IZPR: Internationale Zuständigkeit für Direktklagen gegen
den Versicherer nach Art. 11 I b) EuGVVO am Wohnsitz des Geschädigten; keine
(Annex-)Zuständigkeit für eine Klage gegen den Schädiger
BGH, Urteil vom 24. Februar 2015 - VI
ZR 279/14 - LG Dortmund
Fundstelle:
NJW 2015, 2429
Amtl. Leitsatz:
1. Ist eine Klage gegen mehrere einfache
Streitgenossen erhoben worden und fehlt es bezüglich eines von ihnen an der
internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, kann er durch
Teilurteil aus dem Prozess entlassen werden.
2. Nach Art. 11 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.
Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden:
EuGVVO) i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO kann der Geschädigte, der
seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht seines
Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben, sofern eine
solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Sitz im
Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (Anschluss an BGHZ 176,
276).
3. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eröffnet trotz Konnexität mit der Klage gegen den
Versicherer diesen Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers nicht für eine
Klage gegen den Versicherten oder Versicherungsnehmer, wenn dieser gemäß
Art. 2 Abs. 1 EuGVVO seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen
Mitgliedstaats als dem des Kläger hat. Die durch den sogenannten
"Ankerbeklagten" vermittelte internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1
EuGVVO kann nur auf dessen Wohnsitzgerichtsstand (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO)
gestützt werden.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung ist noch zur EuGVVO in der früheren Fassung
ergangen, insoweit hat die Neufassung der
EuGVVO m.W.v. 10.1. 2015
aber keine sachlichen Änderungen gebracht, lediglich die Nummerierung der
entsprechenden Artikel hat sich geändert (Art. 9 EuGVVO a.F. ist jetzt Art.
11 EuGVVO n.F,; Art. 11 EuGVVO a.F. ist Art. 13 EuGVVOn a.F., jeweils
wortgleich).
In Belgien hatte sich ein Verkehrsunfall ereignet, der in Deutschland
ansässige Geschädigte klagt in Deutschland gegen die Haftpflichtversicherung
des Schädigers (Direktanspruch). Insoweit besteht eine Zuständigkeit am
Wohnsitz des Geschädigten nach Art. 9 I Buchst. b) EuGVVO a.F. (jetzt: Art.
11 I Buchst, b). Den Schädiger selbst kann er vor diesen Gerichten nur nach
Maßgabe von Art. 11 III EuGVVO a.F. (Art. 13 III EuGVVO n.F.) verklagen. Da
aber eine Streitverkündung in diesem Verhältnis nach der ZPO nicht möglich
ist, besteht eine solche Zuständigkeit nicht. Auch aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO
a.F./n.F. hilft nicht weiter: Danach kann bei einer engen Beziehung zweier
Klagen ein Mitbeklagter am Wohnsitzgerichtsort (oder Niederlassungsort, s.
Art. 63 EuGVVO n.F.) des anderen Beklagten mit verklagt werden. Das setzt
aber voraus, dass der sog. "Ankerbeklagte" an seinem Wohnsitz verklagt wird.
Das war hier nicht der Fall, da die Zuständigkeit für die Klage gegen die
Versicherung nicht auf deren Niederlassung, sondern auf dem Wohnsitz des
Klägers beruhte. Eine analoge Anwendung schließt der Senat unter Hinweis auf
die Rspr. des EuGH aus (weshalb auch wegen des Vorliegens eines "acte
clair" keine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV notwendig war). Das
beruht auf dem besonderen Gerechtigkeitsgehalt des Grundsatzes des
Beklagtengerichtsstands in Art. 4 I EuGVVO ("actor sequitur forum rei": Der
Kläger folgt dem Gericht des Beklagten). Dieser führt dazu, dass die
Ausnahmen hiervon eng auszulegen sind.
©sl 2015
Tatbestand:
1 Der Kläger begehrt Ersatz materiellen Schadens aufgrund eines
Verkehrsunfalls, der sich am 10. Dezember 2011 auf der Autobahn E 40
in Belgien ereignete. Der in Dortmund wohnhafte
Kläger ist Halter und Fahrer des unfallbeteiligten PKW VW Transporter Kombi,
die Beklagte zu 1 (im Folgenden Beklagte) ist Fahrerin des ebenfalls
unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges und wohnt in Belgien. Ihr Kraftfahrzeug
ist bei der an den Rechtsmittelverfahren nicht beteiligten Beklagten zu 2
haftpflichtversichert. Dieser Haftpflichtversicherer hat seinen Sitz in
Belgien.
