Zurückweisung eines einseitigen Rechtsgeschäfts
eines Vertreters nach § 174 BGB (Nichtvorlage der Vollmacht) und/oder nach §
180 BGB (Vertretung ohne Vertretungsmacht); Vorlagepflicht der Vollmacht bei
mehrstufiger Vertretung; Vertretung ohne Vertretungsmacht bei mehrstufiger
Stellvertretung; keine "Heilung" der Nichtigkeit durch Zurückweisung nach §
180 BGB; Abgrenzung zu Bestätigung (§ 141 BGB)
BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 -
V ZB 5/12 - LG Hildesheim
Fundstelle:
NJW 2013, 297
Amtl. Leitsatz:
a) Eine Erklärung kann neben einer Beanstandung
gemäß § 180 Satz 2 BGB auch eine Zurückweisung gemäß § 174 Satz 1 BGB
enthalten, sofern aus ihr eindeutig hervorgeht, dass das Bestehen der
Vertretungsmacht bemängelt und zugleich das Rechtsgeschäft wegen der
fehlenden Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen wird.
b) Die Beanstandung führt ebenso wie die Zurückweisung zu der Unwirksamkeit
des einseitigen Rechtsgeschäfts, wenn eine wirksame Vertretungsmacht nicht
besteht; eine nachträgliche Heilung ist ausgeschlossen.
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©sl 2012
Gründe:
1 Die Beteiligten zu 4 bis 6 (im
Folgenden: Vorkaufsverpflichtete) sind Eigentümer eines bebauten
Grundstücks. Die Beteiligte zu 3 (im Folgenden: Vorkaufsberechtigte) ist
eine Genossenschaft, zu deren Gunsten in Abteilung II des Grundbuchs ein
Vorkaufsrecht eingetragen ist. Sie wird nach ihrer Satzung entweder
durch zwei Vorstandsmitglieder oder durch ein Vorstandsmitglied in
Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten.
2 Die Vorkaufsverpflichteten schlossen mit den Beteiligten zu 1 und
2 (im Folgenden: Drittkäufer) am 30. Mai 2011 einen notariellen Kaufvertrag
über den Grundbesitz. Am 9. Juni 2011 setzte der Notar die
Vorkaufsberechtigte über den Kaufvertrag und die gesetzliche Frist zur
Ausübung des Vorkaufsrechts in Kenntnis. Mit Schreiben vom 2.
August 2011 erklärte ein Rechtsanwalt in deren Namen die Ausübung des
Vorkaufsrechts gegenüber den Vorkaufsverpflichteten. Der Erklärung
war eine Vollmacht beigefügt, die ein Vorstandsmitglied und eine Prokuristin
der Genossenschaft unterzeichnet hatten. Die
Vorkaufsverpflichteten wiesen die Ausübungserklärung mit jeweils am 9.
August 2011 bei der Vorkaufsberechtigten eingegangenen gleichlautenden
Schreiben mangels Vollmachtsurkunde als unwirksam zurück; die
Prokura sei nicht in das Genossenschaftsregister eingetragen, so dass keine
wirksame Vollmacht vorliege. Tatsächlich war die Prokura vor Unterzeichnung
der Vollmacht erteilt worden. Sie wurde jedoch erst am 11. August 2011 in
das Genossenschaftsregister eingetragen. Mit Schreiben vom 22. August 2011
teilten die Vorkaufsverpflichteten dem Rechtsanwalt mit, sie seien nunmehr
mit der Übertragung des Eigentums an die Vorkaufsberechtigte einverstanden.
3 Mit Schreiben vom 24. August 2011 kündigte der Notar allen Beteiligten den
Erlass eines Vorbescheids mit dem Inhalt an, dass er beabsichtige,
den zwischen den Vorkaufsverpflichteten und den Drittkäufern geschlossenen
notariellen Kaufvertrag zu vollziehen. Der Beschwerde der
Vorkaufsberechtigten hat das Landgericht stattgegeben und den Notar
angewiesen, die Abwicklung des Kaufvertrags zu unterlassen. Mit der
zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Vorkaufsberechtigte
beantragt, wollen die Drittkäufer die Zurückweisung der Beschwerde
erreichen.
II.
4 Das Beschwerdegericht meint, die Beschwerde sei auch ohne Erlass des
angekündigten Vorbescheids zulässig, weil der Notar die von der
Vorkaufsberechtigten verlangte Unterlassung der weiteren Vertragsabwicklung
verweigert habe. Die Vorkaufsberechtigte habe das Vorkaufsrecht wirksam
ausgeübt. Die Zurückweisung der Ausübungserklärung sei unbegründet.
Weil sie nicht auf Mängel der Vollmachtsurkunde, sondern auf Zweifel an der
Wirksamkeit der Vollmacht gestützt worden sei, lasse sich ein
Zurückweisungsrecht nicht aus § 174 BGB herleiten. Entscheidend sei
daher, ob die Vollmacht tatsächlich bestanden habe. Das sei anzunehmen. Die
Prokuristin der Vorkaufsberechtigten sei im Zeitpunkt der
Vollmachtserteilung wirksam bestellt gewesen. Die Eintragung der
Prokura in das Genossenschaftsregister habe nur deklaratorische Wirkung.
