Verkehrssicherungspflichten bei einer Theateraufführung (Schuss auf der
Bühne): Begründung und Umfang von Verkehrssicherungspflichten
BGH, Urteil vom 8. November
2005 - VI ZR 332/04
Fundstelle:
NJW 2006, 610
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung legt in sehr klarer, lehrbuchartiger
Weise die Begründung und den Umfang von Verkehrssicherungspflichten dar, s.
insbesondere die fett markierten Passagen.
©sl 2005
Amtl. Leitsatz:
Zur
Verkehrssicherungspflicht eines Theaterbetreibers beim Abfeuern eines
Schreckschusses in einer Theateraufführung.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Verpflichtung des beklagten Landes (künftig:
des Beklagten) zum Ersatz des Schadens, den der Kläger durch einen
Schreckschuss in der Aufführung des "Faust" von Johann Wolfgang von Goethe
im Staatstheater W. am 4. April 1999 erlitten haben will.
Der Kläger litt seit 1. März 1997 an einem chronischen Tinnitus
(Ohrgeräusch) infolge eines Knalltraumas durch einen Pistolenschuss. Er war
deshalb bis 26. Mai 1997 in ohrenärztlicher Behandlung.
Während der Aufführung am 4. April 1999 - es war die 74. Aufführung dieser
Inszenierung - setzte ein Schauspieler kurz vor der Pause einen Gehörschutz
auf und feuerte dann einen Schuss aus einer 9 mm-Schreckschusspistole ab,
der am Sitzplatz des Klägers zwischen 128 und 129 dB (A) laut war. Der
Kläger erkundigte sich, ob mit weiteren Schüssen zu rechnen war, wartete
nach der Pause außerhalb des Zuschauerraums einen zweiten Schuss ab und nahm
dann den Rest der Aufführung wahr.
Er hat vorgetragen, sein Tinnitus habe sich seit 1997 soweit gebessert
gehabt, dass er nahezu beschwerdefrei gewesen sei. Seine Beschwerden hätten
sich durch den Schuss in der Aufführung vom 4. April 1999 wesentlich
verschlimmert. Er hat deshalb Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und
Feststellung der Ersatzverpflichtung des Beklagten für sämtliche materiellen
und immateriellen Schäden erhoben.
Das Landgericht, dessen Urteil u.a. in NJW-RR 2004, 887 veröffentlicht ist,
hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat
das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Ziel einer Zurückweisung der
Berufung des Beklagten weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner - u.a in
VersR 2005, 1406 veröffentlichten - Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt,
es komme nicht darauf an, ob sich das vorbestehende Tinnitus-Leiden des
Klägers durch den Schuss verschlimmert habe. Die Bediensteten des Beklagten
hätten jedenfalls nicht fahrlässig gehandelt. Ein vollkommener Schutz der
durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter sei praktisch nicht zu
erreichen. Eine zur Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen im Einzelfall
erforderliche Interessenabwägung führe zu dem Ergebnis, dass die
Fahrlässigkeit eines Verhaltens zu verneinen sei, wenn derjenige
Sicherheitsgrad erreicht worden sei, den die in diesem Bereich herrschende
Verkehrsauffassung für erforderlich erachte. Ein Hinweis auf Gefahr- und
Sicherheitserwartungen des Verkehrs könne sich zwar aus den in den
betreffenden Verkehrskreisen üblichen Vorsichtsmaßregeln ergeben. Auch habe
für einen besonders empfindlichen Theaterbesucher die Gefahr einer
erheblichen und unheilbaren Gehörschädigung durch Minderung des Hörvermögens
oder durch ein Ohrgeräusch bestanden. Der Eintritt eines entsprechenden
Schadens sei aber außerordentlich unwahrscheinlich ("unterhalb des
Promillebereichs") gewesen. Dementsprechend habe nur der Kläger als einziger
von mehr als 23.000 Besuchern der Inszenierung über Beschwerden geklagt.
