Grenzen der fiktiven Abrechnung von
Reparaturkosten nach § 249 Abs. 2 BGB; schadensrechtliches
Bereicherungsverbot
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2013 - VI
ZR 24/13 - LG Düsseldorf
Fundstelle:
NJW 2014, 535
Amtl. Leitsatz:
Lässt der Geschädigte einen
Kraftfahrzeugsachschaden sach- und fachgerecht in dem Umfang reparieren, den
der eingeschaltete Sachverständige für notwendig gehalten hat, und
unterschreiten die von der beauftragten Werkstatt berechneten
Reparaturkosten die von dem Sachverständigen angesetzten Kosten, so beläuft
sich auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung der zur Herstellung
erforderliche Geldbetrag auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten. Der
Geschädigte hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Zahlung des vom
Sachverständigen angesetzten Nettobetrags zuzüglich der tatsächlich
gezahlten Umsatzsteuer, soweit dieser Betrag die tatsächlich gezahlten
Bruttoreparaturkosten übersteigt.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung legt die Grundlagen einer fiktiven
Reparaturkostenabrechnung beim Kfz-Schaden dar. Im konkreten Fall hatte der
Geschädigte das Fahrzeug fachgerecht reparieren lassen, wollte aber dann auf
Basis der vom Sachverständigen ermittelten höheren Kosten abrechnen. Das
widerspricht dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot. Der Geschädigte
kann immer aufgrund der vom Sachverständigen ermittelten Reparaturkosten
abrechnen, ohne eine tatsächliche Reparatur nachweisen zu müssen. Letzteres
ist nur für die Frage der Umsatzsteuer von Bedeutung (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB.
Die bei der Reparatur anfallende Umsatzsteuer kann der Geschädigte nämlich
nur geltend machen, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.
Rechnet der Geschädigte auf Reparaturkostenbasis ab, kann er grundsätzlich
die Kosten für die Reparatur in einer Fachwerkstatt verlangen. Allerdings
verbleibt dem Geschädigten die Möglichkeit des Nachweises, dass die
Reparatur in zumutbarer Weise günstiger erfolgen kann. Hat nun der
Geschädigte die Reparatur bereits selbst günstiger durchführen lassen, hat
er selbst dargelegt, dass eine günstigere Reparatur möglich war. Sein
Vorbringen, mit welchem er die Abrechnung auf Basis der vom Gutachter
ermittelten Kosten verlangt, ist damit bereits unschlüssig.
Zu beachten ist allerdings, dass der Kläger hier auch anders hätte vorgehen
können. Hätte er zunächst fiktiv auf Basis der vom Gutachter ermittelten
Kosten abgerechnet und erst anschließend die günstigere Reparatur
durchgeführt, hätte er den Differenzbetrag erhalten können!
©sl 2014
Tatbestand:
1 Der beklagte Haftpflichtversicherer
hat dem Kläger unstreitig den bei einem Verkehrsunfall im Oktober 2010
entstandenen Fahrzeugschaden zu ersetzen.
2 Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, in dem die
Reparaturkosten auf brutto 8.346,72 € (netto 7.014,05 €) beziffert wurden,
ließ der Kläger sein Fahrzeug auf der Grundlage des Gutachtens bei der Firma
O. nach Maßgabe des Gutachtens sach- und fachgerecht instand setzen. Die
Firma O. stellte dem Kläger Reparaturkosten in Höhe von brutto 7.492,22 €
(netto 6.295,98 €) in Rechnung. Der Kläger rechnete den Schaden gegenüber
der Beklagten auf der Grundlage des Gutachtens ab. Diese regulierte den
Schaden unter Zugrundelegung der tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten
in Höhe von 7.492,22 €.
3 Mit der Klage hat der Kläger weiteren Schadensersatz in Höhe von 718,07 €
verlangt. Diesen Anspruch errechnet er unter Zugrundelegung des vom
Gutachter festgestellten Nettoreparaturaufwandes in Höhe von 7.014,05 € und
der von ihm tatsächlich für die Instandsetzung gezahlten Mehrwertsteuer in
Höhe von 1.196,24 €, wobei er die von der Beklagten gezahlten
Reparaturkosten in Höhe von 7.492,22 € in Abzug bringt.