2 Kläger und Beklagte fuhren mit ihren Fahrzeugen auf der Autobahn Richtung
Ostende, auf der mittleren Fahrspur fuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug auf
das Fahrzeug der Beklagten auf. Es ist streitig, ob ein zuvor erfolgter
Spurwechsel der Beklagten seinen Abstand zu ihr derart verkürzte, dass das
Auffahren nach einer Bremsung der Beklagten für den Kläger trotz einer
Vollbremsung nicht zu vermeiden war.
3 Das Amtsgericht hat mit Zwischenurteil vom 15. August 2013 festgestellt,
dass die Klage gegen die Beklagte mangels örtlicher Zuständigkeit des
angerufenen Gerichts unzulässig sei. Das Landgericht hat mit Urteil vom 18.
Juni 2014 die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil mit der
Klarstellung zurückgewiesen, dass es sich um ein Teilurteil handele, dessen
Tenor laute, dass die Klage gegen die Beklagte abgewiesen werde, und hat die
Revision zugelassen.
4 Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Verurteilung der
Beklagten als Gesamtschuldnerin mit dem erstinstanzlich beklagten
Haftpflichtversicherer in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
5 Das Berufungsgericht führt aus, dass es sich entgegen der Bezeichnung des
amtsgerichtlichen Urteils bei der verkündeten Entscheidung um ein Endurteil
in Form eines Teilurteils und nicht um ein Zwischenurteil handele. Stelle
sich - wie im Streitfall - im Rahmen einer gemäß § 280 Abs. 1 ZPO
abgesonderten Verhandlung über die Zulässigkeit einer Klage heraus, dass sie
nicht zulässig sei, so sei sie durch Endurteil als unzulässig abzuweisen.
Die fehlerhafte Bezeichnung des Urteils als Zwischenurteil hindere indes
seine Bindungswirkung und die Statthaftigkeit der Berufung nicht.
Die Klage sei unzulässig, da das angerufene Gericht international nicht
zuständig sei. Für die gegen die Beklagte gerichtete Klage sei in
Deutschland kein Gerichtsstand begründet. Der allgemeine Gerichtsstand der
Beklagten liege gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des
Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(Abl. L 12 vom 16. Januar 2001, S. 1, in der bis zum 9. Januar 2015
geltenden Fassung, im Folgenden EuGVVO) in Belgien, da dort ihr
Wohnsitz sei. Besondere Gerichtsstände in der Bundesrepublik Deutschland
seien nicht einschlägig. In Bezug auf die ebenfalls beklagte
Haftpflichtversicherung greife zwar gemäß Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs.
1 Buchst. b EuGVVO ein besonderer Gerichtsstand ein, demzufolge die
Versicherung zulässigerweise in Deutschland verklagt werden könne. Die Norm
finde jedoch auf die Beklagte als Fahrerin des unfallbeteiligten PKW keine
Anwendung. Die inländischen Gerichte seien auch nicht wegen des engen
Sachzusammenhangs mit der Klage gegen die Beklagte zu 2 gemäß Art. 6 Nr. 1
EuGVVO international zuständig. Die Voraussetzungen dieser
Zuständigkeitsregelung seien nicht erfüllt. Die Norm setze nach ihrem
Wortlaut voraus, dass der Wohnsitz eines der Beklagten an dem zu
begründenden Gerichtsstand liegen müsse. Dies sei hier nicht der Fall. Die
Beklagte wohne in Belgien, die Beklagte zu 2 habe ihren Sitz ebenfalls in
Belgien. Es gebe keinen Anlass, die Norm entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut
auf andere Gerichtsstände als den allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes
zu erstrecken.
II.
6 Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des
Berufungsgerichts, die Klage habe durch Teilurteil als unzulässig abgewiesen
werden dürfen.