Auch deutschlandweit seien von den anderen 150 öffentlich-rechtlichen
Theatern mit über 20 Mio. Besuchern jährlich und den privatrechtlich
organisierten Bühnen Streitigkeiten über die Haftung für Gehörschäden
bislang nicht bekannt geworden, obwohl auch an diesen in ähnlicher Weise wie
am Hessischen Staatstheater Schreckschüsse abgefeuert würden. Jeder
Theaterbesucher wisse, dass es im Theater nicht immer leise zugehe und dass
ein Regisseur nicht wegen besonderer Empfindlichkeiten von vereinzelten
Besuchern auf einen "Knalleffekt" verzichte. Die weitgehende Üblichkeit
derartiger Geräuschimmissionen und die völlige Unüblichkeit hierauf
bezogener Warnhinweise ließen eine Verletzung der den Theaterbesuchern
gegenüber erforderlichen Sorgfalt nicht erkennen. Der vorgeschädigte und
überempfindliche Kläger sei mit dem Besuch des Theaters ein Risiko
eingegangen. Die Folgen einer Verwirklichung dieses Risikos müsse er selbst
tragen.
II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen
Überprüfung im Ergebnis stand.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht von einer zivilrechtlichen
Pflicht des Theaterträgers aus, Theaterbesucher vor Körper- und
Gesundheitsschäden zu schützen, die aus dem Theaterbetrieb resultieren, mit
denen aber bei einem Theaterbesuch nicht gerechnet werden muss. Das gilt in
gleicher Weise für Rutschgefahren vor dem wie auch im Theater (vgl. BGH,
Urteil vom 11. Juli 1985 - III ZR 137/84 - VersR 1985, 973; OLG München
VersR 1988, 740; OLG Karlsruhe VersR 1985, 1196) wie für sonstige
Schädigungen durch den Betrieb des Theaters. Für etwaige Pflichtverletzungen
hat der Theaterbetreiber entweder unmittelbar aus eigenem Verschulden wegen
mangelnder Instruktion seiner Bediensteten oder über §§ 31, 831 BGB
einzustehen. Das gilt sowohl wenn ein Besucher etwa durch eine
herunterfallende Kulisse geschädigt wird, gilt aber grundsätzlich auch für
Lärmschädigungen durch den Betrieb.
Derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, ist
grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu
treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Das entspricht
ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteile vom
19. Dezember 1989 - VI ZR 182/89 - VersR 1990, 498, 499; vom 4. Dezember
2001 - VI ZR 447/00 - VersR 2002, 247, 248 und vom 15. Juli 2003 - VI ZR
155/02 - VersR 2003, 1319, jeweils m.w.N.; vgl. auch BGHZ 121, 367, 375 und
BGH, Urteil vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/95 - VersR 1997, 109, 111). Die
rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein
umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch
für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr
vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu
gefährden, wäre utopisch (vgl. Senatsurteil vom 15. April 1975 - VI ZR
19/74 -VersR 1975, 812). Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung
ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar (vgl.
Senatsurteil vom 21. April 1964 - VI ZR 39/63 - VersR 1964, 746).
Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein
sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter
anderer verletzt werden können (vgl. Senatsurteile vom 15. April 1975 -
VI ZR 19/74 - aaO; vom 10. Oktober 1978 - VI ZR 98/77 - und - VI ZR 99/77 -
VersR 1978, 1163, 1165; vom 5. Mai 1987 - VI ZR 181/86 -VersR 1987, 1014,
1015; vom 4. Dezember 2001 - VI ZR 447/00 - aaO; vom 15. Juli 2003 - VI ZR
155/02 - aaO). Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines
Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die
Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst
abzuwenden (vgl. Senatsurteile vom 10. Oktober 1978 - VI ZR 98/77 - und
- VI ZR 99/77 - aaO; vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 -aaO; BGHZ 14, 83,
85). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB
a.F., jetzt § 276 Abs. 2 BGB n.F.) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige
Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich
herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl. Senatsurteil
vom 16. Februar 1972 - VI ZR 111/70 - VersR 1972, 559, 560; vom 15. Juli
2003 - VI ZR 155/02 - aaO). Daher reicht es anerkanntermaßen aus,
diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger,
umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger dieser Berufsgruppe
für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und
die ihm den Umständen nach zuzumuten sind; Voraussetzung für eine
Verkehrssicherungspflicht ist, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges
Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt
werden können (vgl. Senatsurteile vom 12. Februar 1963 - VI ZR 134/62 -
VersR 1963, 532; vom 19. Mai 1967 - VI ZR 162/65 - VersR 1967, 801; vom 4.