4 Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die
Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit
der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht führt im Wesentlichen aus:
6 Der Kläger könne neben den Nettoreparaturkosten gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2
BGB auch die für die tatsächliche Reparatur aufgewendete Mehrwertsteuer in
Höhe des eingeklagten Betrages ersetzt verlangen. Vorliegend sei die geltend
gemachte Umsatzsteuer tatsächlich und für die Wiederherstellung des
beschädigten Klägerfahrzeugs angefallen. Einer Kumulierung der
fiktiven Abrechnung mit tatsächlich angefallener Umsatzsteuer einer
Billigreparatur stünden weder eine etwaige Bindungswirkung an die
ursprünglich gewählte Abrechnungsart noch das Verbot der Vermischung
fiktiver und konkreter Abrechnungen entgegen. Nach Auffassung der
Kammer könne der Geschädigte dann, wenn er die Unfallschäden an seinem
Fahrzeug durch Teil-, Billig- oder Behelfsreparatur nur zum Teil beseitigen
lasse, die hierfür aufgewendete Umsatzsteuer ungekürzt neben den durch ein
Sachverständigengutachten ermittelten Nettoreparaturkosten als Kosten der
Schadensbeseitigung geltend machen. Es sei nicht erkennbar, weshalb im Falle
einer Teil- bzw. Billigreparatur die konkret angefallene Mehrwertsteuer
neben den von einem Sachverständigen ermittelten Nettoreparaturkosten
ersatzfähig sein solle, dies aber bei einer billigeren vollständigen und
fachgerechten Reparatur zu günstigeren Konditionen, als vom Sachverständigen
errechnet, nicht gelten solle.
II.
7 Die dagegen gerichtete Revision ist begründet und führt zur Abweisung der
Klage. Das Klagevorbringen ist unschlüssig.
8 1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist bei der
fiktiven Abrechnung eines Kraftfahrzeugsachschadens von folgenden
Grundsätzen auszugehen.
9 Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive
Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen
Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde
legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen
regionalen Markt ermittelt hat. Nach der Rechtsprechung des
erkennenden Senats besteht grundsätzlich ein Anspruch des
Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt
anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen
tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt.
Allerdings ist unter Umständen - auch noch im Rechtsstreit - ein Verweis des
Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und
ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder "freien"
Fachwerkstatt möglich, wenn der Schädiger darlegt und gegebenenfalls
beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her
der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und der
Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur außerhalb der
markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen (Senatsurteile vom
23. März 1976 - VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241; vom 29. April 2003 - VI ZR
398/02, BGHZ 155, 1, 3 f. - Porsche-Urteil; vom 20. Oktober 2009
- VI ZR 53/09, BGHZ 183, 21 Rn. 7 ff. - VW-Urteil; vom 23. Februar 2010 - VI
ZR 91/09, VersR 2010, 923 Rn. 9, 11 - BMW-Urteil; vom 22. Juni 2010 - VI ZR
302/08, VersR 2010, 1096 Rn. 6 f. - Audi-Quattro-Urteil; vom 22. Juni 2010 -
VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rn. 6 f. - Mercedes-A 170-Urteil; vom 13.
Juli 2010 - VI ZR 259/09, VersR 2010, 1380 Rn. 5 ff. - Mercedes-A
140-Urteil; vom 14. Mai 2013 - VI ZR 320/12, VersR 2013, 876 Rn. 8).
10 2. Die Verweisung des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit
lässt der erkennende Senat deshalb zu, weil die Angaben des Sachverständigen
in seinem Gutachten zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten
keinesfalls stets verbindlich den Geldbetrag bestimmen, der im Sinne des §
249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Herstellung erforderlich ist. Bei fiktiver
Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug
zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der
Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich
veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret
vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf
einer objektiven Grundlage zufrieden gibt. Hinweise der
Schädigerseite auf Referenzwerkstätten dienen dazu, der Behauptung des
Geschädigten entgegenzutreten, der vom Sachverständigen ermittelte Betrag
gebe den zur Herstellung erforderlichen Betrag zutreffend wieder (vgl.
Senatsurteil vom 14. Mai 2013 - VI ZR 320/12, VersR 2013, 876 Rn. 11).
Kann die Schädigerseite die zumutbare Möglichkeit der
Inanspruchnahme einer preiswerteren Werkstatt ausreichend darlegen und
notfalls beweisen, ist auf der Grundlage der preiswerteren
Reparaturmöglichkeit abzurechnen.
11 3. Angesichts dieser Rechtslage versteht es sich von selbst, dass
auf der Grundlage einer preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen ist,
wenn ein Verweis der Schädigerseite darauf nicht einmal erforderlich ist,
weil der Geschädigte die Möglichkeit einer vollständigen und fachgerechten,
aber preiswerteren Reparatur selbst darlegt und sogar wahrgenommen hat.
