die Entscheidung lehrbuchartige Ausführungen zu Vorsatz und
Fahrlässigkeit und ist deshalb sehr lehrreich.
©sl 2008
Tatbestand:
1 Die Klägerin, ein Unfallversicherungsträger, nimmt den Beklagten auf
Erstattung von Kosten in Anspruch, die sie für die unfallbedingte stationäre
und ambulante Behandlung eines Schülers aufgewendet hat, nachdem dieser
durch einen Schneeballwurf des Beklagten, eines Mitschülers, verletzt worden
war.
2 Am 19. November 2004 befand sich der damals 16 Jahre alte Schüler W. an
einer Bushaltestelle, die ca. 100 m von der Sekundarschule entfernt liegt,
in der er und der Beklagte seinerzeit Schüler waren. Beide waren soeben aus
der Schule gekommen und warteten auf den Bus. W. warf einen Schneeball nach
dem Beklagten. Der Beklagte warf daraufhin seinerseits aus einer Entfernung
von ca. 6 m einen Schneeball, der W. derart am linken Auge traf, dass er
eine Augapfelprellung sowie eine Orbitabodenfraktur erlitt. Die Klägerin
erbrachte für den Verletzten Leistungen in Höhe von 1.401,03 €, deren
Erstattung sie von dem Beklagten als Verursacher gestützt auf § 823 BGB, §
116 SGB X und § 110 Abs. 1 SGB VII verlangt.
3 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte
keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
4 Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe gegen den Beklagten
unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Ersatzanspruch.
5 Einem auf sie nach § 116 SGB X übergegangenen Anspruch aus § 823 Abs. 1
BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 223 bzw. 229 StGB stünden
die §§ 104 Abs. 1 Satz 2, 106 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII entgegen. Die
Haftungsprivilegierung greife ein, weil der Beklagte den Versicherungsfall
weder vorsätzlich noch auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII
versicherten Weg herbeigeführt habe. Vorsatz scheide aus, weil keine
Anzeichen dafür vorlägen, dass der Beklagte die Absicht gehabt habe, bei dem
Geschädigten die tatsächlich eingetretenen Verletzungen hervorzurufen. Ein
Wegeunfall liege nicht vor, weil sich hier ein schulbezogenes Haftungsrisiko
verwirklicht habe. Die Verletzungshandlung des Beklagten sei durch den
vorangegangenen Schulbetrieb bedingt oder zumindest begünstigt worden.
6 Die Klägerin habe auch keinen Anspruch aus § 110 SGB VII. Zwar reiche es
für diesen Anspruch aus, dass sich das Verschulden auf das den
Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen beziehe, während es
sich nicht auf die Möglichkeit ernsthafter Verletzungsfolgen erstrecken
müsse. Entgegen der Ansicht der Klägerin genüge es für die Haftung des
Beklagten jedoch nicht, dass dieser den Schneeball absichtlich in die
Richtung des Geschädigten geworfen habe. Auch im Rahmen von § 110 Abs. 1
Satz 3 SGB VII definiere sich Vorsatz als Wissen und Wollen des
rechtswidrigen Erfolges. Die Voraussetzungen für den Vorsatz könnten zudem
nicht geringer sein als die für die grobe Fahrlässigkeit, welche nur zu
bejahen sei, wenn den Schädiger der Vorwurf eines objektiv schweren und
subjektiv schlechthin unentschuldbaren Verstoßes gegen die Anforderungen der
im Verkehr erforderlichen Sorgfalt treffe. Dafür sei hier nichts
vorgetragen.
II.
7 Die dagegen gerichtete Revision ist unbegründet.
8 1. Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht einen gemäß § 116 SGB X
auf die Klägerin übergegangenen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823
Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 229 StGB. Dem Beklagten kommt das
Haftungsprivileg gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit § 106 Abs. 1
Nr. 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII zugute.