Dezember 2001 - VI ZR 447/00 - aaO und vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 -
aaO).
Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen
werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig
ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter
liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem
Schaden, so muss der Geschädigte - so hart dies im Einzelfall sein mag - den
Schaden selbst tragen. Er hat ein "Unglück" erlitten und kann dem Schädiger
kein "Unrecht" vorhalten (vgl. Senatsurteile vom 15. April 1975 - VI ZR
19/74 - aaO und vom 15. Juli 2003 - VI ZR 155/02 - aaO).
2. Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht
eine Haftung des Beklagten verneint. Das beanstandet die Revision ohne
Erfolg.
a) Das Berufungsgericht hat in tatrichterlicher Würdigung des Ergebnisses
der Beweisaufnahme angenommen, dass der von einem Schuss verursachte
Impulslärm an sich geeignet ist, die Sinneshärchen im Innenohr
"umzuknicken", weil der Körper dagegen nicht schnell genug mit einem
Selbstschutzmechanismus reagieren könne. Eine derartige "Schädigung" ist
nicht mehr rückgängig zu machen, wird allerdings häufig in kaum
wahrnehmbarer Weise erfolgen. Feststellungen dazu, dass vorliegend ein
solches Umknicken von Sinneshärchen tatsächlich erfolgt ist, hat das
Berufungsgericht jedoch nicht treffen können.
b) Selbst wenn eine derartige Schädigung des Klägers zu Gunsten der Revision
unterstellt wird, ergab sich jedoch für ein sachkundiges Urteil nicht
vorausschauend die nahe liegende Gefahr einer solchen Verletzung von
Rechtsgütern. Das Berufungsgericht hat vielmehr festgestellt, der Eintritt
eines erheblichen Gesundheitsschadens sei außerordentlich unwahrscheinlich
gewesen; das greift die Revision im Ergebnis erfolglos an.
(1) Zwar macht die Revision zu Recht geltend, dass die Feststellung des
Berufungsgerichts, der Sachverständige habe den potentiell gefährdeten
Personenkreis auf etwa 25 % der Bevölkerung geschätzt, in dessen
Ausführungen keine Stütze findet. Dieser hat vielmehr ausgeführt, die
Schwelle des Risikos für den Normalhörenden sei überschritten, wenn der
Schalldruck 84 dB (A) übersteige. Daraus folgt entgegen der Ansicht des
Berufungsgerichts, dass jeder Besucher am Platz des Klägers bei einem
Schalldruck von 128 dB (A) potentiell gefährdet war. Nach den Ausführungen
des Sachverständigen waren sogar 25 % der Bevölkerung in gesteigertem Maße
gefährdet, nämlich 20 % Vorgeschädigte (wie der Kläger) und 5 %
Überempfindliche ohne Schwerhörigkeit.
(2) Auf dieser zumindest missverständlichen Wiedergabe der
Sachverständigenäußerungen beruht das Berufungsurteil jedoch nicht. Wie das
Berufungsgericht - von der Revision unbeanstandet - ausführt, hat der
Sachverständige in der Berufungsverhandlung des Weiteren erläutert, die
Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadenseintritts hänge von Ausmaß,
Zeit und Geschwindigkeit des Anstiegs des Lärmpegels ab. Für den hier zu
beurteilenden Sachverhalt hat der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit
eines Schadenseintritts unterhalb des Promillebereichs angesiedelt; das
steht im Einklang mit der Aussage des Zeugen J., von den 23.000 Besuchern
dieser Inszenierung habe allein der Kläger Beschwerden wegen einer
Gehörschädigung geführt.