Der Vortrag des Geschädigten, trotzdem sei der vom Sachverständigen
angegebene Betrag zur Herstellung erforderlich, ist dann unschlüssig. Eine
abweichende Betrachtung würde dazu führen, dass der Geschädigte an dem
Schadensfall verdient, was dem Verbot widerspräche, sich durch
Schadensersatz zu bereichern (vgl. dazu Senatsurteile vom 29. April
2003 - VI ZR 393/02 , BGHZ 154, 395, 397 f.; vom 15. Februar 2005 - VI ZR
70/04, BGHZ 162, 161, 164 f.; vom 7. Juni 2005 - VI ZR 192/04, BGHZ 163,
180, 184; vom 6. März 2007 - VI ZR 120/06, BGHZ 171, 287 Rn. 6; vom 22.
September 2009 - VI ZR 312/08, VersR 2009, 1554 Rn. 7; vom 18. Oktober 2011
- VI ZR 17/11, VersR 2011, 1582 Rn. 6, 8; vom 5. Februar 2013 - VI ZR
363/11, VersR 2013, 471 Rn. 11 = r + s 2013, 203 m. Anm. Lemcke, dazu auch
Schneider, jurisPR-VerkR 6/2013 Anm. 1).
12 Deshalb beläuft sich auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung der
zur Herstellung erforderliche Geldbetrag auf die tatsächlich angefallenen
Bruttokosten, wenn der Geschädigte seinen Kraftfahrzeugsachschaden sach- und
fachgerecht in dem Umfang reparieren lässt, den der eingeschaltete
Sachverständige für notwendig gehalten hat, und die von der beauftragten
Werkstatt berechneten Reparaturkosten die von dem Sachverständigen
angesetzten Kosten unterschreiten. Der Geschädigte hat in diesem
Fall keinen Anspruch auf Zahlung des vom Sachverständigen angesetzten
Nettobetrags zuzüglich der tatsächlich gezahlten Umsatzsteuer,
soweit dieser Betrag die tatsächlich gezahlten Bruttoreparaturkosten
übersteigt.
13 4. Auf die vom Berufungsgericht erörterte umstrittene Frage, ob bei
fiktiver Abrechnung unter Umständen tatsächlich aufgewendete Umsatzsteuer
neben den vom Sachverständigen ermittelten Nettoreparaturkosten ersetzt
verlangt werden kann, wenn der Geschädigte sich mit einer Eigen-, Teil- oder
Billigreparatur zufrieden gibt, kommt es für die vorliegende Fallgestaltung
nicht an (vgl. zur Problematik z.B. LG Bremen, Urteil vom 24. Mai 2012 - 7 S
277/11, juris Rn. 20; LG Bückeburg, Urteil vom 29. September 2011 - 1 O
86/11, juris Rn. 33; LG Hagen, Urteil vom 2. Juli 2009 - 10 O 24/09, juris
Rn. 6 ff.; AG Hildesheim, Urteil vom 6. Januar 2007 - 49 C 118/06, juris Rn.
16 ff.; BeckOK BGB/Schubert, § 249 Rn. 220 [Stand: 1. März 2011]; Geigel/Freymann,
Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 5 Rn. 13; Geigel/Knerr, aaO, Kap. 3
Rn. 39; Jahnke in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22.
Aufl., § 249 Rn. 266; Lemcke in van Bühren/Lemcke/Jahnke, Anwaltshandbuch
Verkehrsrecht, 2. Aufl., Teil 3, Rn. 98 ff.; MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl.,
§ 249 Rn. 467; Palandt/Grüneberg, 72. Aufl., § 249 Rn. 27; Heß, NZV 2004, 1,
4). Denn unstreitig ist der Schaden am Fahrzeug des Klägers
vollständig und fachgerecht nach den Vorgaben des Sachverständigen beseitigt
worden.
14 5. Auch auf den von der Revision angesprochenen Gesichtspunkt,
dass eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis unter Berücksichtigung der
Wiederbeschaffungskosten und des Restwerts ohnehin nicht möglich gewesen
sei, kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht an. Die Beklagte hat
auf Reparaturkostenbasis abgerechnet und die Klage ist hinsichtlich des
damit geltend gemachten noch streitigen Betrages abzuweisen. Insoweit kann
der erkennende Senat selbst entscheiden, da tatsächliche Feststellungen
nicht mehr zu treffen sind und die Sache deshalb zur Endentscheidung reif
ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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