9 a) Das Berufungsgericht führt insoweit aus, der Beklagte habe den
Versicherungsfall nicht vorsätzlich und auch nicht auf einem nach § 8 Abs. 2
Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt. Vorsätzliches Handeln
liege nicht vor, weil nichts dafür spreche, dass der Beklagte den möglichen
Eintritt ernsthafter Verletzungsfolgen durch den Schneeballwurf erkannt und
zumindest billigend in Kauf genommen habe. Gegen die Verneinung des
Vorsatzes wendet sich die Revision nicht und insoweit ist auch der
rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts zutreffend (vgl. Senatsurteil
BGHZ 154, 11 ff.; ebenso BAGE 103, 92 ff.).
10 Allerdings kommt es auf die Frage, ob der Beklagte vorsätzlich oder auf
einem versicherten Weg gehandelt hat, nicht an. Denn die Klägerin macht
einen auf sie nach § 116 SGB X übergegangenen Anspruch geltend. Nach §§ 104
Abs. 1 Satz 2, 105 Abs. 1 Satz 3 SGB VII findet aber ein Forderungsübergang
gemäß § 116 SGB X von Ansprüchen wegen vorsätzlicher Schädigung oder wegen
eines Schadensfalles auf einem versicherten Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr.
1 bis 4 SGB VII nicht statt; vielmehr verbleiben diese Ansprüche gegen den
schädigenden Unternehmer bzw. Mitbeschäftigten, die von der
Haftungsbeschränkung nicht erfasst werden, beim Geschädigten (vgl.
Senatsurteil vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 334/04 - VersR 2006, 221 m.w.N.).
11 b) Danach kommt ein auf die Klägerin übergegangener Anspruch nur in
Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 SGB VII zu verneinen
sind, weil der Beklagte den Versicherungsfall des W. nicht durch eine
betriebliche Tätigkeit verursacht hat. Im Bereich der Schulunfälle ist für
das Merkmal der betrieblichen Tätigkeit danach zu fragen, ob das Handeln des
Schädigers schulbezogen war. Die Revision meint, das zur Verletzung des W.
führende Handeln des Beklagten sei nicht schulbezogen gewesen. Dem kann
nicht gefolgt werden.
12 aa) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist bei der Verletzung
eines Schülers durch einen Mitschüler für die Befreiung von der Haftung
darauf abzustellen, ob die Verletzungshandlung schulbezogen war. Maßgeblich
ist, ob sie auf der typischen Gefährdung aus engem schulischen Kontakt
beruht und deshalb einen inneren Bezug zum Besuch der Schule aufweist oder
ob sie nur bei Gelegenheit des Schulbesuchs erfolgt ist. Schulbezogen im
Sinne dieser Rechtsprechung sind insbesondere Verletzungshandlungen, die aus
Spielereien, Neckereien und Raufereien unter den Schülern hervorgegangen
sind, ebenso Verletzungen, die in Neugier, Sensationslust und dem Wunsch,
den Schulkameraden zu imponieren, ihre Erklärung finden; dasselbe gilt für
Verletzungshandlungen, die auf übermütigen und bedenkenlosen
Verhaltensweisen in einer Phase der allgemeinen Lockerung der Disziplin -
insbesondere in den Pausen oder auf Klassenfahrten oder nach Beendigung des
Unterrichts oder während der Abwesenheit der Aufsichtspersonen - beruhen. Da
der Haftungs-ausschluss bei Schulunfällen den Schulfrieden und das
ungestörte Zusammenleben von Lehrern und Schülern in der Schule
gewährleisten soll, darf das Haftungsprivileg nicht eng ausgelegt werden.
Die innere schulische Verbundenheit von Schädiger und Verletztem, die in dem
Unfall zum Ausdruck kommen muss, erfordert allerdings stets, dass die
konkrete Verletzungshandlung durch die Besonderheiten des Schulbetriebs
geprägt wird, was in der Regel eine engere räumliche und zeitliche Nähe zu
dem organisierten Betrieb der Schule voraussetzt (vgl. Senatsurteil vom 30.
März 2004 - VI ZR 163/03 - VersR 2004, 789 f. m.w.N.).