(a) Die Revision rügt zwar, das Berufungsgericht habe sich nicht damit
auseinandergesetzt, dass der Zeuge J. als verantwortlicher Direktor des
Theaters einem Regressanspruch ausgesetzt sei und dass seinerzeit nicht alle
Post über seinen Schreibtisch gelaufen sei, sondern auch über den seines
Vertreters. Sie lässt dabei jedoch außer Betracht, dass das Berufungsgericht
ausdrücklich auch die Aussage des Zeugen berücksichtigt hat, dass er über
entsprechende Beschwerden wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung in jedem
Fall unterrichtet worden wäre. Damit durfte das Berufungsgericht davon
ausgehen, dass keine weiteren Beschwerden von Theaterbesuchern über
Lärmschädigungen eingegangen waren, die dem Zeugen etwa unbekannt geblieben
wären. Auch die Gefahr eines Regresses gegen den Zeugen musste entgegen der
Auffassung der Revision keine durchgreifenden Bedenken gegen die
Glaubhaftigkeit der Aussage wecken, zumal der Fall vereinzelt geblieben ist.
(b) Der auf die Aussage des Zeugen J. gestützte Schluss des
Berufungsgerichts, andere Theaterbesucher hätten keinen Hörschaden durch die
Inszenierung davon getragen, beruht nicht auf einer Verletzung des § 286
ZPO. Zwar kann der Revision darin gefolgt werden, dass die Durchsetzung
eines Anspruchs erhebliche zeitliche und auch finanzielle Mühen mit sich
bringt, die manchen Geschädigten von der Durchsetzung seiner Ansprüche
abhalten mögen. Dieser Aspekt tritt jedoch mit zunehmender Schwere des
Schadens zurück. Der auch von der Revision nicht in Zweifel gezogene
Umstand, dass kein anderer Theaterbesucher derartige Ansprüche geltend
gemacht hat, ist daher ein Indiz dafür, dass keine erheblichen Schädigungen
erfolgt sind.
(c) Der von der Revision geltend gemachte Widerspruch in der Begründung des
Berufungsurteils besteht nicht. Wenn das Berufungsgericht im Ergebnis dazu
gelangt, die Theaterbesucher hätten den Schreckschuss hinnehmen müssen, dann
ersichtlich deshalb, weil es im Anschluss an die Ausführungen des
Sachverständigen die Gefahr einer Hörschädigung nicht für nahe liegend hält.
Das begründet keinen Widerspruch dazu, dass Beschwerden anderer Besucher
nicht feststellbar sind. Die Revision weist selbst auf die weiteren
Erläuterungen des Sachverständigen hin, die von ihr in den Vordergrund ihrer
Erwägungen gestellte Schädigung der Sinneshärchen durch Umknicken sei für
die Geschädigten im allgemeinen wegen der geringen Anzahl solcher
Schädigungen "kaum wahrnehmbar", werde also regelmäßig nicht zu Beschwerden
führen.
(3) Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch
nicht daraus, dass der den Schuss abgebende Schauspieler unmittelbar vor
Abfeuern des Schusses einen Gehörschutz aufgesetzt hat. Das Berufungsgericht
stellt - unbeanstandet von der Revision - fest, dass der Schalldruck im
Bereich des Schützen deutlich höher war als im Bereich des Publikums. Auf
die von der Revision als spekulativ bezeichneten Erwägungen des
Berufungsgerichts, dass der Gehörschutz aus künstlerischen Gründen verwendet
worden sein könne, kommt es deshalb nicht an.
3. Letztlich verhilft es der Revision auch nicht zum Erfolg, dass der
Verkehrssicherungspflichtige typischen Gefahren, auch wenn sie selten
eintreten, jedenfalls dann begegnen muss, wenn sie zu nicht unerheblichen
Schäden führen können (vgl. Senatsurteil vom 17. Oktober 1989 - VI ZR 258/88
-VersR 1989, 1307). Zwar hat der Sachverständige die vom Kläger geltend
gemachte Schädigung als typisches Risiko bezeichnet, weil bereits ab 84 dB
(A) die Schwelle des Risikos für einen Normalhörenden überschritten sei und
es zu einem Umknicken der Sinneshärchen kommen könne.
Entgegen der Ansicht der Revision haben die Bediensteten des Beklagten aber
keine dem Theaterbetreiber obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Jeder Verkehrssicherungspflichtige hat Sicherungsmaßnahmen nämlich nur dann
zu treffen, wenn eine nicht nur theoretische Möglichkeit besteht, dass
Rechtsgüter anderer verletzt werden, sondern wenn dies nahe liegt. Daran
fehlt es im vorliegenden Fall. Der Sachverständige hat lediglich die
besondere Eignung des Schusses zur Schädigung von Sinneshärchen im Innenohr
eines Theaterbesuchers durch den Schuss mit der Schreckschusspistole bejaht.