7 1. Gemäß § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht die Endentscheidung durch
Teilurteil zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten
Ansprüchen nur der eine oder nur ein Teil eines Anspruchs zur
Endentscheidung reif ist. § 301 ZPO dient der Beschleunigung, soll aber auch
die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Entscheidung in ein und
demselben Rechtsstreit gewährleisten (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 1999
- VI ZR 77/98, VersR 1999, 734 f.). Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs darf ein Teilurteil nur ergehen, wenn die Gefahr einander
widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist; dabei ist auch die
Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung durch ein Rechtsmittelgericht zu
berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 29. März 2011 - VI ZR 117/10, BGHZ
189, 79 Rn. 15; BGH, Urteile vom 17. Januar 2012 - X ZR 59/11, BGHZ 193, 60
Rn. 8; vom 7. November 2006 - X ZR 149/04, MDR 2007, 539; Beschluss vom 7.
Juli 2010 - XII ZR 158/09, ZIP 2010, 2410 Rn. 13). Eine solche Gefahr
besteht in der Regel bei einer Mehrheit selbständiger prozessualer
Ansprüche, wenn zwischen ihnen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht
oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind
(vgl. Senatsurteil vom 29. März 2011 - VI ZR 117/10, BGHZ 189, 79 Rn. 16).
Eine materiell-rechtliche Verzahnung kann bei subjektiver Klagehäufung, aber
auch bei objektiver Häufung inhaltlich zusammenhängender Anträge auftreten
(vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2003 - V ZR 123/03, BGHZ 157, 133, 143).
Ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen
Streitgenossen ist daher in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit
besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu
einander widersprechenden Entscheidungen kommt. Über ein
Prozessrechtsverhältnis darf deshalb nicht vorab durch Teilurteil
entschieden werden, wenn eine gemeinsame Beweisaufnahme in Betracht kommt
(vgl. BGH, Urteile vom 17. Januar 2012 - X ZR 59/11, BGHZ 193, 60 Rn. 8; vom
19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02, ZIP 2003, 594 f.). Zwar muss gegenüber
einfachen Streitgenossen grundsätzlich keine einheitliche Entscheidung
getroffen werden. Eine Teilentscheidung ist aber nur zulässig, wenn sie
unabhängig von der Entscheidung über den restlichen Verfahrensgegenstand ist
(BGH, Urteil vom 13. Oktober 2008 - II ZR 112/07, NJW 2009, 230 Rn. 8).
8 Eine materiell-rechtliche Verzahnung, die einem Teilurteil entgegenstehen
kann, kommt bei der Klage gegen Versicherungsnehmer und
Haftpflichtversicherer, die im Verhältnis untereinander einfache
Streitgenossen sind (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1974 - IV ZR 212/72, BGHZ
63, 51, 52 ff.), regelmäßig dann in Betracht, wenn um den Haftungsgrund
gestritten wird. Eine solche Verzahnung hindert nicht stets den Erlass eines
Teilurteils, insbesondere dann nicht, wenn die Klage wegen fehlender
internationaler Zuständigkeit nicht gegen alle Streitgenossen zulässig ist.
Dann besteht in aller Regel ein rechtlich anzuerkennendes Bedürfnis, den
Streitgenossen, bezüglich dessen die Klage bereits unzulässig ist, durch
Teilurteil aus dem Prozess zu entlassen (vgl. BGH, Urteil vom 27. September
2013 - V ZR 232/10, ZOV 2014, 16 Rn. 2, 8 ff.; Dressler in BeckOK ZPO, § 61
Rn. 11 [Stand 1. Januar 2013]; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. §
301 Rn. 31).
9 2. So verhält es sich im Streitfall, weil das Berufungsgericht die
internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage gegen die
Beklagte zu Recht verneint hat.
10 a) Die internationale Zuständigkeit richtet sich hier nach der schon
zitierten Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO), nachdem die Klage nach dem
Inkrafttreten dieser Verordnung am 1. März 2002 erhoben (vgl. Art. 76, 66
Abs. 1 EuGVVO) und der sachliche und räumliche Geltungsbereich der
Verordnung (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 3 EuGVVO) im Verhältnis der
Bundesrepublik Deutschland zu Belgien als Mitgliedstaat eröffnet ist.
Die sie ersetzende Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012, Abl. L. 351 vom 20. Dezember
2012, S. 1) gilt gemäß deren Art. 81 Satz 2, Art. 66 Abs. 1 erst für
diejenigen Klagen, welche ab dem 10. Januar 2015 erhoben wurden.