Für die Vorkaufsverpflichteten habe gemäß § 29 GenG ein Wahlrecht
bestanden. Sie hätten die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Rechtsanwalt
wegen der fehlenden Eintragung zurückweisen oder die Prokura gegen sich
gelten lassen können. Indem sie mit ihrem Schreiben vom 22. August 2011
deutlich gemacht hätten, dass sie die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht
länger wegen der fehlenden Eintragung der Prokura zurückweisen wollten,
hätten sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und auf den Schutz des § 29
GenG verzichtet. Dies wirke auf den Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht
zurück.
III.
5
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1
BNotO unter anderem in den Fällen eröffnet, in denen der Notar eine sonstige
Tätigkeit verweigert. Weil sich der Notar durch seine Ankündigung geweigert
hat, den Vollzug des notariellen Kaufvertrags zwischen den
Vorkaufsverpflichteten und den Drittkäufern zu unterlassen, war die
Beschwerde der Vorkaufsberechtigten auch ohne Erlass des angekündigten
Vorbescheids statthaft. Durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts sind
die Drittkäufer beschwert.
7 2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Das Beschwerdegericht
hat den Notar zu Unrecht angewiesen, die Abwicklung des notariellen
Kaufvertrags zwischen den Vorkaufsverpflichteten und den Drittkäufern zu
unterlassen, weil die für die Ausübung des Vorkaufsrechts erforderliche
Erklärung (§ 464 Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht wirksam abgegeben worden ist.
8 a) Das Beschwerdegericht legt die Schreiben der
Vorkaufsverpflichteten vom 9. August 2011 dahingehend aus, dass die
Zurückweisung der Ausübungserklärung nicht auf die unterbliebene Vorlage
einer Vollmachtsurkunde gemäß § 174 Satz 1 BGB gestützt worden sei, sondern
allein auf die fehlende Vertretungsmacht. Ob diese Auslegung der
revisionsrechtlich eingeschränkten Nachprüfung standhalten kann, ist
zweifelhaft.
9 aa) Eine Erklärung kann neben einer Beanstandung gemäß § 180 Satz
2 BGB auch eine Zurückweisung gemäß § 174 BGB enthalten, sofern aus ihr
eindeutig hervorgeht, dass das Bestehen der Vertretungsmacht bemängelt und
zugleich das Rechtsgeschäft wegen der fehlenden Vorlage einer
Vollmachtsurkunde zurückgewiesen wird (BeckOK BGB/Valenthin,
Edition 24, § 174 Rn. 8; vgl. auch BAG, NJW 1981, 2374 f.). Dies ist
insbesondere dann bedeutsam, wenn die Vertretungsmacht tatsächlich besteht.
Wird nur ihr Vorliegen gemäß § 180 Satz 2 BGB in Zweifel gezogen, ist die
Erklärung des Vertreters gleichwohl wirksam; dagegen ist sie (endgültig)
unwirksam, wenn das Rechtsgeschäft zugleich wegen der fehlenden Vorlage der
Vollmachtsurkunde zurückgewiesen wird (§ 174 Satz 1 BGB).
10 bb) Die Vorkaufsverpflichteten haben nicht nur das Fehlen einer
wirksamen Prokura gerügt, sondern die auf die Ausübung bezogene
Willenserklärung zugleich unter Hinweis auf den Inhalt des
Genossenschaftsregisters „mangels Vorlage einer wirksamen Vollmachtsurkunde"
als unwirksam zurückgewiesen. Das Beschwerdegericht sieht dies
nicht als relevant an, weil dem Schreiben des Rechtsanwalts eine
Vollmachtsurkunde beigefügt gewesen sei. Dabei lässt es aber außer
Acht, dass bei einer Untervertretung nicht nur die Vertretungsmacht des
Untervertreters, sondern auch die des Hauptvertreters durch
Vollmachtsurkunde nachgewiesen werden muss (Erman/Maier-Reimer,
BGB, 13. Aufl., § 174 Rn. 5; Soergel/Leptien, BGB, 13. Aufl., § 174 Rn. 2;
Staudinger/Schilken, BGB [2009], § 174 Rn. 3 jeweils mwN). Im
Hinblick darauf könnte dem Schreiben seinem Wortlaut entsprechend zu
entnehmen sein, dass die Vorkaufsverpflichteten die Vollmacht anzweifeln und
die Erklärung zugleich wegen des fehlenden Nachweises der aus dem
Genossenschaftsregister nicht ersichtlichen Prokura zurückweisen wollten;
sollte dies ein Zurückweisungsrecht gemäß § 174 Satz 1 BGB
begründen, wäre die Ausübungserklärung allein aus diesem Grund unwirksam.
11 b) Im Ergebnis ist es jedoch ohne Bedeutung, ob (auch) eine Zurückweisung
gemäß § 174 Satz 1 BGB erfolgt ist. Denn jedenfalls haben die
Vorkaufsverpflichteten die Vertretungsmacht gemäß § 180 Satz 2 BGB
beanstandet mit der Folge, dass die Ausübungserklärung gemäß § 180 Satz 1
BGB unwirksam ist.