Zugleich hat er aber die Wahrscheinlichkeit eines Hörschadens durch den
Schuss für sehr gering gehalten. Hiernach kann nicht davon ausgegangen
werden, dass sich im damaligen Zeitpunkt vorausschauend für ein sachkundiges
Urteil die nahe liegende Gefahr einer Schädigung von Rechtsgütern anderer
ergeben hat, die in Abwägung von Art. 5 Abs. 3 und 2 Abs. 2 GG einen Schuss
als Mittel künstlerischer Gestaltung verboten hätte.
4. Allein der Umstand, dass die geringe Gefahr einer Schädigung mit
minimalem Aufwand durch den Einsatz einer leiseren Waffe hätte vermieden
werden können, verhilft der Revision nicht zum Erfolg. Zum einen ergeht sich
die Revision hierzu in Spekulationen und vermag nicht auf konkreten Vortrag
des Klägers in den Tatsacheninstanzen zu verweisen. Zum anderen ist der
Aufwand kein geeigneter Maßstab, den Umfang der Verkehrssicherungspflicht zu
bestimmen. Dabei kann es im vorliegenden Fall dahinstehen, ob der Aufwand im
Rahmen der Abwägung zu Art. 5 Abs. 3 und 2 Abs. 2 GG eine entscheidende
Rolle spielen könnte.
5. Schließlich verweist die Revision ohne Erfolg auf Regelwerke wie die
Vorschriften des deutschen Instituts für Normung (DIN) oder
Unfallversicherungsverordnungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger (UVV).
Eine einschlägige Vorschrift für Theateraufführungen vermag sie nicht
darzulegen. Dass das Berufungsgericht die Überlegungen des Sachverständigen
zu einer entsprechenden Anwendung von Arbeitsplatzschutzvorschriften und von
Vorschriften für Großveranstaltungen (vgl. Senatsurteil vom 13. März 2001 -
VI ZR 142/00 - VersR 2001, 1040, 1041; BGH, Urteil vom 26. September 2003 -
V ZR 41 /03 - VersR 2004, 1141, 1142), die - teilweise - von 70 bis 98 dB
(A) und damit von deutlich unterhalb des hier erzeugten Schallpegels von 128
dB (A) liegenden Werten ausgehen, nicht zur Grundlage seiner Entscheidung
gemacht hat, begegnet aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Bedenken. Nach
seinen - insoweit nicht angegriffenen Feststellungen - fehlen Vorschriften
für den hier streitgegenständlichen Bereich. Es ist aus Rechtsgründen nicht
zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht - auch unter Hinweis auf die
üblichen Lärmemissionen von Kinderspielzeug - zu der Auffassung gelangt ist,
dass die Übung, auch in klassischen Theaterstücken ohne vorherige Warnung
mit "Knalleffekten" zu arbeiten, nach der Verkehrserwartung im Jahre 1999
noch keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellte.
6. Nach allem ist jedenfalls für das Jahr 1999 keine objektive Pflicht der
Theaterbetreiber festzustellen, beim Einsatz von Schusswaffen darauf zu
achten, dass allenfalls ein Lärm erzeugt wird, der im Zuschauerraum einen
Schallpegel von 128 dB (A) erheblich unterschreitet.
7. Einer abschließenden Klärung, ob den Bediensteten des Beklagten bei
diesem ersten Fall ein rechtswidriges Verhalten (§ 831 Abs. 1 Satz 1 BGB)
oder gar ein Verschulden (für das der Beklagte im Rahmen positiver
Vertragsverletzung einzustehen hätte, § 278 BGB) zur Last fiele (zu einem
Fall erstmaliger Schädigung vgl. Senatsurteil vom 14. März1995 - VI ZR 34/94
- VersR 1995, 672, 674), bedarf es nach allem nicht.
8. Die Revision des Klägers ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1
ZPO zurückzuweisen.
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