13 Diese Grundsätze, die durch die Rechtsprechung zu § 637 Abs. 1 RVO
entwickelt worden sind (grundlegend Senatsurteil BGHZ 67, 279, 281 ff.),
gelten in gleicher Weise nach der Einordnung des Rechts der gesetzlichen
Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch, da sich insoweit keine
inhaltlichen Änderungen ergeben haben, die zu einer Neubewertung führen
(Senatsurteil vom 30. März 2004 - VI ZR 163/03 - aaO).
14 bb) Die Revision stellt zur Überprüfung, ob der erkennende Senat seine zu
den §§ 636, 637 RVO ergangene Rechtsprechung zur Schulbezogenheit auch im
Rahmen der §§ 104, 105 SGB VII für außerhalb der Schule stattfindende
Versicherungsfälle aufrecht halte. Sie meint, der Begriff der
Schulbezogenheit müsse sich am Begriff der betrieblichen Tätigkeit im Sinne
von § 105 SGB VII orientieren und dürfe daher keine Handlung umfassen, die
außerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der Schule - nach dem
Verlassen des Schulgeländes - geschehe. Beim Zurücklegen des Weges von und
zu einer Arbeitstelle handele es sich grundsätzlich um eine so genannte
eigenwirtschaftliche Tätigkeit auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII
versicherten Weg, die gerade keine betriebliche Tätigkeit darstelle. Erst
mit dem Durchschreiten des Tores zum Betriebs-/Werksgelände werde der nach §
8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherte Weg verlassen und - wegen des engen
Bezuges zum Arbeitsplatz - eine betriebliche Tätigkeit begonnen. Auch beim
Schulweg handele es sich um einen nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII
versicherten Weg. Übertrage man die für die betriebliche Tätigkeit geltenden
Grundsätze, könne in Handlungen von Schülern auf dem Schulweg - außerhalb
des Schulgeländes - keine schulbezogene Tätigkeit liegen.
15 cc) Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen.
16 (1) Entgegen der Ansicht der Revision ist es nicht generell
ausgeschlossen, auf die Rechtsprechung des Senats zur
Reichsversicherungsordnung zurückzugreifen. Zwar ist nach Inkrafttreten der
§§ 104, 105 SGB VII bei Unfällen von Betriebsangehörigen auf Seite des
Geschädigten zwischen Betriebswegen und anderen, nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4
SGB VII versicherten Wegen zu unterscheiden. Für die Abgrenzung können aber
die Kriterien herangezogen werden, die die Rechtsprechung zur Teilnahme am
allgemeinen Verkehr nach §§ 636, 637 RVO entwickelt hat (Senatsurteile BGHZ
145, 311, 314 f.; 157, 159, 162 ff.; vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 334/04 -
VersR 2006, 221, 222). Für die Einordnung einer Handlung des Schädigers als
betriebliche Tätigkeit gilt nichts anderes.
17 (2) Die Ansicht der Revision ist bereits im Ausgangspunkt unrichtig, wenn
sie davon ausgeht, dass nach Inkrafttreten der §§ 104, 105 SGB VII eine
betriebliche Tätigkeit - außerhalb des Bereichs der Schülerunfälle - stets
nur auf dem Betriebsgelände stattfinden könne.
18 Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kommt es für die
Frage, ob sich auf dem Weg von und zur Arbeit ein betriebsbezogenes Risiko
verwirklicht hat, nicht unbedingt darauf an, ob der Unfall auf dem
Betriebsgelände oder außerhalb stattgefunden hat. Auch nach neuem Recht ist
ein Weg dann als Teil des innerbetrieblichen Organisations- und
Funktionsbereichs und mithin als Betriebsweg anzusehen, wenn eine Fahrt
maßgeblich durch die betriebliche Organisation geprägt ist, insbesondere
indem sie durch die Organisation als innerbetrieblicher bzw.