11 b) Die Beklagte, die Unfallgegnerin des hier klagenden Geschädigten, hat
ihren Wohnsitz in Belgien. Auch die mitverklagte Beklagte zu 2, ihr
Haftpflichtversicherer, hat den Sitz in Belgien.
12 Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die
internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage gegen die
Beklagte zu 2 gegeben sein kann. Nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2007 - C-463/06,
Slg. 2007, I-11321 - FBTO/Odenbreit), der der erkennende Senat gefolgt ist,
kann nach
Art. 11 Abs. 2 EuGVVO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO der Geschädigte,
der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht seines
Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben, sofern eine
solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz
im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats hat (vgl. Senatsurteil vom 6.
Mai 2008 - VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276 Rn. 3, 5).
13 Für die Klage gegen die zu 1 beklagte Unfallgegnerin und
Versicherungsnehmerin sind dagegen gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich
die Gerichte ihres Wohnsitzstaates, also die belgischen Gerichte,
international zuständig. Nach Art. 3 Abs. 1 EuGVVO können Personen, die
ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, vor den
Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der
Abschnitte 2 bis 7 des zweiten Kapitels der EuGVVO verklagt werden. Zu den
Regelungen, die eine Klage vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats
zulassen, gehört auch Art. 6 Nr. 1 EuGVVO. Danach kann eine Person, die
ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, wenn mehrere
Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer
der Beklagten seinen Wohnsitz hat, verklagt werden, sofern zwischen den
Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung
und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten
Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.
14
Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht aber zu Recht
davon ausgegangen, dass über diese Regelung des Mehrparteiengerichtsstandes
(vgl. dazu Kropholler/v. Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl.,
Art. 6 EuGVO Rn. 4) bzw. des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft (vgl.
Geimer in derselbe/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl.,
Art. 6 Rn. 3) keine Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage gegen
die Beklagte begründet wird, selbst wenn die gemäß Art. 6 Nr. 1 EuGVVO
erforderliche Konnexität beider Klagen gegeben sein sollte. Nach seinem
Wortlaut setzt Art. 6 Nr. 1 EuGVVO voraus, dass mindestens einer der
mehreren Beklagten seinen Wohnsitz am Ort des Gerichts hat. Das ist im
Streitfall nicht gegeben. Eine allein mit der Konnexität begründete
erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dahingehend, dass es für die
Annexzuständigkeit genügt, dass ein Mitbeklagter oder Streitgenosse aufgrund
einer anderen Gerichtsstandsregelung als der allgemeinen des Art. 2 Abs. 1
EuGVVO, nämlich einer Regelung eines besonderen Gerichtsstandes, seinen
Gerichtsstand am Wohnsitzgericht des Klägers hat, kommt nicht in Betracht
(allg. Ansicht, vgl. dazu grundsätzlich Kropholler/v. Hein, Europäisches
Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 6 EuGVO Rn. 12; Geimer in Zöller, ZPO, 30.
Aufl., Art. 6 EuGVO Rn. 2; Pfeiffer in Prütting/Gehrlein, ZPO, 6. Aufl.,
Art. 6 EUGVO Rn. 3; Wagner in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., Art. 6 EuGVVO Rn.
8, 15 f.; speziell für den Fall der Direktklage gegen den
Haftpflichtversicherer am Wohnsitzgericht des Klägers Riedmeyer in
Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl., AuslUnf Rn. 112;
Riedmeyer, r+s Beil. 2011, 91, 94; Staudinger/Czaplinski, NJW 2009, 2249,
2253; Nugel, ju-risPR-VerkR 13/2013 Anm. 3 zu AG Rosenheim, NZV 2013, 194).
Die Zuständigkeit für die Klage gegen den sogenannten "Ankerbeklagten" muss
sich auf dessen Wohnsitz stützen (vgl. Wagner, aaO, Rn. 15; Pfeiffer, aaO,
Rn. 3).
15 Dies ergibt sich aus dem - schon angeführten - klaren Wortlaut von Art. 6
Nr. 1 EuGVVO und steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften.
Danach sind die Vorschriften der genannten Verordnung autonom unter
Berücksichtigung ihrer Systematik und ihrer Zielsetzungen auszulegen (EuGH,
Urteil
vom 13. Juli 2006 - C-103/05, Slg. 2006, I-06827 Rn. 29 - Reisch Montage).