12 aa) Die Vertretungsmacht eines Unterbevollmächtigten - hier des
Rechtsanwalts - kann nicht weiter gehen als die Hauptvollmacht
(Palandt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl., § 167 Rn. 12). Fehlt es an der
Hauptvollmacht, so handelt auch der Unterbevollmächtigte ohne
Vertretungsmacht.
13 bb) Wegen der fehlenden Eintragung der Prokura in das
Genossenschaftsregister und der fehlenden Kenntnis der
Vorkaufsverpflichteten von der tatsächlichen Erteilung muss sich die
Vorkaufsberechtigte so behandeln lassen, als habe sie keine Prokura erteilt.
Zwar hat die Eintragung und Bekanntmachung der Prokura nur
deklaratorische Wirkung (Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., §
53 Rn. 1; MünchKomm-HGB/Krebs, 3. Aufl., § 53 Rn. 1 mwN). Weil sie
eintragungspflichtig ist (§ 42 Abs. 1 Satz 1 GenG i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1
HGB), kann die Genossenschaft sie aber vor der Eintragung und Bekanntmachung
einem Dritten nicht entgegensetzen, es sei denn, dass die Erteilung dem
Dritten bekannt war; der Rechtsverkehr darf auf das
Schweigen des Genossenschaftsregisters vertrauen (§ 42 Abs. 1 Satz
3 i.V.m. § 29 Abs. 1 GenG, sog. negative Publizität; Beuthin, GenG, 15.
Aufl., § 29 Rn. 5; Schaffland in Lang/Weidmüller, GenG, 37. Aufl., § 29 Rn.
5 f.; Bauer, Genossenschaftshandbuch, Stand Januar 2012, § 29 Rn. 10, 17).
14 cc) War die Prokura danach als fehlend anzusehen, hat die
Beanstandung der Vorkaufsverpflichteten - was das Berufungsgericht übersehen
hat -gemäß § 180 Satz 1 und 2 BGB zu der Unwirksamkeit der
Ausübungserklärung geführt. Eine Beanstandung hat bei fehlender
Vertretungsmacht die gleiche Wirkung wie eine Zurückweisung gemäß § 174 Satz
1 BGB (MünchKomm- BGB/Schramm, 6. Aufl., § 180 Rn. 8; Soergel/Leptien, aaO,
§ 180 Rn. 9; Staudinger/Schilken, aaO, § 180 Rn. 7).
15 dd) Schließlich war die Beanstandung auch rechtzeitig. Jedenfalls dann,
wenn sie sich gegen eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung
richtet, reicht es aus, wenn sie unverzüglich erfolgt (Soergel/Leptien, aaO,
§ 180 Rn. 9; Staudinger/Schilken, aaO, § 180 Rn. 7). Davon ist nach den
Feststellungen des Beschwerdegerichts auszugehen.
16 c) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts haben die Erklärungen der
Vorkaufsverpflichteten vom 22. August 2011, mit denen sie zum Ausdruck
gebracht haben, an der Beanstandung nicht mehr festzuhalten, den
Mangel der Vertretungsmacht nicht rückwirkend geheilt. Richtig ist,
dass sich der Dritte bei einer fehlenden Eintragung im
Genossenschaftsregister jederzeit auf die wahre Rechtslage berufen kann,
wenn sie ihm günstiger erscheint (vgl. BGH, Urteile vom 21. Dezember 1970 -
II ZR 258/67, BGHZ 55, 267, 273; vom 1. Dezember 1975 - II ZR 62/75, BGHZ
65, 309, 310; vom 5. Februar 1990 - II ZR 309/88, WM 1990, 638, 639, jeweils
zu § 15 HGB; Bauer, Genossenschaftshandbuch, Stand Januar 2012, § 29 Rn. 18;
Keßler in Hillebrand/Keßler, GenG, 2. Aufl. § 29 Rn. 6). Das
bedeutet aber nicht, dass es ihm freisteht, seine Entscheidung nach Ausübung
des Wahlrechts zu ändern. Jedenfalls dann, wenn die Berufung auf das
Schweigen des Registers - wie hier - bereits zu der Unwirksamkeit des
vorgenommenen Rechtsgeschäfts geführt hat, kann eine rückwirkende Heilung
durch den nachträglichen Verzicht auf den Schutz nicht mehr eintreten; dies
wäre auch mit dem Erfordernis der Rechtssicherheit unvereinbar.
Ein Rechtsgeschäft, das endgültig unwirksam (also nichtig) ist, kann
nur bestätigt werden (§ 141 BGB), was innerhalb der Ausübungsfrist nicht
geschehen ist.
IV.
17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 15 Abs. 2 Satz 3 BNotO, § 84 FamFG.
Als Gegenstandswert des Vorkaufsrechts ist gemäß § 20 Abs. 2 KostO in der
Regel der halbe Wert der Sache anzunehmen, wobei gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1
KostO von dem Kaufpreis in Höhe von 235.000 € auszugehen ist. Danach ergibt
sich ein Betrag von 117.500 €.
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