innerdienstlicher Vorgang gekennzeichnet oder durch Anordnung des
Dienstherrn zur innerbetrieblichen bzw. innerdienstlichen Aufgabe erklärt
worden ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 157, 159, 165 f.; vom 9. März 2004 - VI
ZR 439/02 - VersR 2004, 788, 789; vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 334/04 -
aaO). Maßgebend für die Abgrenzung eines Arbeitsunfalls auf einem
Betriebsweg im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII von einem Unfall auf einem
versicherten Weg im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII ist nicht
allein, wo sich der Unfall ereignet hat, sondern auch, inwieweit er mit dem
Betrieb und der Tätigkeit des Versicherten zusammenhängt und ob er Ausdruck
der betrieblichen Verbindung zwischen ihm und dem Unternehmen ist,
deretwegen das Haftungsprivileg nach § 105 SGB VII besteht; letztlich nicht
entscheidend für die Einordnung als Betriebsweg ist, ob die Örtlichkeit der
Organisation des Arbeitgebers unterliegt (Senatsurteil vom 25. Oktober 2005
- VI ZR 334/04 - aaO). Deshalb kann es sich bei einer von mehreren
Arbeitnehmern organisierten Fahrt zur Arbeitsstätte um einen Betriebsweg
handeln (Senatsurteil BGHZ 157, 159 ff.), ebenso bei der Abfahrt von einem
Hotelparkplatz der auswärtigen Arbeitsstelle (Senatsurteil vom 25. Oktober
2005 - VI ZR 334/04 - aaO).
19 Für die Frage danach, ob der Schädiger einen Versicherungsfall durch eine
betriebliche Tätigkeit verursacht hat, gelten diese Erwägungen in gleichem
Maße.
20 (3) Schon von daher bestehen gegen die Annahme des Berufungsgerichts, ein
Unfall könne auch dann schulbezogen sein, wenn er sich außerhalb des
Schulgeländes ereignet, keine grundsätzlichen Bedenken. Der Begriff der
Schulbezogenheit beruht zudem auf einer gedanklichen Umformung der Maßstäbe,
die für die Auslegung des Begriffs der betrieblichen Tätigkeit im
Arbeitsleben gelten (vgl. Senatsurteil BGHZ 67, 279, 281 ff.). Bei letzterer
ergeben sich die Gefahren aus der dem Betrieb dienenden Tätigkeit
verschiedener Arbeitnehmer. Schüler verrichten indes keine der Schule
dienende Tätigkeit. In der Schule ergeben sich Unfallgefahren insbesondere
auch aufgrund der gruppendynamischen Prozesse, die der Unterricht und das
erzwungene Zusammensein im schulischen Bereich verursachen. Spielerisches
oder auch aggressives Verhalten ist hier vielfach typisch und tritt
insbesondere vor Unterrichtsbeginn, in den Pausen und beim Verlassen der
Schule auf, ohne dass es nach Unterrichtsende abrupt am Schultor endet oder
seinen Bezug zum schulischen Geschehen verliert. Sofern sich spielerisches
oder aggressives Verhalten nach Verlassen des Schulgeländes in diesem Sinn
einer Lockerung der im Schulbetrieb erforderlichen Disziplin noch auf die
innere schulische Verbundenheit von Schädiger und Verletztem zurückführen
lässt, liegt eine Prägung durch die Besonderheiten des Schulbetriebs, also
eine Schulbezogenheit vor, die den Haftungsausschluss jedenfalls dann
rechtfertigt, wenn eine engere räumliche und zeitliche Nähe zu dem
organisierten Betrieb der Schule besteht.
21 (4) Der Bundesgerichtshof hat daher bereits mehrfach ausgesprochen, dass
auch Unfälle außerhalb des Schulgeländes schulbezogen sein können, wenn sie
auf die Vor- oder Nachwirkungen des Schulbetriebs zurückzuführen sind
(Senatsurteil vom 14. Juli 1987 - VI ZR 18/87 - VersR 1988, 167 f. -
Schneeballwurf von außerhalb des Schulgeländes; BGH, Urteil vom 27. April
1981 - III ZR 47/80 - VersR 1981, 849 f. - Schulbushaltestelle). Auch in der
Rechtsprechung der Instanzgerichte ist die Schulbezogenheit von Unfällen in
der Nähe der Schule verschiedentlich bejaht worden (OLG Hamm, VersR 2005,
369 f. - Knallkörperwurf an Bushaltestelle; OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 1174
ff. - Schubserei unter Schülern im Bus; OLG Schleswig, VersR 2002, 238 f. -
Manipulation an Lehrerfahrrad außerhalb des Schulgeländes; LG Detmold, VersR
1991, 204 f. - Umfahren einer Schülergruppe mit dem Mofa auf dem Zufahrtsweg
zur Schule; vgl. auch Wannagat/Waltermann, SGB, § 106 SGB VII Rn. 2a; zum
Teil kritisch: Hauck/Nehls, SGB VII, K § 106 Rn. 9 ff.).