Ausgangspunkt dieser Auslegung sind die Erwägungsgründe der EuGVVO, die -
soweit für den Streitfall von Bedeutung - wie folgt lauten:
"(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein
und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese
Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten
Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit
der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist...
(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative
Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung
zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten
Rechtspflege zuzulassen sind.
(15) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren
so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten
miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen ..."
16 Sie gebieten, die besonderen Zuständigkeitsregelungen, zu denen auch
Art. 6 EuGVVO gehört (vgl. Art. 3 Abs. 1 EuGVVO), eng auszulegen; eine
Auslegung über die ausdrücklich in der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen
Fälle hinaus ist unzulässig (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-103/05,
Slg.
2006, I-06827 Rn. 23 - Reisch Montage; vom 11. Oktober 2007 - C-98/06, Slg.
2007, I-08319 Rn. 35 - Freeport; speziell zu Art. 6 Nr. 1 EuGH, Urteil vom
11. April 2013 - C-645/11, NJW 2013, 1661 Rn. 41 - Sapir u.a.; vom 22. Mai
2008 - C-462/06, Slg. 2008, I-03965 Rn. 28 - Glaxosmithkline; vom 1.
Dezember 2011 - C-145/10, Slg. 2011, I-12533 Rn. 74 - Painer/Standard).
Laut
dem Erwägungsgrund Nr. 11 der EuGVVO müssen die Zuständigkeitsvorschriften
in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz der
Beklagten richten (EuGH, Urteil vom 11. Oktober 2007 - C-98/06, Slg. 2007,
I-08319 Rn. 36 - Freeport). Die in Art. 2 EuGVVO vorgesehene Zuständigkeit,
d.h. die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen
Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, stellt den allgemeinen
Grundsatz dar und besondere Zuständigkeitsregelungen in Abweichung von
diesem Grundsatz sieht die Verordnung nur für abschließend aufgeführte Fälle
vor (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 - C-103/05, Slg. 2006, I-06827 Rn.
22 - Reisch Montage). Der Charakter eines allgemeinen Grundsatzes in Art. 2 EuGVVO erklärt
sich daraus, dass diese Zuständigkeitsregel dem Beklagten normalerweise die
Verteidigung erleichtert. Infolgedessen können die von diesem allgemeinen
Grundsatz abweichenden Zuständigkeitsregeln nicht zu einer Auslegung führen,
die über die in dem Übereinkommen vorgesehenen Fälle hinausgeht (vgl. EuGH,
Urteil vom 17. Juni 1992 - C-26/91, Slg. 1992, I-3967 Rn.14 - Hand-te/TMCS
zu der im Wesentlichen gleichlautenden Regelung in Art. 2 EuGVÜ).
17 Gemessen daran würde die Begründung des Mehrparteiengerichtsstandes des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO über die besondere Zuständigkeit in
Versicherungssachen gemäß Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO dem
Versicherten oder Versicherungsnehmer den Schutz nehmen, den diese
Verordnung mit dem allgemeinen Grundsatz der Zuständigkeit des
Wohnsitzgerichtes verbunden mit dem abschließenden Katalog der besonderen
Zuständigkeiten gewähren will. Für den Versicherten bzw. Versicherungsnehmer
wäre nicht zuverlässig vorhersehbar, welche Gerichte für eine gegen ihn
gerichtete Klage international zuständig wären. Die Systematik der
Verordnung würde beeinträchtigt, ließe man zu, dass eine Zuständigkeit nach
Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO, bei der es sich um eine
besondere Zuständigkeit handelt, die auf abschließend aufgeführte Fälle
beschränkt ist, als Grundlage für eine Zuständigkeit für andere Klagen
dienen könnte (vgl. zu Art. 5 und Art. 6 Nr. 1 EuGVVO EuGH, Urteil vom 11.
Oktober 2007 - C-98/06, Slg. 2007, I-08319 Rn. 46 - Freeport). Die von der
Revision geforderte erweiternde Auslegung bzw. analoge Anwendung würde ein
Verlassen des abschließenden Kataloges der besonderen Zuständigkeiten
bedeuten. Eine Regelungslücke der Verordnung ist insoweit nicht erkennbar.