22 (5) Die Bedenken der Revision gegen diese Beurteilung vermag der
erkennende Senat nicht zu teilen.
23 Dass bei einem Unfall der vorliegenden Art eine Haftungsfreistellung des
Schädigers möglicherweise zu verneinen ist, wenn es sich nicht um Schüler,
sondern um junge Auszubildende eines Betriebes handelt, bedeutet keine
Ungleichbehandlung gleich gelagerter Sachverhalte. Die Ausbildung in einem
Betrieb ist nicht vergleichbar mit dem Schulbetrieb, bei dem eine regelmäßig
große Anzahl von Schülern gruppendynamischen Prozessen unterliegt.
24 Der Gesichtspunkt, der Gesetzgeber habe allgemein die Haftung im
Sozialversicherungsrecht verschärfen wollen, wird von der Revision nicht
belegt.
Dafür ist auch nichts ersichtlich. Die Verschärfung der Haftung in § 110
Abs. 1 Satz 3 SGB VII besagt für einen Willen des Gesetzgebers, die Haftung
auch mit Blick auf die §§ 104 ff. SGB VII zu verschärfen, nichts. Dies hat
der erkennende Senat bereits in anderem Zusammenhang ausführlich dargelegt
(Senatsurteil BGHZ 154, 11, 16 ff.).
25 dd) Den dargestellten Grundsätzen wird das angefochtene Urteil gerecht.
Es bejaht den Bezug zur Schule, weil sich die Beteiligten nach
Unterrichtsende an der nahe gelegenen Bushaltestelle mit Schneebällen
bewarfen. Das reicht unter den gegebenen Umständen für die Annahme der
Schulbezogenheit aus. Wenn die Revision meint, der Bezug zum Schulbetrieb
sei schon dadurch unterbrochen gewesen, dass es zu den Schneeballwürfen an
der Bushaltestelle spontan gekommen sei, während vorher keine
Auseinandersetzung stattgefunden habe, ist diese Sichtweise zu eng. Die
Anspannung durch den Schulbesuch muss sich nicht bereits beim Verlassen des
Schulgrundstücks entladen. Vielmehr sind derartige Vorfälle gerade an einer
Bushaltestelle in der Nähe der Schule typisch.
26 ee) Bei dieser Sach- und Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob, wie die
Revisionserwiderung meint und im Berufungsurteil angedeutet ist, eine
Haftung des Beklagten schon deshalb ausscheidet, weil er nicht rechtswidrig
gehandelt hat. Dazu sei vorsorglich nur Folgendes ausgeführt: Es mag
davon ausgegangen werden, dass das Werfen von Schneebällen als solches nicht
rechtswidrig ist. Die Revisionserwiderung verkennt indes, dass bei
unmittelbarer Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter
die Rechtswidrigkeit indiziert wird (st. Rspr., vgl. BGH GSZ BGHZ 24,
21, 24 ff.; Senatsurteil BGHZ 118, 201, 207), ebenso bei der Verletzung
eines Schutzgesetzes, hier: § 229 StGB (vgl. BGHZ 122, 1, 6). Für das
Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes ist nichts vorgetragen. Dass
Schneeballwürfe als solche sozialadäquat sein mögen, reicht für den
Ausschluss der Rechtswidrigkeit bei eingetretener Rechtsgutverletzung nicht
aus.
27 2. Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht auch einen Anspruch
der Klägerin aus § 110 Abs. 1 SGB VII. Danach haften Personen, deren Haftung
nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, wenn sie den
Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben,
Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls
entstandenen Aufwendungen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen
Schadenersatzanspruchs (Satz 1), wobei sich das Verschulden nur auf das
den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen zu beziehen
braucht (Satz 3). Die Vorschrift hat im Vergleich zu § 640 Abs. 1 RVO,
an dessen Stelle sie getreten ist, an dem haftungsauslösenden
Verschuldensgrad nichts geändert, so dass für die Auslegung des Begriffs der
groben Fahrlässigkeit auf die zu § 640 Abs. 1 RVO ergangene Rechtsprechung
zurückgegriffen werden kann (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 2001 - VI ZR
49/00 - VersR 2001, 985, 986, m.w.N.).
28 a) Die Revision stellt zur Überprüfung durch den Senat, ob sich der
Begriff des Verschuldens in § 110 Abs. 1 Satz 3 SGB VII lediglich auf das
Verhalten selbst - also auf die Handlung oder das Unterlassen - des
Schädigers beziehe oder ob - wie es das Berufungsgericht angenommen hat -
vorsätzliches Handeln in diesem Sinne stets ein Wissen und Wollen des
rechtswidrigen Erfolges voraussetze. Sie meint, es reiche aus, dass der
Beklagte den Schneeball absichtlich in die Richtung des W. geworfen habe.
29 Der Standpunkt der Revision ist unrichtig, der des Berufungsgerichts
hingegen ist zutreffend. Für § 110 Abs. 1 SGB VII ist der zivilrechtliche
Vorsatzbegriff des § 276 BGB maßgebend, der Handelnde muss also den
rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben
(so auch Hauck/Nehls, SGB VII, K § 110 Rn. 11).
30 Der Begriff des Verschuldens in § 110 Abs. 1 Satz 3 SGB VII bezieht sich
ersichtlich auf die in Satz 1 genannten Begriffe des Vorsatzes und der
groben Fahrlässigkeit. Vorsatz und Fahrlässigkeit sind als
Verschuldensformen auf das Vertretenmüssen und die damit einher gehende
Haftung des Schuldners bezogen (vgl. § 276 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2
BGB). Vorsatz ist das Wissen und Wollen eines pflichtwidrigen Erfolges.
Vorsätzlich handelt, wer das rechtlich geschützte Interesse eines anderen
bewusst und gewollt verletzt, wobei es genügt, dass der Verletzungserfolg
vielleicht unerwünscht ist, aber billigend in Kauf genommen wird (bedingter
Vorsatz; vgl. Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 1
Rn. 66; auch BGHSt 36, 1, 9). Ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt,
kann durchaus zweifelhaft sein. Der bedingte Vorsatz unterscheidet sich vom
unbedingten Vorsatz dadurch, dass der unerwünschte Erfolg nicht als
notwendig, sondern nur als möglich vorausgesehen wird. Er unterscheidet sich
von der bewussten Fahrlässigkeit dadurch, dass der bewusst fahrlässig
handelnde Täter darauf vertraut, der als möglich vorausgesehene Erfolg werde
nicht eintreten, und aus diesem Grund die Gefahr in Kauf nimmt, während der
bedingt vorsätzlich handelnde Täter sie deshalb in Kauf nimmt, weil er, wenn
er sein Ziel nicht anders erreichen kann, es auch durch das unerwünschte
Mittel erreichen will (BGHSt 7, 363, 370).
31 In diesem sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich gezogenen
Rahmen findet die Auffassung der Revision, die Begriffe Verschulden in Satz
3 oder Vorsatz in Satz 1 könnten rechtlich auf ein nicht vom Wissen und
Wollen einer Rechtsgutverletzung getragenes Handeln bezogen sein, keinen
Platz. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber
beabsichtigt haben könnte, einen Aufwendungsersatzanspruch des
Sozialversicherungsträgers losgelöst von jedem haftungsrechtlichen Bezug an
ein an sich neutrales Verhalten des Schädigers anzuknüpfen. Zwar verfolgen
die in den §§ 104 ff. SGB VII einerseits und in § 110 Abs. 1 SGB VII
andererseits getroffenen Regelungen unterschiedliche Ziele. Maßgeblich für
die in § 110 Abs. 1 SGB VII getroffene Regelung sind letztlich präventive
und erzieherische Gründe. Diese sollen indes nur dann greifen, wenn der
durch das Haftungsprivileg begünstigte Schädiger den Unfall und damit die
Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers durch ein besonders zu
missbilligendes Verhalten verursacht hat (vgl. Senatsurteile BGHZ 75, 328,
330 f.; 154, 11, 18).