Mit dem deutlichen Hinweis auf den abschließenden Katalog der besonderen
Zuständigkeiten hat der Europäische Gerichtshof auch klar gestellt, dass die
in dem Erwägungsgrund Nr. 15 formulierte Zielsetzung, Parallelverfahren zur
Verhinderung miteinander unvereinbarer Entscheidungen zu vermeiden, hinter
dieser der Rechtssicherheit geschuldeten Regelung eines abschließenden
Zuständigkeitskatalogs zurücktreten muss. Da die EuGVVO in Art. 27 und Art.
28 über die Möglichkeit der Aussetzung einen Weg zur Vermeidung miteinander unvereinbarer Entscheidungen
anbietet, ist dieser Zielsetzung anderweit Rechnung getragen.
18 Im Übrigen ist die Frage der Möglichkeit einer erweiternden Auslegung der
Annexzuständigkeit des Art. 6 Nr. 1 EuGVVO lediglich wegen der Konnexität
geklärt durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Oktober 1998
(- C-51/97, Slg. 1998, I-06511 Rn. 44 ff. - Réunion Européenne) zu der im
Wesentlichen gleichlautenden Vorschrift in Art. 6 EuGVÜ (vgl. auch EuGH,
Urteil vom 11. Oktober 2007 - C-98/06, Slg. 2007, I-08319 Rn. 46 - Freeport
zu
Art. 6 Nr. 1 EuGVVO).
19 Dieses Urteil bezog sich auf eine Klage, die vor einem Gericht eines
Mitgliedstaats (Frankreich) anhängig gemacht worden war, in dem keiner der
drei Beklagten des Ausgangsverfahrens seinen Wohnsitz hatte, und bei der
sich die Zuständigkeit des französischen Gerichts für den in Australien
ansässigen Beklagten aus Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ (entspr. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO
bzw. Art. 7 Nr. 3
EuGVVO 2012) ableitete. Darin hat der Europäische Gerichtshof zu der
Annexzuständigkeit gem. Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ ausgeführt, dass das mit dem
Übereinkommen angestrebte Ziel der Rechtssicherheit nicht erreicht würde,
wenn der Umstand, dass sich das Gericht eines Vertragsstaats in Bezug auf
einen der Beklagten, der seinen Wohnsitz nicht in einem Vertragsstaat hat,
für zuständig erklärt hat, es ermöglichen würde, einen anderen Beklagten,
der seinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat, außerhalb der im
Übereinkommen vorgesehenen Fälle vor diesem Gericht zu verklagen; denn
hierdurch würde diesem der durch die Bestimmung des Übereinkommens gewährte
Schutz genommen (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Oktober 1998 - C-51/97, Slg.
1998, I-06511 Rn. 46 - Réunion Européenne).
20 Dass Art. 11 Abs. 3 EuGVVO es bei einer Direktklage gegen den Versicherer
diesem über eine Streitverkündung rechtlich möglich macht, den Schädiger am
Wohnsitzgericht des Geschädigten auf Regress zu verklagen, steht dem nicht
entgegen. Die Regelung zeigt, dass eine generelle Erweiterung des besonderen
Gerichtsstandes des Versicherungsnehmers (Art. 9 Abs. 1
Buchst. b EuGVVO) bei einer Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer
nicht geschaffen werden sollte.
21 c) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267
Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 -
C-283/81, Slg. 1982, I-03415 Rn. 16 - CILFIT/Ministero delle Sanitä; vom 11.
September 2008 - C-428/06, Slg. 2008, I-06747 Rn. 42 - UGT-Rioja). Die
Frage, ob aus der Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des Klägers für eine
Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners gemäß Art. 11
Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO über Art. 6 Nr. 1 EuGVVO wegen
der Konnexität die Zuständigkeit für den mitbeklagten Unfallgegner bzw.
Versicherten oder Versicherungsnehmer begründet werden kann, obwohl keiner
der Beklagten seinen Wohnsitz im Mitgliedstaat des Klägers hat, hat der
Europäische Gerichtshof bereits geklärt. Die für die Beurteilung der
internationalen Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO richtige Auslegung
ist aus den ausgeführten Gründen derart offenkundig, dass für vernünftige
Zweifel kein Raum bleibt.
22 3. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen.
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