32 In diesem Rahmen wurde Satz 3 der Vorschrift eingeführt, weil nach der
Rechtsprechung zu § 640 RVO auch für die Haftung nach dieser Vorschrift
Eintritt und Umfang des Schadens vom Vorsatz oder der groben Fahrlässigkeit
des Schädigers umfasst sein mussten (Senatsurteil BGHZ 75, 328 ff.).
§ 110 Abs. 1 Satz 3 SGB VII ordnet demgemäß lediglich an, dass der Anspruch
aus § 110 Abs. 1 SGB VII bereits dann besteht, wenn - wie im Regelfall (vgl.
Senatsurteile BGHZ 59, 30, 39; 75, 328, 329) - sich das Verschulden
lediglich auf den die Haftung begründenden Tatbestand bezieht, während es
sich auf die konkreten Schadensfolgen nicht beziehen muss.
33 Das Berufungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass die von der Klägerin
vertretene Auffassung zu dem Ergebnis führen würde, dass jegliches bewusste
Handeln einen Ersatzanspruch des Unfallversicherungsträgers nach sich zöge.
Das kann nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden. Dagegen spricht schon,
dass das Gesetz Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der
Verletzungshandlung fordert, die Feststellung eines grob fahrlässigen
Verhaltens, also einer schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzung (vgl.
dazu unten c), aber völlig sinnlos wäre, wenn schon die Ausdehnung des
Vorsatzbegriffs auf praktisch alle bewussten Handlungen, wie ihn die
Klägerin vertritt, zu einer Haftung in nahezu allen denkbaren Fällen führen
würde.
34 b) Die Annahme der Revision, der Beklagte habe entgegen der Ansicht des
Berufungsgerichts jedenfalls grob fahrlässig gehandelt, ist verfehlt.
35 Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht
entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen
Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und
es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem
hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt
für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes
personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen
pflegt. Vielmehr erscheint eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten
Schädigers im Wege des Rückgriffs nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch
subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in
§ 276 Abs. 1 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (Senatsurteile
vom 12. Januar 1988 - VI ZR 158/87 - VersR 1988, 474, 475 und vom 30. Januar
2001 - VI ZR 49/00 - aaO, m.w.N.; vgl. ferner BGHZ 119, 147, 149).
36 Dafür reicht es nicht aus, dass Schneeballwerfen im Schulbereich
möglicherweise regelmäßig verboten sein mag, wobei die Revision schon nicht
darlegt, dass in den Tatsacheninstanzen entsprechend vorgetragen worden ist.
Es reicht auch nicht aus, dass bei Schneeballwürfen immer die Gefahr einer
Verletzung des menschlichen Zielobjekts bestehen mag und dass der Beklagte
den Schneeball absichtlich in Richtung des W. geworfen hat. Den anderen zu
treffen, ist gerade der Sinn einer Schneeballschlacht und zu Unfällen kann
es bei fast jeder spielerischen oder sportlichen Betätigung kommen. Der
Vorwurf grober Fahrlässigkeit ist bei einem derartigen Geschehen daher nur
dann gerechtfertigt, wenn aus besonderen Gründen, etwa aufgrund des Zustands
des Schnees oder des Vorhandenseins massiver Fremdkörper, mit einer
Verletzung Dritter gerechnet werden muss und das Werfen des Schneeballs
deshalb als besonders verantwortungslos erscheint. Dafür ist hier nichts
vorgetragen oder ersichtlich, ohne dass es noch darauf ankäme, dass W. den
ersten Schneeball geworfen und der Beklagte lediglich darauf reagiert hat.
III. 37 Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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